(Dis)Kontinuität von Kultstätten

Dieses Thema im Forum "Religionsgeschichte" wurde erstellt von Sepiola, 30. Juli 2022.

  1. Naresuan

    Naresuan Aktives Mitglied

    Er wendet strenge Kriterien an. So fällt vermutlich die Kirche St. Martin bei Cressier NE durch den Raster, weil die unter der Kirche oder ganz in der Nähe wahrscheinlich vorhandenen römischen Fundamente noch nicht ausgegraben wurden.
    Saint-Martin de Cressier : auf der Suche nach dem verschwundenen Tempel
    Die Kirche enthält zwar bemerkenswertes antikes Baumaterial und liegt wahrscheinlich neben einem größeren antiken Gebäude, doch gibt es meines Erachtens eine zeitliche Lücke bis zur ersten nachweisbaren Wiederbenutzung des Platzes als Friedhof im 7. Jh.. Auch wenn man den Rahmen der Untersuchung erweitern oder die antiken Fundamente noch ausgraben würde, frage ich mich, wie man diese Lücke dann interpretieren soll. Inwieweit hebt sie die Vermutung einer Kontinuität auf?
    Vom Ortsnamen her (Cressier / Grissach) müsste eine Siedlungskontinuität in unmittelbarer Nähe angenommen werden, wenn ich diese Arbeit richtig interpretiere:
    Waren Murtenbiet und Seeland im frühen Mittelalter Grenzland - Niemandsland - Oedland?

    Auch unter der Kirche in Muri BE gibt es antike Fundamente. Muss man aus dem Ortsnamen grundsätzlich schließen, dass eben keine Kontinuität, sondern eine Diskordanz vorliegt? Ist das der, von Eismann geforderte, zweifellose Nachweis für das Fehlen einer Siedlungskontinuität?
    Kirche Muri – archäologische Untersuchungen im römischen Gutshof
    sowie Römer, Kelten und die Bagger

    O.T. an beiden Orten (Cressier und Muri) gibt es Nachweise auf die regionale Göttin Naria Nousantia. Lustiger Zufall.
     
  2. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Dann sollte sie in der Dissertation enthalten sein, vielleicht komme ich nächste Woche dazu, mir diese mal anzusehen.
    Mit "Kontinuität" meinte ich in diesem Fall eine Kultstätten-Kontinuität. Die Fundamente unter der Kirche in Muri dürften wohl kaum zu einem Tempel gehört haben.

    Wenn man etwas aus dem Ortsnamen schließen kann, ist das folgendes:
    Muri «bei den Mauerresten» ist ein ursprünglicher Flurname. Er weist auf Überreste steinerner Gebäude hin, die von den Alemannen bei ihrer Einwanderung aufgefunden wurden.
    ortsnamen.ch

    Der Untersuchungsgegenstand heißt "römische Grundmauern". Da sollten eigentlich alle Orte, an denen keine römischen Grundmauern nachweisbar sind, außen vor bleiben. (Es wird wahrscheinlich keine ältere Kirche geben, bei der gänzlich auszuschließen ist, dass unter dem Boden noch ältere bislang unentdeckte Spuren zu finden sind.)
     
  3. andreassolar

    andreassolar Aktives Mitglied

    Meine Zitate waren nur kurze Auszüge der im TRE-Artikel vorgestellten, längere Zeit dominierenden Haupthypothesen, die im Grobschema immer noch bestehen können, und sollten hier nur verdeutlichen, dass es verschiedene Hypothesen gab und gibt, und die schmale Überlieferung verwertbarer Belege eine wünschenswerte Eindeutigkeit schwächt.
    Der Artikel im TRE ist ausführlicher und differenzierter. Wallraffs Habil-Schrift kenne/kannte ich (Jahre her), empfehlenswert ist ebenso Hans Förster, Die Anfänge von Weihnachten und Epiphanias.

    Sol Victus wurde von Wolfram Kinzig vor allem als stadtrömischer, also lokaler, und recht junger Kult eingestuft...wie von Dir angemerkt:
    Es gibt natürlich etliche Website, die man getrost aufgrund ihrer Sachkompetenz aufrufen kann.
     
  4. andreassolar

    andreassolar Aktives Mitglied

    Darum geht es. Beispiel von hier:

    Stettfeld auf seiner römischen Siedlung, die Ende des 3. Jh. aufgegeben wurde.
    Die Kirche (St. Marcellus) wurde im 14. Jh. erstmals erwähnt, 1818 fand man wohl auf dem alten Kirchhof beim Kirchengebäude eine Dreigötterrelief.

    Eine Kult-Kontinuität kann aufgrund der Lücke von mehreren Jahrhunderten ausgeschlossen werden.
     
  5. andreassolar

    andreassolar Aktives Mitglied

    Wie könnte man 'Kontinuität von Kultstätten' etwas näher bestimmen?

    Beispielsweise durch eine hinreichend breite und kontinuierliche Fundsituation am Ort.
    In Stettfeld wurde ein Dreigötterrelief im alten Kirchhof der Kirche gefunden, immerhin ein passendes religiöses bzw. kultisches Objekt, doch eben nur eines und die Fundlage, Fundsituation ist nicht dokumentiert.
    Und dann kommt die jahrhundertelange Fund- und Siedlungslücke.

    In wenigen Beiträgen scheint die Vorstellung durchzuscheinen, was noch nicht widerlegt ist, könnte eine Kultstätten-Kontinuität darstellen oder andeuten.
    Nun gibt es inzwischen eine etliche Jahrzehnte währende wissenschaftliche Forschung, und ich meine, da zeichnete sich bisher kein breites Bild einer oft, öfter oder immer wieder nachgewiesenen Kultstätten-Kontinuität (für den Raum direkt nördlich der Alpen) ab.
    Also Ergebnisse, die auf neue, andere Örtlichkeiten gut übertragen werden könnten und so einen einigermaßen gesicherten Deutungsrahmen abgeben könnten.

    Das würde vielleicht manche (lange) Einzelfall-Dis. abkürzen oder gleich erledigen.
     
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  6. Dion

    Dion Aktives Mitglied

    Heute, am 15. August, feiert die katholische Welt die leibliche Aufnahme Mariä in den Himmel. Ursprünglich waren das Feiertage des Augustus – da feierte Kaiser Augustus 3 Tage seine Siege über Marcus Antonius und Kleopatra. Etwas später wurde der 15. August ein Staatsfeiertag, der im ganzen Reich galt. Der wurde im 5. Jhdt. durch den Feiertag Mariä Himmelfahrt ersetzt, obwohl es in der Bibel kein Wort von einer Himmelfahrt Mariens steht. Wahrscheinlich konnte man den Feiertag nicht einfach abschaffen, also gab man ihm einen anderen Namen – der Leuten war es wohl egal, Hauptsache sie hatten und haben frei. :D

    Oder gibt es auch hierzu, wie anscheinend bei anderen Feiertage, eine ganz andere Geschichte?
     
  7. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Ja, diese Geschichte heißt: Das Jahr hat 365 Tage. Wenn jeder von uns beiden einen Kalender nimmt und willkürlich 120 Tage ankreuzt und wir hinterher die Kalender vergleichen, wird sich niemand wundern, wenn wir plus minus 40 gemeinsame Tage finden, die wir unabhängig voneinander angekreuzt haben.

    Schau mal, wie viele Feste und Feiertage es im Römischen Reich gab:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Feste_und_Feiertage_im_R%C3%B6mischen_Reich
    In dieser Liste ist der 15. August noch nicht einmal enthalten!
    Wenn man die mehrtägigen Feste mitzählt, war ungefähr jeder dritte Tag ein Fest- oder Feiertag.

    Das ist vergleichbar mit mittelalterlichen Kalendern, z. B.:
    https://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/a/a090155.pdf

    Schauen wir mal anhand dieser Listen nach dem August. Man sieht da schön die zufällige Verteilung mit ihren Überschneidungen (altrömisch - christlich, in Klammern die Feiertage, die erst in der spätesten Quelle als hochrangig gekennzeichnet sind; Oktavfeste sind nicht berücksichtigt)

    1. August Einnahme Alexandrias, zu Ehren Caesars / St. Petrus in Fesseln
    2. August Sieg über Pharnakes II., zu Ehren Caesars
    3. August (Auffindung der Gebeine des Hl Stephanus)
    4. August
    5. August Hl. Oswald
    6. August (Verklärung des Herrn)
    7. August St. Afra
    8. August
    9. August Sieg bei Pharsalus, zu Ehren Caesars
    10. August Feiertag zu Ehren von Ops / St. Laurentius
    11. August
    12. August Hl. Hilaria
    13. August Vertumnalia zu Ehren von Vertumnus
    14. August
    15. August Aufnahme Mariä in den Himmel
    16. August
    17. August Portunalia zu Ehren von Portunus
    18. August
    19. August Vinalia Rustica zu Ehren von Jupiter
    20. August St. Bernhard)
    21. August Ludi Consualia, Spiele und Wettrennen zu Ehren von Consus
    22. August
    23. August Vulcanalia, zu Ehren von Vulcanus
    24. August St. Bartholomäus Apostel
    25. August Opiconsivia, zu Ehren von Ops
    26. August
    27. August Volturnalia, zu Ehren von Volturnus
    28. August (St. Augustinus)
    29. August Enthauptung Johannes des Täufers
    30. August (St. Felix und Adauctus)
    31. August


    In Indien wird der Unabhängigkeitstag gefeiert, in Nord- und Südkorea die Nationale Tag der Befreiung.
    (Wenn da mal nicht die katholische Kirche die Hände im Spiel hatte...)
     
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  8. andreassolar

    andreassolar Aktives Mitglied

    Maria Entschlafung/Himmelfahrt am 15. August wurde erstmals in Jerusalem um die Mitte d. 5. Jh. begangen (Jerusalemer Festkalender), die Tradition kam aus Syrien - sichtlich und auch entlang wiss. Texte ohne Zusammenhang mit Augustus.
     
  9. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Fehlanzeige: Muri ist nicht in der Dissertation enthalten.
     
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  10. Naresuan

    Naresuan Aktives Mitglied

    Danke fürs Nachschauen!
    Der Autor der Dissertation wird schon seine guten Gründe dafür haben. Zwei Statuetten belegen auch noch keinen Tempel (selbst wenn eine davon eine "Bärengöttin" darstellt ;)).
    Mir ging es mehr darum zu zeigen, wo ich noch Mühe habe mit der Abgrenzung von Kontinuität bei Kultstätten.

    Momentan frage ich mich, ob der Umgang mit antiken Kultstätten auch nördlich der Alpen eventuell regional und/oder je nach Gegenstand unterschiedlich ausfiel.
    Die Orationes super vasa reperta in locis antiquis, also die Gebete zur Segnung gefundener antiker Gefäße im Sakramentar von Gellone, sind primär nur für Gefäße und gelten erst mal dort, wo sie geschrieben wurden.
    Gibt es andere Beispiele für solche Gebete, anderswo und für andere Gegenstände?
    Das scheinbare Fehlen von Dämonenfurcht bei der Verbauung von antiken Spolien, besonders von Altären (wie bei Cressier), ist für mich erstaunlich.
     
  11. Ugh Valencia

    Ugh Valencia Aktives Mitglied

    Nördlich der Alpen fällt mir die Donareiche in Nordhessen ein. Die heidnische Kultstätte wurde von Bonifatius 723 unter dem Schutz von fränkischen Soldaten gefällt. Bonifatius soll aus dem Holz der Eiche ein "Bethaus" errichtet haben lassen. Der genaue Standort der Eiche und des "Bethauses" ist nicht 100% geklärt. Eine Theorie ist, dass das Bethaus 732 zur St.Peterskirche umgebaut/erweitert wurde, die Bonifatius' Zeitgenosse Wigbert in "Friedeslar" verortet.
    Nach dem die Stadt im 11.Jahrhundert einmal zerstört wurde, errichtete man ab 1085 den Fritzlarer Dom. Archäologisch nachweisbar ist ein Vorgängerbau aus dem 8.Jahrhundert.

    Ob es eine exakte örtliche Kontinuität vom Standort der Donareiche über das Bethaus zur St.Peterskirche zum Dom gibt, ist nicht unwiderlegbar nachzuweisen, erscheint mir aber relativ plausibel.
     
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  12. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Mir erschließen sich die Gründe jedenfalls nicht. Ich würde nicht ausschließen, dass die Ausgrabungen von Muri seinerzeit nur mangelhaft publiziert waren und dem Autor nicht zur Kenntnis gelangt sind.
     
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  13. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Athenatempel Syrakus/Kathedrale Syrakus:

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    Pantheon, Rom:

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    Pyramide von Cholula:

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    Qoricancha, Cusco:

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