Finnlands Unabhängigkeit nach dem zweiten Weltkrieg

macabre

Mitglied
Hi ihrs,

In der Konferenz von Teheran 43 haben laut meiner Quelle die Westalliierten auf der Unabhängigkeit Finnlands bestanden.

Meine Frage ist ganz einfach: Wieso?
Welche Gründe hatten die Westmächte, auf Finnlands Unabhängigkeit zu pochen, jedoch einige andere Ostblockstaaten der sovietischen Unterwerfung zuzugestehen?
Ich finde dazu leider kaum Infos.

Habt ihr da vielleicht was? Ich würde mich auch/insbesondere über ausgiebigere Quellen zu dem Thema freuen.


Danke euch
mac
 
Welche Gründe hatten die Westmächte, auf Finnlands Unabhängigkeit zu pochen
Das ergibt sich mE aus der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges:

  • Durch Nr. 1 des Geheimen Zusatzprotokolls zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23.8.39 hatte Hitler zugestimmt, dass Finnland zur sowjetischen "Interessensphäre" gehörte.
  • Nachdem Stalin am 30.11.39 den Krieg gegen Finnland begonnen hatte, fand Finnland zwar keine reale Unterstützung in den westeuropäischen Demokratien und in den USA, aber immerhin war die öffentliche Meinung vollständig auf Seiten der Angegriffenen. Tatsächlich wurde in Großbritannien und Frankreich sogar (ernsthaft?) erwogen, Truppen zu entsenden.
  • Ab Sommer 1941 kämpfte Finnland zwar auf deutscher Seite gegen die Sowjetunion, spielte dabei aber keine besonders aktive Rolle. In Großbritannien z. B. entstand deswegen kaum ein finnisches "Feindbild"; zwar erklärte das Land auf sowjetisches Drängen am 6.12. den Krieg an Finnland, aber ist es wohl niemals zu Kampfhandlungen zwischen Briten und Finnen gekommen.
  • In Teheran zählte vielleicht noch die "Opfer"-Rolle Finnlands und darüber hinaus das Unbehagen Roosevelts und Churchills, Stalins Interessensphäre noch auszuweiten. Beides mag dazu beigetragen haben, dass sich die Allierten im Waffenstillstandsabkommen vom 19.09.44 mit dem Ausscheiden Finnlands aus dem Krieg - zu gerade noch erträglichen Bedingungen - einverstanden erklärten.
 
Das ergibt sich mE aus der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges:

  • Ab Sommer 1941 kämpfte Finnland zwar auf deutscher Seite gegen die Sowjetunion, spielte dabei aber keine besonders aktive Rolle...
Na so ganz stimmt das aber nicht. Natürlich hat Finnland an den Kampfhandlungen teilgenommen, wodurch die Front der Achsenmächte gegen die SU im Norden beträchtlich verlängert wurde. Und Finnland nahm auch an der Belagerung von Leningrad teil - den nördlichen Teil des Belagerungsringes bildete Finnland.

Daß Länder wie Polen, CSSR, Ungarn, Rumänien usw. nach dem Krieg zum Ostblock gehörten und somit zu Satelliten der SU wurden, Finnland dagegen nicht, lag an den Gegebenheiten, die im Zuge dieses Krieges entstanden waren. Während die Ostblockstaaten von der Roten Armee besetzt waren und Stalin direkten politischen Einfluß (= Druck) auf diese Länder ausüben konnte, wurde Finnland von der SU zwar militärisch besiegt, konnte aber eine vollständige Besetzung durch einen frühzeitigen Waffenstillstand (19. 9. 1944) verhindern. Somit konnte Stalin gegen Finnland zwar einige Landgewinne + einen Ostseestützpunkt auf finnischem Gebiet, aber keinen weiteren politischen Einfluß durchsetzen.

Ganz ähnlich sah es in Jugoslawien aus:
Da sich Jugoslawien größtenteils selbst befreite, wurde das Land zwar auf Grund der inneren politischen Verhältnisse sozialistisch, konnte aber nie fest in den Ostblock eingebunden werden. Jugoslawien wurde - genau wie Finnland - zu einem sogenannten "Nichtpaktgebundenen" Staat.
 
Zuletzt bearbeitet:
Na so ganz stimmt das aber nicht. Natürlich hat Finnland an den Kampfhandlungen teilgenommen,

Du hast recht: meine Formulierung war zu schwach. Was ich sagen wollte, ist, dass Finnland in dem sog. "Fortsetzungskrieg" wohl "nur" die Wiederherstellung der alten Grenze von 1939 erreichen wollten und sich - zeitweise - auch weigerte, eigene Truppen über jene Grenze vorgehen zu lassen (DRZW, Bd. 5, S. 559).

Etwas zu apologetisch ist vermutlich die Darstellung von Jutikkala (Geschichte Finnlands [1964], S. 386), wonach das Land von Hitler "vor vollendete Tatsachen gestellt" worden sei, als dieser am 22.6.41 den Krieg begann. Unstreitig ist wiederum, dass die finnische Staatsführung relativ früh Friedensfühler ausstreckte - auch dieses mögen die Alliierten honoriert haben.
 
Nach den bitteren russischen Erfahrungen des Winterkrieges war Karelien eigentlich nur Nebenkriegsschauplatz. Das Gelände mit seinen Wäldern und Sümpfen lässt größere Operationen nicht zu, schon gar nicht mit Panzern. Mein Eindruck ist, dass dort über die Jahre mehr ein "Sitzkrieg" ausgefochten wurde, mit Patrouillen und Sabotageakten. Ob dort überhaupt eine durchgehende Front von Murmansk bis zum Ladogasee existierte, wie es historische Karten des 2. Weltkrieges suggerieren, wage ich zu bezweifeln. Auch mit deutscher Hilfe, dafür fehlte den Finnen die Personaldecke.
Das mag die "Milde Stalins" erklären.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nach den bitteren russischen Erfahrungen des Winterkrieges war Karelien eigentlich nur Nebenkriegsschauplatz. Das Gelände mit seinen Wäldern und Sümpfen lässt größere Operationen nicht zu, schon gar nicht mit Panzern. Mein Eindruck ist, dass dort über die Jahre mehr ein "Sitzkrieg" ausgefochten wurde, mit Patrouillen und Sabotageakten. Ob dort überhaupt eine durchgehende Front von Murmansk bis zum Ladogasee existierte, wie es historische Karten des 2. Weltkrieges suggerieren, wage ich zu bezweifeln. Auch mit deutscher Hilfe, dafür fehlte den Finnen die Personaldecke.
Das mag die "Milde Stalins" erklären.

Eine durchgehende Frontlinie nach Norden gab es nicht. Dazu gab es keine Infrastruktur und die dichten Wälder und unzähligen Sümpfe und Seen taten ihr übriges.
Im Fortsetzungskrieg wurden große Teile des ursprünglich sowjetischen Kareliens besetzt und von Finnland beansprucht. Dann kam es zum Stellungskrieg.
Die nördliche Belagerung Leningrads durch die Finnen war keineswegs eine sichere Belagerungsstrecke für die Deutsche Wehrmacht. Ab 1942 spekulierte Finnland auf eine nächstbeste Möglichkeit für Friedensverhandlungen mit der Sowjetunion. Hintergrund war der gescheiterte Blitzkrieg Deutschlands in der Sowjetunion.
Allerdings wurde ein Friedensabkommen nach der Schlacht von Stalingrad Anfang 1943 durch die Sowjetunion vorgeschlagen abgelehnt, da diese den Rückzug Finnlands auf die Grenzen des beendeten Winterkrieges forderte.
Allein dieser Vorschlag der Sowjetunion an Finnland zeigt, dass schon vor der Teheran-Konferenz Ende 1943 die Sowjetunion Finnland als ernstzunehmenden Nachbarstaat betrachtete. Was nicht wundert, denn der jahrelange Kessel von Leningrad schien der Sowjetunion mehr als schmerzlich zu sein.
 
Das mag die "Milde Stalins" erklären.

Der schnelle und milde Friedensschluß mit Finnland ist auch unter Berücksichtigung der Vorbereitungen der Allierten hinsichtlich der Ölfelder im Kaukasus zu sehen. Dies ist den Sowjets nämlich nicht verborgen geblieben. Es wurden bereists Truppen in den Kaukasus verlegt. Des Weiteren wurde ein Gutachten von amerikanischen Ingenieuren angefordert, das Auskunft darüber erteilen sollte, ob sich ein Brand erfolgversprechend bekämpfen ließe. Die Antwort fiel für die Sowjets nicht günstig aus.
Im April 1940 ließ Molotow bei der deutschen Botschaft anfragen, ob Deutschland an die Sowjetunion magnetische Minen liefern könnte, die bei einen britischen Angriff im Schwarzen Meer oder bei Murmansk zum Einsatz kommen könnten. (1)

Man war in Moskau ziemlich nervös und hatte es eilig den Grund für ein militärischen Vorgehens seitens Großbritannien und Frankreichs aus der Welt zu schaffen. Mit der Beendigung des Winterkrieges entfiel zumindest eine wichtige mögliche Ursache für eine kriegerische Auseinandersetzung.

(1) Lorbeer, Westmächte gegen die Sowjetunion, S.76f., Freiburg 1975
 
Man war in Moskau ziemlich nervös und hatte es eilig den Grund für ein militärischen Vorgehens seitens Großbritannien und Frankreichs aus der Welt zu schaffen. Mit der Beendigung des Winterkrieges entfiel zumindest eine wichtige mögliche Ursache für eine kriegerische Auseinandersetzung.

Im Winterkrieg hatten die Briten und Franzosen es überhaupt nicht eilig nach Finnland zu kommen. Allerdings kündigte sich Anfang 1940 eine internationale militärische Unterstützung für Finnland an.
Schweden liess 8000 Freiwillige (u.a. Piloten) in der finnischen Armee dienen und lieferte große Mengen an Waffen.
The casualties in the Winter War
Ungarn stellte 5000 Mann in Aussicht, über 400 waren bereits eingetroffen. Knapp über 1000 Dänen, Norweger und Amerikaner waren im März 1940 eingetroffen.

Letztendlich hat Finnland die Initiative zum Frieden mit der Sowjetunion begonnen, Finnland stand militärisch am Abgrund. Die Sowjetunion scheint wegen der immensen Verluste auch an einem Frieden interessiert gewesen zu sein. Ihr Blitzkrieg in Finnland war gescheitert.
Frankreich hat zwar 50000 Soldaten in Aussicht gestellt, aber der britische General Pownall dazu:
Von den vier oder fünf Divisionen, die vielleicht über die Nordsee gesandt worden wären, war nicht eine für Finnland bestimmt - vielleicht ein oder zwei Brigaden, wenn sie Glück hatten (…) Der Rest war einfach dazu bestimmt, die Eisenerzminen zu besetzen und zu halten und Schweden und Norwegen zu unterstützen. Es ist wirklich ein höchst unehrliches Geschäft.
Anthony Upton: Finland 1939–40. Newark, 1974
 
Somit konnte Stalin gegen Finnland zwar einige Landgewinne + einen Ostseestützpunkt auf finnischem Gebiet, aber keinen weiteren politischen Einfluß durchsetzen.

Das ist nicht korrekt. Zusätzlich zur Abtretung des Petsamo-Gebietes (die Anerkennung des Abtretungen des Moskauer Friedensvertrages war natürlich inbegriffen) und der Verpachtung von Porkkala, musste Finnland, ein Land indem die Weißen die Roten im Bürgerkrieg besiegt hatten, kommunistische Organisationen legalisieren und faschistische und faschistoide Organisationen verbieten.
 
Das [Barbarossas Satz: "Somit konnte Stalin gegen Finnland ... keinen weiteren politischen Einfluß durchsetzen] ist nicht korrekt. ... musste Finnland, ein Land indem die Weißen die Roten im Bürgerkrieg besiegt hatten, kommunistische Organisationen legalisieren und faschistische und faschistoide Organisationen verbieten.

Im multilateralen [1] Pariser Frieden vom 10.2.1947 war das Verbot faschistischer Organisationen völlig unstrittig. Allseitiger Konsens bestand auch hinsichtlich der (Wieder-) Zulassung kommunistischer Parteien.

Was hat das Stalin in Finnland einflußmäßig genutzt? Barbarossa hat bewusst von "durchsetzen" geschrieben. Die Zulassung allein hat überhaupt nichts bewirken können; sie trug "nur" dazu bei, das politische Spektrum nach links zu erweitern und konnte als Nachweis politischer Pluralität interpretiert werden (siehe Jahrbuch des öffentlichen Rechts der ... - Google Buchsuche).
Sollte Stalin spekuliert haben, damit einen Fuß in der Tür zu haben, so irrte er sich jedenfalls (zu den Gründen vgl. Anatomie der Parteizentrale: die KPD ... - Google Buchsuche).

[1] Beteiligt waren neben F. und SU. auch die USA, GB sowie, warum auch immer, Australien, Weißrußland, Kanada, Tschechoslowakei, Indien, Neuseeland, Südafrika und Ukraine.
 
Das ist nicht korrekt. Zusätzlich zur Abtretung des Petsamo-Gebietes (die Anerkennung des Abtretungen des Moskauer Friedensvertrages war natürlich inbegriffen) und der Verpachtung von Porkkala, musste Finnland, ein Land indem die Weißen die Roten im Bürgerkrieg besiegt hatten, kommunistische Organisationen legalisieren und faschistische und faschistoide Organisationen verbieten.

Die erste kommunistische Partei in Finnland wurde freiwillig 1986 gegründet.
Die erste kommunistische Partei Finnlands wurde in Petrograd (Sowjetrussland) 1918 gegründet.
 
Im multilateralen [1] Pariser Frieden vom 10.2.1947 war das Verbot faschistischer Organisationen völlig unstrittig. Allseitiger Konsens bestand auch hinsichtlich der (Wieder-) Zulassung kommunistischer Parteien.

Umso besser für die Sowjetunion.

Was hat das Stalin in Finnland einflußmäßig genutzt? Barbarossa hat bewusst von "durchsetzen" geschrieben.

...Die sorgfältige Erfüllung der Forderungen hat zur Wiederherstellung der nationalen Souveränität Finnlands geführt, sie hat aber auch politische Verwicklungenn herauf beschworen. So hat das Waffenstillstandsabkommen die Kommunistische Partei Finnlands (SKP) legalisiert, die seit 1930 verboten war. Sie führte die Demokratische Liga des finnischen Volkes (SKDL) an, die von sich behauptete, ein breites Spektrum fortschrittlicher Kräfte zu repräsentieren. Schon in den ersten Parlamentswahlen nach dem Krieg, im März 1945, gelang es der SKDL, die größte Einzelpartei im finnischen Parlament zu werden. Damit wurde auch Mitgliedern der SKP der Weg in den finnischen Reichstag (Eduskunta) geebnet. Daneben waren die Sozialdemokratische Partei (SDP) und die Agrarunion (ML) die stärksten Gruppierungen. Politisch spielte die SKDL während der ersten Nachkriegsjahre in Finnland eine wichtige Rolle. Ihr Wahlerfolg von 1945 bedeutete auch, dass ein Mitglied der SKP, Yrjo Leino, den wichtigen Posten des Innenministers erhielt, verantwortlich unter anderem für den staatlichen Geheimdienst und ein großes mobiles Polizeikontingent. Der Einfluss der Kommunisten in der finnischen Regierung war in den Jahren 1946 bis 1948 besonders stark, als die SKDL acht von zwölf Kabinettsposten hielt, darunter das Amt des Ministerpräsidenten, welches Mauno Pekkala inne hatte....

Finnland von Ingried Bohn aus der Reihe Geschichte der Länder Skandinaviens, Seite 228-229

Die Zulassung allein hat überhaupt nichts bewirken können; sie trug "nur" dazu bei, das politische Spektrum nach links zu erweitern und konnte als Nachweis politischer Pluralität interpretiert werden (siehe Jahrbuch des öffentlichen Rechts der ... - Google Buchsuche).

Da rechte Gruppierungen, zu denen auch die Vaterländische Volksbewegung (IKL) gehörte, die mit 8 Parlamentsmandaten im Parlament vertreten war, verboten wurden, während linke Parteien/Gruppierungen legalisiert wurden und Einfluss und Wahlen gewannen, war es keine Erweiterung, sondern eine deutliche Verschiebung des politischem Spektrums nach links.

Sollte Stalin spekuliert haben, damit einen Fuß in der Tür zu haben, so irrte er sich jedenfalls (zu den Gründen vgl. Anatomie der Parteizentrale: die KPD ... - Google Buchsuche).

Was meinen sie mit "einen Fuß in der Tür zu haben"?
Die Machtübernahme in Finnland war mehr der finnländischen Kommunisten als die Stalins, dessen primäre Ziele, die Nordwest-Flanke der Sowjetunion zu sichern und merklichen Einfluss auf die Politik Finnlands zu sichern mit dem sogar missliebige Regierungen abgesetzt werden konnten, mit dem FZB-Vertrag und sowjetfreundlichen Politikern/politischen Gruppierungen und andere Mittel erreicht wurden.

...Die finnischen Kommunisten fühlten sich nicht zuletzt aufgrund ihrer Regierungsverantwortung gestärkt und begannen zu Beginn des Jahres 1948 mit Unterstützung Moskaus eine groß angelegte politische Offensive.
Die Unterzeichnung des FZB-Vertrages im April kam ihrer Agitation sehr gelegen, während Moskau nach erfolgreichem Abschluss der Vertragsverhandlungen bereits wieder etwas mehr Zurückhaltung übte....

Quelle: Siehe oben, Seite 229

... Die sozialdemokratische Minderheitsregierung Fagerholms war trotz unbestrittener Erfolge in Sachen Reparationsleistungen und Wiederaufbau schon bald der sowjetischen Kritik und in Finnland selbst den Vorwürfen der einheimischen Kommunisten ausgesetzt. Das Misstrauen, das hier Platz griff, grründete in der aktuellen Spannung zwischen den Großmächten: 1948 hatte Stalin die Berlin-Blockade eingeleitet, worauf die Westmächte mit der Gründung des Nordatlantikpaktes reagierten, dem sich Dänemark und Norwegen anschlossen, während Schweden seine Neutralität bekräftigte, am liebsten aber ein skandinavisches Verteidigungsbündnis geschlossen hätte. So aber bildete der Norden 1949 drei verschiedene sicherheitspolitische Zonen, eine davon Finnland mit seinem nach Osten gewandten Freundschaftsabkommen. Die Sowjetunion hatte jeden Gedanken an ein skandinavisches Sicherheitsbündnis konsequent abgelehnt und blickte argwöhnisch auf die Regierung Fagerholm, die Finnlands nordische Staatsform betonte und trotz der Priorität der Ostrelationen gute ökonomische und kulturelle Beziehungen auch zu anderen Ländern anstrebte. In der finnischen kommunistischen Tagespresse wuchsen aus Zweifel und Bedenken gegenüber der Regierung immer deutlichere Forderungen nach einem Regierungswechsel, denen sich politische Gegner des bürgerlichen Lagers anschlossen. Der innenpolitische Drucck wurde durch eine Reihe von Arbeitskonflikten erhöht, in denen die Kommunisten versuchten, die Stimmung auf dem Arbeitsmarkt zu verschärfen und die Positionen der Sozialdemokraten in den Gewerkschaften zu schwächen: Großes Aufsehen erregte im Herbst 1948 wilde Streiks in Helsinki und im Sommer 1949 ein Arbeitskampf in der Hafenstadt Kemi am Bottnischen Meerbusen, in dem es um nicht angekündigte Lohnsenkungen ging und in dessen gewaltvollem Verlauf zwei Menschen ums Leben kamen.
Die Agrarunion, seit Sommer 1948 in der ungeliebten Oppositionsrolle und gewillt, sie möglichst bald wieder abzulegen, knüpfte unter diesen Bedingungen engere Verbindungen zu den Kommunisten und Volksdemokraten. Sie nominierte Urho Kekkonen zum Kandidaten für die bevorstehenden Präsidentschaftswahl 1950, der nun eine energische Kampagne gegen den amtierenden Paasikivi begann und im entscheidenden Wahlgang mit der Unterstützung der SKDL rechnen konnte. Dennoch scheiterte er -, ohne wirklich zu verlieren. Unmittelbar nach Paasikivis Wiederwahl trat die Regierung Fagerholm, wie es Tradition war, zurück. Wider Erwarten beauftragte der Präsident aber nicht erneut die Sozialdemokraten, sondern Kekkonen mit der Regierungsbildung.
Kekkonen selbst hat die Beziehungen zur Sowjetunion als Hauptgrund für seine führende Rolle und Zusammensetzung der Regierung angeführt. Die ursprünglich von Paasikivi anvisierte Koalition zwischen Agrarunion und Sozialdemokraten wurde schnell verworfen, hätte sie doch die äußerste Linke provoziert und Moskau verärgert. Das Gleiche galt für eine Beteiligung der konservativen Sammlungspartei (KoK). In der von Kekkonens Partei dominierten Minderheitsregierung übernahmen nur noch die Schwedische Volkspartei (SFP) und die Fortschrittspartei Verantwortung, ein Kompromiss, der auch für die Sowjetunion akzeptabel war. Der neue Ministerpräsident Kekkonen hat die Inhalte des sowjetisch-finnischen Freundschaftsabkommen zur Basis und die Ostbeziehung zum wichtigsten Instrument seiner Politik gemacht. Und in der Tat: Schon wenige Monate nach seinem Amtsantritt hatte sich das Klima im Verhältnis zur Sowjetunion markant verbessert. Kekkonens gut funktionierender Dialog mit den finnischen Kommunisten und seine vielfältigen und vertraulichen Kontakte zu russischen Beamten der sowjetischen Gesandschaft dürften hier mehr als nützlich gewesen sein.
Es wurden nun innerhalb kurzer Zeit eine Reihe von Entscheidungen gefällt, deren Symbolik in der Sowjetunion wie auch in Finnland selbst wohl kaum missverstanden wurde: Die im Herbst 1949 verurteilten Streikführer kamen in den Genuss einer Amnestie, ein festlicher Empfang zum Jahrestag der Unterzeichung des FZB-Vertrages wurde arrangiert und etwa zur selben Zeit ein Friedensfest in Helsinki gefeiert - organisiert von der sowjetisch gesteuerten Kominform -, ein Fest, das sich gegen die amerikanischen Kernwaffenarsenale wandte und durch Kekkonens und Paasikivi Anwesenheit aufgewertet wurde. Noch im Sommer 1950 wurde Kekkonen nach Moskau eingeladen, wo er weitere bedeutsame Handelsabsprachen traf, die die Fortsetzung des Warenaustausches auf Clearingbasis ermöglichten und die stabilisierenden Einfluss auf die finnische Wirtschaft nehmen sollten. Auffallend war, mit welch demonstrativem Wohlwollen seitens der sowjetischen Machtelite, nicht zuletzt Stalins, der finnische Ministerpräsident emfangen wurde.
...

Quelle: Siehe oben, Seite 243-245

Das ändert sich auch nicht mit Stalins Nachfolger.

Zu diesem Zeitpunkt gilt die Ära Kekkonen bereits als beendet, eines Präsidenten, der auch vor dem Hintergrund komplizierter innen- und außenpolitischer Verwicklungen die eigenen politischen Ziele und als Voraussetzungen dafür den persönlichen Machterhalt nie aus den Augen verlor. Schon am Beginn seiner Präsidentschaft erwies sich die Innenpolitik Finnlands als zerrissen und es gelang nicht, tragfähige Mehrheitsregierung zu bilden. Nach der Parlamentswahl 1958 schienen die Bedinungen für eine breite Regierungskoalition allerdings gegeben, und tatsächlich kam eine Regierungsallianz aus Tanners Sozialdemokraten, der Sammlungspartei, der beiden Volksparteien und der Agrarunion zustande, die zwei Drittel des Parlaments hinter sich hatte. Die sowjetische Presse und auch der sowjetische Botschafter in Helsinki hatten die vorausgehenden Sondierungen und Verhandlungen lebhaft kommentiert. Sie wünschten natürlich eine kommunistische Beteiligung, zumal die SKDL als Wahlsieger galt. Wenigstens erwartete man eine Koalition aus Parteien, die die nachkriegszeitliche finnische Ostpolitik unterstützten. Das schloss sowohl die Mitwirkung der von Tanner geführten Sozialdemokraten aus, als auch die Regierungsverantwortung der Sammlungspartei, die sich als konsequente Gegner des moskaufreundlichen Kekkonen erwiesen hatten.
Mit der Bildung einer Mehrheitsregierung wie sie demgegenüber die Parteienvertreter in Finnland aushandelten, wären gute Voraussetzungen für die Durchsetzung eineso dringend notwendigen wirtschaftlichen Stabilisierungsprogramms entstanden. Trotzdem verurteilte Kekkonen die Koalitionsbildung, die die Sowjetunion provozieren würde. Aber da die Parteien sich bereits geeinigt hatten, gab er Fagerholm widerwillig den Auftrag zur Regierungsbildung, während er gegenüber der sowjetischen Botschaft seine Distanz zu dieser Regierung geschickt durchblicken lies. Moskau ergriff nun eine Reihe von Massnahmen, um seine Missbiligung gegenüber der neuen finnischeen Regierung auszudrücken: So wurde der sowjetische Botschafter in Helsinki abberufen, die Minister der neuen Regierung, insbesondere ihr Außenminister Virolainen in jeder Hinsicht ignoriert, und die sowjetische Presse eröffnete eine ungehemmte Kampagne gegen das Kabinett des Sozialdemokraten Fagerholm. Dass Klima zwischen der finnischen Regierung und der Sowjetunion gefror zusehends, daher auch die Bezeichnung ,,Nachtfrost" für diese Krise. Kekkonen duldete dies alles möglicherweise ganz bewusst, um Fagerholm auszumanövrieren, seinen potenziellen Gegner in der nächsten Präsidentschaftswahl. Das innenpolitische Machtspiel war aber nicht die einzige Dimension dieser bilateralen Spannungen.
Die Beziehungen der Großmächte hatten sich seit der ergebnislosen Gipfelkonferenz der Vier Mächte in Genf 1955, auf der es vor allem um die Deutsche Frage ging, verschlechtert. Einige Monate zuvor war der Warschauer Pakt als Gegengewicht zur NATO gegründet worden und im Herbst 1956 hatte die sowjetische Niederschlagung des Aufstands in Ungarn die Weltöffentlichkeit erschüttert. Auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs waren Argwohn und Misstrauen weiter angewachsen und dem Kreml war daran gelegen, dass sich die außenpolitische Linie Finnlands nicht veränderte. Vor diesem Hintergrund war Moskaus Haltung gegenüber dem finnischen Interesse, an der wirtschaftlichen Integration Westeuropas teilzuhaben, eindeutig ablehnend. Die immer noch stark nach Westen orientierte finnische Exportindustrie hätte sich eine Mitgliedschaft in der auf der Grundlage der Römischen Verträge von 1957 gebildeten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gewünscht, aber das hätte Finnland in den Augen der Sowjetführer zu weit ins westliche Lager gezogen und aller Wahrscheinlichkeit nach auch die militärische Zusammenarbeit in der NATO irgendwann zu Folge gehabt. Auf die neue finnnische Regierung war unter diesen Umständen kein Verlass und man setzte alles daran, ihre vorzeitige Abdankung zu erwirken. Als verlautete, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre militärische Zusammenarbeit mit Dänemark im Rahmen ihrer NATO-Mitgliedschaft zu intensivieren wwürde, betrachtete Chruschtschoww dies als eine gegen Ostdeutschland gerichtete Initiative, die auch Folgen für das militärische Gleichgewicht in der Ostsee haben würde. KGB-Funktionäre in Helsinki haben daraufhin Kekkonen zu verstehen gegeben, die Sowjetunion könne militärische Konsultationengemäß gemäß des FZB-Vertrages von 1948 vorschlagen. Vermutlich hätten sie zu einer Änderung des sicherheitsstrategischen status quo und weitergehendenmilitrischen Forderungen gegenüber Finnland geführt - ein zu großes Risiko. Diese Drohung veranlasste deshalb die Regierung, wegen der rapide verschlechterten Ostbeziehungen zurückzutreten. Ihre Amtszeit hatte gerade einmal von August bis Dezember 1958 gedauert....

Quelle: Siehe oben, Seite 255-257
 
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