Aber das alleine macht noch keine Zugehörigkeit aus, diese ergibt sich erst mit der Zeit. Einen Jürgen Grabowski wird niemand als Polen einstufen, einen Pjotr Trochowski schon eher, obwohl der einen russischen Vornamen hat.
Piotr ist genauso ein polnischer, wie ein russischer Name. Ich kenne gleich eine ganze Reihe polnischer Piotrs.
Was die Sprache angeht glaube ich nicht, dass sie innerhalb von drei bis vier Generationen total verlorengeht. Ich verstehe noch sehr gut richtiges Oberhessisch, mit etwas Mühe kann ich es auch sprechen. Das war die Sprache meiner Großeltern und Ur-Großeltern. Deshalb glaube ich, wird das Gotische auch um 700 n.Chr. in Spanien noch gesprochen worden sein.
Auf den Glauben kommt es aber nicht an. Fakt ist, dass wir z.B. von den Westfranken wissen, dass sie irgendwann zum Gebrauch der Sprache der sie umgebenen Romanen übergegangen sind. Spätestens mit den Straßburger Eiden ist das unumstößlich belegt.
Fakt ist auch, dass die germanischen Spuren im iberoromanischen Sprachmaterial äußerst gering sind. Die einzige gotische Stadtgründung ist ein Hybrid aus einem gotischen Namen (dem des jüngeren Sohns des Stadtgründers Leovigild, Rekkared) und dem griechischen
polis: Reccopolis.
Die stärksten Spuren, welche die Germanen (Sueben, Westgoten vielleicht auch Vandalen) im Iberoromanischen hinterlassen haben, sind die Personennamen: Munno (heute nur noch als Nachname Muñez/Muñoz o.ä. erhalten), Rodrigo, Fernando, Al(f)onso und einige andere.
Im eigentlichen Vokabular sind es weniger, was einigermaßen erstaunlich ist. Manche der Germanismen sind auch durch das Fränkische und schon zu früherer Zeit, also vor der Völkerwanderungszeit ins Lateinische und darüber ins Iberoromanische gekommen.
Wie soll es in Al Andalus eine gotische Kontinuität gegeben haben?
Fakt ist: Es gab eine gotische Kontinuität. Die Gotin Sarah, Enkelin des vorletzten westgotischen Königs Witiza soll bis nach Damaskus gereist sein, um dort vor dem Kalifen Rechtsbeschwerde gegen ihren Onkel, der ihr ihr Erbe entrissen habe einzulegen. Diese Geschichte halte ich zwar für Legende, überliefert wird sie aber von einem córdobesischen Höfling, Ibn al-Qūṭiyya (was aus dem arabischen übersetzt 'Sohn der Gotin' heißt!). Dieser Ibn al-Qūṭiyya war ein Nachfahre eben jener Sarah.
Der Sohn von Mūsā ibn Nuṣayr, 'Abd al-Azīz heiratete Egilona, die Witwe des letzten Westgotenkönigs Roderich.
Oder Ibn Ḥafṣūn, von dem wir nicht sicher wissen, ob er gotischer oder romanischer Herkunft war: Dieser war jedenfalls ein
muladí bzw.
muwallad, also ein zum Islam konvertierter Einheimischer, der einen jahrelangen Aufstand gegen das Emirat von Córdoba führte. Als er zum Christentum rekonvertierte, brach der Aufstand zusammen. Warum? Weil die Christen keine Veranlassung zum Aufstand hatten und die
muwalladun mit der Rekonversion zum Christentum sich von ihm nicht mehr vertreten fühlten. Der Grund des Aufstands war nämlich der, dass die
muwalladun "staatsrechtlich" nicht als Vollmuslime anerkannt waren, sie auch weiterhin die
ğizya, also die Steuer der Christen und Juden im islamischen Territorium bezahlen mussten.
Fakt ist auch, dass ein Gote einer
kūra (eine territoriale Verwaltungseinheit im Islam ~ Provinz) über Jahrhunderte seinen Namen aufgedrückt hat: Theodemir, arabisiert zu Tudmir, heute Murcia. Sein Vertrag mit 'Abd al-Azīz ibn Mūsā ist erhalten geblieben, andere Verträge mit gotischen Potentaten sind durch die Historiographie überliefert.
Ebenfalls ist die Geschichte der Banū Qāsī, einer zum Islam konvertierten gotischen Familie, die im Grenzgebiet zwischen al-Andalus und der Marca Hispanica lebte. Diese unterhielt gute Beziehungen sowohl nach Córdoba, als auch zu den Christen im Norden, mit denen man dynastisch gut verwoben war.
Meine jüngere Tochter hat vor ein paar Jahren ein Praktikum in La Coruña gemacht.
Ihr Chef war stolz auf seine Swebische Abstammung.
Ja, ja... Ich kenne einen Deutschen, der zeitweise in Portugal (an der Algarve) lebte und jetzt in Andalusien. Dieser mehr als peinliche Mensch ist der Auffassung, dass die Spanier und Portugiesen doch bitte deutsch sprechen sollten, weil sie schließlich von Westgoten und Schwaben abstammen... Ich schätze mal, dass der Chef deiner Tochter das eher scherzhaft meinte, dieser Deutsche meint das aber relativ ernst. :weinen:
Demnach wird es doch so manchen "Goten" gegeben haben, der gar nicht gotisch sprach, resp. ein "Militär-Gotisch" wie ein heutiger Fremdenlegionär franz. spricht.
Was auch völlig unerheblich ist, die Bevölkerung des erfolgreichsten "Völkerwanderungsstaats" nennen sich heute noch "Franken" obwohl sie ethnisch höchstens im einstelligen Prozentbereich "Germanen" sind.
Das ist ja nicht richtig. So wie wir zwischen
Franken und
Franzosen unterscheiden, unterscheiden die Franzosen zwischen
francs und
français. Was natürlich nichts daran ändert, dass das eine vom anderen abgeleitet ist. Es ändert aber auch nichts daran, dass man sich eben nicht so einfach entscheiden konnte, dazuzugehören. Die Dazugehörigkeit musste auch anerkannt werden. Natürlich blieben bei den Wanderungen Volksteile zurück und andere wurde aufgenommen. Aber ein Einwohner des Frankenreiches oder des Westgotenreiches war noch lange kein Franke oder Westgote, sondern er war ein Untertan einer dünnen fränkischen oder westgotischen Herrscherschicht. Während die Franken dies aber auf Dauer intelligent lösten, indem sie sich mit ihrer Umgebung verschmolzen, gelang dies Ostgoten, Westgoten und anderen eben nicht. Erst, als ihre Reiche aufhörten zu existieren gaben sie ihre ethnische Identität auf, um sich mit der sie umgebenen Bevölkerung zu verschmelzen (und längst nicht alle machten dies).