Die Verbotsversuche des Osterräderlaufs in Lügde 1743 und 1781

El Quijote

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Im Thread über echt- und pseudoheidnische Spuren in Brauchtum etc. sind wir u.a. auch auf den Osterräderlauf von Lügde gekommen, der zwar auf einschlägigen Seiten als archaisches, heidnisch-germanisches Erbe gefeiert wird, sich tatsächlich aber in Lügde nur bis zu seinem ersten Verbotsversuch im Jahre 1743 zurückverfolgen lässt.

Es gab zwei Verbotsversuche, 1743 und 1781, das erste durch einen Wiedenbrücker Vikar, das zweite durch den Paderborner Fürstbischof.

Aber warum versuchte man die Osterräderläufe zu verbieten?

Hielt man sie für ein heidnisches Erbe?
Hielt man die Osterradläufe für antiaufklärerisch?
Oder handelte es sch ganz banal um Sicherheitsbedenken, nämlich dass man keine brennenden Räder unkontrolliert auf eine Fachwerkstadt zurollen lassen wollte?
 
Auf der Homepage eines lokalen Heimatforschers, Manfred Willeke, findet sich folgende Aussage:

1743 Bei der Synodalvisitation „befahl“ Generalvikar von Wydenbrück aus Paderborn, den Bürgermeistern und Ratsherren der Stadt Lügde, den Lauf der sechs Osterräder „vollig abzuschaffen!“, weil es dabei zuviel „Sünde und Scandal“ gäbe.

Die Geschichte der Grafschaft Pyrmont und der Stadt Lügde | Archiv-Willeke

Was heißt allerdings "Sünde und Scandal"? Das klingt für mich danach, dass damals dieser Brauch als heidnisches Erbe angesehen wurde.
 
Ginge es um heidnisches Erbe würde es doch auch als solches benannt werden, oder? Bei "Sünde und Scandal" denke ich eher an heftiges Feiern mit entsprechenden Entgleisungen, was "sich nicht gehört" und zwar auf jeden Fall nicht anlässlich des höchsten christlichen Festtages.

Edit: ich hab die Archivnummer der 1743er Quelle Band XIVa, Blatt 255 im Archiv des Erzbistums Paderborn, sollte da jemand um die Ecke wohnen.
 
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Ginge es um heidnisches Erbe würde es doch auch als solches benannt werden, oder? Bei "Sünde und Scandal" denke ich eher an heftiges Feiern mit entsprechenden Entgleisungen, was "sich nicht gehört" und zwar auf jeden Fall nicht anlässlich des höchsten christlichen Festtages.

Auch das ist selbstverständlich möglich. Aber da müßte man wohl in die Primärquellen einsteigen.
 
Das sehe ich ähnlich: Das klingt eher nach Ausschweifungen alkoholischer und sexueller Natur. Damit wäre ein kirchliches Verbot also zunächst mal sittlich begründet.
 
Damals versuchte man im Bistum Paderborn mehrfach Missbräuche beim Brauchtum abzuschaffen.

Wenn ich das nächste mal im Diözesanarchiv bin, schaue ich mir die Nummer mal an. Das kann aber etwas dauern. Unter Lateinischen Ziffern werden dort die Visitationsprotokolle verwahrt. Da kann man großes Glück oder großes Pech haben, was man erfährt. Ältere Archivalien, die schlecht anders zuzuordnen waren, findet man dort nach Orten zusammengefasst in den Acta specialia blau. Da wird sich erfahrungsgemäß auch ein Blick lohnen. Inwieweit ich dann Zeit habe, zu dem Thema ins Findbuch zu schauen, muss ich mal sehen, da sich die Berichte zum Brauchtum -ebenfalls erfahrungsgemäß- unter den verschiedensten Stichpunkten finden lassen, und sich das Ganze wegen der alten Einteilung nach Acta generalia und Acta specialia bei solchen Themen verdoppelt.

Wenn im Hochstift Paderborn etwas Karl dem Großen zugeschrieben wird, und die Quellen schweigen, lohnt sich zur Klärung der Entstehung der Zuschreibung oft ein Blick in die Monumenta Paderbornensia. Über die Wikipedia-Seite ist auch eine Übersetzung zugänglich.

Zum Abschluss ein Ausschnitt aus dem Bericht eines Pfarrers (1781?) zur Walfahrt zum Libori-Fest. Man sieht, die kirchliche Feier war schon damals für die meisten wohl nur Vorwand, den Jahrmarkt zu besuchen:

"[...] Diese nun beschriebenen Processionen werden alle mit unferbäulicher andacht in ehrerbietigkeit gehalten, wenn ich die schlechte Ausbesserung der Wege, u die schlecht einfältige ausZiehrung der Stationen ausnehme, so aber mehrstens der groben einfalt und auch vieles der unvermogenheit hiesiger eingesessener zuzuschreiben ist
noch ist nach zuholen die Ggst. verordnete Process. auf S.Libori Tag nacher Paderborn. hierbey ist als ein mißbrauch billich anzufuhrn, daß, wie zahlreich von Pfarrkindern auch der Eintritt in Paderborn so blos von selben der Ausgang sey daß man mannigmahl mühe hat bilder und Fahnen fort zu bringen, nicht ohne gespott u. uffretlichen Gelächter der gantzen Stadt, sonders wenn die Kirchendiener |: so mit dem Pastor auch bilder-statuen tragen oft die gantze procession ausmachen :| wohl bezecht mehr schreyen als singen. [...]"
(Pfarrarchiv Thüle, Band A1, p 48.)

(Edit: Das ist nicht aus einer Reinschrift transkribiert. Der endgültige Text findet sich im Diözesanarchiv, die Fundstelle habe ich gerade nicht zur Hand. Das ursprüngliche Konzept ist zufällig im Pfarrarchiv erhalten und sehr nachlässig und undeutlich geschrieben. Aber ich will es irgendwann mal mit der Version im Diözesanarchiv vergleichen. Ich erläutere das, weil Auszüge des Textes aus dem Diözesanarchiv veröffentlicht sind.)
 
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Tatsächlich findet sich in der Strophe über "Lügde an der Emmer" aus den Monumenta Paderbornensia als Übergang von Arminius und den Cheruskern:

"Karl besuchte dann jährlich nach frommer Sitte das Opfer,
Und mit Demuth' verehrt' er in der Krippe den Gott.
Als er des Krieges Blitze bei Schidroburg [Schieder] auf die Sachsen
schleuderte, schlug hierselbst fränkisches Lager er auf."

Da wird ein Lokalpatriot aus dem schlechten Übergang auf das Osterfest in Lügde geschlossen haben. In Katholischem Zusammenhang ist der Besuch des jährlichen Opfers ja der Besuch der Messe zu Ostern.

Von den Rädern ist in den Monumenta nichts zu finden.
 
Hans Jürgen Brandt, Karl Hengst, Das Bistum Paderborn im Mittelalter (Geschichte des Erzbistums Paderborn, Band1; Veröffentlichungen zur Geschichte der Mitteldeutschen Kirchenprovinz, Band 12), Paderborn 2002, S.562 sagen ausdrücklich, dass für das Mittelalter ein "Quellennachweis" fehlt. Das hohe Alter wird dann daraus geschlossen, dass das Verbot nicht durchsetzbar war.
 
Erinnert mich irgendwie an das Kapitel zur Alemannischen Fasnet in einem Band zu Vorderösterreich, wo stets das unglaubliche Alter der Fasnet betont wird ohne je auch nur eine einzige Jahreszahl zu nennen.

Wenn 1743 die Ersterwähnung war, wird auch um diese Zeit der Brauch aufgekommen sein. Spätestens im 17.Jh. wurden Aspekte der Brandsicherheit so scharf ins Auge genommen, dass so ein gefährlicher Brauch gewiss früher schon erwähnt worden wäre. Mittlerweile sind die Findbücher der größeren Archive schon so transparent, dass man fast davon ausgehen kann, dass früher der Osterräderlauf schonmal bei der Administration der Gegend debattiert wurde. Eben weil solche Spektakel immer wieder von Randerscheinungen wie Schlägereien, Beschimpfungen und Unzucht begleitet wurden, wäre es eigenwillig, wenn man nicht den Brauch an sich im Zusammenhang mit einem Delikt früher schon aktenkundig gemacht hätte.
Zu 1743 fiele mir auch keine wirkliche Zäsur ein. Dass aufklärerisches Gedankengut in der kirchlichen Verwaltung (Consistorium etc.) einen Widerhall findet, ist dann schon zumeist deutlich später der Fall und wurde auch dann eher von oben, sprich aufgeklärtem Landesfürst oder sowas angeordnet. Da Lüdge ja katholisch war, fiele auch die Möglichkeit pietistischer Eiferer weg, die in dieser Zeit noch recht aktiv und einflussreich waren.
Eine Idee von mir wäre, dass ein Neuer im Amt eine Erklärung wäre.
 
Wie schon erwähnt ging es um eine Visitation. Bischöiche Visitation fanden nicht mehr statt, die Archidiakone sollten anlässlich des Sendgerichts Befragungen durchführen. 1743 war das in Lügde der Generalvikar des Bistums Paderborn, Dr. Bernhard Ignaz von Wydenbrück, der sein Amt 1728-1755 bekleidete, nicht ein Vikar aus Wiedenbrück. (Und Clemens August, Bischof von Köln, Münster, Hildesheim, Osnabrück und Paderborn wurde in Paderborn 1719 gewählt und starb 1761.)

Katholische Pfarreien werden bis heute in regelmäßigen Abständen bei Visitationen kontrolliert. Neben Finanzen, Glauben und Liturgiekenntnisse des Priesters wurden Besitz und Rechte festgehalten und Probleme angesprochen.

Das Sendgericht hatte als kirchliches Gericht über Verfehlungen der Gläubigen zu richten. Hier mag es 1743 zu Beschwerden über die Feuerräder gekommen sein. Das in das Visitationsprotokoll aufzunehmen, bedeutete wohl, dass es in den Akten verschwand.

Aber ich hatte noch nicht genügend Zeit, im Diözesanarchiv nachzusehen. Aber in meinem Notizbuch steht es mittlerweile weit oben.

1781 hingegen wurde gezielt nach Bräuchen und Missbräuchen gefragt.
 
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