Feierabend in Uruk vor 4900 Jahren

Babylonia

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Den Alltag in einer frühsumerischen Stadt schildert der deutsche Sumerologe Hartmut Schmökel (1906- 1991) in seinem Buch UR, ASSUR UND BABYLON. Das Kapitel führt in das abendliche Uruk des Jahres 2900 v. Ch.


„Wenn die kurze Dämmerung sich über das weite, flache Land am Euphrat legt, kehren die Tempelherden unter den Rufen der braunen, nackten Hirten heim. Es ist Frühling und das junge sprießende Gras hat Saft und Kraft, so sind die Schafe und Ziegen feist und die Lämmer folgen eifrig ihren schwereutrigen Müttern. Noch ist Zeit bis zur Schur: Lang und dick hängt den Tieren das Fell herab – die Wollspinnerinnen in den Tempelhöfen werden dies Jahr reichlich Arbeit bekommen.
Aus den Straßen der Wohnquartiere von Uruk – sie sind wie Schluchten zwischen den Lehmmauern, die nur hier und da durch die Tore der Häuser oder eine kleine Kapelle unterbrochen werden – ist jetzt, da die Kühle des Abends kommt, vielerlei Leben. Tischler, Fein – und Grobschmiede, Töpfer, Steinmetze und die vornehmen Rollsiegelschneider treten, von ihren Werkstätten kommend , aus den Tempelportalen und gehen schwatzend ihren Häusern zu. Die Frauen, mit hochgebundenem Schwarzhaar und in geschürzten Wollkitteln, holen in ihren großen Tonkrügen Wasser vom Fluss, und bald sieht man sie durch die Hoftore am Herd wirtschaften oder noch eilig das letzte Korn für die abendlichen Brotfladen ausmahlen. Soldaten in Kegelhelm, die Rechteckschilde umgehängt und die langen Speere lässig über die Schulter, rücken ein – vielleicht hatten sie heute Pionierdienst und musste die vom letzten Hochwasser weggerissenen Buhnen am Fluss ausbessern; Schreiber, Priester und Hofbeamte im modisch gekräuselten Zottenrock schlendern stolz vorüber und die Knaben haben endlich die harten, in Reih und Glied stehenden Lehmbänke der Tempelschule verlassen dürfen; sie toben, ihre Tontafeln schwingend, über die Plätze und winden sich jetzt behände zwischen den schwer bepackten Eseln einer Lastkarawane durch, die unter den Stöcken ihrer Treiber geduldig Körbe, Säcke und Schläuche von den breiten Lastkähnen am neuen Euphratkai ins Magazin schleppen. Und nun werden Befehle und Rufe laut, die die Passanten stutzen und beiseite treten lassen: Durch ein Spalier achtungsvoll gebeugter Rücken schreitet der Priesterfürst in Fellmantel und Königsbinde, mit seinem Gefolge von einer Besichtigung des neu angelegten Bewässerungskanals kommend, dem Tor des Eanna zu, um sich in sein innerhalb des heiligen Bezirks gelegenes Haus zu begeben. In ihren Angelstein ächzend, schließen sich die Türen der Magazine und Verteilungsstellen und aufatmend legen die Verwalter und Listenschreiber ihre voll geschriebenen Tafeln auf die Regale.

Es ist Feierabend, Arbeitsende auch für die Gartensklaven, die nun die Sperrbretter vor die Wassergräben der Dattelhaine und Gemüseplantagen setzen und die Zugänge zu den Anpflanzungen in den Lehmumwallungen schließen.“



Diese Schilderung Uruks ist wie ein Mosaik aus zahllosen Einzelinformationen zusammengesetzt – aus Texten und Bildern, die sich auf Rollsiegeln, Weihplatten und Stelen befinden.



Entnommen:

Helmut Uhlig, Die Sumerer, Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 1992, 3. Aufl. 2002
 
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