Die unbeachtete Gallina-Kultur

zaphodB.

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Ich möchte Eure Aufmerksamkeit mal auf eine Kultur lenken,die in der Fachliteratur kaum Erwähnung findet,obwohl sie mir mehr als interessant scheint:
Die Gallina Kultur

Nördlich von Albuquerque/New Mexico an der State Route 96 befindet sich der Ort Gallina am gleichnamigen Fluß .In dem bis in die40er Jahre völlig unerschlossenen Gebiet entdeckten 1933 Goldsucher mehrere viereckige Türme und indianische Keramiken.
Die nähere Erforschung der Gegend ergab,daß sich dort auf einer Fläche von 56 mal 80 Kilometern mehr als 500 sogenannte Festungstürme - sowie jede menge Grubenhäuser fanden..
Die Türme hatten eine Höhe von 7,5 bis 9 Meter, Die Grundfläche maß ca 6 mal 6 Meter Sie waren viereckig oder hatten gerundete Ecken, und bestanden aus roh behauenem Sandsteinquadern,die mitHilfe von Adobe-Mörtel zusammengefügt war.en Die Mauern waren am Fuß der Türme etwa 1,80 Meter dick, und oben mit einer Brustwehr versehen.. Um hinein zu gelangen, mußte man über eine Leiter aufs Dach steigen und von dort führte der Weg durch eine Luke zu einer weiteren Leiter, über die man dann ins Innere kam.
Innen waren die Türme verputzt und mit Motiven von Pflanzen, Vögeln, Blüten und einer Art Wimpeln bemalt.An den Wänden waren hohle Bänke errichtet, in die man Utensilien des Hausrates unterbrachte. In den Kästen fand man Gebrauchs- und Schmuckgegenstände.
Ferner war eine Feuerstelle nebst Rauchabzug vorhanden.
Die Baumringdatierung ergab einen Zeitraum von 1143 bis 1248 n.Chrin dem die Türme erbaut worden waren.
Alle Türme ,die man fand waren angegriffen und mit Feuer ´teilweise zerstört worden. In den siebzehn Türmen, die man freilegte, fanden die Archäologen bis zu 16 Menschen , die gewaltsam im Kampf ums Leben gekommen waren.

Die Toten trugen hirschlederne Kleidung und Sandalen aus Yuccafasern, die mit Riemen um Spann und Knöchel gebunden waren, Schuhe hatte und Hosen mit Stickereien aus Stachelschweinmuster.Die Bogen waren aus Eichenholz und an den Pfeilen waren Feuersteinspitzen befestigt.
Ernährt hatte man sich offenbar hauptsächlich von Mais und einer speziellen Sorte Kürbis,die man angepflanzt hatte.
Und nun kommt das Interessante:
Nicht nur die Architektur der Türme war für die Gegend untypisch .
Bei der Untersuchung der Skelette wurde festgestellt, dass die Bewohner nicht mit den Pueblo-Indianern oder den Anazazi verwandt waren und auch die gefundene Keramik zeigte keine Merkmale des Südwestens sondern ist ehr mit der der Kulturen aus Nebraska oder dem Mississippital vergleichbar .
Die Untersuchungen ergaben ferner, dass das Gallina-Volk von Osten her gekommen sein muß und ,nachdem es sich in der Gegend niederließ, einige hundert Jahre dort lebte ,bevor es offenbar in einer Art Genozid vernichtet wurde.

(Text übernommen und überarbeitet von indianerwww.de)

Seltsamerweise findet diese Kultur in de Fachliteratur kaum Erwähnung geschweige denn Beachtung.

zwei Fragen stellen nun:
1)Wer waren diese Leute und warum wanderten sie in den Südwesten aus ?
2)Wer vernichtete das Volk und warum so total ? Das war für indigene Völker des präkolonialen Amerika ja eher untypisch

Und noch eine dritte,nämlich:
Warum wird diese Kultur in der Fachliteratur (und auch vom örtlichen Tourismus) so stiefmütterlich behandelt ?
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Die nähere Erforschung der Gegend ergab, daß sich dort auf einer Fläche von 56 mal 80 Kilometern mehr als 500 sogenannte Festungstürme - sowie jede menge Grubenhäuser fanden...

Zum Teil werden die Türme auch als Signaltürme gedeutet.

auch die gefundene Keramik zeigte keine Merkmale des Südwestens sondern ist eher mit der der Kulturen aus Nebraska oder dem Mississippital vergleichbar.

Dazu gibt es auch andere Angaben, nämlich, dass die Keramik der Gallina-Kultur durchaus Parallelen mit der einheimischen Keramik aus der Rosa Phase hat, lediglich einige Sonderformen, die nach Nordosten verweisen.
Ein wenig problematisch ist dabei allerdings, dass die Rosa Phase eigentlich zur Pueblo-I-Periode gehört, wohingegen die Gallina-Kultur zu den Perioden Pueblo II und III gehört.

Die Untersuchungen ergaben ferner, dass das Gallina-Volk von Osten her gekommen sein muß und, nachdem es sich in der Gegend niederließ, einige hundert Jahre dort lebte, bevor es offenbar in einer Art Genozid vernichtet wurde.

Das sind sehr weitgehende Annahmen, die ich zunächst einmal - in Bezug Genozid - relativieren würde. Was korrekt ist, ist, dass alle Gallina-Individuen, Erwachsene, Kinder und Säuglinge, die bisher gefunden wurden, gewaltsam zu Tode gekommen sind. Es sind allerdings insgesamt 16 Individuen, der größte gemeinsame Fund bestand offenbar aus fünf Individuen (3 Erwachsene, 1 Kind, 1 Säugling). Offenbar hat man, nachdem man sie erschlagen hat, sie in eine Hütte geworfen und diese Hütte über ihnen angezündet. Eine kriegerische Handlung, die mit Grausamkeit und Brutalität durchgeführt wurde, scheint also auf jeden Fall gegeben zu sein. Das macht aber noch keinen Genozid.

Andere Stätten scheinen sehr geordnet verlassen worden zu sein.
Wobei auch dieser geordnete Rückzug wiederum zu Spekulationen Anlass gegeben hat. Man hat nämlich angenommen, dass die Gallina-Leute ihre Häuser deshalb so geordnet zurückgelassen hätten, um ihren Feinden mittels zurückgelassener persönlicher Gegenstände keine Macht über sie zu geben. Aber diese Annahme geht wiederum von der Prämisse aus, dass sie aus feindlicher Umgebung vertrieben wurden und unterstellt dabei eine gewisse Glaubensvorstellung von der wir mangels Dokumentation nichts wissen.

Warum wird diese Kultur in der Fachliteratur (und auch vom örtlichen Tourismus) so stiefmütterlich behandelt?

Vermutlich schlicht deswegen weil man so wenig über sie weiß.
 
Nachdem ich mich mal umgesehen habe, finde ich zwar einiges zur Gallina-Kultur - aaaaber.

Wie El Quijote schon bemerkte, gibt es Ähnlichkeiten zu Töpferwaren aus dem Kulturareal - allerdings sind die entsprechenden Kulturen zeitlich vor Gallina einzuordnen. Die Bauweise weist ebenfalls Ähnlichkeiten auf; so sind zb verputzte Steinmauern und Adobemörtel teils noch heute vorhanden. Die Gallina-Ruinen weichen insofern ab, als sie offenbar keine Kivas bauten und auch die Wohnhäuser mindestens teilweise als Grubenhäuser angelegt waren. Das wiederum weist weniger auf Nebraska und Mississippi hin; aber im (näher gelegenen) Kulturareal California gab es diese Bauweise.

Der gesamte Bereich "Genozid" im Zusammenhang mit Gallina ist oberspekulativ; ebenfalls der Nachweis, die Gallina seien nicht mit Pueblo bzw Anasazi verwandt, sondern von Osten gekommen - zu den letzten beiden Aussagen habe ich übrigens bei der bisherigen Suche nichts gefunden und wäre daher an deiner Quelle sehr interessiert. Auch im Hinblick auf die Bekleidung der Toten habe ich bisher keine Angaben gefunden.
Wenn bisher nur ein Abgleich mit Pueblo bzw Anasazi stattgefunden hat, heißt dies nicht, daß die Gallina spurlos verschwunden sind und damit Opfer eines Genozids geworden sein müssen. Die verschiedenen Pueblo-Völker gelten als Nachfahren der Anasazi, stellen aber im Südwesten nicht die einzige Bevölkerung, so daß es durchaus möglich ist, daß die Gallina im Kulturareal verblieben und ihre Nachfahren heute noch dort leben - wie eben auch, daß sie das Kulturareal verließen.

Mehrere Artikel erwähnen zwar die Aussage der Archäologen, alle bisher aufgefundenen Überreste von Angehörigen der Gallina-Kultur seien Mordopfer gewesen. Allerdings ist die Zahl der gefundenen Toten sehr begrenzt, so daß es recht gewagt ist, daraus einen Genozid abzuleiten. Soweit ich im Überblick gesehen habe, wurde zb bislang offenbar keine reguläre Begräbnisstätte gefunden, sondern es handelt sich bis auf zwei Ausnahmen um Tote, die in den Häusern zurückgelassen wurden. Der Grund, warum diese Menschen getötet wurden, ist unklar - es kann durch Kriegshandlungen geschehen sein oder auch auf interne Auseinandersetzungen zurückgehen. Offenbar ist die Fundlage bislang so unzureichend, daß sich eine Deutung der archäologischen Funde auf dieser Grundlage nicht eben anbietet.

Weiterhin ist das "Verschwinden" der Gallina-Kultur zeitlich im Zusammenhang mit dem Ende der Anasazi-Kultur und geht offenbar auf klimatische Bedingungen zurück, sprich auf eine ausgeprägte regionale Dürrezeit, die eben sowohl Kriege mit Nachbarn wie auch interne Auseinandersetzungen ausgelöst haben kann, bevor die Siedlungen verlassen wurden.
 
Carroll L. Riley verbindet die Gallina Culture sogar - allerdings mit perhaps einschränkend - mit den Towa/Jemez. Das hieße, die Gallina wären gar nicht abgewandert.
 
Nun ich habe erstmals bei Ceram "Der erste Amerikaner" über die Kultur gelesen und was dort zu lesen war klang doch sehr nach kriegerischen Handlungen und Genozid. Zu mindest lässt die Tatsache,daß bislang keine Gräber gefunden wurden und alle gefundene Tote unterschiedlichsten Alters gewaltsam ums Leben kamen diesen Schluss m.E. durchaus zu .Ich weiß allerdings nicht,inwieweit die grabungstechnische Erschließung des Gebietes abgeschlossen ist,da hier meine Quellenlage eher dürftig ist
Neben
H.W.Ceram , Der erste Amerikaner (Hamburg 1972).und
A. Oritz, Southwest. In: W.C. Sturtevant, Handbook of North American Indians, Volume 9 (Washington 1979).
die beide älteren Datums sind habe ich eigentlich nur noch die beiden halbwegs brauchbar scheinenden Links im Netz gefunden:
http://hfi.uni-graz.at/hfi/students/usa1/eanasazi/vframe4.htm
http://www.indianerwww.de/indian/gallina.htm

Dort wird auch die Herkunft aus dem Osten und die Kleidung erwähnt.

Was mich wundert ist, daß auch auf den einschlägigen Touri-Seiten kaum was davon erwähnt wird und selbst im RandMcNelly die Fundstätten nicht verzeichnet sind. Die Amis machen doch ansonsten um jeden Müllhaufen aus dem 19.Jahrhundert ein Riesengedöns von wegen National Historic Site und so.;) Und Reste von 500 Bauten ,das hat ja die Dimension von Mesa Verde , Canyon de Chelly oder Chaco Canyon.:grübel:

Die Existenz von pit-houses rund um größere Baukomplexe ist übrigens nichts ungewöhnliches ,die hat es auch in Mesa Verde. Aber die Kombination von behauenen Steinquadern mit Adobemörtel scheint mir doch ungewöhnlich.
Bei der normalerweise imSüdwesten gebräuchlichen Adobebauweise wurden und werden ja ungebrannte Lehmziegel verwendet.
 
Nun ich habe erstmals bei Ceram "Der erste Amerikaner" über die Kultur gelesen und was dort zu lesen war klang doch sehr nach kriegerischen Handlungen und Genozid. Zu mindest lässt die Tatsache,daß bislang keine Gräber gefunden wurden und alle gefundene Tote unterschiedlichsten Alters gewaltsam ums Leben kamen diesen Schluss m.E. durchaus zu .Ich weiß allerdings nicht,inwieweit die grabungstechnische Erschließung des Gebietes abgeschlossen ist,da hier meine Quellenlage eher dürftig ist

Ceram ist in Vielem heute allerdings überholt.
Ein Genozid läßt sich gerade anhand der wenigen gefundenen Toten nicht belegen. Daß keine Gräber gefunden wurden, belegt dies jedenfalls nicht, denn die Gallina lebten ja mehrere Generationen lang in diesem Gebiet und werden mit ihren Toten ja irgendwas angestellt haben. Aber aus einer so begrenzten Anzahl gefundener Toter einen Genozid zu konstruieren halte ich für unseriös.

Zu der Seite indianerwww habe ich bereits früher angemerkt, daß ich diese für wenig brauchbar halte. Dies liegt zum einen daran, daß der Seitenbetreiber sich eine viel zu üppig dimensionierte Aufgabe vorgenommen hat, die man als Einzelperson eher nicht unfallfrei hinbekommen kann. Auf jeden Fall ist er weder Ethnologe noch Historiker und er scheint auch nicht unbedingt Zugang zur meist englischsprachigen Fachliteratur zu haben, was die Verläßlichkeit der Informationen ebenfalls beeinflußt. Daß in jedem Artikel, den ich bisher dort gesichtet habe, Ungenauigkeiten, Unbelegtes etc zwischen Fakten rutschen (teils sogar esoterischer Unfug!), macht die Seite umso unbrauchbarer, da der Leser im Grunde jede Aussage sorgfältig überprüfen muß. Bei Schulreferaten kann man damit wunderschön auf die Nase fallen – außer natürlich die Lehrkraft hat noch weniger Ahnung. Auf jeden Fall trägt die Seite bei zum Weitertragen von Pseudogeschichte. Ich würde daher jedem ernsthaft an indianischer Geschichte Interessierten empfehlen, um diese Seite einen Bogen zu schlagen.

Im Artikel zu den Gallina erwähnt der Seitenbetreiber leider seine Quellen ebenfalls nicht, so daß ich dazu nur feststellen kann: woanders scheint keine Rede davon zu sein, daß die Gallina aus dem Osten gekommen seien, ihre Töpferware keine Ähnlichkeiten zur regionalen Töpferei aufwies.

Die Bauweise ist auch nicht singulär in diesem Kulturareal - bei Google-Books kannst du einen Blick in das von ElQuijote erwähnte Buch von Carroll L. Riley werfen; dort gibt es Abbildungen eckiger Türme aus dem Südwesten, die nicht von den Gallina erbaut wurden.

Wenn die Ruinen in keinem Touri-Führer erwähnt werden, sind die vermutlich nicht freigegeben. Was ja kein Nachteil sein muß (im letzten Sommer wurden zb historische Petroglyphen von irgendwelchen Idioten zerstört, die unbedingt Graffiti hinterlassen mußten....).


Nach dem, was Riley auf S. 89ff und 96ff schreibt, ist offenbar derzeitig Stand, daß die Gallina in vielen Aspekten ihrer Kultur dem Umfeld im Kulturareal entsprachen. Wenn die Annahme zutrifft, daß aus den Gallina die Towa sprechenden Bewohner von Jemez hervorgingen, bedeutet dies, daß sie Vorfahren der heutigen Pueblo sind. Die Aussage auf der Webseite, Untersuchungen hätten ergeben, daß die Gallina mit den Pueblo gar nicht verwandt waren, kann also nicht stimmen (ein Beleg ist ja schon mal nicht angeführt). Die Towa-Sprachen gehören in die Sprachfamilie Tanoan und bildet mit Tewa und Tiwa eine Gruppe.

Der Artikel auf der Webseite ist leider so formuliert, daß der Leser den Eindruck erhält, alle erwähnten Aspekte der Gallina-Kultur seien einzigartig im Kulturareal – das ist eben nicht der Fall. Die als Stauraum genutzten Bänke kannten zb nicht nur die Gallina. Die Bauweise der Gallina-Bauten ist mW auch zB bei den Hopi anzutreffen.
 
Ingeborg,danke für die ausführliche Info
Daß es im Südwesten auch anderswo einzelne viereckige Türme gibt kann man schon in Mesa Verde oder den White House Ruins sehen-
Daß Ceram veraltet ist und die Indianerwelten-Seite so ihre Schwächen hat ist schon klar,aber auf der Seite der Uni Graz wird die Herkunft aus dem Osten auch angedeutet.Daher schien es mir zumindest eine mögliche Theorie zu sein.
Aber Riley werde ich mir mal zu Gemüte führen.
 
Gallina

Hallo, Gallina-Fans und speziell an Dich, Ingeborg
ich habe mich sehr intensiv mit den archäologischen Kulturen des nordamerikanischen Südwestens beschäftigt und bin, angeregt durch Ceram, natürlich extrem neugierig auf die Gallina-Kultur geworden. Ich habe mich mit Ceram's Quelle, dem Archäologen Frank C. Hibben und seinem Artikel von 1944 beschäftigt und dazu in der deutschsprachigen Zeitschrift Amerindian Research, Bd. 7/3, Nr. 25 den Artikel "Die Gallina-Türme des Frank C. Hibben" (Autor Werner-Wolf Turski) geschrieben. Ich kann ihn hier nicht wiederholen, aber wer mehr über "Gallina" oder auch den na. Südwesten erfahren will, kann mit mir per e-mail in Kontakt treten. Meine Mail-Adresse, die auch beim Artikel steht, [mod]eMail-Adresse gelöscht: Spam-Schutz[/mod] Viele Grüße an alle Südwestler WW
 
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