Es ist ja interessant, daß trotz der Frage nach einem Vergleich von Erziehung in der ehemaligen DDR und den alten Bundesländern gefragt wurde, man meint, daß das Problem die Information über die DDR-Erziehung sein könnte. Das sehe ich anders, obzwar ich mich mit der Problematik noch nicht auseinandergesetzt habe.
Selbstverständlich ist einer der großen Unterschiede, daß die DDR- Kinder zu einem gewissen Zeitpunkt ganze 80% die Krippenerziehung genossen haben: "Im praktischen Vollzug der sozialpolitischen Maßnahmen wachsen 81% der Kinder in Krippen auf. Das erste und zweite Kind [einer Familie in der DDR] kommt normalerweise nach Vollendung der 1. Lebensjahres, jedes weitere nach Vollendung des 18 Lebensmonates in die Krippe." (Kühn, 1991, S.8) Diese Praxis soll der staatstragenden Idelogie geschuldet sein: der "Herausbildung allseitig entwickelter sozialistischer Persönlichkeiten"; allerdings ist das nicht überzubewerten. Es hängt auch mit der, nicht weniger vom Staat propagierten gesellschaftlichen Gleichberechtigung von Männern und Frauen zusammen. Der angegebene Prozentwert dürfe sich auf die weiteren Ausbau des Krippenwesens - bei Kühn finden sich Differenzierung von Tages, Wochen und Heimkrippen - auf eine Zeit seit den 70er Jahren beziehen, denn in einem Artikel von Pechstein aus dem Jahre 1972 steht das Verhätnis von 185 Krippenplätzen auf tausend lebend geborene Kinder, also keine 20%. Demgegenüber nennt der Autor für Westdeutschland einen Anteil von vier Plätzen auf 1000 lebend Geborene.
Für die Aufnahme eines Kindes bedurfte man in der BRD denn auch des Nachweises "sozialer Bedürftigkeit". Die "Staatserziehung" in der alten BRD begann also frühestens mit dem dritten Lebensjahr mit dem Eintritt in den Kindergarten. Es herrschte auch die besondere "Vorstellung" vor: "Die intakte Familie erzieht die Kinder vor der Schulzeit allein" (Hundertmarck, 1972, S.51); die Zahlen relativieren diese Behauptung etwas, denn immerhin heißt es: "etwa 24 % der Kinder berufstätiger Mütter konnten 1968 einen Kindergarten besuchen; von allen Kindern zwischen 3 und 6 Jahren waren es etwa 30 %" (ebd., S.53). In Westdeutschland ist durch die Kinderladenbewegung ein gewisser neuer Wind in die Diskussion über die Kleinkinderziehung gekommen. Die heutigen Kinderläden sind aber m. E. nur eine Reminiszenz an die einst damit verbundene antiautoritäre Erziehung.
Als Buch empfehle ich Heinz-Elmar Tenorth, "Geschichte der Erziehung" (Weinheim & München: Juventa, 2000), darin Kapitel VI über "Bildung und Erziehung in zwei deutschen Staaten. 1945-1990". Einige der genannten Zahlen finden sich zusammenfassend in seiner Tenorth Pädagogikgeschichte (2000, Kp. VI), ansonsten dort noch einige Hinweise auf andere Aspekte, wie etwa die Jugenorganisationen der Pioniere - am ENde der DDR sollen ganze 90 % darin organisiert worden sein - und der FDJ (etwa 60 % der Jugenlichen), wozu es in der alten BRD kein Gegenstück zu gibt. Soweit ersteinmal, und viel Erfolg beim Referat.
zit. Lit.
Fiedhelm Nyssen & Patricia Szogas (Hg.), "Zur Diskussion über die Kinderkrippe", Ffm: Lang, 1991; darin:
Brigitte Kühn, "Gedanken zur Sozialgesetztgebung und der Krippenaufzucht in der DDR aus kinderärztlicher Sicht"
Gisela Hundertmarck & Helgard Ulshoefer (Hg.), Kleinkindererziehung. Lehrbücher für Sozialpädagogen. Bd. 3: Institutionen der Kleinkinderziehung. München: Kösel, 1972; darin:
Johannes Pechstein (1972), "Das junge Kind in Heim und Krippe"
Gisela Hundertmarck (1972), "Der Kindergarten und andere institutionelle Formen nebenfamiliärer Erziehung"