Wieso wird eine Fragestellung gewählt, die nur ein Denken in polarisierenden Kategorien zuläßt.
Könnte absichtlich so provokant gewählt worden sein, um die Notwendigkeit der Differenzierung herauszustellen....;-)
Wie fast immer im Leben, so gibt es auch hier nicht nur schwarz und weiß. Turgot hat in seinem kurzen, sehr treffenden Abriss die wichtigsten Eckpunkte der Figur Bismarck wiedergegeben. Schon in diesem kurzen Text wird deutlich, dass man die Person Bismarck nicht mit ein, zwei Schlagworten charakterisieren kann - schon gar nicht mit "entweder Held oder Dämon". Vielleicht war er beides - vielleicht aber auch nichts davon.
Er genoss als Reichsgründer zweifelsohne ein hohes Ansehen und verstand es durch sein geschicktes außenpolitisches Taktieren, dem Dt. Reich zunächst überhaupt erst eine internationale Akzeptanz unter den "etablierten Nationalstaaten" zu verschaffen. Das von ihm maßgeblich mit beeinflusste (wenngleich mit den Jahren immer fragiler werdende) Bündnissystem sicherte den Fortbestand des Reiches - von daher darf man hier vielleicht von einer "Heldentat" sprechen, wenn man denn mit solchen Ausdrücken arbeiten möchte.
Innenpolitisch gab es aber u. a. die von Turgot angeführten Versäumnisse, bzw. die fehlende Erkenntnis, dass sich die Gesellschaft in einem Umbruch befand. Die Sozialgesetzgebung, die man Bismarck gemeinhin gern als Pluspunkt auf die Fahne schreibt, entstand nicht aus reiner Nächstenliebe, sondern war als ein Instument gedacht, um den Sozialdemokraten den Wind aus den Segeln zu nehmen, was Bismarck später auch unumwunden zugab. Dieser Schuss ging bekanntlich nach hinten los. Er war ganz sicher kein Freund der Demokratie und hegte mehrfach Staatsstreichpläne, um die "alte Ordnung" wieder herzustellen. So gesehen geht die Beurteilung seiner Person also eher in Richtung "Dämon", was verdeutlicht, dass man gut daran tut, das Bismarck'sche Wirken insgesamt sehr differenziert zu betrachten.
Nach Bismarck's Tod überwog in Deutschland jedoch die Tendenz, ihn als "Helden" zu stilisieren, was nicht zuletzt u. a. durch die zahlreichen Denkmäler und die zum großen Teil heute noch existierenden sog. Bismarcktürme ihren Ausdruck fand. Eine wirklich kritische Auseinandersetzung mit dem Wirken Bismarcks kam m. W. erst ab den 1970er Jahren auf (die Experten hier mögen mich korrigieren, falls ich da irren sollte).