(Dis)Kontinuität von Kultstätten

Dieses Thema im Forum "Religionsgeschichte" wurde erstellt von Sepiola, 30. Juli 2022.

  1. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Mir fällt der Fachausdruck auch nicht ein. Vielleicht "Tempel-Kirchen-Umwandlungen", wie im Titel dieser Diplomarbeit?

    Tempel-Kirchen-Umwandlungen in Italien: Eine Analyse direkter Umwandlungen zum besseren Verständnis dieser speziellen Wiederverwendung von Tempeln für Kirchen

    "Für Tempel-Kirchen-Umwandlungen in Italien gibt es drei grundlegende Werke, auf denen die vorliegende Diplomarbeit aufbaut. 1939 war Deichmann der Erste, der sich mit diesem Phänomen auseinandersetzte, wobei er im gesamten Mittelmeerraum 89 Beispiele ausmachte. Für Italien konnte er sechs Fallbeispiele ausmachen, darunter der sog. Concordiatempel in Agrigent, die spätere Peter- und Pauluskirche in Novara, das Larenheiligtum in Rom, das Pantheon in Rom, den Athenatempel in Syrakus und den Jupitertempel in Cuma. 1984 folgte die nächste Publikation zu diesem Thema von Ward-Perkins, der für Zentralitalien neben
    den bereits von Deichmann entdeckten Fällen jene in Assisi, Isernia und Rieti nannte. Der bedeutendste, aber leider unzugängliche und unpublizierte Beitrag stammt von Vaes, der in seiner Dissertation die christliche Wiederverwendung antiker Gebäude in Italien von 200-1200 untersuchte. So konnte er für Italien insgesamt 88 Wiederverwendungen von paganen Tempeln für christliche Kirchen ausfindig machen. Manche Fallbeispiele für Italien fanden jedoch Erwähnung in seinen späteren Publikationen. Neben diesen auf Italien bezogene
    Studien erschienen in den letzten Jahren noch einige auf unterschiedliche Regionen bezogene Untersuchungen. Die m. E. wichtigsten seien im Folgenden genannt: die regionale Analyse von Griechenland durch Spieser, von Athen durch Frantz sowie Peloschek, von Kilikien durch Bayliss, Ägypten durch Teichner und Nordafrika durch Duval. Deichmanns Katalog stellt den bisher einzigen Versuch dar, das Phänomen der Tempel-Kirchen-Umwandlungen in der gesamten spätantiken römischen Welt zu erfassen. Zwar gibt es
    vereinzelt allgemeine Ansätze einer Untersuchung zu dieser Wiederverwendung, doch ist darin nicht der Versuch einer Auflistung aller bekannten Fälle gemacht worden, sondern es wurde vielmehr eine Auswahl einiger Fallstudien in unterschiedlichen Regionen getroffen."

    88 Beispiele in Italien erscheinen mir angesichts von -zigtausend alten Kirchen nicht sehr viel, und von diesen sind noch die Fälle abzuziehen, wo keine direkte Umwandlung stattgefunden hat, und die Fälle, wo bei genauer Recherche entweder kein Tempel oder keine Kirche nachweisbar ist.
     
  2. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Hab mir gerade noch den Spaß gemacht, Tempel- und Kirchenstandorte in Trier zu vergleichen.

    Hier sind vier Tempel- bzw. Tempelbezirke zu sehen:
    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/de/Augusta_Treverorum_Stadtplan.png

    Da haben wir den Tempelbezirk im Altbachtal – Wikipedia
    "Auf einer Fläche von 5 ha wurden über 70 Tempel, Kapellen, heilige Bezirke und Priesterhäuser sowie ein Kulttheater freigelegt. [...] Christliche Kirchen befanden sich hier anscheinend nicht."

    Oberhalb dieses Tempelbezirks gibt es noch den Tempel am Herrenbrünnchen – Wikipedia
    "Im Gegensatz zum Tempelbezirk im Altbachtal, dem keine nennenswerten christlichen Funde zugeordnet werden können, könnte hier vielleicht eine christliche Kultstätte auf den heidnischen Tempel gefolgt sein. Archäologische Indizien liegen dafür allerdings nicht vor."

    Dann haben wir noch den Tempelbezirk Irminenwingert – Wikipedia
    In dieser Gegend gibt es eine Kirche, aber erst seit 1966 bzw. 1971.
    Datei:St. Simeon Trier-West H1.jpg – Wikipedia

    Und schließlich noch eine monumentale Anlage: Asclepius-Tempel Trier – Wikipedia
    Hier war jahrhundertelang nichts, ab 1849 wurde ein Krankenhaus gebaut, immerhin durch einen Nonnenorden. :)

    Wo wurden die spätantiken Kirchen Triers gebaut?

    Die erste Kirche wurde (wie so oft) auf einem Gräberfeld errichtet:
    St. Paulin – Wikipedia

    Für den Bau des Doms wurde ein Teil eines Wohnviertels abgerissen:
    Trierer Dom – Wikipedia

    St. Irminen wurde an der Stelle der römischen Hafenhallen errichtet:
    St. Irminen – Wikipedia

    Eine christliche Grabstätte wurde später Standort eines Klosters:
    Benediktinerabtei St. Matthias – Wikipedia

    Etwas außerhalb von Trier finde ich noch die Stitftskirche St. Maria und St. Martin (Trier-Pfalzel) – Wikipedia
    Hier wurde ein ehemaliger Palast verwendet.
     
  3. Riothamus

    Riothamus Aktives Mitglied

    Da so ziemlich jedes Haus seinen Schrein hatte, war es in den Städten gar nicht so einfach, eine heiligtumfreie Zone zu erwischen.
     
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  4. Eumolp

    Eumolp Aktives Mitglied

    @Sepiola
    Ohne nun ein Medium zu bedienen, dafür fehlt mir die Zeit:
    - die Kölner Romanische Kirche St. Maria im Capitol ist auf dem Jupiter-Tempel errichtet (wie der Name nahelegt)
    - die Severinskirche steht auf einem antiken Tempel (den habe ich unterirdisch selbst schon insipiziert und einen Fußzeh von Jupiter oder wem auch immer bestaunt)
    - Groß St. Martin in Köln interessanterweise auf dem alten römischen Hafen, genauer gesagt: auf einem Speicherhaus dieses Hafens errichtet. Man kann noch heute ein Swimming-Pool des Hafens sehen.
    Links sicher bei wikipedia.

    @Dion
    Was die Klöster betrifft: hier kann ich mit dem Zisterzienser-Kloster Marienstatt im Westerwald dienen: denn dieses liegt in der Tat an einer "Wasserader", obwohl diese, wie ich von einem Gelehrten im Forum gelernt habe, nichts mit Wasserröhren (und daher wohl auch nichts mit Wasser im konventionellen Sinn) zu tun haben. In diesem Fall aber schon: denn die Zisterzienser durften kein Fleisch essen (außer Geflügel) und waren daher auf Fisch angewiesen, deshalb liegt das Kloster an einem Bach, genauer gesagt in einer Biegung und damit von allen Seiten vom Wasser bedroht, selbst aber wasserfrei geschützt.
     
    Zuletzt bearbeitet: 30. Juli 2022
  5. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Wobei man sich mit dem Bau der Kirche Zeit gelassen hat, anscheinend bis ins 8. Jahrhundert.
    St. Maria im Kapitol – Wikipedia

    Da haben wir eine Parallele zu Trier St. Irminen.

    An der Stelle des Kölner Doms standen, wie auch an Stelle des Trierer Doms, vormals Wohnhäuser.

    Und wie andernorts gibt es etliche Kirchen, die auf Gräberfeldern errichtet wurden:

    St. Gereon: St. Gereon (Köln) – Wikipedia

    St. Ursula: https://de.wikipedia.org/wiki/St._Ursula_(K%C3%B6ln)#Vorgeschichte_und_sp%C3%A4tantike_Vorg%C3%A4ngerbauten

    Und dazu gehört auch die Severinskirche:

    "Das Gebiet entlang der römischen Fernstraße gehörte zu den begehrtesten Bestattungsplätzen der CCAA. Im Umfeld der späteren Severinskirche entstanden im 4. Jahrhundert Grabbauten wohlhabender Familien. Eine dieser Grabkammern liegt genau im Mittelschiff der heutigen Kirche und bildet den Urbau der mittelalterlichen Kirche. Im 5. Jahrhundert wurde die Grabkammer baulich erweitert. In der Kirche und ihrem Umfeld haben Kölner Christen ihre Verstorbenen beigesetzt."​
    Römisch-Germanisches Museum Köln | Unter St. Severin

    St. Pantaleon steht auf den Resten einer römischen Villa, eine kontinuierliche Nutzung gab es aber wohl nicht:
    https://de.wikipedia.org/wiki/St._Pantaleon_(K%C3%B6ln)#R%C3%B6merzeit

    In Köln sind mehrere gallorömische Tempel und Mithräen sowie ein Marstempel nachgewiesen, mir ist nicht bekannt, dass etwas davon in spätantiker Zeit zu einer Kirche umgebaut wurde, mache mich aber gern gelegentlich noch schlau.
     
  6. Ugh Valencia

    Ugh Valencia Aktives Mitglied

    @Eumolp und @Sepiola Bei der Kathedrale von Cordoba scheint es einen römischen Tempel als Vorgängerbau gegeben zu haben. Darauf wurde eine westgotische Kirche errichtet, gefolgt von einer maurischen Moschee, die wiederum nach der Reconquista zur Kirche umgewidmet wurde. Nur wären mir dabei keinerlei Hinweise auf "Erdstrahlen" oder Wünschelruten bekannt.
     
  7. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Natürlich gibt es Kirchen, die direkte Nachfolger von Tempeln sind, die oben zitierte Diplomarbeit führt ja in Italien ein paar Dutzend auf.

    Ich glaube nicht, dass solche Beispiele geeignet sind, ein zielstrebiges und systematisches Vorgehen zu belegen. Die weitaus meisten Tempel wurden nicht zu Kirchen umgewandelt bzw. mit Kirchen überbaut, und die weitaus meisten Kirchen wurden nicht an der Stelle vormaliger Tempel oder sonstiger Kultorte errichtet.

    Das Parthenon in Athen wurde zu einer Kirche umgebaut (eine Apsis kam dazu), dann wurde es zur Moschee umgebaut (ein Minarett kam dazu), dann wurde es als Munitionslager genutzt, dann flog eine Kanonenkugel hinein, und so wurde es in eine pittoreske Ruine umgewandelt.

    Wenn man das Gelände eines verfallenen Tempels für einen Kirchenbau nutzte, wird man möglicherweise ganz pragmatisch gedacht haben: Platz ist vorhanden, ein solides Fundament ist schon gelegt, Baumaterial liegt herum, also an die Arbeit.
    Und wie man sieht, hat man ja auch Lagerhallen oder Palastmauern genutzt.
     
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  8. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Natürlich gibt es etlich Beispiele von Kirchen in ehemaligen Tempeln. Man muss nur einmal das Forum Romanum betreten. Aber auch das römische Senatsgebäude (Curia Iulia) wurde als Kirche genutzt. Weil Sepiola Trier nannte: die Porta Nigra wurde als Kirche genutzt. Das Kloster Sant Cugat de Valles soll dagegen auf ein römisches Militärlager zurückgehen. In Spanien findet man häufig die Umnutzung alter Thermen in villae rusticae zu Kirchen (wahrscheinlich anderswo auch, aber von Spanien weiß ich es einigermaßen konkret). Der sogenannte Diana-Tempel (tatsächlich wohl Kaiserkult) in Mérida wurde hingegen als Fundament für den Bau eines Privatpalastes genutzt.
    Natürlich wird immer wieder ein gewisser symbolischer Grund Anlass dafür gewesen sein, eine Kirche am Ort eines Tempels zu errichten, schon wegen der prominenten Lage. Man konnte damit aber auch die Ohnmacht der heidnischen Götter demonstrieren und sicherlich kamen hie und dort auch synkretistische Elemente hinzu. Wenn man aber schlichten Pragmatismus außer Acht lässt, gerät man in Gefahr von Fehlschlüssen.
     
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  9. dekumatland

    dekumatland Aktives Mitglied

    Die Kirche in Badenweiler befindet auf den Grundmauern eines römischen Tempels. Aber nur teilweise, wenn ich das richtig gesehen hatte.
     
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  10. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Wenn wir noch ein wenig tiefer in die Geschichte Córdobas einsteigen, so lag die alte vorrömische Siedlung von Corduba am Nordufer des Guadalquivir südwestlich der heutigen Altstadt. Das römische Corduba des Metellus wurde ungefähr am Ort der jetzigen Altstadt errichtet mit Cardo und Decumanus, wie es sich gehört. Dieses römische Alt-Corduba reichte aber noch nicht an den Baetis (Guadalquivir) heran. Erst als Caesar Corduba zerstört hatte und wieder aufbauen ließ, wurde die Stadt bis an den Fluß erweitert und hatte fortan zwei Decumani, die nicht parallel zueinander liefen, da der neue decumanus sich am Fluss orientierte, d.h. parallel zubeißen verlief. In diesem neuen Teil der Stadt wurde dann der Tempel gebaut, der später durch die Vinzenzkirche ersetzt wurde, welche ‘Abd ar-Rah.mān dann nach Jahren der christlich-muslimischen Gemeinsamnutzung kaufte und für einen Moscheebau abreißen ließ. Diese Moschee wurde mehrfach in Richtung des Guadalquivir erweitert und schließlich, als das wegen des abfallenden Geländes (der Flussböschung) nicht mehr ging, unter dem Großwesir al-Mans.ūr nach Osten erweitert und hierbei wurde der Cardo der römischen Stadt überbaut. Qurt.uba brauchte den Cardo von Corduba nicht mehr. Jede dieser Anbauten verlagerte das Zentrum des Geschehens, die Moschee von Córdoba war viel größer als der spätantike Kirchenkomplex oder der antike Tempel, der heutige Hauptkapelle der Kathedrale liegt abseits der ursprünglichen Vinzenzkirche, eben zentral im Säulenwald der Moschee.
     
  11. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Die jetzige Kirche wurde ab 1892 gebaut, da hat man sich natürlich nicht an den Grundmauern aus römischer Zeit orientiert. Ob die Vorgängerkirchen noch teilweise die Grundmauern mitverwendeten, weiß ich nicht. Aus baulich-pragmatischen Gründen wäre das nicht auszuschließen, denn die römischen Fundamente waren "außerordentlich solide" und durch eine Drainage vor dem "im quellenreichen Untergrund sickernden Hangwasser" geschützt. Der Bauplatz selber "am höchsten Punkt des Gemeinwesens ... und daher weithin ins Tal sichtbar" war ohnedies keine schlechte Wahl für eine Kirche.
    https://vici.org/image/7775
    Badenweiler: Römischer Podiumstempel

    Zwischen der Aufgabe des Tempels (wohl um 260 n. Chr.) und dem ersten romanischen Kirchenbau müssen etliche Jahrhunderte gelegen haben.
     
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  12. Ralf.M

    Ralf.M Aktives Mitglied

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  13. Eumolp

    Eumolp Aktives Mitglied

    Interessant finde ich auch die Kirche Santa Maria degli Angeli e dei Martiri – Wikipedia , die mitten in die Therme des Diokletian (neben Bahnhof Termini) gebaut wurde, allerdings erst im 16. Jh.

    Eine allgemeine Übersicht über diese Thematik scheint ein etwas angestaubter Artikel zu liefern, von 1939, muss aber deshalb nicht falsch sein. Ich habe ihn in Martin Nilsson, Geschichte der griechichen Religion gefunden, leider geht er nicht näher darauf ein:
    Ein Tempel exorziert... interessant, wenn man ihn gleich darauf zerstört. Wahrscheinlich sollten die Steine frei von Dämonen gehalten werden.
    (Bei Interesse: der Artikel ist als pdf im Netz verfügbar, man muss nur wissen, wo^^)
     
    Zuletzt bearbeitet: 31. Juli 2022
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  14. Liborius

    Liborius Aktives Mitglied

    Bei den oben angeführten Umwidmungen konnte mehr oder weniger auch Synkretismus eine Rolle spielen. Eigentlich ist es aber etwas "geistiges", das von der eher handfest-materiellen Umwidmung zu unterscheiden ist. Bei der "reinen" Umwidmung wurde dem alten Gott einfach sein Haus oder Bauplatz weggenommen und er musste sehen, wo er bleibt. Beim Synkretismus durfte wenigstens "sein Geist" oder etwas davon bleiben (um nicht zu sagen: herumspuken); konkret: Teile der bisherigen Vorstellungen und Rituale wurden übernommen. So könnte man sagen, dass in der katholischen Kirche die alten Götter zu Heiligen "umgeschult" wurden und dergestalt "resozialisiert" und mit neuen Namen versehen, dürfen sie weiter verehrt werden.
     
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  15. Ugh Valencia

    Ugh Valencia Aktives Mitglied

    Der Tag der Toten, Dia de los Muertos, in Mexiko halte ich für ein Paradebeispiel für Synkretismus. Präkolumbianische religiöse Vorstellungen vermischen sich dort mit den katholischen Feiertagen zu Allerheiligen/Allerseelen.
     
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  16. Eumolp

    Eumolp Aktives Mitglied

    Eigentlich doch eher zu Teufeln, oder? (Pan, Wotan, Thor) Denn der Teufel von Jetzt ist meistens nichts anderes als der Gott von Gestern.
     
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  17. Liborius

    Liborius Aktives Mitglied

    Als Thor darf er freilich nicht mehr auftreten, aber unter dem neuen Namen Petrus darf er weiter das Wetter machen. ;)
    Du hast natürlich auch recht, dass z.B. Beelzebub oder der personifizierte Mammon es weniger gut getroffen haben und Pan einiges zu unserer Vorstellung vom Teufel beitrug.
     
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  18. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Eine frühchristliche Kirche in einer vormaligen Badeanstalt gab es in Boppard:

    "Die römischen Thermen brannten Anfang des 5. Jahrhunderts nieder. Wenig später, wohl noch im 5. Jahrhundert, wurden die Überreste in einen Kultbau umgewandelt; die Exedra des Caldariums wurde Apsis, das Caldarium selbst und die Palaestra Langhaus, vier an die Südseite angebaute Umkleideräume dienten als Nebenräume meist unbekannter Bestimmung (der östliche als Sakristei). Apsis und Ostende des Langhauses waren als Chor abgeschrankt, ein Gang mit kreisförmig erweitertem Ende, wohl ein Ambo, führte 7 Meter tief in das Langhaus (durch Steinsetzungen im Fußboden markiert). Das Westende des Langhauses, durch eine dünne, wohl hölzerne Wand abgeteilt, diente als Baptisterium; in der Mitte ein rundes, knietiefes Taufbecken mit sieben kurzen, radial angeordneten Armen, über denen hölzerne (?) Stützen einen Baldachin trugen (konserviert und heute über eine Treppe unter dem Fußboden zugänglich). Ambo und Taufbecken (Baptisterium) kennzeichnen den Bau als Pfarrkirche."​

    Die Kirche St. Severus in Boppard - regionalgeschichte.net
     
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  19. Kochant

    Kochant Aktives Mitglied

    Religionsgeschichtlich wurde das Thema bei Jörg Rüpke "Pantheon" - Geschichte der antiken Religionen ausführlich behandelt. So heißt es auf S. 28:
    In einem weiteren Kapitel stellt er dar, dass ein Tempel als "Haus" der jeweiligen Gottheit angesehen wurde und Tempel in der Antike deshalb oft Wohnhäusern nachgebildet waren. Ob die von Archäologen als "Wohnhäuser" deklarierten Bezirke nicht auch Tempel enthielten, ist deshalb gar nicht mehr festzustellen.

    Hinzu kommt, dass die Allgegenwart der römischen Götter und ihres Dienstes für uns heute kaum noch verständlich ist. In römischem Sinne war alles Gottesdienst: Tempeldienst, Augurenaktivität, Opfer, Hausopfer, Wagenrennen, Zirkusspiele, Theater, usw. Es gab keine Trennung zwischen religiösem und säkularem Bereich, wie sie uns geläufig ist und wie sie heutzutage vielerorts in römische Vorgänge hineininterpretiert wird (Turcan, The Gods of Ancient Rome).
     
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  20. Dion

    Dion Aktives Mitglied

    Hier ist als erstes zu fragen: Wie viele Tempeln gab es für wie viele Bewohner? Ich würde sagen, es gab sie proportional zur Größe der Bevölkerung. Und weil in der Antike diese Größe gering war, ist es nicht statthaft die Anzahl der heutigen alten Kirchen mit der Anzahl der damaligen Tempeln in Verhältnis zu setzen.

    Weiter: Wie viele von diesen Tempeln sind stehengeblieben, nachdem das Christentum zur Staatsreligion erklärt worden ist? Und wie viele von den zerstörten Tempeln wurden durch Profanbauten überbaut? Zerstörung und/oder Überbauung ist die effektivste Art, das Vergessen zu fördern.

    Ich habe in diesem Forum schon vom Ambrosius von Mailand berichtet, also von jenem Bischof, der den Kaiser Theodosius I. durch Drohungen dazu brachte, Christen, die Tempel zerstörten, nicht zu bestrafen. Obwohl es ein entsprechendes Gesetz dazu gab und die Zerstörer bereits verurteil waren. Aber die Strafen wurden nicht vollstreckt, weil der Kaiser sich vor der angedrohten Exkommunikation fürchtete.

    Diese Drohungen einer Exkommunikation – und auch die tatsächlich erfolgten! –, waren das ganze Mittelalter ein beliebtes Druckmittel gegenüber weltliche Herrscher, die mal weniger und mal mehr Wirkung zeigten.

    Diese 88 Beispiele (den Link hast du übrigens in diesem Forum schon mal gebracht – offenbar beschäftigt dich das sehr :D ) sind deswegen sicher nicht alle. Zum Beispiel fehlt da zu meiner Verwunderung die Wallfahrtskirche Madonna del Soccorso in Ossuccio am Comer See, die an der Stelle steht, an der einst ein Tempel der Ceres stand. Die ganze Geschichte ist gut dokumentiert und davon habe ich bereits in dem Forum berichtet - wer will, kann hier http://www.30giorni.it/articoli_id_7331_l5.htm mehr erfahren.

    Mit anderen Worten: Wenn ein heidnisches Heiligtum sehr bekannt war (in Ossuccio fanden zu Plinius Zeiten die Wahlfahrten zu Ehren der Ceres alljährlich im September statt und heute im gleichen Monat! zu Ehren der Madonna) musste man anders vorgehen und eine/n heidnische/n Gott oder Göttin durch eine christliche Figur – vorzugsweise gleichen Geschlechts – ersetzen.
     

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