Fall of Civilizations von Paul Cooper

VeryCurious

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Hab es vor ein paar Tagen auf Youtube entdeckt. Die Such-Funktion brachte mir keine bisherige Erwähnung / Auseinandersetzung im Forum.
Ich meine, ich habe in wenigen Stunden mehr über die Entwicklung der Menschheit in den letzten Jahrtausenden gelernt als in meiner ganzen 13-jährigen Schulzeit. Da schaut man mit ganz anderen Augen auf die Geschichte (von Sesshaftigkeit) und das aktuelle Geschehen um einen herum. Es liefert mir ein "big picture", nach dem ich schon länger suche.
Mir gefällt der "nachdenkliche Geschichtenerzähler"-Stil - eine Art Kombination von Wissenschaft und Literatur.

Und was hält die "Geschichtsgemeinde", hier, davon? Sitze ich nur mal wieder einem neuen "influencer" auf?
 
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Hab es vor ein paar Tagen auf Youtube entdeckt. Die Such-Funktion brachte mir keine bisherige Erwähnung / Auseinandersetzung im Forum.
Warum auch? Ist halt ein Geschichtenerzähler, der Geschichte erzählt. Durchaus in der anglophonen Tradition liegend. (Anglophone Historiker verstehen sich viel stärker als storyteller, als das deutsche Historiker tun.) Was Cooper da erzählt, ist nichts weltbewegendes. Nicht die großartige neue Erkenntnis.

Ich meine, ich habe in wenigen Stunden mehr über die Entwicklung der Menschheit in den letzten Jahrtausenden gelernt als in meiner ganzen 13-jährigen Schulzeit.
Ist doch klar.
- du warst intrinsisch motiviert, dir das anzusehen
- du hast dich stundenlang auf etwas konzentriert, was dich interessiert. Schule dagegen ist Zwang mit Unterbrechungen, du hast 45-Minuten-Einheiten und die Ablenkung durch deine Mitschüler, kannst den Unterricht nicht zurückspulen.
- das Unterrichtsziel ist ein ganz anderes: Hier bekommst du in etwa einer Stunde - ausgewählte! - Fakten vorgekaut. Im Unterricht musst du dir eine Methodik erarbeiten, um die Fakten zu erarbeiten.

Nehmen wir mal an, du hast als Thema der Unterrichtsstunde "Rom gibt die britannischen Provinzen auf". (Ich habe eben den ersten Film von Cooper gesehen und wenn der auch den Bogen zurück bis Julius Caesar schlägt: Das ist das Thema seines Films. Der Verlust Britanniens für Rom bzw. die Aufgabe Britanniens durch Rom.) In der Unterrichtsstunde würdest du wahrscheinlich Quellenanalyse betreiben. Du würdest wahrscheinlich nach einem mehr oder weniger geschickt gestalteten Einstieg von deinem Lehrer aus Cassius Dio/Zosimos den Brief des Kaisers Honorius an die römischen Briten vorgelegt bekommen, den du in Einzel- oder Gruppenarbeit auswerten solltest. Am Ende würde alles im Plenum gesammelt und ein Fazit gezogen.

Cooper hat dir in 63 Minuten die Geschichte des römischen Britannien immer mit dem Fokus auf sein Ende hin erzählt. Da kommt in einem Satz der Brief des Honorius an die römischen Briten vor. Im Schulunterricht würdest du aber nach einer etwa 5-minütigen Einstiegsphase etwa zehn Minuten den Brief lesen, fünf Minuten mit deiner Gruppe diskutieren, zehn Minuten das ganze im Plenum vorstellen, fünf Minuten diskutieren und schließlich weiterführende Gedanken diskutieren. Unterrichtsstörungen, das Hineinfinden in den Unterricht am Anfang der Stunde und die Pausen- oder Schulendeerwartungen gegen das Ende der Stunde verkürzen die 45 Minuten auf weniger. Du hast also 45 Minuten für etwas verbraucht, was Cooper in einer Minute fast beiläufig erwähnt hat.

Aber du hast es dir selbst erarbeitet. Du hast Methodenwissen erworben. Und: Was du bisher geringschätzt: Das, was du dir an Faktenwissen selber erarbeitet hast, wird zu einem höheren Prozentsatz in deinem Kopf bleiben, als was dir vorgekaut wurde (etwa 20 %).

Nun mögen die (teils spektakulären) Bilder von Landschaften, römischen Ruinen und dem Kollaps bosnischer Stadtviertel als Metapher für den Kollaps römischer Stadtviertel, sicherlich deine Erinnerungen noch unterstützen, ebenso, wie die Bilder von Wikingern, die wahlweise britischen Kelten zum Zeitzpunkt der römischen Invasionen, Pikten, Sachsen oder wen auch immer darstellen sollen. Cooper bietet dir hier eine Multimedia-Show, was Schule nicht kann bzw. was dem Zweck von Schule widerläuft. Natürlich kann man mit den heutigen Multimediamöglichkeiten auch den Geschichtsunterricht á la 1920 wiederaufleben lassen. Faktenwissen hättest du am Ende (kurzfristig) mehr. Methodenwissen und begründete Kritikfähigkeit blieben auf der Strecke.

Das Ziel von Geschichtsunterricht ist nicht, sich ein umfassendes Faktenwissen von Geschichte zu erarbeiten (was du im Übrigen auch in diesem Film nicht bekommst, so sehr der das auch suggeriert), sondern, dir ein Methodenwissen anzueignen. Geschichtsunterricht soll dich befähigen, dir eine Meinung zu bilden, fremde Meinungen begründet zu kritisieren bzw. PoV-gebundene Stellungnahmen kritisch zu hinterfragen und dein Urteil begründet zu vertreten. Sachwissen ist dabei ein willkommener Nebeneffekt. Idealerweise nimmst du ein wenig Geschichtswissen für dein Leben als Allgemeinbildung mit. Aber im Kern ist es die Methodik, die gelehrt werden soll.
 
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