Ab wann wurde der einst bei Fotos übliche, finstere Blick, von einem lächelnden abgelöst? In der Zwischenkriegszeit? Schon davor? Und was war für diese Entwicklung verantwortlich? Hat es einen speziellen Ursprung, sozusagen ein Vorbild, gegeben?
Von Bourdieu stammt eine hervorragende Darstellung, welche Rolle Fotografie gespielt hat. In diesem Kontext beantwortet er den Stellenwert und die damit verbundenen typische Verhaltensweise vor einem Fotoapparat. Eine illegitime Kunst: die sozialen Gebrauchsweisen der Photographie - Google Books
@Hiltibold Das ist eine hochkomplexe soziologische und kunsthistorische Frage. Bourdieu ist da mit Sicherheit ein guter Ansatz. Man kann ja nicht sagen, daß auf allen Fotos gelächelt wird, auch nicht auf Porträtsfotos. Dann wäre m.E zu unterscheiden zwischen professionellen Fotos (Fotografie als Handwerk), Hobbyfotos (die Fotos von Jedermann), künstlerischen Fotos (Fotografie als bildende Kunst) und semikünstlerische Fotos (Fotos in der Werbung/Propaganda, Fotos als angewandte Kunst). Dann kämen wir zur Mediengeschichte, also die technische Verbreitung der Fotografie und deren Verfügbarkeit. Je verfügbarer die Technik war, desto eher konnten sog. "Schnappschüsse" produziert werden und die Einnahme von Posen w.z.B. auf Fotos des 19. Jh. wurden unnötig, da man beliebig viel Fotos, z.B. Momentaufnahmen, herstellen konnte, inkl. der technischen Machbarkeit (z.B. der Verkürzung der Belichtungszeiten). Dann erst kämen wir zum Kernpunkt Deiner Frage, und zwar die soziologische und kulturgeschichtliche Projektion eines Idealtypus und deren Wiedergabe auf Fotos. Ist der allgemein gesellschaftlich akzeptierte Idealtypus eher "gesetzt ernst ehrbar" oder "lächelnd jugendlich ungezwungen"? Ich meine einmal in einem Aufsatz (ich glaube von H. Mann) gelesen zu haben, daß er eine Verschiebung dieses idealtypischen Bildes konstatierte, und zwar um die Zeit nach der Jahrhundertwende, sorry, daß ich da nicht genauer sein kann. Würde aber mit gesellschaftlichen Phänomenen wie "Wandervogel", "Lebensreform" etc. einigermaßen harmonieren und könnte nach dem I. WK, zumindest für Deutschland, fortgesetzt haben (=> "Jugendkult"). Nun zum Thema "lächeln". Wenn ich dieses Thema bearbeiten müßte, würde ich empirisch Werbefotos auswerten, und zwar mit der Fragestellung, ab wann setzt sich der "lächelnde Idealtypus" nachhaltig durch und was transportiert die Botschaft der Fotos. Hobbyfotografien sind mengentechnisch nicht handhabbar, prefessionelle Fotos dito., künstlerische Fotos können m.E. nur kunsthistorisch bewertet werden (z.B. "Verfremdungen" etc.). M.
Ich würde mal schätzen, die Lächelvorkommnis kommt auch ein wenig aufs Genre an. Ich meine mich zu erinnern, dass bei erotischer Fotografie schon ziemlich früh gelächelt wurde. Aber das war ja auch nicht repräsentative Fotografie, wie etwa Familienbilder, sondern eher was für, höm-höm, intime Momente. Ich kann mir übrigens vorstellen, dass das eine wichtige Entwicklung benennt. Sobald die Fotografie eine persönliche, intime Momentaufnahme statt eine Art Statt-Ölgemälde-Portrait wird, wird überall so richtig losgelächelt. Allerspätestens mit Polaroid hat sich das dann durchgesetzt.
Dazu kommt aber auch noch der Kulturkreis. Vielleicht hat es auch mit dem technischen Entwicklungsstand bzw. der Vertrautheit mit dem Fotografiertwerden zu tun. Wenn ich jedenfalls in Äthiopien Leute fotografiere, dann ziehen viele ganz bewusst ein ernsthaftes Gesicht fürs Foto, obwohl sie vorher und hinterher sehr schön lächeln.
These: In der Frühzeit der Portaitfotographie wird selten gelächelt, weil man sich am usus der Portraitmalerei orientiert. Man konnte einfach nicht stundenlang gleichmäßig lächeln, weil das anstrengend ist. Ein ernstes (aber nicht böses) Gesicht klappte dagegen schon.
Gute Idee, funktioniert aber mit meinen Äthiopiern nicht, da die von Porträtmalerei keinen Schimmer haben. Andere These: Was ist die Funktion von Fotografie? Was wollen die Fotografierten auf dem Bild darstellen? Wenn sie einfach würdig und seriös aussehen wollen, dürfen sie halt nicht lächeln. Vielleicht haben aber die genannten Äthiopier irgendwann mal was von Fotografie gehört aus einer Zeit, in der ein Foto ewig dauerte. Da hat man ja dann auch nicht gelächelt - bei diesen langen Belichtungszeiten.
Zu El Quijotes These: Genau, die langen Belichtungszeiten sind ja quasi eine Variation davon. Als dann später gerade die Flüchtigkeit des Augenblicks den Charme eines eigenständigen Mediums auszumachen beginnt, wird das Lächeln sozusagen das Markenzeichen der Fotografie. Allerdings würde ich auch den Aspekt, den Turandokht eingebracht hat, nicht vernachlässigen wollen. Das Ernste ist eben auch für einen besonderen Moment reserviert, der nicht alltäglich und daher repräsentativ ist. Man verewigt sich. Wer jeden Tag fotografiert werden kann, kann irgendwie aussehen; wer nur einmal im Leben fotografiert wird, sieht die Sache schon "staatstragender." Und dann vielleicht noch ein dritter Punkt: Fotografieren ist auch eine Art von fokussierter Beobachtung, die für uns normal ist, aber das eben nicht immer war. In so einer Situation ernst zu sein heißt eben auch, diesem ungewohnten, nicht ganz einschätzbaren Blick auf den eigenen Körper einen gewissen distanzierten Respekt entgegenzubringen. Das würde auch den Unterschied zur erotischen Fotografie erklären, in der es ja gerade sehr stark um das systematische Weglassen der Selbstdistanzierung vom Betrachter geht. Auf einer Fotografie zu lächeln deutete in der Frühphase möglicherweise bereits sowas wie allgemeine Verfügbarkeit des abgebildeten Körpers an, und war damit schon von sich aus eine erotisch aufgeladene Komponente. Sowas will der gutbürgerliche Kaufmann auf seinem Portraitfoto natürlich eher vermeiden.
Demnach war also die weiterentwickelte Technik eventuell dafür verantwortlich, dass das Lächeln in der Kunst der Fotografie allgemein Einzug hielt - Stichwort kurze Belichtungszeiten. So wie die Digitalfotografie dazu führte, dass man heute ein und dasselbe Objekt oft zig mal ablichtet, da man kein teures Verbrauchsmaterial (Film) mehr benötigt. Immer unter dem Motto, zumindest eines der vielen Fotos wird gelingen
Die Fotografie unterlag einer Vielzahl von sozialen und ästhetischen Restriktionen und auch bestimmten technischen Einschränkungen. In vielen Situationen, nimmt man mal die Fotographie mit einem expliziten künstlerischen Anspruch davon aus, diente sie ca. bis zum WW2 nicht selten als bildliches Gedächtnis. Das bezog sich sehr häufig auf besonders wichtige Momente. "Singles". Der Kontext war sehr häufig die Ursache für die "Gefaßtheit" (nicht-Lächeln) der Abgebildeten und in diesem Sinne war die Fotografie durch ihre Rolle etwas besonders wichtiges und ernsthaftes. Als Ergänzung zu Bourdieu: - Susan Sonntag: On Photography - Roland Barthes: Die helle Kammer - Gisele Freund: Photographie und Gesellschaft - Siegfried Kracauer: Das Ornament der Masse bes. S. 21ff
Würd' ich auch meinen! So einfach iss es... edit: Klar kann man die Ernsthaftigkeit und den Stolz des 19.Jhs zitieren, aber zunächst sollte man versuchen, eine Minute lang (oder länger!) natürlich zu lächeln oder gar zu lachen...
Zu begin der Photographie (Malerei mittels Licht) waren sehr lange Belichtungszeiten notwendig, wie schon erwähnt wurde. Die Personen welche sich porträtieren liesen wurden zu Anfang auch an Gestelle angelehnt. Deshalb auch die starre Haltung, nicht nur im Gesicht. Geschichte und Entwicklung der Fotografie ? Wikipedia History of photography - Wikipedia, the free encyclopedia Chronologie der Fotografie ? Wikipedia Apvar
Ich würde die Ursprünge des Lächelns vor der Kamera in der Werbung, die aus den USA kam, suchen wollen. Auch Pin-up. Es gibt, nur nebenbei, einen Kurzfilm "Im Photoatelier" (1932) von Karl Valentin. Der treibt das ganze Gehabe und Gestelze vor der Kamera auf eine groteske Spitze.
Das Erscheinen des Lächelns kann viel früher angesetzt werden. Die Überlegungen der Werbung waren zwar sicherlich wichtig für das allgemeine Lächeln auf Fotos, würde aber die Anfänge gegen Ende des 19.Jhs., bzw um die Jahrhundertwende suchen. Anzumerken sei, dass das Lächeln auf Kustwerken nicht die Erfindung der Fotografen ist. Waren da Settignanos “Lachender Knabe” aus dem späten MA und Rembrandts lachende Selbstportraits noch seltene Ausnahmen, so wurde das Gemüt auch der Oberklasse im Rokoko heiterer (Bsp: Portraits von Quentin de La Tour, Jean Étienne Liotard, sowie natürlich die lustvollen Boucher- und Fragonard-Bilder). Das Rokoko war in vieler Hinsicht wichtigste Inspiration der Belle Époque, und somit indirekt auch der Fotografie. Für das Fehlen des Lächelns auf den Portraitfotos des 19.Jhs. würde ich folgende Punkte verantwortlich machen (in dieser Reihenfolge): 1. Technische Umsetzung - extreme Belichtungszeiten 2. Die Feierlichkeit und die einschüchternde Technik bei einer Portraitsitzung - das gemeine Fußvolk ließ sich vielleicht 1-2 mal im Leben ablichten. Fotografie war zudem noch etwas Mysteriöses, die Technik, v.a. mit Blitzpulver recht erschreckend. Zudem war Kunst, inkl. Fotografie eine ernste Angelegenheit, wobei sich auch die Künstler sehr ernst nahmen. 3. Dann erst würde ich das Hochhalten der (Eigen-)Würde des Menschen im 19. Jh. nennen - nicht zuletzt das pathetische Gehabe der Männer, das in den Wirtschaftskrisen anfangs des 20.Jhs. bereits arg ramponiert, im 1.WK dann mit den Füßen getreten wurde. Portraits und Modebilder in Publikationen waren bis etwa nach dem 1.WK meist gezeichnet. Die Fotografie in Zeitschriften kam eigentlich erst in den 1930-ern richtig in Schwung. Die meisten Fotos vorher entstanden nicht als Unterhaltung für die breite Öffentlichkeit, sondern dienten in erster Linie zur Dokumentation.(die Werke früher Meisterfrotografen sind eher als Ausnahme zu sehen, waren sie mehr als künstlerische Leistung gedacht, bzw als Erkundung der Fotografie als Medium der Kunst)
So ähnlich sehe ich das auch.Im Prinzip ging das Lächeln mit der Profanisierung und Entprofessionalisierung der Photographie einher. Als die Potographiedie Studios und Ateliers verließ und unters Volkund kam ,was mit günstigeren,kleineren Photoapparaten, Fächerverschluss und Rollfilm der Fall war und der Schnappschuß zur Alltäglichkeit gehörte kam das Lächeln auf die Bilder.
Nicolas Jeeves hat unsere Diskussion geklaut (): https://publicdomainreview.org/essay/the-serious-and-the-smirk-the-smile-in-portraiture Why do we so seldom see people smiling in painted portraits? Nicholas Jeeves explores the history of the smile through the ages of portraiture, from Da Vinci's Mona Lisa to Alexander Gardner's photographs of Abraham Lincoln.