Fragen zur Archäologie vor ungefähr 250 Jahren

Brissotin

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Hallo!

Ich habe mal eine Frage an alle archäologisch versierte Leute. In einem Buch über Kurfürst Carl Theodors Wirken, bin ich mal auf den Aspekt Archäologie in der Kurpfalz der Zeit gekommen. Früher hatte ich das ganze für Spielereien der Rokoko-Fürsten gehalten, jetzt aber lässt mich die eindeutige Ernsthaftigkeit mit der die archäologischen Forschungen betrieben wurden, an diesem Urteil zweifeln.

Per Erlass vom 29.08.1749 durch Carl Theodor, sollten historisch bedeutende Bodenfunde an die Behörden abgeliefert werden. Dafür war eine Aufwandsentschädigung in Form einer Ausgleichszahlung vorgesehen. Durch den Erlass soll sich schon die Antikensammlung des Kurfürsten enorm erweitert haben. Das winkende Geld war sicherlich ein guter Anreiz für die Landbevölkerung.

Besonders verdienstvoll machte sich dabei ein Andreas Lamey (1726-1802), der sich vorher in Straßburg mit der Mathematik beschäftigt hatte. Er wurde vom Kurfürsten an die Akademie der Wissenschaften berufen, wo er durch zahlreiche Schriften zur Regionalgeschichte und provinzialrömischen Geschichte gewirkt haben soll.

1766 wurden scheinbar gleich zwei bedeutende Entdeckungen gemacht. Zum einen wurde im Juni bei Schriesheim eine Villa rustica ergraben. Die Entdeckung wurde 1770 von der Akademie unter dem Titel „De sepulcro Romano prope Schrighemium reperto“ veröffentlicht. Zum anderen wurde ebenso eine Villa rustica zwischen Ladenburg und Riesheim im September ausfindig gemacht, welche dann 1773 wiederum in Mannheim unter dem Titel „Dissertatio de Balneo Romano in argo Lupodenensi reperto“ von K. Haeffelin publiziert wurde. Bei beiden Ausgrabungen und der Aufnahme war ein gewisser F. Denis (vielleicht eine archäologische Größe?) offenbar federführend.

Darüber hinaus wurden auch Karten zur Besiedlung des pfälzischen Raumes u.a. von Herrn Lamey angefertigt. Dazu sollte man sagen, dass eine topographisch präzise Erfassung und Kartographie erst zeitgleich entstand. Das würde für mich den Stellenwert der Archäologie und hier sogar der systematischen Darstellung archäologischer Bodendenkmäler schon zu dem frühen Zeitpunkt nocherhöhen

. Jedenfalls scheint diese Archäologie weniger mit einer Sammlung irgendwelcher alten Souvenirs zu tun zu haben, die man sich schon mal aus Italien im 18.Jh. ja nach Hause mitbrachte. Wo diese Mitbringsel dann auch zur wissenschaftlichen Untersuchung den Akademien und weniger vielleicht vermögenden Fachpersonal von den Fürsten zur Verfügung gestellt wurde, beginnt für mich die Wissenschaftlichkeit und ein tatsächlich wissenschaftliches Interesse des Fürsten sich heraus zu kristallisieren.

Die Vermessung und das Ingenieurwesen hatten ja am Anfang des 18.Jh. sichtbare Fortschritte gemacht, welche diese Grabungen wenn nicht erst ermöglichten so doch zumindest förderten und ihren wissenschaftlichen Wert erhöhten. Die Zeichnungen der ergrabenen Gutshöfe schauen für mich schon sehr präzise aus. Interessant ist die Federführung eines Mathematikers, was gerade bezüglich der Aufnahme sprich Vermessung vielleicht sehr positive Auswirkungen hatte.
In der Akademie der Wissenschaften arbeiteten ja Wissenschaftler verschiedenster Couleur und Fachrichtung. Da würde mich interessieren, ob ein Austausch zwischen meinetwegen Botanikern und „Archäologen“ stattfand. Wie sahen solche Grabungen genau aus? Wie werden sie heute bezüglicher der wissenschaftlichen Herangehensweise beurteilt?

Es wäre ganz nett, wenn Kenner der Materie kleine Aussagen dazu formulieren könnten. Damit ich weiß, wie ich die Archäologie der Zeit ungefähr einschätzen kann.
 
Carl Theodor ging wissenschaftlich vor:

Zu den richtungsweisenden Arbeiten der historischen Klasse [der Akademie] gehörten auch die systematische Erfassung und die wissenschaftliche Bearbeitung von antiken Denkmälern sowie die von der Akademie geleiteten Ausgrabungen von römischen Gebäuden und Gräbern. Grundlegend für diese heute zum Bereich der Denkmalpflege und des Denkmalschutzes gehörenden Aktivitäten war zunächst ein Erlaß Carl Theodors von 1749, nach dem alle in der Kurpfalz aufgefundenen Denkmäler nach Mannheim zu bringen seien. Seit 1771 wurde ferner von der Akademie ein Fragebogen verschickt, mit dessen Hilfe ein umfassendes Inventar der Denkmäler und die Geschichte der pfälzischen Lande (Palatinatus Illustratus) erarbeitet werden sollte. Zugleich wurde für die zukünftige Pflege der Denkmäler gesorgt.

http://www.zum.de/Faecher/G/BW/Landeskunde/rhein/pfalz/carltheodor/carlth6.htm
 
Lustig, der Titel in dem Link klingt so, als sei das von mir benutzte Werk online verfügbar ist. "... Lebenslust und Frömmigkeit" war der Titel eines Ausstellungskatalogs in Mannheim.
 
@ Brissotin: die Anfänge der Römerforschung (und damit auch der archäologischen Forschung) sind schon im 16. Jahrhundert anzusetzen. Sicher spielte dabei die Antiken-Vernarrtheit der damaligen Humanisten eine große Rolle. Allerdings befasste man sich nun auch stärker mit den antiken Geschichtswerken (die den Forschern der Renaissance zum Großteil wohl schon bekannt waren) und konnte sich nun den archäologischen Hinterlassenschaften widmen, deren römische Herkunft (außer vielleicht bei Inschriften) in Vergessenheit geraten war. Darauf deuten die vielen Bezeichnungen mit "Heiden-" und "Hünen"-Namen für römische Kastelle hin.
Besonderes Interesse fanden von Beginn an die Inschriftensteine, weil die Gelehrten aus den damaligen wissenschaftlichen Möglichkeiten heraus damit mehr anfangen konnten. Eine frühe, in Heidelberg entstandene Inschriftensammlung aus dem Jahre 1603 heißt "Inscriptiones antiquae totius orbis Romani". Spätestens im 18. Jahrhundert begann dann auch so etwas wie eine systematische Erforschung der Römerzeit. Die Preußische Akademie der Wissenschaft schrieb 1748 einen Wettbewerb zum Thema "Wie weit der Römer Macht gereichet, nachdem sie über den Rhein und die Donau gesetzt, in Deutschland eingedrungen, was vor Merkmale davon ehemals gewesen und etwa noch vornahden seien" aus. Dieser Wettbewerb markiert für viele Regionen auch die erstmalige Erfassung der archäologischen Bodendenkmäler.

Jedenfalls scheint diese Archäologie weniger mit einer Sammlung irgendwelcher alten Souvenirs zu tun zu haben, die man sich schon mal aus Italien im 18.Jh. ja nach Hause mitbrachte. Wo diese Mitbringsel dann auch zur wissenschaftlichen Untersuchung den Akademien und weniger vielleicht vermögenden Fachpersonal von den Fürsten zur Verfügung gestellt wurde, beginnt für mich die Wissenschaftlichkeit und ein tatsächlich wissenschaftliches Interesse des Fürsten sich heraus zu kristallisieren.

Ich würde es sogar umgekehrt sehen: Erst die Forschung, die am Anfang da war, führte dazu, dass die fürstlichen Antiquitätenkabinette geschaffen wurde, weil es erst ab da als "gebildet" empfunden wurde, so etwas zu sammeln. Im Mittelalter waren die Altertümer nur als Baumaterial von Interesse. Allerdings war die Sammelwut ab dem 17. Jhdt. dann auch recht ausgeprägt, was sich an Kunstdenkmälern wie dem Grabmal des Johann Moritz von Nassau von 1678 in Bedburg-Hau zeigt, in das zahlreiche antike Steindenkmäler eingearbeitet wurden. Ich denke, dass die Gelehrten damals auch überhaupt keine Einwände gegen das Sammeln erhoben - das Bewusstsein, dass es wichtig war, die Befunde im Boden zu schützen, war sicherlich noch nicht so ausgeprägt. Und so kamen - woran immer Interesse bestand - auch neue, interessante Inschriften und Kunstwerke in die Kabinette, von denen ja auch die Forscher z.T. profitierten.

Als "Archäologie" sind die Forschungstätigkeiten des 17./18. Jahrhunderts nur unter Vorbehalt zu bezeichnen. Man holte die Funde heraus und dokumentierte vielleicht noch die oberflächlich gut sichtbaren Baubefunde wie Mauern

Die Anfänge, Sicherung und Dokumentation der Befundstellen nach heutigen Ansprüchen, also eine wissenschaftliche Archäologie wurde sicherlich nicht vor 1850 betrieben. Gerade das späte 19. Jahrhundert erbrachte die eigentlichen Pionierleistungen, als etwa angefangen wurde, archäologische Fundstücke relativ zu datieren.
 
Als "Archäologie" sind die Forschungstätigkeiten des 17./18. Jahrhunderts nur unter Vorbehalt zu bezeichnen. Man holte die Funde heraus und dokumentierte vielleicht noch die oberflächlich gut sichtbaren Baubefunde wie Mauern

Die Anfänge, Sicherung und Dokumentation der Befundstellen nach heutigen Ansprüchen, also eine wissenschaftliche Archäologie wurde sicherlich nicht vor 1850 betrieben. Gerade das späte 19. Jahrhundert erbrachte die eigentlichen Pionierleistungen, als etwa angefangen wurde, archäologische Fundstücke relativ zu datieren.
Du würdest mir aber zustimmen, dass die "Erfindung" neuzeitlicher Bürokratie, bzw. die Reformierung durch alle Ebenen der Verwaltung, welche spätestens um die Mitte des 18.Jh. sich in vielen Fürstenstaaten in Dtl. durchsetzte, viel zu einer Systematik beitrug. Man darf doch die Behörden als Träger einer "geordneten" Entnahme archäologischer Fundstücke nicht unterschätzen oder bist Du anderer Meinung?
Da die Ackerbaumethoden der Zeit Carl Theodors noch nicht das schwere Gerät der uns näheren Neuzeit kannten, dürfte auch noch nicht von der Landwirtschaft so tief ins archäologisch interessante Erdreich gefurcht worden sein. Kann man da Hinweise finden, warum und wann Archäologie einsetzte, wann Entdeckungen gemacht wurden? Das 18.Jh. war ja auch die Zeit der agrarischen Erschließung auch recht unzugänglicher Gebiete. Ist dies relevant für die Archäologie heute? Könnten dadurch schon zu der Zeit Funde relevanter Art zerstört worden sein? Welche Einflüsse gehen von der Verbesserung des Vermessungswesens auf die Archäologie über?
Das sind schon ziemlich viele Fragen. :rotwerd:
Erstmal Danke an Ashigaru für die Bermerkungen und dass Du Dich des Themas kurz angenommen hast. :)
 
Du würdest mir aber zustimmen, dass die "Erfindung" neuzeitlicher Bürokratie, bzw. die Reformierung durch alle Ebenen der Verwaltung, welche spätestens um die Mitte des 18.Jh. sich in vielen Fürstenstaaten in Dtl. durchsetzte, viel zu einer Systematik beitrug. Man darf doch die Behörden als Träger einer "geordneten" Entnahme archäologischer Fundstücke nicht unterschätzen oder bist Du anderer Meinung?

Nein, in dem Sinne würde ich gar nicht widersprechen, obwohl es sicherlich sehr stark im einzelnen Ermessen von Fürsten lag, ob sie sich überhaupt für diese Funde interessierten und entsprechend Gelehrte anstellten. Aber ich meinte er folgendes: die damaligen Gelehrten hatten nicht das Rüstzeug, um Befunde zu sichern und richtig zu interpretieren. Sie interessierten sich in erster Linie für die schriftlichen Quellen, was sich auch daran ablesen lässt, dass die Erforschung der schriftlosen Kulturen in Deutschland sehr spät einsetzt.

Kann man da Hinweise finden, warum und wann Archäologie einsetzte, wann Entdeckungen gemacht wurden?

Meinst du jetzt Archäologie im Sinne eines Wissenschaftsbetriebs oder eher Ausgrabungen an sich? Erste Ausgrabungen gab es sogar schon im 16. Jahrhundert. Habe gerade nachgeschaut und der allerfrüheste Beleg in meinen Büchern ist eine Grabung 1492 im spätrömischen Kastell von Isny/Allgäu, wobei dortige Bürger eindeutig nach "Schätzen" suchten.
Ab dem 18. Jahrhundert gab es regelmäßige Grabungen. Die richtige "Boomzeit" setzt meines Erachtens aber erst im frühen 19. Jahrhundert, so um 1830 ein. Die Schicht der "Erforscher" hatte sich nun etwas gewandelt; die zahlreichen Ausgräber kamen weniger von den Universitäten, als dass sie gebildete, lokal arbeitende Männer waren - sie hatten in der Regel Berufe wie Lehrer, Förster, Vermesser oder waren auch Offiziere. Im Grunde klassische "Heimatforscher", nur dass sie für die Archäologie wirkliche Pioniere waren. Diese Gruppierungen traten auch noch in der Reichslimes-Kommission sehr stark in Erscheinung - wobei dieses Projekt eines der bedeutendsten in der archäologischen Forschungsgeschichte überhaupt war und es bis heute m.E. kein Forschungsprojekt dieser Größe mehr gab.

Das 18.Jh. war ja auch die Zeit der agrarischen Erschließung auch recht unzugänglicher Gebiete. Ist dies relevant für die Archäologie heute? Könnten dadurch schon zu der Zeit Funde relevanter Art zerstört worden sein?

Absolut, der Einfluss der Landwirtschaft spielt ein sehr große Rolle. Die Region, wo ich herkomme, die Wetterau, ist eine sehr reichhaltige archäologische Landschaft. In den letzten Jahren machte sie sich einen Namen, weil hier sehr viele bandkeramische Fundorte, also aus der Zeit der ersten Bauern um 5000 v. Chr. entdeckt wurden. Schön und gut: dass so viele Fundstellen aus dieser Zeit entdeckt werden konnte, zeigt leider auch, wie durchpflügt die agrarische Landschaft in dieser Region ist. Lokale Feldbegeher berichteten in letzter Zeit auch davon, dass Keramik meist sehr stark zerscherbt ist wegen der heutigen landwirtschaftlichen Maschinen.

Welche Einflüsse gehen von der Verbesserung des Vermessungswesens auf die Archäologie über?

Darüber weiß ich zu wenig, ohne Frage dürfte es aber einen großen Einfluss gehabt haben, da ja auch Stratigraphien/Lagepläne bei Ausgrabungen sehr genau sein müssen.
 
Die erste "systematische" Ausgrabung auf dem Gebiet der heutigen Schweiz fand meines Wissens in Augusta Raurica (Kaiseraugst) statt. Der Basler Rechtsprofessor Basilius Amerbach legte 1582-1585 das Amphitheater frei und liess es vermessen. 1590 legte er dann, basierend auf die Ausgrabung, ein Manuskript mit dem Titel "Reliqua Amphitheatri Raurici" vor.
Dabei liess er vom berühmten Zeichner Hans Bock d.Ä. Grundrisspläne anfertigen.

Im Internet finden sich Hinweise unter: http://www.baselland.ch/docs/kultur/augustaraurica/glossar/f/forschung.htm
http://www.baselland.ch/docs/kultur/augustaraurica/theater/bauten.htm
 
Kleine Korrektur: Was damals entdeckt wurde, waren die Reste des Theaters im Zentrum von Augusta Raurica - und gerade frisch renoviert.
Das Amphitheater wurde erst um 1960 entdeckt.
 
Als "Archäologie" sind die Forschungstätigkeiten des 17./18. Jahrhunderts nur unter Vorbehalt zu bezeichnen. Man holte die Funde heraus und dokumentierte vielleicht noch die oberflächlich gut sichtbaren Baubefunde wie Mauern

Die Anfänge, Sicherung und Dokumentation der Befundstellen nach heutigen Ansprüchen, also eine wissenschaftliche Archäologie wurde sicherlich nicht vor 1850 betrieben.


:grübel: .sicher gibt es heute Verfahren aufgrund von modernen techn. Errungenschaften, die dem heutigen Anspruch gerecht werden, doch das Urteil über die archäolog.-wissenschaftl. Bedeutung im 18. Jahrh. finde ich doch etwas ungerecht.
Beim aufmerksamen lesen der geschätzen Beiträge fehlt mir ein Name, dessen Wirken auf die Antiken-Rezeption seiner Zeit bis in unsere Tage nicht überschätzt werden kann und der von den Archäologen heute durchaus als "Urvater " der wissenschaftl. Archäologie gesehen wird ;
Johann-Joachim Winkelmann .

http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Joachim_Winckelmann

Er gilt als der Begründer der wissenschaftlichen Archäologie und der Kunstgeschichte.

Rund um den 9. Dezember gedenken Archäologen jährlich Winckelmann als „Urvater“ ihres Faches, der die wissenschaftliche Archäologie begründete.


 
@ Arcimbolo
Hatte ich natürlich aus Provokation erstmal außen vor gelassen. Ich will ja kein Loblied auf das 18.Jahrhundert singen.:engel:
 
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