DR nach 1.WK

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Gast

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Hallo,

ist es richtig, dass man angesichts des Fortbestehens des Deutschen Reiches nach dem 1.WK von einem "Wunder" sprechen kann, da es ja erst seit etwa einem halben Jahrhundert bestand und die Siegermächte entweder den ehemaligen Herrschaftsgebieten ihre Libertäten hätten zurückgeben können (wie es ja im Westphälischen Frieden garantiert worden war) oder das besiegte Territiorium unter Besatzung hätten stellen können bzw. hätten annektieren können.
Oder haben Sie es bestehen lassen, um einen Garant für Reparationen und spätere wirtschaftliche Rückversicherungen und ggf. auch Absatzmärkte zu haben?
Erbitte dringen um Antwort.
 
Gast schrieb:
Hallo,

ist es richtig, dass man angesichts des Fortbestehens des Deutschen Reiches nach dem 1.WK von einem "Wunder" sprechen kann, da es ja erst seit etwa einem halben Jahrhundert bestand und die Siegermächte entweder den ehemaligen Herrschaftsgebieten ihre Libertäten hätten zurückgeben können (wie es ja im Westphälischen Frieden garantiert worden war) oder das besiegte Territiorium unter Besatzung hätten stellen können bzw. hätten annektieren können.
Oder haben Sie es bestehen lassen, um einen Garant für Reparationen und spätere wirtschaftliche Rückversicherungen und ggf. auch Absatzmärkte zu haben?
Erbitte dringen um Antwort.
Das Reich bestand nach dem Versailler Vertrag ja nicht vollständig fort. Die dt. Kolonie, das Elsass, Lothringen sowie einige kleinere Gebiete mussten abgetreten werden.
Eine Besetzung des linksrheinischen Reichsgebietes (aus militär-strategischen Gründen) und des Ruhrgebietes (als Faustpfand für die Reparationen) hat es zeitweise auch gegeben.
Die Reparationsforderungen der Siegermächte spielen für die Fortsetzung der territorialen Integrität bestimmt eine herausragende Rolle.
 
Deine Frage zielt darauf, warum die Siegermächte das Reich nicht völlig zerschlagen und aufgeteilt haben.
Ich vermute, man befürchtete eine völlige Destabilisierung des mitteleuropäischen Raumes durch das neue Machtvakuum. Schließlich hatte man 26 Jahre Frieden mit dem bisherigen Zustand gehabt, was nicht ganz von der Hand zu weisen ist.
Zweitens, und da hat Klaus schon etwas zu gesagt, wollte man die Kuh, die man melken wollte, wohl nicht schlachten...:S
 
Arne schrieb:
Ich vermute, man befürchtete eine völlige Destabilisierung des mitteleuropäischen Raumes durch das neue Machtvakuum.

Nicht zu vergessen ist an der Stelle, daß zu befürchten war, daß sich im Osten mit Sowjetrußland ein Staat formierte, der auch potentiell zu einer Großmacht werden konnte - was ja später auch geschehen ist. Obwohl die Siegermächte einiges daran setzten, die Herrschaft der Bolschewiken zu beenden, so war unklar, ob dies auch gelingen würde - bekanntlich gelang es nicht.

Wollte dies nur noch dazu angemekrt haben.

Gruß

Timo
 
Arne schrieb:
Schließlich hatte man 26 Jahre Frieden mit dem bisherigen Zustand gehabt, was nicht ganz von der Hand zu weisen ist.

Hallo Arne, waren es nicht 43 Jahre? Jedenfalls in Mitteleuropa, von 1871 - 1914.
Oder habe ich dich falsch verstanden?

2. habe ich noch eine Frage zu diesem Thema:
Stand denn überhaupt zur Debatte, das "Deutsche Reich" in seiner Einheit zu zerschlagen?
Und wieso hätte man sich dabei auf den "Westfälischen Frieden" berufen sollen, ein Vertrag, der 270 Jahre zuvor abgeschlossen wurde. Hatten denn die "Kontrakte" von 1648 noch in irgendeiner Form Gültigkeit bzw., wer hatte Interesse auf so ein altes "Papier" hinzuweisen?
 
Festus621 schrieb:
Hallo Arne, waren es nicht 43 Jahre? Jedenfalls in Mitteleuropa, von 1871 - 1914.Oder habe ich dich falsch verstanden?

Du hast völlig recht - und ich schon ein Glas Wein zuviel gehabt. Ich dachte an KW IIs Regierungszeit. Sorry. :rotwerd:

Davon, daß man überhaupt daran gedacht hat, das Reich ganz zu zerschlagen ist mir nichts bekannt, aber er fragte ja nach der theoretischen Überlegung.
 
Zuletzt bearbeitet:
Eine Zerschlagung des Deutschen Reiches mag aus den bereits genannten Gründen nicht im Interesse der Siegermächte des Ersten Weltkrieges gelegen haben.

Viel entscheidender ist jedoch, dass eine entsprechende Ausgangslage zur Auflösung Deutschlands gar nicht vorlag. Der Erste Weltkrieg endete mit einem Waffenstillstand und bereits 1919 folgte der Versailler Friedensvertrag, dessen harte Bedingungen dem Verlierer aufgedrängt wurden. Um jedoch eine Zerschlagung Deutschlands zu erreichen, hätten die Sieger wohl eine bedingungslose Kapitulation des Reiches (wie am Ende des Zweiten Weltkrieges geschehen) erzwingen müssen. Mit Blick auf die militärische Lage Ende 1918 lässt sich jedoch erkennen, dass das Erreichen dieses Zieles weitere Monate, wenn nicht Jahre, Kriegsführung erfordert hätte.
Die Alliierten waren also gar nicht in der Lage, ohne weitergehende massive Anstrengungen an eine Zerschlagung des Deutschen Reiches zu denken.
 
Kirlon schrieb:
...Viel entscheidender ist jedoch, dass eine entsprechende Ausgangslage zur Auflösung Deutschlands gar nicht vorlag... Um jedoch eine Zerschlagung Deutschlands zu erreichen, hätten die Sieger wohl eine bedingungslose Kapitulation des Reiches (wie am Ende des Zweiten Weltkrieges geschehen) erzwingen müssen. Mit Blick auf die militärische Lage Ende 1918 lässt sich jedoch erkennen, dass das Erreichen dieses Zieles weitere Monate, wenn nicht Jahre, Kriegsführung erfordert hätte.
Die Alliierten waren also gar nicht in der Lage, ohne weitergehende massive Anstrengungen an eine Zerschlagung des Deutschen Reiches zu denken.


Die o.a. Beurteilung ist wohl nicht zutreffend. Die militärische Lage hätte dem Reich eine Weiterführung des Krieges kaum erlaubt, wenn die Reichsregierung eine Besetzung Deutschlands nicht in Kauf nehmen wollte. Dazu ein Zitat des Deutschen Historischen Museums: (http://www.dhm.de/lemo/html/wk1/kriegsverlauf/compiegne/ )

„Aufgrund der aussichtslosen Lage an der Westfront und des Zusammenbruchs des verbündeten Bulgarien forderte die Oberste Heeresleitung (OHL) am 29. September 1918 die sofortige Einleitung von Waffenstillstandsverhandlungen. Sowohl Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff als auch Wilhelm Groener wollten die Verantwortung der Armee und der Militärs für die Niederlage abweisen und schufen so die Grundlage für die Dolchstoßlegende. Die OHL forderte bewußt die Entsendung einer zivilen Waffenstillstandsdelegation, um vor der Öffentlichkeit die Politiker und nicht die OHL für den Waffenstillstand verantwortlich zu machen. Ludendorff betonte, dass sich der deutsche Rückzug an der Westfront noch insgesamt geordnet vollzog und die Entente noch nicht auf deutsches Gebiet vorgedrungen war. Er suchte damit die militärische Niederlage der Mittelmächte zu verschleiern. Erst nach wochenlangen Vorverhandlungen zwischen der Reichsregierung und US-Präsident Woodrow Wilson und der Verabschiedung der Oktoberreformen begann am 8. November 1918 eine zivile Waffenstillstandsdelegation unter der Führung von Matthias Erzberger die Verhandlungen mit dem alliierten Oberbefehlshaber Ferdinand Foch. Die Entente forderte die bedingungslose Annahme ihrer Waffenstillstandsbedingungen, welche den Deutschen ein Weiterkämpfen unmöglich machen sollten. Wesentliche Punkte der alliierten Bedingungen waren der komplette deutsche Rückzug aus den besetzten Gebieten im Westen innerhalb von 15 Tagen und die Besetzung der linksrheinischen Gebiete durch die Alliierten, im Osten forderte die Entente die Annullierung des Friedensschlusses von Brest-Litowsk. Verhandlungen über diese Bedingungen, deren Erfüllung einer offenen Kapitulation gleichkam, lehnte Foch ab. Erzberger bemühte sich um Rücksprache mit der Regierung in Berlin, erhielt jedoch nur Kontakt zu Hindenburg, der eine Annahme des Waffenstillstands, wenn nötig unter allen Bedingungen, forderte. Am 11. November 1918 unterzeichneten Erzberger und Foch in einem Eisenbahnwaggon im Wald von Compiègne den Waffenstillstand, der noch am selben Tag in Kraft trat.“

Die Waffenstillstandsbedingungen findet man hier:
http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/waffestillstand/index.html


Die Möglichkeiten einer Besetzung durch die Westalliierten zeigten sich übrigens ganz praktisch bei der Ruhrbesetzung 1923.
 
Zuletzt bearbeitet:
Klaus P. schrieb:
Die o.a. Beurteilung ist wohl nicht zutreffend. Die militärische Lage hätte dem Reich eine Weiterführung des Krieges kaum erlaubt, wenn die Reichsregierung eine Besetzung Deutschlands nicht in Kauf nehmen wollte.
Dass die militärische Lage dem Reich eine Weiterführung des Krieges erlaubt hätte, habe ich auch nie behauptet. Deine Quelle zu Hindenburg und Ludendorff war mir durchaus vorher bekannt, nur darum geht es hier gar nicht.

Meine Behauptung ist es, dass es den Alliierten 1918 eben nicht so einfach gelungen wäre, das Deutsche Reich zu einer bedingungslosen Kapitulation zu zwingen. U.a. deswegen wollten Hindenburg und Ludendorff diesen Waffenstillstand mit allen Mitteln, um wenigstens durch die Existenz der verbliebenen militärischen Kräfte schon der Entstehung einer solchen Idee auf Seiten der Alliierten vorzubeugen.
Von der relativen Aussichtslosigkeit der Erzwingung einer bedingungslosen Kapitulation wussten die Alliierten genauso, sonst hätten sie wohl weitergekämpft.


Klaus P. schrieb:
Die Möglichkeiten einer Besetzung durch die Westalliierten zeigten sich übrigens ganz praktisch bei der Ruhrbesetzung 1923.
Dieser Vergleich hinkt nicht nur, sondern ist schlichtweg Blödsinn. Vielleicht führst du dir einmal die Stärke des deutschen Heeres im Westen 1918 vor Augen und vergleichst diese mit der Reichswehr und ihrer Ausrüstung von 1923!
 
Kirlon schrieb:
...Meine Behauptung ist es, dass es den Alliierten 1918 eben nicht so einfach gelungen wäre, das Deutsche Reich zu einer bedingungslosen Kapitulation zu zwingen...

Der Vergleich mit 1923 passt tatsächlich nur bedingt, denn da standen den 100.000 - z.T. in Sowjetrussland ausgebildete - deutschen Berufssoldaten mit leichten Waffen (zunächst) die französische Armee und ein paar belgische Truppen gegenüber gestanden.

Deine Behauptung,..“ dass es den Alliierten 1918 eben nicht so einfach gelungen wäre, das Deutsche Reich zu einer bedingungslosen Kapitulation zu zwingen“, verstehe ich nicht. :grübel:
Wenn der Waffenstillstand von Deutschland ohne Bedingungen, also „bedingungslos“ anerkannt wurde bzw. werden musste und Deutschland selber bei den Friedensverhandlungen in Versailles nicht einmal direkt mit am Verhandlungstisch saß, dann bedeutet das doch, dass die Alliierten ihre Friedensbedingungen vollständig, ohne auf deutsche Bedingungen einzugehen bzw. eingehen zu müssen, durchgesetzt haben. Wozu und gegen wen hätten sie weiter kämpfen sollen?

Zitat DHM:„...Verhandlungen über diese [Waffenstillstands-]Bedingungen, deren Erfüllung einer offenen Kapitulation gleichkam, lehnte Foch ab.“
 
Entschuldige bitte, offensichtlich haben wir hier aneinander vorbei geredet. Natürlich kommt die Annahme der Waffenstillstandsbedingungen einer Kapitulation gleich, das ist vollkommen unbestritten.

Mir ging es in meinem Ursprungsbeitrag mehr um die Tatsache, dass einer Zerschlagung des Reiches (um diese Frage geht es in diesem Thread ja) eine bedingungslose Kapitulation und totale militärische Niederlage hätte vorausgehen müssen. Oder, um es umgekehrt zu formulieren: Weil es diese bedingungslose Niederlage des Reiches eben nicht gab, war den Alliierten eine Zerschlagung Deutschlands gar nicht möglich.

Hier ziehe ich den Vergleich zum Zweiten Weltkrieg: Eine Neuordnung Deutschlands nach diesem Waffengang war erst durch die bedingungslose Kapitulation gegeben; eine Situation, die eben am Ende des Ersten Weltkrieges nicht erreicht war, sondern deren Erreichung monate- oder jahrelange weitere Kämpfe erfordert hätte.
 
Kirlon schrieb:
Mir ging es in meinem Ursprungsbeitrag mehr um die Tatsache, dass einer Zerschlagung des Reiches (um diese Frage geht es in diesem Thread ja) eine bedingungslose Kapitulation und totale militärische Niederlage hätte vorausgehen müssen. Oder, um es umgekehrt zu formulieren: Weil es diese bedingungslose Niederlage des Reiches eben nicht gab, war den Alliierten eine Zerschlagung Deutschlands gar nicht möglich.


Um den Versailler Vertragsbedingungen überhaupt wirksam werden zu lassen bedurfte es doch erst einmal einer legitimierten deutschen Regierung,bzw. deren Verhandlungsdelegation. Wollten sich speziell die Franzosen ihr wichtigstes Kriegsziel völkerrechtlich sichern ,nämlich die Restitution von Elsaß-Lothringen, mußte es auch in ihrem Interesse gewesen sein, dieses Ziel über den Vertragsweg zu sichern. Ein wie immer zerschlagenes dt.Teil-Reich wäre von vornherein ein
fragwürdiger Verhandlungspartner gewesen .
Denkt man an die "Libertäten" der dt Länder nach dem 30-jährigen Krieg als mögliches Staatsmodell nach dem 1.WK nach, so müßte dies besonders wieder für Frankreich aus der Sicht von 1918 eine alptraumhafte Vorstellung sein : ein möglicherweise bolschewistischer
dt. Teilbund als Nachbar zu den von Frankreich besetzten Rheinprovinzen.

Die wie auch immer geartete Möglichkeit einer Zerschlagung des dt Reiches gibt für mich u.a.
aus diesen Gründen keinen Sinn seitens der Sieger -Allianz.
 
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