Nein, die in den 20er Jahren geborenen und in der Grafik als „45er-, Flakhelfer- oder Skeptische Generation“ bezeichneten wurden in der 12 Jahre dauernden Hitlerzeit verdorben, waren gegen Ende des Krieges oft fanatische Freiwillige. [...]
Mag ja sein, nur hat sich das offensichtlich in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg geändert.
Der Einwand, dass die sozialliberale Koalition nur zu einem geringen Teil von der Jugend und den protestierenden Studenten mit auf den Weg gebracht wurde, war schon durchaus nicht unberechtigt.
1969 lag das Mindestalter für das aktive Wahlrecht noch bei 21 Jahren, d.h. das bei der Wahl 1969 überhaupt nur wahlberechtigt war, wer spätestens 1948 geboren worden war.
Das waren gerade einmal 3 Nachkriegsjahrgänge und an die 15 Jahrgänge nach der "Flakhelfer-Generation", die hatten überhaupt nicht das politische Gewicht eine Bundestagswahl gegen die vorherigen Generationen im Alleingang entscheiden zu können.
Für die politisch entscheidenden Ämter, von denen aus sich die Liberalisierung und Modernisierung der gesetzlichen Grundlagen durchsetzen lies, kamen die Nachkriegsgenerationen von ihrem Alter her noch nicht infrage.
Insofern kann deine Erzählung, dass mehr oder weniger alles, was vor Kriegsende geboren und sozialisiert wurde dauerhaft verstockte Fortschrittsverweigerer gewesen wären, die es geistig nie geschafft hätten NS-Zeit oder Kaiserreich hinter sich zu lassen, so nicht hinkommen.
Was du jetzt mit "langhaarigen" hast, verstehe ich auch nicht so ganz, vor allem nicht, warum du ausgerechnet diese Moderscheinung als besonders fortschrittlich betrachte möchtest.
Lange Haare waren ja durchaus auch im 19. Jahrhundert bei der aufkommenden deutschen Nationalbewegung (Stichwort "altdeutsche Tracht") schonmal in Mode.
Ist jetzt nichts, was die Studentenbewegung in den 1960er Jahren erfunden hätte, auch nicht als Symbol gegen eine als repressiv empfundene Obrigkeit, so liefen schon die radikalen Studenten 100 Jahre vorher herum.
Also diejenigen, die mit genau der nationalistischen Agenda herumliefen, von der ihre Nachfolger in den 1960er Jahren wegkommen wollten.
Diese Langhaarigen haben aber durch ihre Ausbildung die Fähigkeit erworben, mit Geschichte zu argumentieren, und so den sog. Konservativen, in Wirklichkeit aber nach wie vor in Kategorien wie „unter Adolf hätte es das nicht gegeben“ oder „geht doch nach drüben“ denkend, gezwungen in den Spiegel zu schauen, worauf diese verstummten, ja verstummen mussten – von wenigen Ausnahmen mal abgesehen.
Was haben die zitierten Stammtischparolen mit Ausbildung oder historischer Argumentation zu tun?
Mit Geschichte argumentieren, tut im Prinzip jeder, der behauptet "früher war das so und so und dieser Zustand war gut/schlecht/was auch immer", dazu braucht man keine Ausbildung.
Ob die Argumentation sinnvoll ist, ist dann eine andere Frage.
Revolutionen brauchen Vordenker, denn das Volk ist träge, will nicht gestört werden in seiner Selbstzufriedenheit, was, um zum Argument zurückzukommen, vor allem für jene galt, die das Wirtschaftswunder vollbracht haben und die Früchte ihrer Arbeit nun genießen wollten.
Revolutionen pflegen im Normalfall nicht stattzufinden, wenn das "träge" Volk zufrieden ist, auch wenn es sich bei dieser Zufriedenheit nur um Selbstzufriedenheit handeln sollte.
Was genau haben die denn die protestierenden Studenten vorgedacht, dass sie als geistige Anführer einer gesellschaftlichen Revolution unverzichtbar gemacht hätte?
Einen großteil dessen, was sich änderte mussten sie überhaupt nicht erfinden, da es die Weimarer Republik schon erfunden hatte und als Möglichkeit bei denen, die vor dem NS sozialisiert wurden im Bewusstsein schon vorhanden waren.
Das ist dann auch schon eher die Generation, die in den späten 1960er Jahren die Generation der Entscheidungsträger stellt.
Personen, die in den 1900er und 1910er Jahren geboren wurden und in der Weimarer Republik in ihrer Jugend mit einer Gesellschaft konfrontiert waren, die zwar instabil, gesellschaftlich aber teilweise liberaler war, als die frühe Bonner Republik.
Diese Leute brauchten keine Studenten um sie auf Ideen zu bringen, die sie bereits aus der gesellschaftlichen Realität ihrer Jugend kannten.
Ich habe schon einmal geschrieben: Der Satz aus der Verfassung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ konnte erst mit Leben erfüllt werden, nachdem dies auf den Straßen gefordert worden ist – und die Ewiggestrigen keine Argumente dagegen mehr gefunden haben, denn alles, was sie dagegen sagen konnten, klang nach dem 19. Jahrhundert oder dem III. Reich.
Äääähhhhhhhhhh dass die Gleichberechtigung der Frau aber bereits im Kaiserreich und in den 1920er Jahren politisches Thema ist, ist dir aber klar?
Mal abgesehen davon, das der Satz selbst an und für sich insofern ewiggestrig ist, als dass er die Rechte von Personen, die auch physisch weder eindeutig als männlich oder weiblich klassifiziert werden können, mit keinem Wort erwähnt.
Wenn wir tatsächlich Geschlechter-Diskurse zum Maßsstab dafür machen, wo Demokratie anfängt, dann fürchte ich wird man gemessen daran, was sich da in den vergangene Jahrzehnten getan hat, auch den 68er Studenten in der Regel kein besonders modernes Weltbild attestieren können.
Und wenn die Gleichberechtigung der Geschlechter und zwar nicht nur Papier, sondern in Realität (das beeinhaltet Lohnunterschiede, Alltagsdiskriminierungen, etc. etc.) zum Maßstab für den Beginn der Demokratie erhebt (als formalen Rechtsgrundsatz gibt es die Gleichberechtigung ja schon länger), dann fürchte ich werden wir auf den Beginn der Demokratie noch ein paar Dekaden warten müssen.