Frage bzgl. Gesetzesinitiative/Plebiszit

Tyrone_Slothrop

Neues Mitglied
Hallo ihr Lieben,

ich habe eine Frage, die ich wirklich auch nach einer Internetrecherche einfach nicht klären kann.

Es geht um die späte Republik und die Struktur der Regierung.
Volkstribunen dürfen ihr Veto gegen Gesetze/Entscheidungen etc. einlegen, sie vertreten die Interessen der Plebejer, würden also - in der Theorie, wenn sie voll umfänglich den Plebs "dienen" würden (wir lassen hier Bestechung außen vor) - ihr Veto gegen sämtliche Dinge einlegen, die den Plebejern missfallen würden.

Meine Frage betrifft nun die Gesetzesinitiative. Ich habe gelesen, dass meist Konsul oder Volkstribun Gesetzesentwürfe bzw. politische Fragen in den Senat einbringen und dort darüber diskutiert wird. Schließlich wird der Entwurf veröffentlicht und über ihn in den Volksversammlungen beraten. Stimmen diese zu, wird das Gesetz verabschiedet.

Nun lese ich gleichzeitig von der Lex Hortensia, die beschreibt, dass die Volksversammlung der Plebejer eigenständig Gesetze erlassen darf. Das verwirrt mich. Was hinderte diese Gruppe denn daran, sich selbst z. B. Unmengen an Nahrung etc. zuzuweisen? Wenn sie selbst Gesetze erlassen konnten, hatten sie doch theoretisch mehr Macht als jegliches Magistrat?
Oder schlugen sie auf einer Versammlung einen Gesetzesentwurf vor, den ein Volkstribun dann im Senat vertrat?
Wenn ja, warum steht überall online, dass sie laut Lex Hortensia Gesetze DIREKT erlassen konnten?

Ich fühle mich gerade dumm und frustriert, aber ich komme einfach nicht drauf. Könnt ihr mir helfen?
 
Plebeian Council - Wikipedia ... formuliert das so und löst den Knoten wie folgt auf:
The lex Hortensia, however, should not be viewed as the final triumph of democracy over aristocracy. Close relations between the plebeian tribunes and the senate meant that the senate could still exercise a great degree of control over the Plebeian Council. Thus, the ultimate significance of this law was that it robbed the patricians of their final weapon over the plebeians. This ended the Conflict of the Orders, and brought the plebeians to a level of full political equality with the patricians.

Also eine Frage der Besetzung und Rechte der Versammlungen, und der patrizischen Einflüsse auf die Tribune.

Der zitierte Lintott, The Constitution of the Roman Republic, S. 59/60, bringt als Beispiel die zunächst beabsichtigte Zurückweisung von L. Aemilius Paullus Anspruch auf einen Triumphzug in 167, bei dem ein patrizischer früherer Militärtribun eine Rede in der Versammlung offenbar als Mitglied hielt, und diskutiert einen informellen patrizischen Einfluss oder sogar eine Durchmischung.

Hier wird das ebenfalls diskutiert, und "Vermischung" offenbar verneint:
Sandberg, The concilium plebi, as a Legislative Body during the Republic
 
ich komme einfach nicht drauf.
Diese Frage ist nicht wirklich lösbar.

Das Hauptproblem ist, dass Rom keine Verfassung "aus einem Guss" hatte, sondern ein Sammelsurium aus Gewohnheitsrecht und Einzelgesetzen, die im Laufe der Zeit erlassen wurden (oft als das, was man heute abwertend "Anlassgesetzgebung" nennt), ohne dass sie in eine harmonische Ordnung gebracht worden wären. Das alles passte oft nicht recht zusammen und führte tatsächlich zu faktisch unlösbaren Konflikten.

Allerdings spielte sich im alten Rom die Verfassungsrealität noch mehr als heute auf einer eher informellen Ebene ab. Persönliche Beziehungen einflussreicher Politiker, das persönliche Ansehen, aber auch Drohungen, Junktimierungen etc., all das spielte eine wichtige Rolle, konnte zu Lösungen führen (oder sie blockieren) und ging oft an formellen Verfassungsbestimmungen vorbei. Oder es wurde überhaupt zu nackter Gewalt gegriffen, um etwas durchzusetzen oder zu verhindern.

Zur Lex Hortensia sollte man außerdem berücksichtigen, dass sie zu einem Ende der Ständekämpfe führte. In der Folge verlor die Unterscheidung zwischen Plebejern und Patriziern an Bedeutung. (Formal blieb sie bestehen und spielte auch weiterhin z. B. beim Zugang zu bestimmten Ämtern oder auch im Sakral- und Eherecht eine Rolle.) Manche plebejischen Familien schafften den sozialen Aufstieg, Patrizier und Plebejer standen sich nicht mehr als Blöcke gegenüber. Das concilium plebis spielte zwar weiterhin eine wichtige Rolle, aber nicht in dem von Dir angedachten Sinn, dass es seine Macht verwendet hätte, um den Patriziern als solchen etwas hineinzuwürgen.
 
Es geht um die späte Republik und die Struktur der Regierung.
Volkstribunen dürfen ihr Veto gegen Gesetze/Entscheidungen etc. einlegen, sie vertreten die Interessen der Plebejer, würden also - in der Theorie, wenn sie voll umfänglich den Plebs "dienen" würden (wir lassen hier Bestechung außen vor) - ihr Veto gegen sämtliche Dinge einlegen, die den Plebejern missfallen würden.
Das stimmt natürlich von der Konzeption her, änderte sich in der späten Republik, als sich der Gegensatz zwischen Plebejern und Patriziern auflöste, aber auch. Ursprünglich sollten die Volkstribunen die Plebs (als das "gemeine Volk") gegen die Patrizier (als Oberschicht) schützen, weswegen nur Plebejer Volkstribunen werden durften. Daran änderte sich auch in der späten Republik nichts, bloß dass jetzt manche Plebejer selbst Teil der Oberschicht (und insofern der "herrschenden Klasse") waren und dennoch Volkstribunen wurden. Manche Volkstribunen nutzten ihre Möglichkeiten, um sich beim Volk beliebt zu machen, indem sie eine "populare" Politik betrieben. Andere hingegen vertraten die Interessen der "Optimaten" und blockierten Maßnahmen, die dem "kleinen Mann" dienen sollten.

Generell ist zu beachten, dass viele Amtsträger ihre (theoretischen) Kompetenzen nicht voll auslebten. Das galt gerade auch für die Volkstribunen, die theoretisch enorme Macht ausüben konnten, von denen die meisten aber dennoch eher unauffällig blieben. Die Gründe waren wohl unterschiedlich, aber in Rom gab es eine Fülle an Möglichkeiten, wie man sich in der Politik gegenseitig das Leben schwer machen konnte und wie man somit auch gegen Unangepasste vorgehen konnte. Das begann schon bei den Volkstribunen selbst, die auch gegeneinander ihr Veto einlegen konnten. Man denke aber auch an die Censoren, die Senatoren aus dem Senat werfen konnten, offiziell wegen "moralischer Verfehlungen", faktisch aber natürlich auch, um unliebsame Personen loszuwerden. Wer also langfristig Karriere machen wollte, war gut beraten, nicht allzusehr anzuecken. Wer sich obendrein die Chance auf einen Triumphzug wahren wollte, musste sich mit dem Senat erst recht gut stellen, weil er dafür dessen Genehmigung brauchte. Völlig übersehen werden heutzutage meist die sakralen Möglichkeiten, die es gab, um ins politische Leben einzugreifen. Das konnte so weit gehen, dass sogar Konsuln zurücktreten mussten, weil bei ihrer Wahl angeblich irgendwelche religiösen Formalitäten nicht korrekt beachtet worden waren, und Volksversammlungen konnten aufgelöst werden, wenn irgendwelche heiligen Hühner nicht fraßen oder von den zuständigen Priestern sonstige negative Vorzeichen beobachtet wurden. Hier waren die Missbrauchsmöglichkeiten natürlich besonders groß. Als ultimative Waffe gab es noch das "senatus consultum ultimum", mit dem der Senat den Notstand ausrufen konnte. Dann gab es endgültig kein Halten mehr, sondern es konnte mit unliebsamen Personen kurzer Prozess gemacht werden.
Natürlich stand all das nicht auf der Tagesordnung, sondern kam eher selten vor und wurde meist durchaus mit Bedacht eingesetzt. Aber dennoch: Wer eine lange Karriere machen und weit kommen wollte, war gut beraten, sich eher angepasst zu verhalten und sich mit dem Senat und den führenden Politikern einigermaßen gut zu stellen. Politiker, die gewissermaßen mit der Brechstange vorgingen und die offene Konfrontation nicht scheuten wie etwa die Gracchen, gab es zwar auch, blieben aber die Ausnahme und nahmen meist kein gutes Ende.
 
Noch ein Nachtrag zu meinem letzten Beitrag:
Man muss auch bedenken, dass die obersten Magistrate, die Praetoren und die Konsuln, in den Centuriatscomitien, also nach einer Art Zensuswahlrecht gewählt wurden, bei dem die Stimmen der Reichen viel mehr zählten als die der Armen. Kandidaten waren somit (auch) auf Stimmen der Oberschicht angewiesen. Sich als Volkstribun bei der breiten Masse beliebt zu machen, bedeutete also nicht, die Wahl zum Praetor und zum Konsul bereits in der Tasche zu haben, sondern eher im Gegenteil.
 
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