Einstein und die Juden

fingalo

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Wieder mal ein heißes Eisen, drum hier, wo nicht jeder mitschreiben darf.
Ich fand kürzlich einen Aufsatz in der Zeitschrift "Gehirn & Geist" von Carsten Könneker unter dem Titel "Forschung mit Folgen". Er befsst sich mit der Auseinandersetzung der Juden und der Nazis mit Einstein vor und zu Beginn des III. Reichs und passt also genau hierhin. Ich habe ihn gekürzt, sprachlich den hiesigen Bedürfnissen angepasst und gebe seinen Inhalt hier zur Kenntnis (damit dürften auch urheberechtliche Probleme umschifft sein):

Zur besseren Lesbarkeit in 2 Teile:

Im April 1933 hielt sich Einstein nach einer Rückreise aus einem mehrmonatigen USA-Aufenthalt in Belgien auf. Dort erhielt er viele Schmähbriefe deutscher Juden. Sie betrachten ihn als einen Unheilsbringer. Auch von den Nazis hatte er bereits Morddrohungen erhalten. Daraufhin brach Einstein den Plan zur Rückkehr ab und legte aus Protest die preußische Staatsangehörigkeit und seinen Sitz in der Preußischen Akademie der Wissensachaften nieder und kehrte nach USA ins Exil zurück. Die Schmähungen von jüdischer Seite kamen nicht von ungefähr, sondern waren Symptom einer bereits lange schwelenden Auseinandersetzung um Einsteins Person und seine Relativitätstheorie - oder genauer: das, was die Öffentlichkeit dafür hielt. Bereits 1921 hatte ein jüdischer Autor gemahnt, man solle den Reklamekult um die Relativitätstheorie und die Heldenverehrung ihres Schöpfers umgehend unterbinden, wolle man der Stellung der deutschen Juden insgesamt nicht massiv schaden.
Zwei Jahre zuvor, am 6. November 1919, hatten britische Astronomen unter der Leitung des Physikers Arthur Eddington erstmals handfeste experimentelle Belege für die Richtigkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie präsentiert: Sternbeobachtungen während einer totalen Sonnenfinsternis bestätigten Einsteins Vorhersage, dass Lichtstrahlen in Gravitationsfeldern doppelt so stark abgelenkt werden wie von der klassischen Physik vorhergesagt. Nur einen Tag später, am 7. November, überschlug sich die Londoner Times regelrecht, um diese Sternstunde der theoretischen Physik zu feiern: »Wissenschaftliche Revolution. Neue Theorie des Universums. Newtons Vorstellung umgestürzt!« war da zu lesen. Und binnen weniger Tage verbreitete sich die Kunde rund um den Erdball.
In Deutschland schlug sie ein wie der Blitz. Es herrschte ohnehin noch Revolutionsstimmung: Fast auf den Tag genau ein Jahr zuvor, am 9. November 1918, hatten Arbeiter- und Soldatenräte die Republik ausgerufen und das Ende des Kaiserreichs eingeläutet: Wilhelm II. dankte ab und floh ins Exil; ein Vierteljahr später wählte die Weimarer Nationalversammlung den Sozialdemokraten Friedrich Ebert zum ersten Reichspräsidenten.
In Deutschland schlug sie ein wie der Blitz. Es herrschte ohnehin noch Revolutionsstimmung: Fast auf den Tag genau ein Jahr zuvor, am 9. November 1918, hatten Arbeiter- und Soldatenräte die Republik ausgerufen und das Ende des Kaiserreichs eingeläutet: Wilhelm II. dankte ab und floh ins Exil; ein Vierteljahr später wählte die Weimarer Nationalversammlung den Sozialdemokraten Friedrich Ebert zum ersten Reichspräsidenten.
Die Nachricht von der Ablösung des klassisch-physikalischen Weltbilds, das seit über 200 Jahren als unumstößlich galt, passte perfekt in die geistige Landschaft jener Tage. Das sahen auch reaktionäre Kräfte so. Sie witterten hinter der politischen »Novemberrevolution« und dem wissenschaftlichen Umsturz, weil beide so kurz aufeinander folgten, den Versuch einer von langer Hand geplanten »jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung«. 1921 stimmte Hitler selbst in die Anti-Einstein-Tiraden seiner Gesinnungsgenossen ein. So klagte er auf der Titelseite des »Völkischen Beobachters«: »Wissenschaft, einst unseres Volkes größter Stolz, wird heute gelehrt durch Hebräer, denen im günstigsten Fall diese Wissenschaft nur Mittel ist zu ihrem eigenen Zweck, zum häufigsten aber Mittel zur bewussten planmäßigen Vergiftung unserer Volksseele und dadurch zur Herbeiführung des inneren Zusammenbruches unseres Volkes.«
Obwohl die Spezielle Relativitätstheorie damals bereits 14 Jahre alt war, hatte sie in der öffentlichen Wahrnehmung vor 1919 keine besondere Rolle gespielt. Zwar berichtete auch die Tagespresse etwa ab 1910 sporadisch über die seltsamen Konsequenzen, die sich laut Einstein für unser Verständnis von Raum und Zeit ergeben. Doch die vorgebrachte Kritik richtete sich fast ausnahmslos gegen Einsteins physikalische Annahmen - und nicht gegen seine Person. So wurde vor allem die Frage diskutiert, inwieweit Naturwissenschaftler ihre Forschungen auf abstrakte, scheinbar beliebig gewählte Postulate gründen dürften. Denn niemals zuvor in der Physikgeschichte war eine Theorie der menschlichen Erfahrungswelt so weit enteilt, dass es schwierig erschien, sie überhaupt je experimentell überprüfen zu können. Im Herbst 1919 änderte sich die Berichterstattung jedoch schlagartig - allein schon, was die Menge an produzierter Literatur betraf: Tausende Artikel, Broschüren und Bücher zur Relativitätstheorie sowie über ihren Urheber wurden in den folgenden Monaten und Jahren gedruckt - fast ausnahmslos von zweifelhafter physikalischer Expertise und meist von vornherein nur auf Provokation, Agitation und Polemik angelegt. Doch nicht nur das Angebot an »Information« explodierte förmlich: Die Physik wurde zudem plötzlich politisch. Im Epochenbruch zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik gerieten Einsteins Arbeiten umgehend zwischen die Mühlen der fortschrittlich gesinnten Linken auf der einen Seite und der national-konservativen Vorläufer des Faschismus auf der anderen. Im Schlepptau der tendenziösen Berichterstattung spaltete sich die Gesellschaft immer mehr in euphorische Einstein-Unterstützer und vehemente Gegner.

Fingalo
 
Teil 2

Manchen Kommentatoren erschien der symbolische Triumph über England - eine Siegermacht des Ersten Weltkriegs - als willkommener Balsam für die angeschlagene Nationalseele: Ein deutscher Wissenschaftler habe die Newton'sche Physik generalüberholt und ein vollkommen neues Weltbild geschaffen. Nicht wenige Analysten verkauften die Theorie des gebürtigen Ulmers entsprechend als nationale Kulturleistung und damit als eine Art geistige Kompensation der noch taufrischen militärischen Schmach.
Im Fahrwasser entsprechender Meldungen über das neue Genie Albert Einstein ergriffen jüdische Interessengruppen zudem die Gelegenheit, die ethnische Herkunft des prominenten Denkers klar herauszustellen. So stieg das neue Aushängeschild deutscher Wissenschaft über Nacht auch zur Galionsfigur der deutschen Juden auf. Ausgiebig feierten sie den »bedeutendsten Fortschritt der Physik seit Newton« - und dies nicht nur im Hinblick auf die Naturwissenschaften: Einsteins Theorie, verkündete die »Allgemeine Zeitung des Judentums«, beflügele jegliches menschliche Denken - ein geistesgeschichtlicher Befreiungsschlag für die gesamte Menschheit. Auch für Progressive, Liberale und Linke, die sich ohnehin der gesellschaftlichen Veränderung verschrieben hatten, eröffneten Einsteins Ideen geradezu blendende Perspektiven. Für sie bedeutete die Nachricht, dass es keine absoluten physikalischen Maßstäbe für Raum und Zeit gibt, keineswegs den Untergang des christlichen Abendlands - das hatten sie längst für sich begraben. Vielmehr präsentierte die links orientierte Presse Einstein als genialen, fortschrittlichen Geist, der endlich das lang ersehnte Gefühl der Befreiung aus überkommenen Konventionen brachte. Und folglich genoss er in den entsprechenden Kreisen - etwa unter Kommunisten - höchstes Ansehen.

Für konservative Gemüter hingegen gestaltete sich die Situation komplett anders. Ihnen begegnete in der vermeintlichen Quintessenz der wissenschaftlichen Revolution, es gäbe keine absoluten Werte mehr, eine schier unglaubliche Herausforderung. Wer den hierarchischen Gesellschaftsstrukturen und dem streng geordneten Leben des Ancien Regime nachtrauerte, konnte in Einstein - so wie ihn die Medien der Zeit zeichneten - kaum etwas anderes erblicken als einen Propheten des allgemeinen Wertezerfalls.

Besonders groß war die Verunsicherung in kirchennahen Kreisen. Begriffen wie Himmel, Kosmos, Ewigkeit und Wahrheit, die seit jeher unmittelbar der Konstitution von Weltbild und Glaube dienten, drohte auf einmal die wissenschaftliche Sinnentleerung. Die weltanschauliche Verunsicherung nach dem Untergang der Monarchie war noch allenthalben spürbar: Die Menschen suchten verzweifelt nach Orientierung und einem Weg aus der Krise. Und nun kam dieser Einstein und verkündete, es gebe überhaupt keine allgemein gültigen Maßstäbe mehr.
Die Menschen reduzierten die Physik auf das rein Sprachliche. Es gebe nichts Absolutes (mehr) in der Welt, lautete das vermeintliche neue Paradigma der Wissenschaft. Einstein habe bewiesen, dass alles »nur relativ« sei. Ein Wortkurzschluss mit Folgen, wie sich noch herausstellen sollte. Um Physik scherte sich derweil kaum noch jemand. Der Physiker und Nobelpreisräger Philipp Lenard (1862-1947) [http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/LenardPhilipp/] publizierte später ein vierbändiges Lehrwerk »Deutsche Physik«, das den Geist eines tiefen Antisemitismus atmete und sämtliche Errungenschaften der modernen Physik entweder totschwieg oder als falsch, weil »jüdisch« diffamierte.

Die fatale Entwicklung war nicht mehr zu stoppen: Während die links orientierte, fortschrittlich gesinnte Presse versuchte, den berühmten Physiker als Vorkämpfer für die eigene Sache optimal in Szene zu setzen, schrieb ihr rechtes Gegenüber wie rasend gegen ihn an. Auf diese Weise stand Einstein über Jahre hinweg wie keine zweite Person des öffentlichen Interesses, wie kein Staatsmann, Musiker oder Kinostar im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit und wurde zum Spielball der Medien. Die verschiedenen Interessengruppen instrumentalisierten ihn in einer Art, die sich seiner direkten Einflussnahme naturgemäß entzog. Allerdings: Einstein leistete den ideologischen Ausschlachtungen seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse immer wieder dadurch unfreiwillig Vorschub, dass er sich aktiv in tagespolitische Diskussionen einmischte.

Da Einstein auch in politischen Fragen kein Blatt vor den Mund nahm, erblickte die Öffentlichkeit sehr schnell mehr als »nur« den Wissenschaftler in ihm. Hinzu kam, dass er sich in keinster Weise um gesellschaftliche Konventionen scherte. Wenn er gefragt wurde, tat er seine Meinung kund, und zwar ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten anderer - ein Nonkonformist par excellence. Das alles machte den jüdischen Intellektuellen für Rechte und Reaktionäre zur perfekten Zielscheibe. Der »akademische Obersozi«, wie Einstein sich selbst scherzhaft nannte, entsprach in idealtypischer Weise dem Klischee des ruchlosen Staatsfeinds, der sich in den Schleier höchster wissenschaftlicher Kapazität hüllt - in Wirklichkeit aber nichts anderes verfolgt, als die »Volksmoral« durch antinationalistische, anarchistische Äußerungen zu zersetzen.

Schon zeitgenössische Kritiker monierten indessen, dass die an sich natürlich sehr verdienstvollen Versuche des prominenten Physikers, antisemitischen und nationalistischen Hardlinern mit dem ganzen Gewicht seiner wissenschaftlichen Autorität zu begegnen, unterm Strich womöglich eher schadeten. Und zwar nicht ihm allein - das war das Entscheidende -, sondern den deutschen Juden insgesamt, die er in den Augen der Öffentlichkeit eben wie niemand sonst repräsentierte. Zwölf Jahre später, im Zuge der »Machtergreifung«, setzte Hitler dann alle Hebel in Bewegung, die »Volksseele« wieder zu »entgiften«. Und als die deutschen Juden immer stärker unter der Realpolitik des »Führers« zu leiden hatten, machten nicht wenige ihrer maßlosen Enttäuschung und ihrer Wut auf Einstein Luft - indem sie ihm zum Beispiel hasserfüllte Briefe ins belgische Exil sandten.

Der Verfasser verweist auf die Langfassung, und zwar ein Essay im Buch "Einstein on the Beach", das in diesem Frühjahr im Fischer Taschenbuch-Verlag erscheint.

Fingalo
 
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