Entstehung der Schweiz

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ursi

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Als Selbstbezeichnung findet sich der Begriff "Eidgenossenschaft" erstmals 1351 im Bund der Orte Uri, Schwyz, Unterwalden und Luzern mit Zürich und meint die Rechtsqualität des Bundes als eidlich beschworene und einen als Hilfskreis definierten Raum. Dieser Bund wurde zum Muster für die folgenden mit Zug und Glarus (1352) sowie mit Bern (1353). Der Übergang von eidgnossen zu E. bedeutet eine Abstrahierung, zumal E. im Singular gebraucht wird, wiewohl die acht Partner 1353 nicht durch einen, sondern durch sechs Bünde liiert waren, also eigentlich mehrere E.n bildeten. Verschiedene der acht Orte waren nicht direkt miteinander verschworen (u.a. Bern nicht mit Luzern, Zürich, Zug und Glarus; Glarus nicht mit Bern, Luzern und Zug), sondern nur über indirekte Absprachen in den Beibriefen oder bilateralen Separatverträgen. Daher war die offizielle Anrede in Korrespondenzen zwischen Zürich, Bern und Luzern bis zum Sempacherkrieg 1386 noch nicht eidgnossen, sondern fründe. Die Verwendung des Begriffs E. zumal im Sinne der Vorstellung von einem einzigen Bund, stützt sich möglicherweise auf den aussergewöhnlichen, weil unbefristeten und räumlich geschlossenen Charakter des Bündnissystems.

Auf dem Gebiet der heutigen Schweiz existierten im 13. Jh. innerhalb des Heiligen Römischen Reiches relativ unabhängig voneinander vier wichtige Bündnisregionen, in denen zahllose meist kurzfristige Verbindungen variabler Zusammensetzung zum Zweck der Friedenswahrung und militärischen Hilfeleistung gegen lokale Adelige oder mächtige Territorien wie Savoyen, Burgund, Habsburg und Mailand eingegangen wurden, um die schwache oder abwesende Königsgewalt zu kompensieren. Im Westen dokumentiert die Burgundische Eidgenossenschaft unter der Führung der Reichsstadt Bern die Vielfalt der Entwicklungsmöglichkeiten solcher Verträge, endeten deren Mitglieder doch als Vogteien des bern. Territorialstaates (z.B. Landschaft Hasli, Kloster Interlaken, Städte Burgdorf, Payerne ), als eidg. Orte (Solothurn, Freiburg) oder als Zugewandte (Stadt Biel, Gf. von Neuenburg). Die Reichsstadt Basel richtete sich v.a. nach Norden aus. Im Osten waren Zürich, Schaffhausen und St. Gallen auf den Bodenseeraum orientiert. Mitglieder beider Städtegruppen finden sich zudem in verschiedenen grossräumigen Städtebünden (Rhein. Bund 1254, Schwäb. Bund 1376/85, Elsäss. Städtebund 1379).

Entlang der Passstrasse des Gotthards entstand die ländl. Eidgenosschenschaft der Urschweizer Talschaften, durchaus vergleichbar mit Bündnissen in Vorarlberg, Graubünden und Briançon (Dauphiné). Möglicherweise schon zwischen 1240-90, urkundlich fassbar im Aug. 1291 verbanden sich Uri, Schwyz und Nidwalden. Durch dieses Bündnis wollten die drei Länder den äusseren Frieden durch gegenseitige Waffenhilfe, den inneren durch Schiedsverfahren sichern. Nach dem Sieg über Habsburg im Morgartenkrieg 1315 erweiterten sie ihren nun deutsch abgefassten Bund um eine gemeinsame Militär- und Bündnispolitik gegen aussen. Aussergewöhnlich war der gleichberechtigte unbefristete Zusammenschluss der Länder mit den Städten des Mittellandes. Die mittels Verschwörungen und Verfassungsänderungen an die Macht drängende Bürgerschaft der habsburg. Landstadt Luzern suchte 1332 ebenso militärischen Rückhalt bei den Ländern, wie die Bürger der Reichsstadt Zürich 1351, die damit ihre 1336 nach Vertreibung der Adeligen durchgesetzte Zunftverfassung absicherten. Durch die gewaltsam entstandenen Bündnisse mit Zug (1352, 1365) und Glarus (1352, 1393) erzielte die E. räuml. Geschlossenheit. Die Verbindung mit der burgund. E. wurde durch den ewigen Bund mit der Reichsstadt Bern 1353 erreicht, der auf befristeten militärischen Hilfsbündnissen Berns mit Uri, Schwyz und Unterwalden (seit 1323) aufbaute. Der Berner Bund diente der gegenseitigen Interessenabgrenzung im Oberland sowie der Absicherung gegen Habsburg und regionale Adelige. Der Zürcher Bund enthielt die Bündnisfreiheit, eine klare Umschreibung des Hilfskreises, detailliertere Bestimmungen zum Schiedsgericht, die Möglichkeit zur Revision bei Einstimmigkeit. Nun wurde die achtörtige E. auch von aussen als dauerhaftes polit. Gebilde wahrgenommen.

Ähnlich wie in Zürich 1336 vollzog sich im 14. Jh. in den meisten Orten eine nicht gut dokumentierte soziale Umwälzung und Kommunalisierung, durch die neue, dank Handel und Krieg aufgestiegene nichtadelige Familien mit Hilfe der Landsgemeinde bzw. der Zünfte den Adel von der Macht verdrängten. Parallel dazu konnten die letzten Reste der wohl ohnehin eher schwach ausgeprägten Unfreiheit durch Loskäufe aus der Grundherrschaft beseitigt werden.

Das Bundessystem konsolidierte sich durch zusätzl. Bünde (Zürich und Glarus 1408; Bern und Luzern 1406, 1421; Zürich und Bern 1423), modernisierte Bünde (Tilgung des Vorbehalts zugunsten Habsburgs im Luzerner, Zürcher und Zuger Bund 1454; Neufassung des Glarner Bundes 1473) und v.a. durch Übereinkünfte der Orte. Der Pfaffenbrief (1370) brachte u.a. die weitgehende Ausschliessung fremder, v.a. geistl. Gerichte und ein Verbot der Fehde. Im Sempacherbrief (1393) wurde nach den erfolgreichen Schlachten von Sempach 1386 und Näfels 1388, an denen erstmals alle acht alten Orte (und Solothurn) gemeinsam gefochten hatten, u.a. festgehalten, dass kein Ort ohne Zustimmung der andern Krieg anfangen dürfe. Reichsrechtlich abgesichert wurden die eidg. Bündnisse durch die Bestätigungen der antihabsburg. Herrscher Ks. Karl IV. 1360-62 und Kg. Wenzel 1376-79, die umso bemerkenswerter sind, als der Kaiser in der Goldenen Bulle 1356 alle Verschwörungen und Verbindungen (coniurationes, confederationes usw.) verboten und alle dt. Städtebünde 1389 aufgelöst hatte.

Die territoriale Erweiterung der E. -- wie auch der einzelnen Orte, die zudem trotz des Verbots in der Goldenen Bulle eine entfeudalisierende Ausburgerpolitik betrieben -- erfolgte über Eroberung, Kauf, Pfandschaft, Burg- und Landrechte ( Territorialherrschaft ). Mit Burg- und Landrechten oder anderen, in der Regel einseitig zu beschwörenden, befristeten oder sonstwie ungleichen Bündnissen knüpften nur einige eidg. Orte (z.T. auch nur ein einzelner) Beziehungen mit anderen Städten, Herren und Landschaften, z.B. mit Appenzell (1403, 1411, 1454), mit Abt (1451, 1479) und Stadt (1454) St. Gallen, mit Schaffhausen (1454), Rottweil (1463), Mülhausen (1466), mit Gf. und Stadt Neuenburg (1406), mit dem Bf. von Sitten und den Zenden im Wallis (1416-17, 1475), mit dem Bf. von Konstanz (1469) usw. Die Eroberungen und Pfandschaften gehörten als gemeine Herrschaften den acht (Aargau 1415-1798) bzw. sieben Orten (Thurgau 1460-1798) und nicht der E. als solcher. Die zur Verwaltung nötigen, von 1416-1797 fast jedes Jahr durchgeführten sog. Jahrrechnungen trugen wesentlich zur Verstetigung der eidg. Konferenzen bei, die sich von der fallweisen (schiedlichen) Vermittlung von Konflikten zur wichtigsten Institution der E., der Tagsatzung , entwickelten. Im Gegensatz zu den acht alten Orten hatten die bloss zugewandten Orte hier nicht festen Sitz und Stimme sowie keinen Anteil an den gemeinen Herrschaften.
Existenziell gefährdet wurde das polit. System durch Zürichs Bündnis mit Habsburg 1442. Schwyz und die eidg. Orte machten diesen ähnlich wie 1393 erfolgten Frontenwechsel Zürichs rückgängig ( Alter Zürichkrieg ). Sie liessen die im Zürcher Bund garantierte Bündnisfreiheit auf Kosten der E. nicht mehr zu.

Die letzte Erweiterung der E. erfolgte durch die Aufnahme der fünf neuen Orte 1481-1513 und die Eroberung von Gebieten, die als gemeine Herrschaften der sieben (Sargans 1483-1798, Rheintal 1490-1798), zwölf (gemeineidg. Tessiner Vogteien 1512, 1515-1798), zweieinhalb (Uri, Schwyz, Nidwalden in Riviera, Blenio, Bellinzona 1500/03) oder zwei Orte (Bern und Freiburg in Grandson, Murten, Orbe-Echallens ab 1475 bzw. 1484) integriert wurden. Die Errichtung eines Protektorates über das Herzogtum Mailand 1513-15 blieb ebenso Episode wie die militärische Eroberung und der diplomat. Verlust der Freigrafschaft Burgund 1513.

Weil sich die Städteorte Zürich, Bern und Luzern von revoltenartigen Auszügen junger Innerschweizer Söldner im Gefolge der Burgunderkriege (1474-77) bedroht fühlten, schlossen sie ein ewiges Burgrecht mit den beiden Städten Freiburg und Solothurn, was die Länderorte als implizite Erweiterung der E. durch Städte ablehnten (Burgrechtsstreit 1477-81). Dank der Vermittlung des Einsiedlers Niklaus von Flüe vereinbarten die Obrigkeiten beider Blöcke 1481 das Stanser Verkommnis . Neben der Verteilung der Beute, der gegenseitigen Hilfspflicht v.a. auch bei inneren Revolten und der Garantie der Territorien ist bemerkenswert, dass auch die zugewandten Orte ohne Mitsprache dem Verkommnis unterworfen wurden. Gleichentags kam der ewige, aber nicht ganz gleichberechtigte Bund mit Freiburg und Solothurn (schon im Sempacherbrief 1393 zur eitgnoschaft gezählt) zustande. Doch verweigerten die Länderorte den beiden neuen bis 1501 das Recht auf Sitz und Stimme an den Tagsatzungen und bis 1526 die gleichberechtigte Beschwörung der Bünde. Weil das zweisprachige Freiburg den Verkehr mit den Eidgenossen seit jeher ausschliesslich deutsch abwickelte, wurde die Sprache dabei nicht zum Problem. Der mehrsprachige Staat entstand trotz zahlreicher französisch- und italienischsprachiger Untertanengebiete und trotz rätorom., ital. und franz. sprechender Zugewandter erst 1798 ( Mehrsprachigkeit ).

Die ewigen Bünde mit Basel und Schaffhausen (1501) klärten nach dem Schwabenkrieg von 1499 die Nordgrenze. Das schon lange mit eidg. Orten verburgrechtete Appenzell wurde dank der Waffenhilfe 1499 bis 1513 dreizehnter und letzter Ort in der E., während Abt und Stadt St. Gallen gegen ihren Wunsch nur Zugewandte blieben und die lange als quasi eidgenössisch geltende Reichsstadt Konstanz 1548 österr. Landstadt wurde. Der minderberechtigte Status der fünf neuen Orte zeigte sich im Ausschluss von den alten gemeinen Herrschaften, in der Beschränkung der Bündnisfreiheit, in der Unterwerfung unter die Vermittlung der alten Orte sowie für Basel, Schaffhausen und Appenzell in der Verpflichtung zu Neutralität und Vermittlung in innereidg. Konflikten ( Schiedsgericht ).

(Quelle: Historisches Lexikon der Schweiz)
 
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