Edgar Feuchtwanger über seinen Onkel Lion

El Quijote

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Ich denke mal, auch denen, die nie ein Buch von Lion Feuchtwanger gelesen haben, ist dieser ein Begriff. Sein Neffe ist der Historiker Edgar Feuchtwanger, der 2013 das Buch Hitler, moin voisin. Souvenirs de un infant juif vorlegte (seit 2014 unter Als Hitler unser Nachbar war. Erinnerungen an meine Kindheit im Nationalsozialismus erhältlich).

In diesem Buch tritt der Historiker Edgar Feuchtwanger als Zeitzeuge Edgar Feuchtwanger auf und wir alle wissen, dass Zeitzeugen unzuverlässige Quellen sind (also prinzipiell kann jede Quelle unzuverlässig sein, das steht außer Frage, wenn ich schreibe, dass Zeitzeugen unzuverlässige Quellen sind, meine ich damit aber etwas anderes: Der Zeitzeuge vermischt die Erinnerung mit späterem, auch angelesenen Wissen).

Nun behauptet Edgar, der sein Buch 1929, als er selbst fünf ist, beginnen lässt (und er schildert zu diese Zeitpunkt aus der Sicht des Fünfjährigen), folgendes:

Ich lausche, was die Erwachsenen sagen. Sie sprechen von Onkel Lion und von Adolf Hitler. Onkel Lion denkt, Hitler werde eines Tages der Chef sein und an diesem Tag alle Juden töten. Ich weiß nicht, wer Hitler ist. (S. 11)
Gibt es irgendwelche Quellen dazu, dass L. Feuchtwanger um 1929 tatsächlich eine solche Position vertrat?
 
Ich habe eine ganze Reihe Romane von Lion Feuchtwanger.

Lion Feuchtwanger war ja in der DDR hoch im Kurs.

Darunter habe ich auch den Roman: „Erfolg“. Mit dem Untertitel "Drei Jahre Geschichte einer Provinz" (5 Bücher in einem Band).

Erfolg“ Band 10, Herausgeber Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 2. Auflage.
Ich nehme an dieser Roman ist Dir bekannt.
Die Romanfigur Rupert Kutzners ist ja da A. Hitler (2. Teil des Romans) sehr ähnlich.

Also ausgeschlossen halte ich die Bemerkung von den Neffen Edgar nicht.

Feuchtwanger war ja ab 1932 (Alter 48. Jahre) zu Vorträgen in London und in den USA unterwegs. Er kehrte allerdings nach der Machtergreifung im Januar 1933 nicht wieder nach Deutschland zurück.

Der Neffe von Lion Feuchtwanger wohnte ja damals bei seinen Eltern in München, Grillparzerstraße Nr. 38, (Stadtteil Bogenghausen).
Schräg gegenüber wohnte zu dieser Zeit der kleingewachsene, schnurrbärtige Mensch, am Münchner Prinzregentenplatz Nr. 16.

Adolf Hitler, so die Aussage von Edgar, konnte bei offener Gardine in das Arbeitszimmer von seinem Vater schauen.

Recht interessant finde ich dazu den Artikel in „Jüdische Allgemeine“ vom 17.06.2014 „Tür an Tür mit Hitler“:

https://www.juedische-allgemeine.de/unsere-woche/tuer-an-tuer-mit-hitler/
 
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Ich habe eine ganze Reihe Romane von Lion Feuchtwanger.

Lion Feuchtwanger war ja in der DDR hoch im Kurs.

Darunter habe ich auch den Roman „Erfolg“ (5 Bücher in einem Band).

Erfolg“ Band 10, Herausgeber Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 2. Auflage.
Ich nehme an dieser Roman ist Dir bekannt.

Erfolg ist zugegebenermaßen sogar der einzige Roman von Feuchtwanger, den ich bisher gelesen habe und das ist schon 21 Jahre her (ich hielt damals ein eher schlechtes Referat über die Neue Sachlichkeit in einem Proseminar über die Romanliteratur in der Weimarer Republik). Das Buch hat mir gut gefallen und ich habe mir damals vorgenommen, dass ich weitere Bücher von Feuchtwanger lesen würde - dabei ist es bis heute leider geblieben. Nicht einmal die Jüdin von Toledo habe ich bisher geschafft.
Aus Erfolg wird in dem Buch dann auch zitiert - und hier wird es für den Historiker dann schwierig: Edgar Feuchtwanger berichtet, wie er unter dem Tisch saß und zugehört hat, wie sein Onkel seinem Vater aus dem Manuskript des noch unveröffentlichten Erfolg vorlas, sein Vater bei einer Passage über Rupert Kutzner (bei Brecht a.k.a Arturo Ui) Bedenken anmeldet: "du schlägst kräftig zu".
Ich will nicht behaupten, dass die Szene so nicht gewesen sei. Jedoch glaube ich, dass hier der altgewordene Historiker, Verlegersohn und Schriftstellerstellerneffe nicht wirklich erinnert (er müsste ja politisch brisante Unterhaltungen und durchaus ein Stück weit verschlüsselte Literatur bereits als Fünfjähriger verstanden haben), sondern - durchaus nach bestem Wissen und Gewissen - eine Szene rekonstruiert, wie er glaubt, dass sie gewesen ist. Also, dass das Erzählte zwar wahr ist aber eben eher auf der Metaebene, als tatsächlich. Also ich glaube, dass er tatsächlich Zeuge politischer Diskussionen der Brüder Feuchtwanger wurde und ich glaube, dass er tatsächlich Zeuge wurde, wie sein Onkel seinem Vater Passagen aus dem Manuskript vorlas. Aber die Inhalte muss er rekonstruiert haben.
 
Erfolg...

Zweites Buch, Abschritt 13 „Tod und Verklärung des Chauffeurs Ratzenberger“

Der Druckereibesitzer brachte in letzter Zeit häufig 2 Brüder mit. Der eine, der Boxer Alois Kutzner und der andere, der z.Zt. stellenkose Monteur Rupert Kutzner.

Es geht um >Rupert Kutzner<.

Zitat: „Mit heller, manchmal leicht hysterischer Stimme deklarierte er; mühelos von langen blassen Lippen flossen ihm die Worte; mit eindringlichen Gesten wie er sie predigenden Landpfarrern abgesehen hatte, unterstützte er seine Rede...“ usw.

Liest sich jedenfalls gut, auch alles andere.

Für mich ist allerdings sein historischer Roman „Die Füchse im Weinberg“, mit Untertitel „Waffen für Amerika“ sein bester Roman.

Diesen würde ich bald so beurteilen wie V. Hugo mal den Roman „Die Kartause von Parma“ von Stendhal (Marie-Henri Beyle) beurteilt hat.
 
Es geht um >Rupert Kutzner<.

Zitat: „Mit heller, manchmal leicht hysterischer Stimme deklarierte er; mühelos von langen blassen Lippen flossen ihm die Worte; mit eindringlichen Gesten wie er sie predigenden Landpfarrern abgesehen hatte, unterstützte er seine Rede...“ usw.

Liest sich jedenfalls gut, auch alles andere.
Das ist genau die Passage, die Edgar als Fünfjähriger unter dem elterlichen Wohnzimmertisch den Erwachsenen lauschend gehört haben will.
 
L. Feuchtwanger ist ja wohl auch ein Anhänger von Aristoteles (385 v.Chr. – 322 v.Chr.).

Er vertrat die Meinung:

„Die künstlerische Darstellung der Geschichte ist wissenschaftlicher und ernsthafter als die exakte Geschichtsschreibung. Die Dichtkunst nämlich geht auf Kern und Wesen, während der exakte Bericht nur Einzelheiten aneinanderreiht.“

In seinen “Füchsen“ steht anfangs auch ein Zitat von Stalin:

„Schicksal: Der Begriff ist Mystik, Nonsens“.
 
Lt. Jaretzkys rororo-Biographie hat L.F. auf seiner Vortragsreise 1932 in den USA geäußert: Hitler is over.
Eine Abkehr von der Meinung, dass Hitler eines Tages der Chef sein werde. Oder war schon 1929 eher gemeint: Falls H. der Chef wird, wird er alle Juden töten?
 
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