hm, also wie im Sprichwort "viele Köche verderben den Brei"? Naiv gefragt: braucht man dazu biologische Evolutionstheorien?
Nein, braucht man nicht wie gesagt nicht. Ist nur ein anderer Blickwinkel, der nicht notwendig, aber evtl hilfreich und mE interessant ist.
Und wo bleiben die von Silesia zitierten vier Evolutionskräfte?
Nehmen wir mal eine von vielen historischen Entwicklungen: die allmähliche, ganz und gar nicht frei von widerstrebenden Kräften erfolgte Etablierung der Demokratie in der alten Welt - wie will man das als temporären Zustand irgendwelcher vier Natur- oder Evolutionskräfte vernünftig darstellen und zugleich nachweisen, das sei ohne absichtliches Handeln der beteiligten Menschen und Menschengruppen geschehen??
Ich kann's ja mal probieren. Zu den Absichten komme ich dann zum Schluss.
Mutation: Neue Ideen kommen neu auf, meist als Adaptionen alter Ideen, manchmal vielleicht auch einfach so, als "Blitz aus heiterem Himmel". Die Idee der Demokratie ist in ihren Grundzügen aus der Antike abgeguckt, wie der Name schon andeutet, was mich an Gensequenzen denken lässt, die in der biologischen Evolution auch lange "abgeschaltet" im Genpool überdauern können, aber durch eine geringfügige Veränderung in irgendwelchen Steuerungsgenen wieder aktiviert werden können. Demokratie im modernen Sinne ist allerdings ein Paket von Ideen. Viele Vorstellungen, die zusammengehören: Repräsentation aufgrund freier Wahlen, Marktwirtschaft, Rechtsstaat, Menschenrechte. Diese Dinge greifen ineinander und sind alleine vielleicht umsetzbar, aber nicht das, worum es vermutlich gehen soll.
Gendrift: In Gesellschaften konkurrieren verschiedene Vorstellungen und Ideen, selbst wenn versucht wird, das zu unterdrücken; ganz lässt es sich nie verhindern. Ebenso wie Gene in einem Genpool können sich Ideen in einer Gesellschaft ausbreiten, selbst wenn sie noch nicht wirkmächtig werden, sich quasi noch nicht im „Phänotyp“ der Gesellschaft ausdrücken.
Genfluss: Anderswo aufgekommene Ideen können in neue Gebiete verbreitet werden und dort "Fuß fassen". So hat die französische Revolution ganz Europa „angesteckt“ (nicht nur ab 1789, sondern auch 1830 und 1848), für Frankreich spielten die USA eine Rolle, die bspw Lafayette „infizierte“.
Selektion: Drei-, vierhundert Jahre Geschichte. Gesellschaften scheinen mit demokratisch-marktwirtschaftlichen Methoden erfolgreicher zu sein als andere, konkurrierende Gesellschaftsentwürfe oder -formen. Es dauerte seine Zeit, und währenddessen wurde der Ideenkomplex „Demokratie“ immer wieder überdacht, erweitert oder den Gegebenheiten in den verschiedenen Ländern angepasst. Wie auch immer, durchgesetzt hat er sich, den heutigen Zustand betrachtend, ebenso wie man das in der Biologie von Säugetieren sagen kann, wenn es um große Landtiere geht, in beiden Fällen erst mal völlig ohne Wertung. Der Zusammenbruch des Ostblocks hat das vor einem viertel Jahrhundert ziemlich eindrücklich demonstriert. Aber auch in den Weltkriegen vorher haben Staaten mit diesem System recht erfolgreich abgeschnitten.
Ebenso wertungsfrei könnte man sich nun fragen, an welchen Faktoren das gelegen hat. Produktion, Organisation, Motivation usw usf; ein Buch werd ich hier nicht schreiben, aber vielleicht würde es sich ja lohnen... Natürlich spielen aller spätestens bei der Motivation die Absichten, Vorstellungen, Gefühle, Ängste und Träume der Betroffenen ein Rolle, und natürlich werden sich ab hier nur noch sehr begrenzt evolutionsbiologische Vergleiche finden, da Menschen viel komplexer als Tiere denken.
Die eigenen Wertungen, Absichten, Vorstellungen, Gefühle, Ängste und Träume dürfen natürlich nicht fehlen; das sind die anderen Blickwinkel. Mit nur einem sieht man nur eindimensional.