Und hier noch Auszüge aus dem Lexikon des Mittelalters. Stuttgart. 2000.
(Vielleicht ein wenig veraltet...)
Um mal den Unterschied in der Terminologie zu verdeutlichen:
Türken,
weitverzweigte, in Nord-, Zentral- und Westasien sowie Ost- und Südosteuropa verbreitete Gruppe von Völkern, deren Einheit v. a. von der Zugehörigkeit zu derselben Sprachfamilie bestimmt wird. Gemeinsame anthropologische Merkmale fehlen jedoch. Übereinstimmungen in der materiellen Kultur (Tracht, Behausung, Waffen u. a.), der Kunst (Tierstil) und der Religion (Himmels- und Ahnenkult, Schamanismus) sind weniger als spezifische Züge der türk. Ethnien zu werten, sondern einem zentralasiatischen Kultursyndrom zuzuordnen, von dem auch mongolische, tungusische, finno-ugrische und indogermanische Verbände erfaßt wurden. Auch innerhalb der Welt der frühen Türken gab es deutliche Kulturgrenzen zwischen innerasiatischen Steppennomaden (Nomaden), Bauern und Stadtbewohnern (z. B. Uiguren) sowie Jägern und Rentierzüchtern (Jakuten) in der sibirischen Taiga.
Die »Urheimat« der 'Prototürken' erstreckte sich vom Altai im Westen bis nach Transbaikalien im Nordosten und deckt sich im Kern mit dem Gebiet der heutigen Mongolei. Unsicher ist, wann das Ethnonym 'türk' erstmals in den Quellen auftaucht. So ist umstritten, ob die für das 5. Jh. von dem arabischen Historiker al-Tabari erwähnten 'Turk' mit den frühen Türken identisch sind. Unklar ist ferner, ob die Gründer der ersten Reiternomadenreiche, die Hsiung-nu, Hunnen und Avaren, türkischer Herkunft waren, da deren sprachliche Zuordnung aus Mangel an entspr. Sprachdenkmälern und Quellenzeugnissen nicht möglich ist.
Erste verläßliche Nachrichten über die Türken stammen aus chinesischen Quellen. Sie vermerken zum Jahre 552, daß sich das Nomadenvolk der T'u-küe gegen seine bisherigen Herren, die (mongol.?) Jou-Jan erhob und ein eigenes Reich gründete. Die neuerdings erschlossene Bedeutung des Ethnonyms türk (pl. türküt), 'vereinigter Adel' (S. Tezcan), bezeugt die Vormachtstellung, die das neue Steppenimperium für mehr als ein Jh. in einem Gebiet behauptete, das vom Amur im Osten bis zur Wolga im Westen reichte. Einzigartige Zeugnisse für das Selbstverständnis der frühen Türken und deren Weltbild sind die Inschriften in sogdischer (z. B. von Bugut um 571/580) und alttürkischer Sprache (v. a. die vier sog. Orchon-Inschriften). Sie dienten als Gedenksteine, um verstorbene Fürsten oder Helden »magisch zu verewigen« (A. v. Gabain). Diese Schriftdenkmäler bieten zusammen mit den Darstellungen chinesischer, muslimischer und byzantinischer Autoren ein umfassendes Bild von Aufstieg und Blüte der frühen Türkenreiche und gewähren zugleich Einblick in die Gesellschaftsordnung und Kultur der Alt-Türken.
Schon unter dem dritten namentlich bekannten Khagan Muqan (553-572) erfolgte eine weitausgreifende Expansion der Türken, die bei der Verfolgung der abtrünnigen Avaren 579 bis zur Krim vorstießen und nach Unterwerfung der Hephthaliten die Kontrolle über Sogdien und wichtige Teile der Seidenstraßen gewannen. Die Folge war ein Konflikt mit den Sasaniden um das Seidenhandelsmonopol, der die Türken 576 veranlaßte, sich mit dem Byzantinischen Reich zu verbünden. Doch führten innere Wirren zur Teilung des türk. Khaganats in ein Ost- und ein Westreich. Die chin. Kaiser aus der T'ang-Dynastie (618-907) nutzten deren instabile Lage, um 630 das östliche Khaganat zu erobern und 659 auch die westtürkischen Stämme der On oq (»Zehn Pfeile«) zu unterwerfen.
Erst ein Sieg der Tibeter über die Chinesen i. J. 679 verhalf den Ost-Türken unter ihrem Khagan Elteris und seinem Berater, dem »weisen Tonjukuk«, erneut zu ihrer Unabhängigkeit. 699 gelang es sogar, durch den erzwungenen Anschluß der westtürkischen On oq-Stämme die Einheit des Türkenreiches für kurze Zeit wiederherzustellen. Doch vermochten sich die Türken der seit Beginn des 8. Jh. einsetzenden arab. Invasionen (Araber) kaum zu erwehren. Durch Abfallbewegungen von unterworfenen Stämmen zusätzlich geschwächt, erlagen die Türken den Angriffen der sprachverwandten Oghuzen, Uiguren und Karluken zwischen 745 und 766. Ein Steppenimperium war untergegangen, das an Ausdehnung und Bedeutung nur noch vom Weltreich der Mongolen im 13. Jh. übertroffen wurde. Die glanzvolle Hofhaltung der türkischen Khagane und ihrer Stellvertreter wird von so unterschiedlichen Augenzeugen wie dem byzantinischen Gesandten Zemarchos im 6. Jh. und dem chinesischen Pilger Hsüan-tsang im 7. Jh. bewundert. Die hohe Kultur einer Oberschicht, die u. a. auf einer weit verbreiteten Schriftkenntnis (v. a. der türk., von der aramäischen Kursive abgeleiteten Runenschrift und der sogdischen Schrift) beruhte, ist auch auf intensive Beziehungen zu Sogdien und China zurückzuführen. Sogdische Kaufleute spielten eine große Rolle im Handelsverkehr, während der kulturelle Einfluß an zahlreichen iranischen Lehnwörtern im Alttürkischen ablesbar ist. Die Vorliebe für chinesische Spiegel und Seidenstoffe ist ebenso evident wie die Mitwirkung chinesischer Künstler an türkischen Totengedenkstätten (Kültegin-Denkmal). Zu den religiösen Vorstellungen der frühen Türken gehörten der Glaube an einen höchsten Himmelsgott (tängri), Animismus, Schamanismus und Ahnenkult. Wertvolle Hinweise auf die Glaubenswelt geben die Bestattungsbräuche (Trennung von Totensanktuarien und Gräbern, Pferdeopfer und -bestattungen, 'Balbals', d. h., Grabstatuetten der Toten bzw. der von ihnen einst getöteten Feinde).
Die Erinnerung an das »türkische« Großreich blieb auch nach dessen Zerfall bei den zentralasiatischen Völkern lange lebendig. Zur Verbreitung des Namens trugen nicht zuletzt die arabischen, persischen und byzantinischen Autoren bei, die über die Steppennomaden berichteten. Selbst die fränkische Chronik des sog. Fredegar weiß im 7. Jh. um die Existenz der 'Turci'. Im Westen knüpften v. a. die Chazaren, die bis ca. 630 zum türkischen Reich gehört hatten, an dessen Tradition an. Strittig ist aber, ob die alttürkischen Asina-Dynastie auch die Herrschaft bei den Chazaren ausübte und deren Khagan nach 630 stellte. Der Asina-Clan scheint bei den Steppenvölkern ein Prestige genossen zu haben, das später nur noch von dem der mongol. Cinggisiden (Dschingis Chan) übertroffen wurde. Auf die Herkunft von den Asina beriefen sich u. a. die bis 1213 regierenden Qarahaniden und die Selguqen. Den dynast. Traditionen der T. und Chazaren folgten auch die frühen Ungarn, die seit dem 6. Jh. unter westtürkischer und chazarischer Herrschaft gelebt hatten und deren Fürsten türkischer Herkunft waren. Folgerichtig bezeichnen auch die byzantinischen Autoren Chazaren wie Ungarn als 'Tourkoi'. Die turksprachigen Elemente in den pontischen Steppen (Schwarzes Meer) und an der mittleren Wolga erhielten in den folgenden Jahrhunderten beträchtlichen Zuzug durch die Invasionen der Pecenegen, der in den arussischen Chroniken als 'Torki' erwähnten Uzen und der Kumanen. Die größte Einwanderungswelle von turksprachigen Verbänden erfolgte aber im Verlauf der mongol. Eroberungszüge (Tataren). Sie führte bereits im 14. Jh. zur Turkisierung und Islamisierung der Goldenen Horde.
In Zentralasien formierten sich nach dem Zerfall der türkischen Hegemonialmacht im 8. Jh. die Nachfolgereiche der Uiguren, Kirgizen und Karluken. Während die Uiguren in den Oasen des Tarimbeckens und in Kansu seßhaft wurden und sich dort unter dem Einfluß von Buddhismus, Manichäismus und nestorianischen Christentum zu Trägern einer reichen Kultur entwickelten, wandten sich andere Verbände nach Westen. Der Sieg der Araber über die Chinesen bei Talas hatte 751 dem Islam im westlichen Innerasien zum Durchbruch verholfen und den Migrationen und Reichsgründungen neue Impulse gegeben. Als erste traten die Karluken gegen Ende des 8. Jh. zum Islam über. Unter ihren Nachfolgern, den Qarahaniden, die 840-1212 in Ost- und Westturkestan herrschten, entstand die erste islamisch geprägte türkische Literatursprache (Fürstenspiegel Qutadgu-bilig »Glücklichmachendes Wissen« von Yusuf aus Balasagun, 1069/70, und das Wörterbuch Divan-i lugat-it Türk 'Sammelbd. der türkischen Sprache' v. Mahmud al-Kasgari, 1073). Byzantinische und muslimische Autoren (Ps.-Maurikios: Taktikon [Taktika, 2], Konstantin VII. Porphyrogennetos u. a.; Mahmud al-Kasgari, ar-Rawandi u. a.) betonen übereinstimmend den kriegerischen Geist und die militärische Schlagkraft der türkischen Nomaden. Seit al-Mu'tasim (833-842) verwendeten daher die abbasidischen Kalifen u. a. muslimische Fürsten türkische Militärsklaven (gulam) als Gardetruppen, deren Mitglieder bis in die höchsten Ämter gelangten und z. T. später eigene Dynastien gründeten (Tuluniden, 868-905; Gaznaviden, 962-1190; »Sklavensultane« v. Delhi, 1206-90; Mamluken, 1260-1517). Als politische Erben der frühen Türken traten aber auch die Oguzen (Uzen und Turkmenen) in Erscheinung, deren Reiterheere die Grundlagen für den späteren Aufstieg der Selguqen und Osmanen schufen.
Turkmenen
(türkisch türkmän, Augmentativ v. türk, 'viele Türken', 'Türkentum'?; eine verbreitete, schon von Mahmud al-Kasgari vorgenommene volksetymologische Deutung ist dagegen die Ableitung von persisch türk manand 'türkenähnl.'), turksprachiges Volk in Vorder- und Zentralasien, dessen Sprache zusammen mit dem Osmanli- und Azeri-Türkischen zur SW-Gruppe der Turksprachen gehört. Die Turkmenen werden erstmals im 6. Jh. n. Chr. in der chinesischen Enzyklopädie des T'ung-tien als T'ö-hü-möng bezeichnet und finden seit dem 10. Jh. auch bei arabischen (al-Maqdisi) und persischen Autoren (Gardizi, Mahmud al-Kasgari, Rasid ad-Din u. a.) Erwähnung.
Ursprünglich im Altai beheimatet, waren sie im Verband der Oguzen (Uzen) nach Westen gewandert und hatten sich im 10. Jh. am Serafsan und Syr-Darja niedergelassen. Ihrer eigenen Überlieferung zufolge stammten die Turkmenen vom legendären Oguz-Khan ab. Wie die Oguzen gliederten sie sich in 24 Stämme (halk). Der Name der Turkmenen wurde zum Sammelbegriff für jene oguzischen Nomaden, die zum Islam übergetreten waren und sich als politisch gesonderter Verband von den Oguzen getrennt hatten. Seit dem 11. Jh. bezeichneten sich auch die Selguqen häufig als Turkmenen Erst seit der Mongolenzeit verdrängte das Ethnonym Tukrmene den Namen der Oguzen. Noch im 14. Jh. bezeichnete Ibn Battuta auch die Osmanen als Turkmenen.
Die Tukrmenen bildeten nur sprachlich und religiös durch ihr Bekenntnis zum Islam eine Einheit. Ursprünglich reine Nomaden, verschmolzen manche Verbände in Transoxanien (Ma-wara>al-Nahr) und Hurasan mit der iranischen Bevölkerung (Nuchurli). Einige Gruppen wurden allmählich seßhaft. Auch in der Folgezeit blieben die Übergänge zwischen turkmenischen Nomaden bzw. Halbnomaden und Oasenbauern fließend.
Die Turkmenen bildeten nie ein Großreich, spielten aber bei den Eroberungszügen der Selguqen im Westen seit dem 11. Jh. eine große Rolle und trugen zur Turkisierung und Islamisierung Anatoliens in erheblichen Maße bei. Sie vermochten im 12. Jh. bis zu 300000 Krieger aufzubieten, von denen etwa ein Viertel an jedem Feldzug teilnahm. Allein im 11. Jh. wanderten in Kleinasien ungefähr 500000-700000 Turkmenen ein. Im 12. Jh. wuchs deren Zahl auf etwa eine Million an. Eine neue Immigrationswelle erreichte Anatolien als Folge des Mongolensturms. Die Zahl der neuen Einwanderer wurde auf etwa 350-400000 Menschen geschätzt.
Mangel an Weideflächen und drückende Abgaben sorgten für soziale Unruhe, die sich 1239 im stark religiös motivierten Aufstand des Baba Ishaq entlud (u. a. Bericht des Simon v. St-Quentin). Mit dem Zerfall des Selguqenreiches entstanden seit ca. 1260 selbständige turkmenische Emirate (beylikler), deren bedeutendstes, das Fürstentum der Karaman in SW-Anatolien, eine führende Rolle im Aufstand der Turkmenen gegen die Fremdherrschaft der mongolischen Ilchane spielte (1277).
Gefährliche Gegner erwuchsen den Osmanen an ihrer Ostgrenze in den turkmenischen Stammesföderationen der Aq-Qoyunlu ('Weiße Hammel') und Qara-Qoyunlu ('Schwarze Hammel'). Die Qara-Qoyunlu, denen sich auch kurdische Ethnien angeschlossen hatten, nomadisierten zwischen Mosul im nördlichen Irak und dem Vansee und machten unter Qara Yusuf (1389-1420) Täbriz zu ihrer Hauptstadt. Ihr bedeutendster Herrscher Gahan-sah (1438-67) berief sich auf die nomadische wie islamische Herrschaftstradition, wenn er die Titel Chaqan und Sultan für sich beanspruchte. 1467 wurden die Qara-Qoylunlu v. den Aq-Qoyunlu unter Uzun Hasan (1453-78) aus dem oguzischen Clan der Bayindir entmachtet, der 1469 auch den Timuriden Abu Sa'id schlug. Uzun Hasans Versuch, gemeinsam mit Venedig eine antiosmanische Koalition zu bilden, scheiterte aber 1473 mit seiner Niederlage gegen Sultan Mehmed II. Die letzte der großen turkmenische Dynastien, die Safawiden, sollten, gestützt auf die turkmenischen Qizilbas ('Rotköpfe')-Stämme, in Persien von 1501 bis 1736 regieren.