Frankreichs "natürliche Grenzen"

excideuil

unvergessen
Ausgehend von diesem Beitrag in einem anderen Forum:
Mehr oder weniger, natürlich. Mit der Schlacht von Hohenlinden musste Österreich einen Waffenstillstand schließen und dann den Frieden.
Allerdings veränderte dieser Frieden Europa völlig: Das Reich musste die linksrheinischen Gebiete abtreten. Die enteigneten Fürsten sollten aber rechtsrheinisch entschädigt werden.
Reichsdeputationshauptschluss ? Wikipedia
Und dieser folgende Länderschacher hatte viele Interessenten: Preußen hatte bereits im Vertrag von Basel 1795 - aus Schwäche und um sich um Polen kümmern zu können - auf seine linksrheinischen Gebiete verzichtet, in einem geheimen Artikel hatte Frankreich Preußen aber Entschädigung zugesagt für den Fall eines allgemeinen Friedens.
Weiter sind die süddeutschen Staaten, Baden, Bayern und Württemberg zu nennen, dazu der Zar, der inzwischen mit Frankreich durch einen Friedensvertrag verbunden, sich mit Frankreich über die zu teilenden Gebiete einigte.
Die Karte Mitteleuropas hatte sich - wohl - unumkehrbar geändert.
Und Frankreich hatte die Vergrößerung der übrigen Großmächte auf dem Kontinent durch die polnischen Teilungen ausgeglichen. (Wobei ich das als These in der Frage ansehe, ob die natürlichen Grenzen Frankreichs bereits eine hegemoniale Stellung auf dem Kontinent bedeuteten.)
komme ich einmal auf das Thema Frankreichs "natürliche Grenzen" zurück.

Ich will dabei nicht untersuchen, wer wann zu welcher Anexion berechtigt war sondern den reinen Gleichgewichtsgedanken betrachten.

Mit dem Frieden von Lunéville war die Rheingrenzen für Frankreich gesichert. (Selbst England erkannte sie mit Amiens an). Wie oben geschildert hatte der Frieden neben Frankreich viele Gewinner.
Meine These dazu ist, dass Frankreich damit die Gebietsvergrößerungen der Kontinentalgroßmächte durch die poln. Teilungen ausgeglichen hatte.

Allein dem Konflikt zwischen Frankreich und England ist es geschuldet, dass diese Grenze infrage gestellt und für Frankreich 1814 verlustig ging.
Betrachtet man die Jahre 1812 - Anfang 1814, dann ist feststellbar, dass die Kontinentalmächte die Rheingrenze für Frankreich in Verhandlungen (Prag und später) vorsahen. Dabei standen vor allem bei Metternich Gleichgewichtsgedanken im Vordergrund, der fürchtete, sich mit der Niederwerfung der einen Hegemonialmacht Frankreich die andere (Rußland) einzuhandeln. Erst in Chaumont (nachdem die Alliierten lange recht ratlos am Rhein gestanden hatten) setzten sich die Briten durch und es wurde beschlossen, Frankreich auf die Grenzen von 1792 zurückzuführen, was mit dem 1. Pariser Frieden realisiert wurde.

Keine Frage ist, dass dieser 1. Frieden sehr maßvoll war. Betrachtet man Englands realisierte Wünsche: Eine stark vergrößertes Königreich der Niederlande und eine Großmacht als Wacht am Rhein, dann könnte man einwenden, dass diese Sicherheitsvorkehrungen in Bezug auf Engl. recht übertrieben scheinen.

Wie auch immer, mit dem Wiener Kongress entstand der Deutsche Bund unter der Führung der deutschen Großmächte Österreich und Preußen. Insgesamt rückten die Ostmächte weiter nach Westen.
Sicher war das Gleichgewicht 1815 auch mit dem 2. Pariser Frieden gewahrt, dennoch waren am Horizont bereits die kommenden Probleme zu ahnen: 1. Eine Vergrößerung Preußens:

Dazu Talleyrand in seinen Instruktionen zum Wiener Kongress:
"In Deutschland gilt dasselbe [wie in Italien für Österreich] von Preußen, denn die geografische Lage dieser Monarchie macht ihr Streben nach Vergrößerung zu einer Notwendigkeit. Jeder Vorwand hierzu ist ihr willkommen; kein Bedenken hält sie darin auf, und was sie für zweckmäßig hält, hält sie für Recht. Dadurch hat es Preußen zuwege gebracht, im Laufe von dreiundsechzig Jahren seine Bevölkerung von vier Millionen auf zehn zu steigern und so den Grund zu einer sehr ausgedehnten Monarchie zu legen und sich sozusagen einen Rahmen für ein noch größeres Reich zu schaffen, in welchem es nach und nach die zerstreut liegenden und noch zu erwerbenden Gebiete einfügen will. Der furchtbare Sturz, den sein Ehrgeiz ihm zuzog, hat Preußen von dieser Sucht nicht geheilt. Augenblicklich [ca. Juni-Aug. 1814] durchstreifen seine Emissäre und Parteigänger ganz Deutschland, wiegeln das Volk auf und schildern Frankreich in den schwärzesten Farben. Frankreich, so behaupten sie, stehe schon bereit, abermals Preußen zu überfallen, und da letzteres allein nicht imstande sei, Deutschland zu verteidigen, so verlagen sie, dass man es ihm, unter dem Vorwande, es zu schützen, preisgebe. Preußen hat ein Auge auf Belgien geworfen, ja, es nimmt alles Land zwischen den gegenwärtigen [1. Pariser Frieden] Grenzen Frankreichs, der Maas und den Rhein für sich in Anspruch. Es will Luxemburg, Mainz und ganz Sachsen besitzen, weil es sonst angeblich nicht in Sicherheit leben könne. Man sagt, die Verbündeten wollten ihm dieselbe Machtstellung einräumen, die es vor seinem Sturze gehabt, nämlich zehn Millionen Untertanen. Ließe man Preußen ruhig gewähren, es würde bald zwanzig Millionen zählen und ganz Deutschland unterjochen. Es ist daher von großer Wichtigkeit, dem Ehrgeize Preußens Zügel anzulegen, indem man seine Besitzungen in Deutschland möglichst einschränkt und seinen Einfluß durch eine Bundesverfassung vermindert." [1]
Talleyrands Befürchtungen im Sommer 1814 waren nicht unbegründet, wie sich nach Waterloo zeigen sollte:

"Frankreich sei verbrecherisches Land, hatte Blücher erklärt, und sollte entsprechend bestraft werden. Einige preußische Generäle, trunken von einem Sieg, der so unerwarteter gekommen und so überwältigend ausgefallen war, verlangten eine Teilung Frankreichs und forderten die Abtretung von Elsaß und Lothringen, des Saarlands, von Savoyen, Luxemburg, der Franche-Comté, von Flandern und Burgund sowie Reparationszahlungen in Höhe von 1,2 Milliarden Francs. Diese überzogenen Forderungen beunruhigten Hardenberg. "Ich befinde mich unter Prätorianergarden", seufzte er. [2]

und 2. Eine mögliche deutsche Einheit, die 1814/15 noch kein Thema sein konnte. Dazu Talleyrand im Oktober 1814 an König Ludwig XVIII.

"Diese Einheit, von der wir nichts zu befürchten hätten, wenn wir das linke Rheinufer und Belgien besäßen, könnte doch früher oder später für Frankreich von schwerwiegender Bedeutung sein. Denn wer kann die Folgen nationaler Erhebung eines so gewaltigen Staatenkörpers voraussagen, wenn seine zerstreuten Elemente einmal in Bewegung geraten und sich fest miteinander vereinigen? Wer vermag zu sagen, wo eine solche Bewegung stehen bliebe, nachdem der erste Anstoß gegeben ist? [3]

Talleyrand kann man keinen Nationalismus vorwerfen, er stand in der Tradition von Vergennes an der geogr. Beschränkung Frankreichs. Wenn er diese Gedanken anstellt, dann läßt das den Schluss zu, dass die natürlichen Grenzen Frankreichs keine Hegemonie über den Kontinent darstellten, weder 1801 oder 1815, erst recht nicht später, oder?

Grüße
excideuil


[1] Talleyrand, Memoiren, Bd. II, Seiten 188/9
[2] King, David: Wien 1814. Von Kaisern, Königen und dem Kongress, der Europa neu erfand, Piper, München Zürich, 2014, Seite 373
[3] Talleyrand, Memoiren, Bd. II, Seite 292
 
Zurück
Oben