Die Rolle Goebbels

Aber gut, machen wir weiter mit Longerichs Ergüssen zur Psyche Goebbels:
Longerich - S. 25f. schrieb:
Die Psychoanalyse geht heute davon aus, dass narzisstische Persönlichkeitsstörungen ihre Wurzeln in Fehlentwicklungen haben, die zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr liegen. Man spricht von einer gestörten Autonomieentwicklung: das Kind ist nicht in der Lage sich von der fürsorgenden und bevormundenden Mutter zu lösen, seine eigene Persönlichkeitsentwicklung gerät ins stocken. Die Ursachen für ein solches gestörtes Verhältnis können vielfältig sein: zeitweilige Vernachlässigung durch die Mutter zum Beispiel oder eine häusliche Erziehung die unter unterschiedlichen Maximen hin und her schwankt und durch die das Kind widersprüchliche Signale empfängt, etwa übertriebene Fürsorge auf der einen und übergroße Strenge auf der anderen Seite. Es gehört nicht allzuviel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass in einer vielköpfigen, mit materiellen Wohlstand keineswegs gesegneten Familie wie den Goebbels solche Bedingungen geherrscht haben können. Die Erziehung des kleinen Joseph kann hier natürlich nicht rekonstruiert werden; das ist auch nicht nötig, denn es genügt, dass für den ohne Zweifel vorhandenen Narzissmus plausible Erklärungen vorliegen.
Welche Folgen eine Autonomiestörung haben kann, lässt sich am Beispiel Joseph Goebbels geradezu exemplarisch beobachten. Ein Narzisst ist, um seine eigene, als unzureichend wahrgenommene Identität zu stärken, ständig auf der Suche nach Anerkennung, vor allem sucht er einen Lebenspartner, der sich ihm ganz zuwendet und von dem er sich – nach dem Vorbild der fürsorgenden Mutter – Anerkennung und Bestätigung verspricht. Narzissten fällt es schwer, sich abzugrenzen gegen diejenigen, die ihnen Anerkennung zollen, manchmal scheint in ihrer Wahrnehmung ihre eigne Persönlichkeit mit der anderer Menschen zu verschwimmen. Insofern ist Goebbels Versuch mit "Michael Voormann" eine Variante seiner eigenen Entwicklung zu liefern, ein typischer Ausdruck für die Unsicherheit bezüglich seiner Identität. Der Roman ist also ein spielerisches Experiment mit der eigenen Biographie, keine Selbstenthüllung.
Narzissten haben generell Schwierigkeiten, zwischen Tagtraum und Wirklichkeit, Schein und Realität, Erfolg und Erfolgsphantasie zu unterscheiden, denn ihr Verhältnis zur Umwelt ist unterentwickelt, ihr Selbstbewusstsein nicht sicher verankert: sie leben zu sich selbst bezogen und neigen zu Selbstüberschätzung und Größenwahn. Sie werden aber auch – wegen ihrer Ich-Schwäche – von Trennungs- und Verlustängsten heimgesucht, empfinden das Ausbleiben von Erfolgen leicht als Versagen und neigen aus diesem Grund zu Depressionen.
Nicht "die Psychoanalyse geht heute" sondern vielmehr die Psychoanalyse ging 1973 davon aus – er bezieht sich hier auf Kohut und seine Ausführungen zur Ich-Psychologie. Dazu direkt der Hauptkritikpunkt: welches Kind löst sich im Alter von zwei bis vier von der Mutter? Im Allgemeinen argumentiert Kohut sehr nah an Freud und seinem Entwicklungsmodell der Psyche, dem Triebmodell und der infantilen Sexualität, welche alle drei als wissenschaftlich überholt gelten. Und wie Longerich richtig anmerkt, "die Erziehung des kleinen Joseph kann hier natürlich nicht rekonstruiert werden", dementsprechend kann man auch nur mutmaßen und nicht behaupten, für die unterstellte narzisstische Persönlichkeitsstörung liegen nämlich nicht die einschlägigen Belege vor und die vermutete Autonomiestörung kann aufgrund mangelnder Wissenschaftlichkeit des Kohutschen Gesamtkonzepts ad acta gelegt werden. Blieben noch die ein oder andere Behauptung im oben zitierten Auszug, die ich ergänzend zu den bereits aufgeführten herauspicken möchte: es ist nicht abnormal sich einen Lebenspartner zu suchen, der sich einem ganz und gar zuwendet, im Gegenteil, das ist sogar normal. Es ist auch normal, wenn Männer eine Partnerin haben, die Ähnlichkeiten mit der Mutter hat, insbesondere, wenn die Mutter-Sohn-Beziehung harmonisch ist.

Insbesondere im Fazit kommt es noch zu einigen Wiederholungen der hier zitierten Behauptungen, bahnbrechend neues weiß Longerich dazu aber nicht mehr zu ergänzen.

Mein Fazit – auch wenn ich gerade einen seitenlangen Verriss geschrieben habe: eine absolut lesenswerte historische Biografie. Die gutachterischen Entgleisungen zur Psyche Goebbels sind aufgrund der wenigen Präsenz im Buch verzeihbar und dürften einem Nichtpsychologen vielleicht auch gar nicht auffallen.

P.S.: Huiuiui meine Ausführungen waren gerade zu lange um sie in einen Post zu bekommen :red:
 
Wenn Longerich in obigem Zitat den letzten Satz weggelassen hätte, wäre einfach eine Charakterisierung seines Protagonisten auf der Basis des Gesunden Menschenverstandes dabei herausgekommen, und alles wäre in Ordnung gewesen.

Da fragt man sich doch nach der Sinnhaftigkeit der Psychologie zur Charakterisierung historischer Personen. Geht es bei einer solchen nicht immer um das Auffinden einer Schublade, in die man jemanden stecken kann, ein "Syndrom", das jemand "hat", mit dem Ziel, ihn als "normal" oder "anormal" zu klassifizieren ? Dabei bedeutet "normal" doch eigentlich, einer Norm zu entsprechen, also einem Durchschnitt. Was ist damit ausgesagt über das Individuum ? Dass er - im Verhältnis zu seiner Gesellschaft und seiner Zeit - angepasst gelebt hat ? Das ist doch jemand, der sich irgendwie exponiert hat, automatisch nicht.

Meistens geht es bei der psychologischen Beurteilung doch um die Feststellung einer gerichtsrelevanten "Schuld", also ob jemand in Gefängnis kommt oder in die Klapse nicht. Das führt jedoch dazu, dass jeder Täter automatisch wg. Anomalie mildernde Umstände bekommt, weil ein Durchschnittsmensch per definitione ja durchschnittlich ist, das heißt, keine norm-unüblichen Handlungen begeht.

Ich bin also der Meinung, dass ein akademisch-psychologisches Gutachen über historische Personen entbehrlich ist und diesem eine alltagstaugliche Beschreibung der persönlichen Biographie vorzuziehen ist.
 
Wenn Longerich in obigem Zitat den letzten Satz weggelassen hätte, wäre einfach eine Charakterisierung seines Protagonisten auf der Basis des Gesunden Menschenverstandes dabei herausgekommen, und alles wäre in Ordnung gewesen.
Ja, das und die narzisstische Persönlichkeitsstörung als Diagnose. Eine Charakterisierung darf dann auch subjektiv und kaum belegt sein, mit einer derartigen Aussage einschließlich einer Diagnose begibt er sich aber in eine wissenschaftliche Diskussion in einem Fachgebiet, das nicht seines sein dürfte, das macht die Sache immer schwierig.

Da fragt man sich doch nach der Sinnhaftigkeit der Psychologie zur Charakterisierung historischer Personen. Geht es bei einer solchen nicht immer um das Auffinden einer Schublade, in die man jemanden stecken kann, ein "Syndrom", das jemand "hat", mit dem Ziel, ihn als "normal" oder "anormal" zu klassifizieren ?
So macht es Longerich und viele andere in aller Regel Fachfremde auch, darum geht es aber nicht. Vielmehr kommt ganz auf die Fragestellung an. Die Psychologie ist mehr als nur Charakterisierung, mit ihrer Hilfe kann man Erleben und Verhalten erklärbar machen, wo es nicht offensichtlich und erklärbar ist.

Meistens geht es bei der psychologischen Beurteilung doch um die Feststellung einer gerichtsrelevanten "Schuld", also ob jemand in Gefängnis kommt oder in die Klapse nicht.
Nein, bei einem klinisch-psychologischen Gutachten geht es in aller Regel um Diagnose und Behandlung. Bei psychologischen Gutachten allgemein geht es um Problemdiagnose, Erklärung und Maßnahmen.

Ich bin also der Meinung, dass ein akademisch-psychologisches Gutachen über historische Personen entbehrlich ist und diesem eine alltagstaugliche Beschreibung der persönlichen Biographie vorzuziehen ist.
Ich bin durchaus der Meinung, dass die Interdisziplinarität eine Bereicherung für beide Seiten, die Geschichswissenschaften und die Psychologie sein kann, so sie denn fachlich sauber angewandt werden. Gerade auf dem interdisziplinären Feld der Kulturwissenschaft treffen doch gerade die Geistes- sowie die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften aufeinander, entsprechende Schnittmengen und Forschungsprojekte gibt es zur Genüge, warum also nicht entsprechende fachlich einwandfreie (!) psychohistorische Betrachtungen von Einzelpersonen vornehmen?
 
In der Danksagung erwähnt Longerich zudem eine Hamburger Psychoanalytikergruppe, mit der er diskutiert habe und die ihm wichtige Anhaltspunkte zu Goebbels Persönlichkeitsstruktur gegeben habe. Leider hat ihm die erwähnte Gruppe aber wohl nicht mitgeteilt, dass man bei psychologischen Begutachtungen Toter lediglich spekulieren, nicht aber behaupten kann.

Das scheint übrigens ein neuer methodischer Kniff von Longerich zu sein. Diese Diskussionen mit Psychologen hat er bereits für sein Himmler-Buch geführt. Es ist im wissenschaftlichen Sinne etwas problematisch, da man ja nicht die Gesprächsprotokolle nachlesen kann. Man weiß nicht genau, wer war daran beteiligt; ging es mehr über die Erörterung psychologischer Konzepte oder tatsächlich um die Diskussion persönlicher Facetten.

Das Werk über Goebbels kenne ich noch nicht. Die Himmler-Biografie hat aber perspektivisch auch eine sehr starke psychologische Komponente. Insgesamt finde ich sie gut. Die Sichtweise hat aber dort ihre Vor- und Nachteile. Gut ist sie z.B., wenn sich Longerich sehr genau mit dem Führungsstil Himmlers in der merkwürdigen Konstruktion "SS" befasst und gut herausarbeitet, welche Rolle die persönliche Korrumpiertheit der Führungsebene gegenüber Himmler bei der praktischen Arbeit spielte.

Nachteilig empfand ich sie da insofern, dass der strukturelle Kontext etwas in den Hintergrund trat und es so erscheint, dass Himmler die SS bis in ihre "Fingerspitzen" lenkte, während es faktisch unter seiner Führung doch auch auf ihre Weise mächtige und sehr selbständig arbeitende Potentaten gab wie Heydrich oder Pohl

Abgesehen davon, hat es mich gefuchst, dass Longerich ausgerechnet das Verhältnis zwischen Hitler und Himmler nicht ganz so eng unter der Lupe nahm. Interessant ist dabei nämlich, dass Himmler nie zum engeren Zirkel um Hitler gehörte, aber gleichwohl soviel Macht akkumulierte.

Das ist aber vielleicht auch "out of context" und ich bin selbst auch sehr gespannt auf das Goebbels-Buch von Longerich, dass ich mir demnächst mal besorgen werde.
 
...

Ich bin durchaus der Meinung, dass die Interdisziplinarität eine Bereicherung für beide Seiten, die Geschichswissenschaften und die Psychologie sein kann, so sie denn fachlich sauber angewandt werden. Gerade auf dem interdisziplinären Feld der Kulturwissenschaft treffen doch gerade die Geistes- sowie die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften aufeinander, entsprechende Schnittmengen und Forschungsprojekte gibt es zur Genüge, warum also nicht entsprechende fachlich einwandfreie (!) psychohistorische Betrachtungen von Einzelpersonen vornehmen?

@Lili

Interdisziplinarität ist immer gut und Geschichte, Wiwi und Soziologie mit allen ihren Teildisziplinen passen per se gut zusammen.

Bei der Psychologie bin ich da kritischer, Du erwähntest es bereits in einem früheren Posting, die Protagonisten sind, mit Ausnahme der Zeitgeschichte, alle tot.

Natürlich wäre es cool, wenn man sich z.B. mit F. II. beschäftigt schön, wenn einem ein "historischer Psychologe" eine Psychogramm von ihm liefern könnte, könnte er das, ich denke - nein. Warum? Er hat einfach kein Material. Selbst die intimste Korrespondenz und vllt. auch Tagebücher werden m.E. einem individuellen Informationsfilter unterworfen. Sicher, man kann Verhaltensmuster psychischer Störungen, gleichsam als Musterbogen verwenden und sie den überlieferten und recherchierten Verhalten der historischen Protagonisten "überstülpen", um eventuell psychische Störungen nachträglich erkennen zu können.

Dann wäre die Frage nach dem Mehrwert für die Geschichte und wären damit bei einem grundsätzlichen geschichtsphilosophischen Problem, und zwar "Wer bestimmte historische Vorgänge?". Für die Individualgeschichte von historischen Protagonisten (Familiengeschichte etc.) könnte die Psychologie m.E. hilfreich sein, aber können psychische Störungen historische Abläufe erklären? Ich meine, nein.


M. :winke:
 
Natürlich wäre es cool, wenn man sich z.B. mit F. II. beschäftigt schön, wenn einem ein "historischer Psychologe" eine Psychogramm von ihm liefern könnte, könnte er das, ich denke - nein. Warum? Er hat einfach kein Material. Selbst die intimste Korrespondenz und vllt. auch Tagebücher werden m.E. einem individuellen Informationsfilter unterworfen. Sicher, man kann Verhaltensmuster psychischer Störungen, gleichsam als Musterbogen verwenden und sie den überlieferten und recherchierten Verhalten der historischen Protagonisten "überstülpen", um eventuell psychische Störungen nachträglich erkennen zu können.
Psychologie ist allerdings mehr als die Diagnose von psychischen Störungen und das Erstellen von Psychogrammen. Das ist vielmehr das Hauptbetätigungsfeld der klinischen Psychologie, der selbstredend durch die toten Protagonisten und das wenige verwertbare Material immer im spekulativen bereich bleiben wird, so unterhaltsam sich die ein oder andere psychohistorische Betrachtung auch lesen mag. Neben der klinischen Psychologie gibt es aber noch ein paar andere Betätigungsfelder, bei denen durchaus ein gewisser Mehrwert gezogen werden kann. Zunächst mal die allgemeine Psychologie, zu der Themenbereiche wie Wahrnehmung, Lernen, Wissen, Bewusstsein und Motivation gehören, die Entwicklungspsychologie, also Erklärungsansätze warum jemand so wird wie er ist und nicht zu vergessen "meine" Spezialisierung, die Sozialpsychologie, also Gruppen, soziale Rolle, Führung, soziales Verhalten etc.pp. Um jetzt mal wieder den Dreh zurück zum Thema zu bekommen:
  • mit allgemeinpsychlogischer Betrachtung hätte man - zwar auch nur spekulativ - bei Goebbels betrachten können, welche volitionalen Absichten hinter seinem Handeln stehen, Wahrnehmung, Bewusstsein, Motivation und Emotion hätten beleuchtet werden können.
  • entwicklungspsychologisch (und hier sehe ich bei Goebbels genauso wie bei den anderen NS-Protagonisten das interessanteste Betätigungsfeld) die Betrachtung zu wie wurde aus "dem kleinen Joseph" der Goebbels der NS-Zeit und das ist eben nicht damit getan, dass man mal eben "hinrotzt", dass er eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hatte und nein, mit dem, in diesem Zusammenhang gerne zitierten "gesunden Menschenverstand" zur Erklärung ist es eben auch nicht getan.
  • sozialpsychologisch bspw. zu Themen wie (Vor-)Urteilsbildung, auslösen der Massenphänomene, soziale Rollen und Beziehungen, Führungsverhalten, Aggression, seine Kommunikation (! grad bei Goebbels!), sein Selbstkonzept...
 
Psychologie ist allerdings mehr als die Diagnose von psychischen Störungen...
Aber genau diesen Eindruck gewinne ich manchmal : dass eine psychologische Charakterisierung offenbar immer auf das Auffinden einer "Störung" hinausläuft.

Waren Goebbels & Co denn alle "gestört" ? Dann wäre ja alles erklärt und die ganze Nazi-Geschichte wäre nur die Tat einer Handvoll Verrückter.

Sollte man bei der Betrachtung der Motive der handelnden Personen in der Geschichte nicht lieber auf die penetrante Universalpathologisierungsmarotte der Psychologen (oder waren es die Psychoanalytiker ?) verzichten ?

Das Ungeheuerliche der Nazis liegt ja gerade in ihrer Normalität.
 
Zuletzt bearbeitet:
Psychologie ist allerdings mehr als die Diagnose von psychischen Störungen und das Erstellen von Psychogrammen. Das ist vielmehr das Hauptbetätigungsfeld der klinischen Psychologie, der selbstredend durch die toten Protagonisten und das wenige verwertbare Material immer im spekulativen bereich bleiben wird, so unterhaltsam sich die ein oder andere psychohistorische Betrachtung auch lesen mag. Neben der klinischen Psychologie gibt es aber noch ein paar andere Betätigungsfelder, bei denen durchaus ein gewisser Mehrwert gezogen werden kann. Zunächst mal die allgemeine Psychologie, zu der Themenbereiche wie Wahrnehmung, Lernen, Wissen, Bewusstsein und Motivation gehören, die Entwicklungspsychologie, also Erklärungsansätze warum jemand so wird wie er ist und nicht zu vergessen "meine" Spezialisierung, die Sozialpsychologie, also Gruppen, soziale Rolle, Führung, soziales Verhalten etc.pp. Um jetzt mal wieder den Dreh zurück zum Thema zu bekommen:
  • mit allgemeinpsychlogischer Betrachtung hätte man - zwar auch nur spekulativ - bei Goebbels betrachten können, welche volitionalen Absichten hinter seinem Handeln stehen, Wahrnehmung, Bewusstsein, Motivation und Emotion hätten beleuchtet werden können.
  • entwicklungspsychologisch (und hier sehe ich bei Goebbels genauso wie bei den anderen NS-Protagonisten das interessanteste Betätigungsfeld) die Betrachtung zu wie wurde aus "dem kleinen Joseph" der Goebbels der NS-Zeit und das ist eben nicht damit getan, dass man mal eben "hinrotzt", dass er eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hatte und nein, mit dem, in diesem Zusammenhang gerne zitierten "gesunden Menschenverstand" zur Erklärung ist es eben auch nicht getan.
  • sozialpsychologisch bspw. zu Themen wie (Vor-)Urteilsbildung, auslösen der Massenphänomene, soziale Rollen und Beziehungen, Führungsverhalten, Aggression, seine Kommunikation (! grad bei Goebbels!), sein Selbstkonzept...


Sozialpsychologie, das wird noch komplizierter, da kann ich nicht mithalten.

Der sog. "gesunde Menschenverstand", klar, so etwas geht in die Irre.

Zurück zum "kleinen Joseph" und damit zum Thema des Threads. Sieh mir bitte meine Laienhaftigkeit nach.

Der "kleine Joseph" hatte einen körperlichen Makel, das hinterläßt bestimmt Spuren in der Psyche, ich jedenfalls habe mich immer bemüht, als Jugendlicher "sozial- und gruppenkonform" aufzutreten. Nach seinem literaturwissenschaftlichen Studium bleibt ihm der persönliche Erfolg versagt. Die Arbeit in einer untergeordneten Rolle in einer Bank behagt ihm nicht. Verständlich!

Aber. Ab dem Moment, indem er sich der NSDAP hingab, wird er gleichsam "bürokratisch" aufgefangen. Noch vielmehr später als Minister. Der bürokratische Apparat nivelliert psychische Besonderheiten. Spätestens ab dann wurden, mit Ausnahme der Wahl der persönlichen Mitarbeiter (Sekretärin, Fahrer, Referenten etc.), alle Entscheidungen mit historischer Relevanz im Spannungsverhältnis der aktuellen Machtsituation getroffen und nicht psychischer Determiniertheit, das hätte der bürokratische Apparat verhindert resp. der "Machtmechanismus".

M.
 
Das Ungeheuerliche der Nazis liegt ja gerade in ihrer Normalität.

Teils / teils. Es ist sicherlich eine Unterscheidung hilfreich zwischen radikalen Protagonisten und normalen Sympathisanten.

Die radiaklen Forderungen wurden nicht zuletzt deswegen akzeptiert, weil sie für die normalen Sympathisanten verständlich und nachvollziehbar waren.

In diesem Sinne bildeten die Forderungen einen Teil der "Alltagsideologie" des "Normalbürgers und waren in diesem Sinne "normal".

Ein von dieser Norm abweichendes Verhalten zeigten die radikalen Verfechter der NS-Ideologie. Und gerade weil sie radikal unterschiedliche Forderungen vertreten haben, rechtfertigte es aus ihrer Sicht ja auch die Revolution, um klaren Gegensatz zu den "normalen" Revisionisten.

In diesem Sinne war das "Selbstkonzept", und sein politisches Weltbild als Teil, eines Hitlers, Goebbels oder Himmlers sicherlich nicht "normal", sondern abweichend von der Masse (allerdings ohne es im medizinischen Sinne als pathologisch zu bewerten).
 
Von Psychologie verstehe ich nichts.

Dass aber einer in seinen Untergang seine Kinder mit hineinzieht, ist ja ein Verhalten, das immer mal wieder vorkommt.
Bei Goebbels allerdings verkompliziert, dass der Untergang auch nach objektiven Gesichtspunkten unvermeidlich war. Was man ansonsten ja verneinen kann.

Aber ich denke schon, dass die Psychologen dazu einiges zu sagen haben.
 
...

In diesem Sinne war das "Selbstkonzept", und sein politisches Weltbild als Teil, eines Hitlers, Goebbels oder Himmlers sicherlich nicht "normal", sondern abweichend von der Masse (allerdings ohne es im medizinischen Sinne als pathologisch zu bewerten).

@Thane

Sorry, das mit dem "Selbstkonzept" verstehe ich nicht. Die Imponderabilien waren doch viel zu groß, es war doch z.B. von Goebbels eine bewußte Abkehr vom sog. "bürgerlichen" Leben. Der hat doch ab Mitte der 1920'er Jahre ein Vabanquespiel getrieben, und zwar mit seiner Existenz und das ganz bewußt.

M. :S
 
...ja, und in diesem Sinne haben sie sich ja auch als "Revolutionäre" empfunden. und Du weist ja auch bereits auf die "finalisierende Wirkung" ihres Handelns hin. Alles auf eine Karte zu setzen, now or never und entweder nach ganz oben zu gelangen oder seht tief abzustürzen.

Viellicht ist es dieses Motiv, das sich 45 wiederholt und als letzter Akt aufgeführt wird (so und jetzt habe ich ein wenig selber psychologisiert)

Und genau diese Haltung wäre aus meiner Sicht das "Selbstkonzept", mit der sie sich von der "Normalität der restlichen Bürger unterschieden haben.

http://www.diewohlgesinnten.de/400.0.html

Ich wollte damit deutlich machen, dass Teile der NS-Ideologie, im Sinne eines trojanischen Pferds, genutzt werden konnten, um eine oberflächliche Übereinstimmung mit den traditionellen nationalkonservativen Kreisen herzustellen, wie bei Schacht, Neurath, Blomberg etc., dass es aber lediglich eine oberflächlichliche Übereinstimmung war.

In der Realität lag ein gravierender Dissenz vor. Und in diesem Sinne unterschied sich das Selbstbild der handelnden Akteure gravierend.

Selbstkonzept ? Wikipedia

In diesem Sinne war die NS-Ideologie keine Normalität, sondern die bewußte Inszenierung einer neuen Gesellschaftsordnung mit retrospektiven Anleihen im germanischen Sozialsystem und deren Normen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber genau diesen Eindruck gewinne ich manchmal : dass eine psychologische Charakterisierung offenbar immer auf das Auffinden einer "Störung" hinausläuft.
Klar, für viele ist das der einfachste Weg, einfach zu beschließen, dass ein Mensch der derart Grausames zu verantworten hat einfach nicht normal sein kann. Das macht derartige Verbrechen zwar leichter erklärbar, allerdings zieht man sich selbst auch ein Stück weit aus der Verantwortung des Aufarbeitungsprozesses. Oder - um es mit den Worten meines Profs zu sagen - "Überlegen Sie doch mal, was es über ein Volk aussagt, das es sich heute scheinbar auf biegen und brechen so hindrehen muss, dass es 12 Jahre lang von Bekloppten geführt wurde."

Sollte man bei der Betrachtung der Motive der handelnden Personen in der Geschichte nicht lieber auf die penetrante Universalpathologisierungsmarotte der Psychologen (oder waren es die Psychoanalytiker ?) verzichten ?
Nein eben nicht in diesem konkreten und in vielen weiteren Fällen, waren es eben nicht Psychologen sondern Fachfremde. Hier war es ein Historiker, der wohl mangels besseren Wissens, ein paar weniger gute Büchlein rausgepickt hat. Das hat auch nichts mit einer "Universalpathologisierungsmarotte der Psychologen" zu tun, sondern vielmehr mit einem in meinen Augen falschen Verständnis von Interdisziplinarität, nämlich man müsse, trotz mangelnder Kenntnisse, alles selbst machen. Und - was gerade bei der Psychologie noch dazu kommt - die weitverbreitete Überzeugung das man das schon selbst könne, nämlöich mit ein bisschen "gesunden Menschnverstand" und zwei bis drei Psychotests die man mal gemacht hat. Psychologie ist ein Fach, bei dem jeder - und seien die Kenntnisse auch noch so rudimentär - meint mitreden zu können, weil es ja um menschliches Erleben und Verhalten geht und das kennt man ja, quasi in Form eines erworbenen Wissens durch tägliches Erleben. Nur leider ist das nun mal nicht so, deswegen kommt es gerade auf diesem Gebiet immer wieder zu den schrägsten und absurdesten Publikationen, die wiederum Leser finden, die dieses Halbwissen dann wieder als des Pudels Kern aufnehmen. (Oben zitierter Prof meinte auch, dass man diese "da kann ich auch mitreden"-Marotte, irgendwann mal wegsteckt, ohne sie weiter zu beachten und sich schlicht nur seinen Teil denkt. Dummerweise war bei mir "irgendwann" noch nicht.)

Das Ungeheuerliche der Nazis liegt ja gerade in ihrer Normalität.
Nochmal: nur weil man etwas aus einem psychologischen Blickwinkel heraus betrachtet, heißt das nicht, dass irgendjemand oder irgendetwas nicht "normal" wäre. Und Psychologie im Allgemeinen ist nun mal mehr als nur die klinische Psychologie. Sogar wie du im Supermarkt den Weg bis zur Kasse beschreitest (oder besser: beschreiten sollst) ist Psychologie.

Der "kleine Joseph" hatte einen körperlichen Makel, das hinterläßt bestimmt Spuren in der Psyche, ich jedenfalls habe mich immer bemüht, als Jugendlicher "sozial- und gruppenkonform" aufzutreten.
Das stimmt. Sein körperlicher Makel ist allerdings erworben, bei der entscheidenden verstümmelnden OP war er 10, wenn ich mich recht erinnere. Und: Goebbels zeichnet von sich gerne ein Bild des sozialen Außenseiters, beispielsweise mit seinem "Michael Voormann", er war es aber nicht. Er hatte Freunde, er war ein guter Schüler, er hatte diverse Freundinnen und zwar ab einem "normalen" Alter. Er war also de facto gruppenkonform und sozial akzeptiert, sah sich aber dennoch - und zwar in seiner literarischen Aufarbeitung als Außenseiter. Das mag daran liegen, dass er bei gewissen Dingen nicht mitziehen konnte, bei anderen aber auch nicht musste.

Nach seinem literaturwissenschaftlichen Studium bleibt ihm der persönliche Erfolg versagt. Die Arbeit in einer untergeordneten Rolle in einer Bank behagt ihm nicht. Verständlich!
Insbesondere die Phase nach seiner Kündigung finde ich dabei (entwicklungspsychologisch) sehr bemerkenswert. Er ist ein Opfer der Wirtschaftskrise, er bleibt als Autor nach wie vor erfolglos, er liest viel, setzt sich mit vielen Ideen auseinander und findet eigentlich erst zu diesem Zeitpunkt richtig auf den Weg hin zum Nationalsozialismus.

Aber. Ab dem Moment, indem er sich der NSDAP hingab, wird er gleichsam "bürokratisch" aufgefangen. Noch vielmehr später als Minister. Der bürokratische Apparat nivelliert psychische Besonderheiten. Spätestens ab dann wurden, mit Ausnahme der Wahl der persönlichen Mitarbeiter (Sekretärin, Fahrer, Referenten etc.), alle Entscheidungen mit historischer Relevanz im Spannungsverhältnis der aktuellen Machtsituation getroffen und nicht psychischer Determiniertheit, das hätte der bürokratische Apparat verhindert resp. der "Machtmechanismus".
Kurz und bündig: ja.
 
Ich auch nicht :winke:



Wobei man hier ganz genau die Rolle seiner Frau anschauen muss.


Natürlich.
Aber, wie gesagt so ein Ehepaarselbstmord mit vorangegangenem Kindermord passiert ja nun doch hin und wieder, ich glaube schon, dass da die Psychologen Erklärungsmuster auf Lager haben.
 
Scorpio schrieb:
Goebbels war ein begnadeter Populist und Demagoge. Er war es, der im "roten Berlin" der NSDAP, die dort vorher ein Schattendasein führte Geltung verschaffte und sie zu einem Faktor im politischen Kampf machte

Und trotzdem blieb Goebbels mit seinen Wahlkampfergebnissen m Schnitt immer um einige Prozentpunkte hinter der restlichen NSDAP zurück. Goebbels hat in Berlin doch zunächst in erster Linie mit seinen gewaltätigen Krawallen Aufmerksamkeit erzeugen wollen und bekommen.
 
Zurück
Oben