Frau Holle

Kochant

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ZDF: Terra X, Magie der Märchen (1/2); Frau Holle und ihre versunkene Welt, 4.10., 19:30 Uhr

Da ich heute Abend keine Zeit habe, habe ich mir den Beitrag schon einmal in der Mediathek angesehen. Naja.
Ein typisches Beispiel, wie Geschichte als Wundertruhe missbraucht wird, aus der man sich dieses und jenes Versatzstück als Illustration holen kann, ohne Kontinuität und inneren Zusammenhang. Ein kunterbuntes Sammelsurium von Griffen in die Geschichtskiste - hin und her in der Zeit und den sozialen Umständen: Die Lebensbedingungen der Nordseegermanen (von denen nichts in Bezug auf Holle bekannt ist), die skandinavisch-isländische Frigg der Wikingerzeit und die Sozialisationsbedingungen von bürgerlichen Mädchen und Dienstmädchen im Biedermeier: Alles das soll mit Frau Holle zu tun haben. Was genau, wurde dem Zuschauer überlassen, für eine gründliche Ausarbeitung auch nur eines Punktes fehlte die Zeit.
Wichtige Momente, wie die Bedeutung des Schnees als Schutz gegen Kahlfrost in der Landwirtschaft, wurden nicht erwähnt - Frau Holle als Schneemacherin standen die Autoren eher hilflos gegenüber.

Besonders ärgerlich fand ich den Unsinn, den Simek über Muttergöttinnen von sich gegeben hat. Sicher hat es in vielen vorzeitlichen Kulturen eine Muttergöttin gegeben. Aber die griechische Titanentochter Hera als Frau von Jupiter nach Rom zu verlegen . . . außerdem waren römische Götter nicht verheiratet (schreibt zumindest Cicero in seinem Text "Von der Natur der Götter").
Sicher hatten die Römer auch eine Urmutter. Eine der ältesten Kultstätten, älter als die Stadt selbst, lag im Tiberbogen (späteres Forum Boarium). Dort wurde u. a. Mater Matuta, Heil- und Schutzgöttin besonders der Frauen, verehrt. Muth (Die Religion der Griechen und Römer S. 366), führt ihre Verehrung in die matriarchalisch geprägte mediterrane Bronzezeit zurück (unter Berufung auf Simon, Die Götter der Römer, S. 152-157). Sie wurde bis in die imperiale Zeit beim Fest der Matralia (11. Juni) geehrt. Wenn überhaupt ist sie die archaische Muttergöttin der Römer.

Unverständlich ist, warum sich seriöse Wissenschaftler für derart 'untiefe' Darstellungen hergeben.

Gruß
Kochant


 
Aber die griechische Titanentochter Hera als Frau von Jupiter nach Rom zu verlegen . . . außerdem waren römische Götter nicht verheiratet (schreibt zumindest Cicero in seinem Text "Von der Natur der Götter").


Es mag ja sein, dass in der ursprünglichen römischen Mythologie Iuno nicht mit Iupiter verheiratet war, aber je stärker die Durchdringung der griechischen mit der römischen Mythologie, desto mehr nehmen Sie Züge aus der fremden Mythologie an.


Unverständlich ist, warum sich seriöse Wissenschaftler für derart 'untiefe' Darstellungen hergeben.
Während eines Examenskolloquiums erzählte der Prof mal, der bei der Reihe Die Deutschen als Experte eingeladen war, dass er seine Botschaften in 90 sek. unterbringen musste.
Vor Jahren sah ich mal eine Doku über die Nibelungen, in der vor allem Joachim Heinzle als Experte sprach. Dieser hat sich in seinen Schriften über die Nibelungen selten über die Arminius = Siegfried-These eingelassen, wo er das tat, dann mit einer klar anlehnenden Haltung. In der Doku sagte er zu diesem Thema nichts, aber die Doku selbst stellte diese Gleichsetzung en passant als Faktum dar, als communis opinio und stand damit - ohne das kenntlich zu machen, im Widerspruch zum in der Doku vornehmlich zu Wort kommenden Experten. Und Heinzle ist in der germanistischen Nibelungenforschung nicht irgendwer sondern eine Koryphäe, an der man in der Beschäftigung mit dem Nibelungenlied nicht vorbeikommt - was freilich nicht heißt, dass man mit ihm immer einer Meinung sein müsse.
 
Es mag ja sein, dass in der ursprünglichen römischen Mythologie Iuno nicht mit Iupiter verheiratet war, aber je stärker die Durchdringung der griechischen mit der römischen Mythologie, desto mehr nehmen Sie Züge aus der fremden Mythologie an.
Zitat Dionysios von Halikarnassos, Antiquitates Romanae II 19,3
". . . und worüber ich am meisten von allem verwundert bin: obschon unzählige Völkerschaften nach Rom kamen, für die es unbedingt nötig ist, die heimischen Götter nach gewohnter Sitte zu verehren, ist die Stadt im offiziellen Kult zur Nacheiferung keines einzigen der fremden Riten gelangt, was viele andere Städte hinnehmen mussten, sondern auch wenn Rom . . . irgendwelche fremden Kulte einführte, gestaltete es sie nach eigenen Traditionen und verwarf dabei jede Gaukelei des Götterkultes, . . .(zitiert nach Muth, S. 217)

Eine "Durchdringung" fand nur in der römischen Unterhaltungsliteratur und den Schriften der Kirchenväter statt. Die Simek-Behauptung bezog sich im übrigen auf eine in der Frühzeit verehrte Muttergottheit.
Dass Juno mit Jupiter verheiratet war, traute sich noch nicht einmal Ovid zu schreiben, als er die Herkunftsgeschichte von Ares in römische Dichtung verwandelte.
 
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