drohende sowjetische Intervention in Polen...

S

stechus kaktus

Gast
Kann mir einer etwas mehr darüber sagen wie es damals mit der drohenden sowjetischen Intervention in Polen aussah, bevor Staatschef Jaruzelski ein Kriegszustand verhängte... ?
Die Operation hieß wohl Schneesturm (russisch buran?), es wurden auch genug polnische Uniformen in der DDR , CSR etc. bereitgestellt um entsprechend rein zugehen ... Es gab auch eine Drohgebärde und zwar diese große Übung des Warschauer Paktes vor Polen - besseres Timing und Symbolik gibt es wohl nicht ;)
Es wurde auch die eher massive russische Militärpräsenz in Polen verstärkt etc.
Gorbatschow gab mal viel später ein Interview im Zusammenhang mit der Klage gegen J. wegen der Verhängung des Kriegszustands und verteidigte da so einiges und sagte dass J. das mit minimalsten Schäden national löste, aber das ist ja alles nicht so zusammenhängend beschrieben.

Sind alles nette Puzzleteile sie man sich so rauskriegt, aber gibt es nicht so eine anständige Zusammenfassung im www, ggf. ein gutes Buch ?
 
Kann mir einer etwas mehr darüber sagen wie es damals mit der drohenden sowjetischen Intervention in Polen aussah, bevor Staatschef Jaruzelski ein Kriegszustand verhängte... ?

Die Interventionsbedrohung durch die Sowjets scheint Jaruzelski wohl nur als Vorwand für die Ausrufung des Kriegsrechts benutzt zu haben. Der nachstehende Artikel erscheint mir in dieser Hinsicht glaubwürdig:

Am 13. Dezember 1981 rief General Jaruzelski das Kriegsrecht aus. Jaruzelski rechtfertigte diesen Schritt mit der katastrophalen wirtschaftlichen Lage und angeblichen Umsturzplänen der Gewerkschaft Solidarnosc ...

In der Tat spricht vieles für Davies These. Zu einem war Jaruzelski laut polnischer Verfassung gar nicht zu solch einem Schritt ermächtigt, zum anderen wurde die Gefahr eines drohenden sowjetischen Einmarsches Ende 1981 hochgespielt. In seinen Erinnerungen schreibt Jaruzelski , dass Ende November/Anfang Dezember die unmittelbare Gefahr bestand, dass der Warschauer Pakt militärisch eingreife. Er suggeriert also, dass unter dem Vorwand von Manövern erhebliche Kräfte in Polen einmarschiert wären. Fest steht, dass bis dato kein offizielles Dokument in russischen Aktenbeständen aufgetaucht ist, in dem von einer militärischen Intervention die Rede ist.

Das Argument der Interventionsdrohung hingegen benutzte das kommunistische Regime seit dem Frühjahr 1981, u. a. während der Verhandlungen mit der Solidarność nach den Vorfällen in Bydgoszcz. Den taktischen Charakter dieses Arguments formulierte ganz offen der damalige polnische Innenminister General Kiszczak. In einer Notiz unmittelbar vor der Einführung des Kriegszustandes ist zu lesen: "Das Schreckgespenst der Intervention benutzen, die Truppenkonzentrationen an der Grenze, dass jetzt nicht mehr nur sowjetische, sondern auch tschechische, deutsche Truppen einmarschieren können und dass es keinen Ausweg mehr gibt." Und noch eine andere Tatsache lässt an dem Argument des geringeren Übels Zweifel aufkommen. Bei den Vorbereitungen zum Militärputsch, die sich über ganzes ein Jahr hinzogen, bekamen polnische Militärs maßgebliche Hilfe von sowjetischer Seite, wie es u.a. der polnische Historiker Andrzej Paczkowski in seinem jüngst erschienen Buch "Wojna polsko-juruzelska" aufzeigt.
Deutsch-Polnischer Kalender
 
In gewisser Weise haben die polnischen Generäle mit dem Kriegsrecht mehr Todesopfer unter den Polen verhindert. So blieben es 11 Tote + Kaplan Popieluszko 1984.
Nicht auszudenken, die Sowjets hätten 1981 erneut Polen überfallen. Sie hätten Afghanistan auch an ihrer Westgrenze gehabt.

Es ist wie schon 1968 zu CSSR eine Mär, dass NVA-Soldaten für eine Intervention in Polen 1981 bereitstanden. In beiden Ländern CSSR und DDR wurden polnische Uniformen genäht, damit die sowjetischen Soldaten im Ernstfall eingekleidet werden konnten.
Als Panzer aus der DDR 1968 in die CSSR reinfuhren, waren es sowjetische Soldaten. Der Einmarsch nach Prag erfolgte nicht über das entfernte Moskau oder entferntere Sibirien sondern weitestgehend über die DDR und Polen mit sowjetischen Soldaten. Als also Panzer die Grenze von der DDR zur CSSR passierten, glaubten einige Tschechen, die Deutschen wären einmarschiert.
 
Das mit den polnischen Uniformen ist mir neu. Und was soll das für einen Sinn gehabt haben? Zwar wußten die Russen natürlich, daß die Polen sie kaum mit offenen Armen empfangen würden, aber wie soll man sich ein Szenario vorstellen, bei dem sie sich polnische Uniformen anziehen? Daß es aussehen sollte, es hätte es nie eine sowjetische Invasion gegeben, sondern das polnische Militär selbständig "die Ordnung wiederhergestellt" hat? So, wie es nach allgemeiner Auffassung ja war? Aber Jaruzelski war nicht etwa ein sowjetisches Double? Obwohl die Sonnenbrille schon mißtrauisch machen sollte...
 
Es ist wie schon 1968 zu CSSR eine Mär, dass NVA-Soldaten für eine Intervention in Polen 1981 bereitstanden. In beiden Ländern CSSR und DDR wurden polnische Uniformen genäht, damit die sowjetischen Soldaten im Ernstfall eingekleidet werden konnten...
Oh, das wage ich zu bezweifeln, denn es gab zumindest gewisse Anzeichen dafür, daß sich auch die DDR auf einen Einmarsch in Polen vorbereitete.
Siehe hier: http://www.geschichtsforum.de/354893-post36.html
 
Ob es eine umfassende und ausgewogene Darstellung der Jahre 1980/81 für Polen gibt weiß ich nicht, ich glaube, man muß wohl puzzeln.
Aus meiner eigenen Erinnerung kann ich nur sagen, daß es wenigstens in Bezug auf die Bereitschaft der DDR zur Beteiligung an einer eventuellen Invasion keinerlei Grund zum Zweifel gibt. Unübersehbar bereitete sie sich psychologisch wie - im Rahmen ihrer Möglichkeiten - militärisch darauf vor.
Ich weiß auch noch aus eigener Erinnerung, daß viele Polen schon im August 1980, also in der Frühphase des Streiks, Angst vor einer möglichen sowjetischen Invasion hatten.
An der prinzipiellen Bereitschaft der Sowjetunion zur Intervention kann man wohl auch kaum zweifeln, noch weniger freilich an dem Fakt, daß sie es schließlich nicht tat. Vielleicht hat Jaruzelski die unmittelbare Bedrohung übertrieben, aber prinzipiell teile ich Hurvineks Einschätzung zu diesem Punkt. Angesichts der Gefahren relativiert sich die Periode des Kriegsrechts zu einer Episode. Schon nach wenigen Jahren setzte sich die Entwicklung in der mit dem großen Streik von 1980 begonnenen Richtung fort. Viel leichter hätte Polen das kaum erreichen können.
 
Schon Ende der 1990er Jahre waren im Rahmen des Cold War International History Project wissenschaftlich haltbare Belege veröffentlicht worden, die zeigten, dass der polnische General Jaruzelski auf sowjetische Militärhilfe drängte, diese aber nicht erhielt und daher nur mit eigenen Militärkräften das Kriegsrecht im Dezember 1981 in Polen durchsetzen konnte.

Zwischen Sommer, Herbst bis Dezember 1980 gab in der sowjetischen Führung eine abnehmende Bereitschaft zur militärischen Intervention in Polen; bei einem Treffen der Generalsekretäre der Staatsparteien im Warschauer Pakt mit der sowjetischen Führung Anfang Dezember 1980 beschloss diese, vorerst nicht militärisch in Polen einzugreifen.

Im Laufe der folgenden Monate bis zum Frühsommer '81 entwickelte sich die Haltung der Breschnew-Administration immer deutlicher zur Position, von einer militärischen Intervention in Polen auf jeden Fall abzusehen und die Bewältigung der innenpolitischen Auseinandersetzungen um und mit der Gewerkschaftsbewegung Solidarnoc alleine der polnischen Regierung, dem polnischen Militär zu überlassen.
 
Ein paar Gedanken dazu von mir.

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Ist ja schon ein Weilchen her als Wojciech Witold Jaruzelski das Kriegsrecht in Polen verhängte.
Mit 33 Jahre wurde er General.
Er trug ja immer eine Sonnenbrille. Diese brauchte er weil er zu den Zeiten Stalins in Sibirien Zwangsarbeiter war. Er hatte in den sibirischen Wäldern als Holzfäller eine Schneeblindheit bekommen, dadurch war seine Hornhaut dauerhaft geschädigt worden. 1943 wurde er Mitglied der „Berling-Armee“ in der UdSSR
Nach Ende des Krieges ein Ziehkind des Marschalls der UdSSR und polnischen Verteidigungsminister Konstantin Konstantinowitsch Rokossowski.
Rokossowski der Befehlshaber der Donfront der maßgeblich die Einkesselung der 6. Armee unter Generalfeldmarschall Paulus befehligte.
Aber genug der Generäle. Ich persönlich bin ein Typ, der gern wissen möchte mit wem man es zu tun hat.

***​

Im meinem Arbeitsumfeld und in den Massenmedien, ich nenne hier mal das „ND“ und den „horizont“, spielten ja die Ereignisse in Polen eine nicht gerade kleine Rolle.
Und dann meinten wir:
Die NVA kam wegen den II. WK nicht infrage, dies war uns bekannt.
Mit Gustavs Husak Armee war wegen den Ereignissen zum August 1968 auch nicht zurechnen.
Die Bulgaren waren zu weit weg.
Die Rumänen hätten Breschnew einen Vogel gezeigt, die waren zu dieser Zeit schon auf den Chinatrip.
Und Ungarn hätte entweder durch die Ukraine oder Tschechland gemusst. Und so wie ich mich erinnere war davon János Kádár, sicher auch in Erinnerung des Volksaufstandes 1956, gar nicht begeistert. Von Ungarn war auch bei uns damals nie die Rede.

Und dann...

1. Die Streikwelle 1980 In Polen. So ab 14.08 bis Ende August jeden Tag. Es war in Polen eine Situation entstanden wo die PVAP unter Führung von Jaruzelski nicht mehr wusste wie jetzt weiter gehen soll.

2. Der polnische Papst war im Juni 1979 zum ersten Male wieder in seiner Heimat als Papst Johannes Paul II. Man spricht von rund 10 Millionen begeisterten Menschen die ihm zu jubelten. Polen hatte damals rund 35 Millionen Einwohner. Die Bilder von Czenstochau im Fernsehen sehe ich noch heute vor mir. Er traf sich, wenn ich mich recht erinnere, auch mit Wojciech Witold und auch mit den Gewerkschaftsführern der Danziger Werft, der Solidarność.

Warum die Rote Armee nicht marschierte war uns eigentlich klar:

1. Man war mit Afghanistan beschäftigt und da lief es auch nicht nach den Vorstellungen der KPdSU. Der Einmarsch war ja am 25.12.1979.
2. Man war belastet mit den Einmarsch der Roten Armee im September 1939 in Polen.
3. Man wusste ja da auch von dem Massaker in Katyn. Wir übers Westfernsehen.
4. Der Heilige Stuhl in Rom war auch nicht zu unterschätzen.
5. Die KSZE Akte hatte man im August 1975 unterschrieben.
6. Breschnew sah dann den endgültigen Schluss mit der Olympiade in Moskau. Boykottdrohungen gabs ja wegen Afghanistan schon zur Genüge.
7. Mit den Rest des Warenaustausches UdSSR – DDR hätte es, trotzt Mukran – Klaipėda/Litauen (Klaipėda = Memel) noch größere Schwierigkeiten gegeben. Der Fährhafen Mukran/Saßnitz/Insel Rügen/DDR war ja explizit wegen den unsicheren Transporten durch Polen gebaut worden. Da war ja damals vielzuhören (Verzögerungen, Warendiebstahl usw.).
8. Und sicher hatten die Russen noch weitere Gründe.

Jedenfalls, wenn man sich zum Einmarsch entschlossen hätte, wäre dies eine Angelegenheit einzig und allein der „Roten Armee“ geworden die schon mal 1939 in Ostpolen einmarschiert war.
 

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Und der polnische Papst Johannes Paul II....im Juni '79 in Polen...plastisch erzählt, ich sehe wieder alles vor mir.
Hervoragende Ergänzung, mein Respekt. Deine Zeilen schildern eben in geschichtlich & politisch wertvollen Details die damalige Situation, die vielschichtige Realität. Des Generals junge Jahre...die orthodoxe Madonna soll an die Schwarze Madonna erinnern? Schönes Bildnis.
 
Und der polnische Papst Johannes Paul II....im Juni '79 in Polen...plastisch erzählt, ich sehe wieder alles vor mir.
Hervoragende Ergänzung, mein Respekt. Deine Zeilen schildern eben in geschichtlich & politisch wertvollen Details die damalige Situation, die vielschichtige Realität. Des Generals junge Jahre...die orthodoxe Madonna soll an die Schwarze Madonna erinnern? Schönes Bildnis.


Erinnern ist gut.

Das ist die Schwarze Madonna.

Dieses Foto ist das Original. Habe ich am 27.03.2010 in Czenstochau fotografiert.
 
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