Einige Anmerkungen zur Rolle Europas in der Weltgeschichte

Ich möchte hier Europas Rolle in der Weltgeschichte seit derfrühen Neuzeit etwas einordnen, hierbei kann es natürlich nicht umeine umfassende Darstellung gehen, nur um einen kurzen Überblick.

Kurz gesagt ist Europas Rolle für den Fortgang der Weltgeschichte seit der frühen Neuzeit entscheidend. Nie vorher hat eine Kultur, die westlich-atlantische Kultur, die Welt in einem derartigen Ausmaß geprägt. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert verbreiteten sich europäische Erfindungen und Entdeckungen, Gedanken, Ideen und Konzepte sowie wissenschaftliche Theorien und Methoden beinahe auf der gesamten Welt und wurden zum Maßstab dafür, was als modern zu gelten hatte. Tatsächlich handelte es sich in der schieren Menge und der erreichten Tiefe des neuen Wissens und der darauf beruhenden Erfindungen und Entwicklungen um einen geschichtlich einmaligen Ausbruch von Kreativität, der die gesamte Erde transformierte, beinahe keine Kultur unberührt ließ, und sie auf ein ganz neues Level brachte. Grundlage hierfür war u.A. eine ungeheure, vorher unbekannte Ausweitung des verfügbaren Wissens. Es fand tatsächlich eine Revolution des Wissens statt, die durch die Entwicklung einer eigenen Methodologie und Erkenntnistheorie sowie der durchgehenden Einführung der Mathematik und des Experiments in den Naturwissenschaften möglich wurde. Entscheidend war aber auch eine Offenheit für Wissen, Fortschritt und neuartige Entwicklungen sowohl bei den Eliten wie auch in breiten Teilen der Bevölkerung, die durch eine regelrechte Medien und -Kommunikationsrevolution seit der frühen Neuzeit unterstützt wurde. Im Folgenden möchte ich einige Meilensteine der oben skizzierten Entwicklung auflisten:

- Buchdruck mit beweglichen Lettern: Johannes Gutenberg (Mainz), ca.1440–1450


- Mikroskop: Zacharias Janssen (Niederlande) ca.1590

- Teleskop: Galileo Galilei
(Italien, verbesserte Version),1609

- Pendel (zurZeitmessung): Christiaan Huygens
(Niederlande), 1656

-Blitzableiter: Benjamin Franklin (USA), aber erste europäische Anwendung durch Prokop Diviš (Böhmen), 1754

- Dampfmaschine (moderne Version):
Thomas Newcomen, 1712, James Watt, 1769 (verbesserte bereits bestehende Modelle)

- Photographie: Joseph Nicéphore Niépce (Frankreich), 1826

- Eisenbahn (Dampftriebwagen): George Stephenson (England), 1825 (erste Fahrt der „Locomotion“)

- Elektromagnetismus &Generator: Michael Faraday (England), 1831

- Telegraphie: verschiedene Erfinder und Vorläufer, 1837 Einführung des durch Samuel Morse konstruierten, und 184 verbesserten Schreibtelegraphen

- Funk: Guglielmo Marconi, 1897

- Telefon (umstritteneUrheberschaft): Meucci 1854 (Prototyp), Graham Bell Patent 1876

- Rundfunk (Radio): Marconi, Heinrich Hertz, Nicola Tesla

- Chemische Düngemittel: Justus von Liebig, 1840

- Anästhesie (moderne Methode):

William Morton (USA), aber erstmalig angewendet durch Horace Wells (USA) und Humphry Davy (England), 1846

- Dynamit:


Alfred Nobel (Schweden), 1867
- Dieselmotor:


Rudolf Diesel (Deutschland), 1897, Einführung eines effizienteren Verbrennungsmotors.

- Röntgenstrahlen:

Wilhelm Conrad Röntgen (Deutschland), 1895
- Fernsehen


Manfred von Ardenne (Deutschland), 1931 (erste öffentliche Demonstration)

- Strahlflugzeug:

Hans von Ohain (Deutschland, 1937), Frank Whittle (Großbritannien, 1937)

- Atomreaktor (erste Kettenreaktion):

Enrico Fermi (Italien, USA), 1942

- Transistor:

John Bardeen, Walter Brattain, und William Shockley (USA, aber mit europäischer Einbindung der Forschung),
- Computer:
Konrad Zuse
(Z1, Deutschland, 1938)
- Speicherchip:
Dov Frohmann entwickelte den ersten lösch- und programmierbaren Speicherchip (EPROM) bei Intel im Jahr 1971. Robert H. Dennart erfand 1966 den DRAM-Speicher (Dynamic Random Access Memory). Jürgen Dethloff und Helmut Gröttrup gelten als Erfinder der Speicherchipkarte (ca. 1969)

- World Wide Web:

Tim Berners-Lee (England), 1989–1991
- Genom-Sequenzierung:


2003 (Humangenomprojekt)


Mir ist klar, daß bei vielen der genannten Erfindungen Urheber sowie Datum der Entwicklung umstritten sind. Ich habe mich an die geläufigsten Zuschreibungen und Datierungen gehalten. Einige der Erfindungen wurden in den USA getätigt, allerdings zählen die USA natürlich zum westlich-atlantischen Kulturkreis, der wesentlich auf Europa fußt. Die bloße Aufzählung einiger wesentlicher Erfindungen kann natürlich nicht die epochale Bedeutung Europas und des westlich-atlantischen Kulturkreises für die Entwicklung der Menschheit seit der frühen Neuzeit wiedergeben. Alleine nur die Aufzählung und kurze Einordnung auch nur der wichtigsten Erfindungen würde ganze Bibliotheken füllen. Um einen Maßstab zu geben, sei nur erwähnt, daß in dem Werk "Die 101 wichtigsten Erfindungen der Weltgeschichte" von Hans-Joachim Braun nach dem Jahr 1500 praktisch nur noch Erfindungen vorkommen, die aus Europa oder den USA stammen, mit einigen wenigen Ausnahmen, die aber auch aus Ländern kommen, die von der westlich-atlantischen Kultur maßgeblich geprägt wurden. Und dies liegt nicht an einem etwaigen "Eurozentrismus" des Autors. Nein, die westliche Zivilisation war einfach derart dominant in dem genannten Zeitraum. Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts änderte sich allmählich dieses Verhältnis, und Nationen wie Japan, Südkorea, Taiwan und natürlich China gewannen an Einfluß. Die Dominanz des Westens nähert sich ihrem Ende, oder ist sogar bereits eingetreten. Aber für rund 300 Jahre war Europa (und der westlich-atlantische Kulturkreis) die maßgebliche Kraft auf diesem Planeten, und brachte die Menschheit auf ein ganz neues Level, was (nicht nur) Wissenschaft, Forschung und Technik sowie die Weiterentwicklung von Mathematik und Philosophie anbelangt. Die Anwendung dieses neuen Wissens veränderte das Leben beinahe der gesamten Menschheit grundlegend.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich rate hier zur Expansion des Horizontes ein Buch an: "Europe and the People Without History" von Eric Wolf (1982) um laterales Denken anzuregen.
 
Auf die Neuzeit bezogen hast Du Recht, aber hinsichtlich dieses "nie zuvor" bin ich mir nicht so sicher. Die graeco-römische Kultur hatte wohl einen mindestens ähnlich großen Footprint.
Die graeco-römische Kultur hatte (in der Antike) keine globalen Auswirkungen.

Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts änderte sich allmählich dieses Verhältnis, und Nationen wie Japan, Südkorea, Taiwan und natürlich China gewannen an Einfluß.
Die Japaner waren da allen anderen Nicht-Europäern min ein Jahrhundert voraus, Minimum.

Von solchen Details abgesehen geb ich Stefan_Schaaf im großen und ganzen recht. Nur hat die Medaille natürlich eine Kehrseite. Keine andere Kultur hat bspw bei ihrer Ausbreitung solche Verheerungen angerichtet. Eroberungen mit allen grausamen "Nebenwirkungen" gibt es schon lange (da muck die Römer ansprach...), aber für das, was die Europäer in Amerika oder Afrika anrichteten, anrichten konnten, findet sich vorher halt auch nicht. Und das ist nur der Anfang. Ich mein, ich würds ja insgesamt und unterm Strich auch als Erfolg verbuchen (sei es nun wegen Internet, Menschenrechten oder heißen Duschen, das ist tageszeitabhängig), wenn nicht die Tatsache bliebe, das sich unsere hochgeschätzte Zivilisation morgen mit Atomwaffen in die Luft jagen oder übermorgen am Klimawandel verrecken könnte... und dabei mehr mitnehmen würde als irgend eine Zivilisation vorher...
 
Allerdings beschränkte sich "die gesamte damals bekannte Welt" im Wesentlichen auf Europa und (nur) Teile Asiens (Naher und Mittlerer Osten, Zentralasien) und Afrikas (Nord- und Ostafrika). Also nur ein Bruchteil von "global". Vor allem die beiden Amerikas und Australien blieben vor der Neuzeit von der griechisch-römischen Kultur gänzlich unberührt.
 
Erreichten nicht hellenistische Einflüsse mit Alexander praktisch die gesamte damals bekannte Welt?
Keine Ahnung, was damals wirklich bekannt war, aber mE ist der Punkt: Nur der bekannten Welt. Nachdem die Europäer fertig waren mit entdecken & erobern, mussten wir uns Geschichten über Marsmenschen und Jedis ausdenken, weils auf der Welt keine dpsnnenden unbekannten Regionen mehr zu erforschen gab... ;)
 
Allerdings beschränkte sich "die gesamte damals bekannte Welt" im Wesentlichen auf Europa und (nur) Teile Asiens (Naher und Mittlerer Osten, Zentralasien) und Afrikas (Nord- und Ostafrika). Also nur ein Bruchteil von "global". Vor allem die beiden Amerikas und Australien blieben vor der Neuzeit von der griechisch-römischen Kultur gänzlich unberührt.
Genau! Die fuer Europa bekannte Welt, die dann die Geschichte schrieb, dir wir kennen. Wo ist der Rest?
 
@Saint-Simone

Vielen Dank für den Tip. Allerdings scheint Eric Wolf sich in seinem Werk sehr auf die marxistische Theorie zu beziehen. Und diese eignet sich m.E. kaum dazu, den Themenkreis zu analysieren, den ich skizziert habe. Die epochale Bewegung, in der von Europa ausgehend (fast) die gesamte Welt transformiert wurde, war in erster Linie eine Revolution des Wissens, nicht die Geschichte der Ausbreitung des Kapitalismus. Ich selbst bin absolut kein Freund des Marxismus, ich halte ihn für eine der verhängnisvollsten Ideologien, die es je gegeben hat, auch in wissenschaftlicher Hinsicht. Leider gibt es viele wissenschaftliche Disziplinen, die in erheblichem Maße auf der marxistischen Theorie beruhen, bzw. davon durchdrungen sind, wie z.B. viele Sozialwissenschaften, darunter auch die Ethnologie. Ich selbst habe Psychologie studiert, und bin dabei zum Glück vom Marxismus verschont worden, in unserem Fachbereich spielte er keine Rolle. Wenn ich deinen Nickname richtig deute, scheinst du dies allerdings etwas anders zu sehen.
 
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Allerdings beschränkte sich "die gesamte damals bekannte Welt" im Wesentlichen auf Europa und (nur) Teile Asiens (Naher und Mittlerer Osten, Zentralasien) und Afrikas (Nord- und Ostafrika). Also nur ein Bruchteil von "global". Vor allem die beiden Amerikas und Australien blieben vor der Neuzeit von der griechisch-römischen Kultur gänzlich unberührt.
Genau! Die fuer Europa bekannte Welt, die dann die Geschichte schrieb, dir wir kennen. Wo ist der Rest?
Meiner Ansicht nach lassen sich Kulturen durchaus hierarchisieren, jedoch nur im Rahmen ihrer Möglichkeiten, soll heißen, nur das Entwicklungsstadium bzw. die Wirkmächtigkeit kann herangezogen werden, die die Kultur unter den Bedingungen ihrer Entwicklung erreichen konnte. Zu diesen Bedingungen zählt nicht zuletzt die Geografie. Wenn z.B. griechische Einflüsse die gesamte den Griechen bekannte Welt durchdrangen—um des Arguments willen tun wir einfach mal so—, dann wäre in meinen Augen von einer ähnlichen Reichweite ihrer Kultur auszugehen, wie sie die westliche Kultur heute besitzt.

Oder unterliege ich hier einem Denkfehler?
 
Der erste Denkfehler des gesamten Fadens besteht darin, dass Europa hier als wie auch immer geartete Einheit behandelt wird.

Finden wir das als Denkweise irgendwo vor dem 20. oder vielleicht ausgehenden 19. Jahrhundert?
 
Die Schrift und Latein?
Schön zu sehen an der Ausbreitung des Buchdruckes bis 1500, mit ihrem Bestseller Bibel und den ganzen folgenden Titel aus Wissenschaft, Medizin, Theologie, Reiseberichte usw. Also eine Sprache für die Wissenschaft und Theologie im ganzen westlichen Europa und die Möglichkeit auch in der Landessprache zu drucken. Kolumbus plante seine Reise schon mit einem in Antwerpen gedruckten Buch in lateinischer Sprache.

Zwar fand die hebräische und griechische Schrift relativ schnell Eingang in den Druck, stellte die Drucker erstmal vor einigen Schwierigkeiten. Kyrillisch dauerte wohl schon deutlich länger
 
Christlich beeinflußte Werte
Also so weit mir bekannt, kommt das Christentum eigentlich eher aus Vorderarsien, als aus Europa, wenn man diesen Unterschied machen möchte und es hat selbstredend auch in Teilen Afrikas und Asiens weiterhin christliche Gruppen gegeben, so dass das jetzt kein exklusives Merkmal ist, dass sich zur Abgrenzung von Europa gegenüber dem Rest der Welt eignen würde.

Und bevor der Einwand kommt, dass seien ja anderswo nur unbedeutende Minderheiten gewesen, in Äthiopien ist das z.B. nicht der Fall, da reden wir regional über durchaus signifikante Teile der Bevölkerung.

Und was genau ist eigentlich "christlich beeinflusst"?
@El Quijote hatte an anderer Stelle mal geschrieben, dass für ein tatsächliches Verständnis des Qur'an es im Prinzip notwendig sei die Bibel zu kennen, weil das ganze eindeutige Rekurse/Anspielungen auf biblische Texte enthielte.
Ich weiß zugegeben nicht, ob das zutrifft, weil ich das ganze nie selbst gelesen habe, aber wenn es zutreffen sollte, könnte man sagen, die gesamte islamische Welt sei christlich beeinflusst, weil ihre zentrale Schrift auf Schriften des Christentums und den darin vermittelten Werten aufbaut.
 
Die Schrift und Latein?
Schriften haben andere Kulturen auch entwickelt.
Latein? Dann reicht deiner Definition nach Europa nur bis zum Balkan und spätestens ab Bosnien und Serbien, wo dann nicht mehr Latein, sondern Griechisch und Kirchenslawisch die wichtigsten Verkehrs- und Gelehrtensprachen waren sind dementsprechend Asien?
 
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