"Erzwungene Wege" - Vertriebenausstellung in Berlin

Delikates Thema. Obwohl die Geschichte der Vertreibung der Deutschen nach 1945 in den letzten Jahren recht offen in den Medien bearbeitet wird und die Macher der Ausstellung sich schon fast krampfhaft um eine breite "Europäisierung" des Themas bemüht haben, schlagen die Wellen hoch. So eine Ausstellung in Berlin(!) regt Mißtrauen in Polen, gern geschürt vom regierenden Zwillings-Duo, die Frau Steinbach verteufeln.
Als Kritikpunkt wird angeführt, daß die Vorgeschichte nicht genug dokumentiert wird. Im Klartext: Die Vertreibung ist gerechtfertigt, wegen des vorherigen Angriffskrieges.
Ich habe mehrfach meinen Standpunkt dargelegt, daß ich der Meinung bin, das Grausamkeiten, Unrecht oder Unmenschlichkeiten auch durch ein vorheriges Verbrechen keine gerechten Wohltaten werden. Die Vertreibung ist eine Schande, aber eine geschichtliche Tatsache und irreversibel. Durch den weiteren Fortschritt in der Einigung Europas und den Wegfall der Grenzen sollte man sich langfristig von nationalen Grenzdenken verabschieden. Hoffentlich ist es irgendwann so weit, daß die heutigen Nationalgrenzen den Status unser jetzigen Bundesländergrenzen erhalten.

Am Samstag stand die Ausstellung bei mir auch auf dem Programm und die krakehlenden Gegendemonstranten reizten mich zusätzlich zu einem Trotzbesuch - allerdings spielten nach über 3 Stunden DHM die Beine nicht mehr mit - der Geist ist willig, das Fleisch aber schwach ;)
 
Folgende Kritik aus dem "Münchner Merkur" fand ich ganz interessant (ohne selbst die Ausstellung zu kennen):

Viele Kritiker eint, dass sie über etwas urteilen, was sie selbst nicht gesehen haben.
Dabei ist augenfällig, wie sehr sich die Kuratoren darauf konzentriert haben, ihren Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Ausstellung ist peinlich bemüht um Sachlichkeit, Neutralität und politische Korrektheit.


Nachzulesen unter

http://www.merkur-online.de/nachrichten/vermischtes/blickpkt/art281,701652.html
 
Das deckt sich mit vielen Berichten. Auch hier in der heutigen Welt. Aufhänger ist, daß nun die nächsten Objekte polnischer Leihgeber abgezogen werden. Ich schätze auf Grund polnischen Regierungsdrucks.

http://www.welt.de/data/2006/08/17/1001041.html

Es ist traurig, daß es für manche Menschen immer so wichtig ist, wer etwas sagt und nicht, was gesagt wird. Zielscheibe der ganzen Kritik ist doch Frau Steinbach und der BdV. Wäre z.B. der Organisator die UNESCO und die gleiche Ausstellung in Frankreich - kein Mensch würde meckern.
 
Scheint so. Der Angriff auf Frau Steinbach ist ja ganz gut beschrieben:

Vor Tagen sagte Steinbach, die Schiffsglocke der 1945 mit 10 000 deutschen Flüchtlingen an Bord versenkten "Wilhelm Gustloff" sei ihr liebstes Ausstellungsstück. Gestern kündigte die polnische Küstenwache an, die Leihgabe aus Berlin abzuziehen.
 
Hat die polnische Regierung so ein kleines Selbstbewusstsein, das sie sich so mimosenhaft wegen unserer Vergangenheit anstellen?
Schlimmer wäre es, wenn in der Ausstellung eine Rechnung liegen würde über 61 Jahre Pacht für die überlassenen Länderein und Gebäuden. Aber das wäre so Geschmacklos, das es fast an Satire grenzt.
 
Naja, die Reaktion auf die Story mit den Kartoffelzwillingen der TAZ sah aber eher nach gekränkter Eitelkeit als nach Selbstbewusstsein aus. Und jetzt diese nahezu allergischer Reaktion auf diese Ausstellung, strahlt auch nicht gerade Stärke aus.
 
Zwei konservative, katholische polnische Kartoffeln:rofl:

Aber an Selbstbewusstsein mangelt es ihnen nicht. Außerdem ist es, meiner Meinung nach, falsch nur die beiden für dieses Verhalten verantwortlich zu machen. Da haben andere Politiker auch ihre pariotischen Finger drin...
 
Im Moment soll es auch grosse Spannungen mit der Ukraine geben, da so ein paar patriotische schlimme Finger nie aufhören können, daran zu erinnern das auch Lwow eine polnische Provinzhauptstadt war.

Und für mich persönlich bleibt Ducha Gor immernoch Riebezoahl!
 
Wenn wir jetzt in die "polnische Psychologie" einsteigen...

Ich denke, sie haben inzwischen keine Angst mehr, daß die Deutschen die Gebiete wiederbekommen und sie wieder gehen müssen, wie das wohl lange Jahre nach 1945 war.
Aber sie haben Befürchtungen, daß ihr Land "ausverkauft" wird, durch unkontrollierten Zuzug "reicher" Deutscher und/oder dass Sie im Falle der Anerkenntnis, daß ein Unrecht geschehen ist, Entschädigungen zahlen müssen.

Schade, denn eigentlich sind sie doch selbst Opfer der stalinistischen Völkerverschiebung geworden. Warum fällt es dann so schwer zu sagen: "Was geschehen ist, war falsch und unmenschlich, aber wir sind selbst geschädigt. Von uns ist keine Wiedergutmachung erwarten. Die Geschichte ist abgeschlossen, nun lasst uns Europäer werden."
 
Arne schrieb:
Schade, denn eigentlich sind sie doch selbst Opfer der stalinistischen Völkerverschiebung geworden. Warum fällt es dann so schwer zu sagen: "Was geschehen ist, war falsch und unmenschlich, aber wir sind selbst geschädigt. Von uns ist keine Wiedergutmachung erwarten. Die Geschichte ist abgeschlossen, nun lasst uns Europäer werden."
Nach dem, was ich gehört habe, würden viele Polen dem folgen. Allerdings fehlt es an Politikern, die sich in dieser Richtung äußern. Und im jetzigen Umfeld kann es eigentlich nur jemand kurz vor der Rente wagen so zu reden. Ansonsten ist die politische Karriere futsch. :(

Eine deutsch-polnische Versöhnung hätte schneller erfolgen müssen, aber wir kennen ja selber die Aufarbeitung des Sozialismus zur Genüge (Rückgabe oder Entschädigung usw.).

Und die Einigung innerhalb europas wird bis auf weiteres immer wieder nationalistische Profilierungen fördern ...

Solwac
 
Solange sich in Polen mit antideutschen Ressentiments immer noch Wählerstimmen gewinnen lassen, sehe ich eine auf Vernunft basierende Lösung in absehbarer Zeit leider nicht.
 
Jacobum schrieb:
Solange sich in Polen mit antideutschen Ressentiments immer noch Wählerstimmen gewinnen lassen, sehe ich eine auf Vernunft basierende Lösung in absehbarer Zeit leider nicht.

Da muss ich ein wenig widersprechen! Man liest in deutschen Zeitungen ja gerne von diesen Attacken gegen Deutschland mit denen sich die Wähler überzeugen ließen. Aber ganz so ist das nicht. Denn so offen wurde der Wahlpamf auch definitv nicht geführt. Die einzige Aussage Kaczynskis diesbezüglich war, dass er die Position Polens gegenüber Deutschland verstärken wolle. D.h. jetzt nicht, dass ich die Politik billige!
Aber diese antideutschen Ressentiments sind für mich erzeugte Gespinste deutscher Journalisten, die aufgrund der Geschichte Angst vor irgendwelchen Ausschreitungen haben und überreagieren.

Außerdem hat Kaczynski die Wahl wohl nur wegen der Siegessicherheit der Wähler seiner Gegner gewonnen. Wer sich des Sieges gewiss ist, geht nicht zur Wahl...

Aber das ist zu politisch, ich bitte untertänigst um Verzeihung!
 
Arne schrieb:
Warum fällt es dann so schwer zu sagen: "Was geschehen ist, war falsch und unmenschlich, aber wir sind selbst geschädigt. Von uns ist keine Wiedergutmachung erwarten. Die Geschichte ist abgeschlossen, nun lasst uns Europäer werden."

Weil daraus rechtswirksame Ansprüche ableitbar sein könnten (für Einzelpersonen, international ist die Frage geklärt). Aus demselben Grund hat sich zum Beispiel auch keine deutsche Regierung zu den Toten des Herero-Aufstands bekannt.
 
Saint-Just schrieb:
Weil daraus rechtswirksame Ansprüche ableitbar sein könnten (für Einzelpersonen, international ist die Frage geklärt). Aus demselben Grund hat sich zum Beispiel auch keine deutsche Regierung zu den Toten des Herero-Aufstands bekannt.

Diese Erklärung würde ich für die Tschechen akzeptieren, die Deutsche enteignet und vertrieben haben. Für die Polen sehe ich das anders. Die haben durch Stalins Völkerverschiebung schließlich mehr verloren, als gewonnen. Das an die SU abgegeben Ostpolen ist größer, als die bekommenen deutsche Gebiete. Ich billige den Polen daher auch eine Opferrolle zu.
 
Arne schrieb:
Diese Erklärung würde ich für die Tschechen akzeptieren, die Deutsche enteignet und vertrieben haben. Für die Polen sehe ich das anders. Die haben durch Stalins Völkerverschiebung schließlich mehr verloren, als gewonnen. Das an die SU abgegeben Ostpolen ist größer, als die bekommenen deutsche Gebiete. Ich billige den Polen daher auch eine Opferrolle zu.

Die zwei Fragen- Grenzverschiebung im Osten, Grenzverschiebung im Westen- sind doch aber zwei verschiedene Fälle. Ansonsten könnte jede polnische Regierung ja argumentieren, dass sie das ohnehin nichts von beiden entscheiden konnte, und daher die Alliierten verantwortlich sind. (Wobei der Tausch von Landwirtschaftsgebieten im Osten gegen hochentwickelte Industriegebiete im Westen wohl so schlecht nicht war).
 
Saint-Just schrieb:
Die zwei Fragen- Grenzverschiebung im Osten, Grenzverschiebung im Westen- sind doch aber zwei verschiedene Fälle. Ansonsten könnte jede polnische Regierung ja argumentieren, dass sie das ohnehin nichts von beiden entscheiden konnte, und daher die Alliierten verantwortlich sind.
Ja, genau diese Argumentation würde ich akzeptieren. Das ist doch über die Köpfe der Polen entschieden worden. Verantwortlich ist Stalin und die Westmächte, die seine Forderungen akzeptierten. Das war ein Vorgang, den man nicht trennen kann. Es war schließlich eine Verschiebung.

Saint-Just schrieb:
(Wobei der Tausch von Landwirtschaftsgebieten im Osten gegen hochentwickelte Industriegebiete im Westen wohl so schlecht nicht war).

Auch richtig. Sie haben zwar von der Landmasse verloren:
http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Karte_Polen_%281945%29.png

aber vom Wert her, gewonnen:

Die Westverschiebung als Kompensation?
Die Verluste und Gewinne - wie misst man sie?

Der wirtschaftliche Wert der Gebiete: Die im Zusammenhang mit dem geheimen polnisch-sowjetischen Grenzabkommen eingesetzte Kommission taxierte den Wert der ehemaligen polnischen Ostgebiete auf 3,5 Mrd. US$ von 1938 und den Wert der ehemaligen deutschen Ostgebiete auf 9 Mrd. US$ von 1938. Dafür hat die Volksrepublik Polen der DDR angeblich noch jahrelang verbilligte Kohle geliefert. (Uschakow, S. 321).
Quelle: http://www.wsgn.euv-frankfurt-o.de/vc/pageO9.html
 
Aber ist Polen dann nicht völlig draußen? Man kann sich schließlich nur zu etwas bekennen, wofür man irgendwie verantwortlich war.

Dann müsste eine Art Bekenntnis zu den Opfern ja von den den USA, GB und den 15 Nachfolgestaaten der UdSSR kommen ...

Und wenn Polen doch irgendwie mitverantwortlich ist ( falls es z.B. gewaltsame Vertreibungen nach 1945 gegeben haben sollte), wäre ein polnisches Bekenntnis wiederum doch rechtswirksam.
 
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