Drittes Reich und "Funktionselite"

Zur Struktur:

Chef der Amstgruppe Wehrwirtschafts und Rüstungssamt (WiRü): General der Infanterie Georg Thomas (01/09/39-17/11/42).
Chef des WStabs: General der Infanterie Georg Thomas (01/09/39-17/11/42).
Wehrwirtschaftliche Abteilung - darunter 5 Gruppen und 16 Referate
Rüstungswirtschaftliche Abteilung - 5 Gruppen, 4 Referate
Rohstoffabteilung - 5 Gruppen, 4 Referate
Abteilung Vertrags-und Preisprüfwesen. 7 Gruppen, 56 Referate

Dazu diverse Wehrwirtschaftsstäbe, Wirtschaftsinspektoren, Abteilungen in den Wehrkreisen etc. Allein WiRüAmt ca. 30.000 Personen
(Europa am Abgrund - 1938, Marian Zgorniak).



Oberregierungsrat: wohl kaum Abteilungsleiter WiRüAmt?
These: ein kleines Rad im Getriebe einer monströsen Organisation.

Anfrage hier?
http://209.85.129.104/search?q=cach...haftliche+Abteilung"&hl=de&ct=clnk&cd=1&gl=de
 
andererseits, ein Beispiel:

"Peter Graf Yorck von Wartenburg (1904-1944), am 7./8. August 1944 vor dem Volksgerichtshof.
Dr. jur.; nach dem Studium zunächst Tätigkeit in einer Berliner Anwaltskanzlei; 1931-33 beim Kommissar für Osthilfe tätig; 1935 Regierungsrat beim schlesischen Oberpräsidium in Breslau; ab 1937 in Berlin als Leiter des Referates für Grundsatzfragen beim Reichskommissar für die Preisbildung, zuletzt als Oberregierungsrat; seit 1942 beim Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt im Oberkommando der Wehrmacht tätig."
 
Allein WiRüAmt ca. 30.000 Personen
(Europa am Abgrund - 1938, Marian Zgorniak).


Hier wäre mal interessant, wie sich diese Zahl zusammensetzt. Sind da auch die zahlreichen "Wehrwirtschaftsführer" eingeschlossen?

Das waren höchstens zufällig politisch aktive Leute, sondern hohe Mitarbeiter und Inhaber von Industriebetrieben, die durch die Ernennung in die Hierarchien von Wehrmacht und Staat eingefügt wurden um sie unter Kontrolle zu haben. Kenne ich von meinem Großvater, den die Funktion zumindest vor der Front gerettet hat...
 
Zwischenstand:

bei den inländischen Gruppen-/Abteilungsleitern, soweit im Thomas aufgeführt, war er nicht dabei (obwohl sich da einige ORR/RR finden, er müßte also Referatsleiter, Gruppen- oder Abteilungsleiter gewesen sein).

Ich würde jetzt mehr auf eine Abteilung im Ausland tippen, wenn er wirklich (bei der kämpfenden Truppe ist nichts zu finden) vom Wirtschaftsministerium in WiRüAmt/OKW mit Kriegsausbruch gewechselt ist. Ansonsten gäbe es noch die diversen Rüstungs-Inspektionen im Reich.

Da sein Vater Polizeipräsident im Elsaß war, käme Frankreich in Frage:
WiRüStab Frankreich, ZentrAuftSt Frankreich, RüIn A,B,C oder diverse Außenstellen (9). Aber natürlich auch diverse andere Stellen. Es ist uferlos. :confused:
 
Erstmal vielen Dank für die Mühe!

Da sein Vater Polizeipräsident im Elsaß war, käme Frankreich in Frage ... Es ist uferlos. :confused:
Vater Wilhelm war seit 1901 Kreisdirektor in Erstein und wurde 1912 nobiliert, nachdem er Polizeipräsident geworden war. Er kann eigentlich nicht mehr sehr jung gewesen sein, als X. geboren wurde, und wahrscheinlich war er in den 30er Jahren bereits pensioniert oder sogar gestorben. (Es lebt niemand mehr von der Familie hier, den/die man fragen könnte.)

In Saarländische Biografien ist vermerkt, dass X. 1950 als Oberverwaltungsgerichtsrat in die Landesverwaltung eintrat. Das heißt, dass er bis dato nur maßvoll Karriere gemacht hatte, denn sonst wäre er höherwertig eingestellt worden. (An die Personalakte komme ich nicht heran.:hmpf:)

Ich denke, das wär's insoweit.
 
Ich möchte den "Fall" noch um ein paar Bemerkungen zu meinem Landsmann Y. ergänzen, der es politisch noch etwas weiter gebracht hat als X.

Y. - der Klarname tut hier auch nichts zur Sache! - studierte in Münster, trat ebenfalls 1933 in die NSDAP ein, auch noch in zwei Unterorganisationen, und war 1937-1944 Lehrer an der Deutschen Schule in Den Haag.

Ob seine Parteimitgliedschaft Voraussetzung war, um in den Auslandsschuldienst zu kommen (und später nicht zur Wehrmacht einberufen zu werden), weiß ich nicht verbindlich. Jedenfalls ist über seine Zeit dort nur bekannt, dass er ein beliebter Lehrer war. In einer 300-seitigen Gedächtnisschrift (1984) heisst es über die Zeit nach "dem empörenden Überfall auf die neutralen Niederlande": "In der Aula stand bei 'Feierstunden' zu den sich häufenden nationalen Anlässen eine Bronze-Büste Hitlers auf der Bühne, über die Y.s abfällige Bemerkungen nicht zu überhören waren."

Nach baden-württembergischen Maßstäben würde dieses Verhalten sicher reichen, um Y. zum inneren Kern des Widerstands zu rechnen. Er selbst hat mit diesen oder ähnlichen Szenen nicht renommiert, freilich auch - wie X. - bis zu seinem Lebensende die NSDAP-Mitgliedschaft nicht eingestanden, obwohl danach - so die Festschrift - bei einigen Gelegenheiten gefragt worden ist, sogar aus der eigenen Partei.

Auch hier die gleichen Erwägungen wie in #10, sozusagen als Überleitung zu einer neuen Fragestellung (demnächst in diesem Forum :)).
 
Bei diese Diskussion fällt mir dieser eine NS-Apparatschik ein der sich seine Sporen mit der Verwaltung der Kriegsbeute aus der Tschecheslowakei verdiente und auch nach dem Krieg wurde er in Deutschland eine grosse Nummer. Es ist immer noch ein "Veranstaltungzentrum" in Stuttgart nach ihm benannt. Leider wurde er nach seinem Tod eine heilige Kuh.
 
Was ist eigentlich der Hintergrund der allgemeinen Geheimniskrämerei hier? Ich finde, man könnte durchaus auch Klarnamen verwenden. Bevor ich jetzt allerdings zu einem Outing der betreffenden Personen schreite, möchte ich euch Gelegenheit geben, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Mir fallen als mögliche Gründe nur ein:

- Das Ansehen der Personen soll geschützt werden (abwegig)
- Tagespolitik soll aus der Diskussion herausgehalten werden (ebenfalls abwegig: Die Bedeutung der Personen für die Tagespolitik ist eher marginal und sollte eine geschichtswissenschaftliche Diskussion, die wir ja zu führen in der Lage sind,
nicht beeinträchtigen)
- Die Fälle sollen sozusagen "idealtypisch" betrachtet werden. Allerdings: Enthält man dann nicht eventuell möglichen Mitdiskutanten wichtige Informationen vor?
 
Bei diese Diskussion fällt mir dieser eine NS-Apparatschik ein der sich seine Sporen mit der Verwaltung der Kriegsbeute aus der Tschecheslowakei verdiente und auch nach dem Krieg wurde er in Deutschland eine grosse Nummer. Es ist immer noch ein "Veranstaltungzentrum" in Stuttgart nach ihm benannt. Leider wurde er nach seinem Tod eine heilige Kuh.

Ja, ich kenne ihn. Gleichwohl tut es mir leid, wie er gestorben ist.

Ich bin darauf hingewiesen worden, dass es ratsam wäre, den Begriff der "Funktionselite" kurz abzuklären.
Alf Lüdtke hat ihn so definiert: "jene mittleren Gruppen von Fachleuten, die unterhalb der Führungszirkel und -kräfte dazu beitrugen, dass die NS-Herrschaft relative Stabilität erreichte" (Funktionselite: Täter, Mit-Täter, Opfer? In: Herrschaft als soziale Praxis, 1991, S. 559-590 [582]); dazu zählen Beamte, Juristen, Ärzte, Lehrer ebenso wie Unternehmer und Ingenieure. - Ich denke, das reicht für unsere Zwecke.
 
Die Fälle sollen sozusagen "idealtypisch" betrachtet werden.

Genau das ist mein Punkt! Gerade weil man relativ wenig über die "12 Jahre" im Leben der beiden weiß, finde ich die Fälle so typisch. Wenn ich im Diskussionsverlauf etwas finde, teile ich es mit - bis jetzt profitiere ich von anderen.:)
 
Ich habe zwei Mitglieder der Funktionselite vorgestellt, Voll-Akademiker, einen Juristen und einen Lehrer. Beide sind 1933 der NSDAP beigetreten, beide haben diese Tatsache während ihres gesamten (politischen) Lebens wenn nicht vertuscht, so doch nirgendwo erwähnt - aus welchen Gründen auch immer. Sie stehen stellvertretend für einige zehntausend Deutsche, die von der Kontrollrats-Direktive Nr. 24 "Entfernung von Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen" vom 12.01.1946 direkt betroffen waren; die Partei selbst wurde ja in Nürnberg zur "verbrecherischen Organisation" erklärt.

Ich würde gern die Frage erörtern, wie denn beider Rolle im Dritten Reich zu bewerten ist, und zwar durchaus auf der Grundlage des Wenigen, was von ihnen über das Wirken zwischen 1933 und 1945 bekannt ist. Zu diesem Zwecke ziehe ich zunächst das Bewertungsraster heran, welches seinerzeit von den Siegermächten entwickelt wurde, nämlich die Kontrollrats-Direktive Nr. 38 "Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen" vom 12.10.1946 (Direktive Nr. 38 des Kontrollrats in Deutschland (1946)).

In Abschnitt II Artikel I bis VI dieser Direktive werden die besiegten Deutschen in folgende Gruppen eingeteilt:
1. Hauptschuldige;
2. Belastete (Aktivisten, Militaristen und Nutznießer);
3. Minderbelastete (Bewährungsgruppe);
4. Mitläufer;
5. Entlastete (Personen der vorstehenden Gruppen, welche vor einer Spruchkammer nachweisen können, daß sie nicht schuldig sind).

Was darunter zu verstehen ist, wird in den entsprechenden Artikeln relativ ausführlich erläutert. So wird beispielsweise der "Mitläufer" in Artikel V definiert als jemand, der "nur als nomineller Parteigänger an der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft teilgenommen oder sie unterstützt hat", insbesondere
1. Wer als Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen - ausgenommen HJ und BDM - lediglich Mitgliedsbeiträge bezahlt, an Versammlungen, deren Besuch obligatorisch. war, teilgenommen oder unbedeutende oder laufende Obliegenheiten, wie sie allen Mitgliedern vorgeschrieben waren, wahrgenommen hat;
2. [...];
3. Wer [...] als früherer Angehöriger der Wehrmacht auf Grund seiner Fähigkeiten die Ziele der Alliierten gefährden könnte.

Man kann unterstellen, dass bei einer NSDAP-Mitgliederzahl von 8,5 Millionen (1945) die Gruppe der Mitläufer die umfangreichste gewesen ist. Aber natürlich sind die Kategorien nicht trennscharf: "Unsicher" Bewertete kamen in die Gruppe 3 mit der Auflage, sich zu "bewähren"; wer "ausschließlich auf Grund seiner Zugehörigkeit zur NSDAP ein Amt oder eine Stellung erhalten hat oder bevorzugt befördert worden ist", galt als "Nutznießer" und gehörte zur belasteten Gruppe 2.

Meine erste These ist, dass man als Angehöriger der Funktionselite prinzipiell eine höhere Einsicht in das Verbrecherische des Systems gehabt haben müßte und eigentlich gar nicht als Mitläufer durchgehen durfte.
 
Meine erste These ist, dass man als Angehöriger der Funktionselite prinzipiell eine höhere Einsicht in das Verbrecherische des Systems gehabt haben müßte und eigentlich gar nicht als Mitläufer durchgehen durfte.

Dem würde ich zustimmen, der Überblick im Einzelfall dürfte aber von weit bis schmal gehen.

Ein krasses Beispiel, das RMfdbO unter Rosenberg:
1600 Mitarbeiter in der Zentralbehörde, dazu 30.000 im Führungskorps "Ost",

Zahlen für die Zentrale:
285 im mittleren, gehobenen und höheren Dienst,
davon 9 Abteilungsleiter, 33 Gruppenleiter, 66 Referenten, 23 Oberkriegsverwaltungsräte, 28 Kriegsverwaltungsräte, 20 ORR, 20 RR, 6 MD, 4 MinDirig, 14 MR, 58 sonstige
darunter 131 promoviert, 5 habilitiert.

Zellhuber, "Unsere Verwaltung treibt einer Katastrophe zu" - Das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete und die deutsche Besatzungsherrschaft in der SU 1941-1945, 2006.
 
Zwei andere Beispiele
(aus Naasner, SS-Wirtschaft und SS-Verwaltung, zB S. 246):

die Wirtschaftsprüfer Hohberg, H. und R. Karoli.

Hohberg:
http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/dokument.html?id=45522525&top=SPIEGEL
http://www.mazal.org/archive/nmt/05/NMT05-T0198d.htm

Hermann Karoli: DWB, Leitung Interne Konzernrevision (später u.a. Aufsichtsrat BMW)
Richard Karoli: Wirtschaftsprüfung unterstellte Betriebe

Schreiben des "faktischen Chefs" des Stabes W des SS-WVHA für die Deutsche Ausrüstungswerke GmbH an das Finanzamt Börse-Berlin vom 5.5.1943, Antrag auf Erteilung eines korrigierten Gesellschaftsteuerbescheides /Naasner, S. 293:

"Zu den Angelegenheiten der Verwaltung gehört u.a. auch die aufsicht über alle wirtschaftlichen Unternehmungen der Schutzstaffel. Die Aufsicht über die DAW GmbH, in der Häftlinge - vornehmlich in Holzbetrieben - beschäftigt werden, führt das Amt W IV des SS-WVHA. Wa beaufsichtigt die in den Betrieben arbeitenden Häftlinge und leistet damit eine Reichsaufgabe. Es verwaltet die Betriebe und leistet damit eine Parteiaufgabe. ...i. A. Hohberg."
 
@ jschmidt:

ich habe den fraglichen Herrn 1936/37 im Reichswirtschaftsministerium mit einiger Wahrscheinlichkeit als Referatsleiter IX in der Wirtschaftsgruppe gewerbliche Wirtschaft , IX: Rohstoffstoffbewirtschaftung und-beschaffung, identifiziert.

Demnach müßte mit Mobilmachung die Übernahme in Amtsgruppe Wehrwirtschafts und Rüstungsamt (WiRü) erfolgt sein, dort vermutlich wiederum Referatsleiter, Zuordnung also Wehrmacht.

Ggf. bitte einmal melden.
 
@ jschmidt:
Ggf. bitte einmal melden.

Mach' ich hiermit - bin ebenso dankbar (für die Mühe) wie neidisch (auf die Recherchekunst)!

Ich hatte sowieso nicht vor, den Faden hier gänzlich fallen zu lassen. Das Schicksal der Person, um die es geht, ist ja hinreichend beschrieben: ein durchschnittlicher deutscher Akademiker, Mitglied der Funktionselite, dessen "Verstrickungsgrad" auf der 1945er Skala der Sieger zwischen entweder bei 3 (Minderbelasteter) oder 4 (Mitläufer) lag.

Eine der beiden Kernfragen, die ich in diesem Strang ansprechen wollte, ist diese: Wie tief konnte dieser Soziotyp in die Taten des NS-Regimes, egal an welchem Platze, "verstrickt" sein, ohne seine Karriere im politischen Leben Nachkriegsdeutschlands - bis hin zum Minister! - zu gefährden?

Ich möchte das anhand von BARS (behaviorally anchored rating skales; die Skala ist am linken Rand angedeutet) veranschaulichen:

|-9 Wer persönlich einen Mord begangen hat, kann nicht Minister werden.
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|-8
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|-7
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|-6
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|-5
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|-4
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|-3
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|-2 Wer einen Kommentar zu den Nürnberger Gesetzen schrieb, kann Staatssekretär werden (Hans Globke).
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|-1 Wer Berater einer Organisation war, die Massenmorde begangen hat, kann Minister werden (Theodor Oberländer).

Hat jemand Beispiele für andere Skalenwerte? Auf welche Frage es hinausläuft, ist hoffentlich deutlich: Ab welchem Punkt ist die Schuld so groß, dass die Ministerkarriere, d. h. die spätere Rehabilitation, ausgeschlossen ist? Oder umgekehrt und allgemeiner: Kann ein historisches Subjekt eine vorwerfbare Schuld durch "anerkannt wertvolle Handlungen" ausgleichen oder sogar vergessen machen?

(Obskure Fragestellung? Vielleicht, aber man muss ja nicht mitmachen.:winke:)
 
Super Idee, und erlaubt, das Thema trennscharf anzupacken!

Ein Gedanke dazu: hier ist die Informationslage entscheidend; gerade in den unteren Skalenbereichen verwischt die schwer zu ermittelnde, zB in den 50ern gegebene Information die Einordnung.

Von oben, ein Vorschlag:
8 Mitwirkung an Morden bzw. Kriegsverbrechen; vorhandene Befehlskompetenz oder unmittelbare Verstrickung in der Verwaltung
 
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