Wir bewegen uns zwar immer weiter vom eigentlichen Thema fort, aber sei's drum. Ich glaube, dass die Stelle so immmer noch zu ereignishistorisch gelesen ist. M.E. soll die Stelle die menschlichen Schwächen der Jünger zeigen, die auch ein wenig aus Eifersucht handeln und andere aus dem engeren Kreis ihres Rabbei heraushalten wollen. Genau damit wird nämlich später suggeriert: Jeder kann bei uns mitmachen, selbst unsere Führungsfiguren sind mit menschlichen Schwächen belastet.
Ich halte die Darstellung durchaus für ereignishistorisch plausibel. Es werden in den Evangelien, wie Du schon geschrieben hast, schließlich auch noch andere Schwächen der Jünger erwähnt, vor allem, dass sie immer wieder Probleme hatten, Jesu Lehre und Mission zu verstehen, teilweise weil sie noch sehr in traditionellen jüdischen Denkmustern verhaftet waren. Ich finde diese Darstellungen grundsätzlich nachvollziehbar. Die Jünger verhalten sich einfach wie Menschen, die sich einem Meister anschließen, den sie anfangs noch nicht so recht verstehen, von dem sie aber fasziniert sind und den sie für etwas Besonderes halten.
Aber was Lukas in Apg 6 beschreibt, ist ohne Zweifel ein feierlicher Akt der Dienstbeauftragung. Und eine Handauflegung der Apostel mit Gebet ist ohne Zweifel ein ritueller Akt. Und das im Rahmen einer Generalversammlung "der ganzen Gemeinde". Schon die Tatsache, dass und wie Lukas die Szene schildert, zeigt, das es ihm um mehr ging als die "Delegation von Alltagskram". Was immer mit dem "Dienst an den Tischen" verbunden sein mag - bei Lukas stellt sich das nicht als belangloser Alltagskram dar, denn:
- Bis zur Wahl der Diakone war das die Aufgabe der Apostel gewesen.
- Für diesen Dienst brauchte man Männer "voll Geist und Weisheit".
"Ohne Zweifel"? Zumindest ich habe Zweifel ...
Natürlich suchte man Männer von gutem Ruf und mit Geist und Weisheit, man wollte die Versorgungsaufgaben natürlich nicht irgendwelchen zwielichtigen Trotteln überlassen.
Aber so kommen wir nicht weiter. Wir drehen uns hier im Kreis, weil wir die Bedeutung der Handauflegung unterschiedlich gewichten. Prüfen wir daher lieber die Frage, ob diese Tätigkeit wirklich so anspruchsvoll war und ob es sich um ein "Amt" handelte.
Worin genau bestand also die Aufgabe der "Sieben"? Die Jerusalemer Gemeinde lebte, wie aus Apg. 4,32-37 hervorgeht, in Gütergemeinschaft. Die Führung verwaltete das Gemeinschaftsvermögen, mit dem die Mitglieder versorgt wurden. Mit eben dieser Versorgung gab es dann Probleme, sodass sie den Sieben übertragen wurde. Damit kommen wir zur Frage, welche Kompetenzen sie eigentlich erhielten. Apg. 6,1-7 sagt dazu nichts Näheres. Auffällig ist aber immerhin, dass sie in der Apostelgeschichte keine Funktionsbezeichnung erhalten und nie wieder erwähnt werden. Wenn es um die Führungsebene der Jerusalemer Gemeinde geht, ist später immer nur von den "Aposteln" und "Presbytern/Älteren" die Rede. Für uns aufschlussreich ist aber vor allem Apg. 11,30: Dort ist davon die Rede, dass an die "Presbyter/Älteren" Hilfslieferungen geschickt wurden. (Es werden also speziell die Älteren als Empfänger genannt und nicht die Gemeinde in ihrer Gesamtheit oder die Sieben als Vermögensverwalter.) Die Formulierung legt somit die Vermutung nahe, dass nach wie vor die Presbyter/Älteren in ihrer Gesamtheit die Vermögensverwaltung innehatten - und nicht etwa nur die Sieben, mögen sie nun zu den Älteren gehört haben oder nicht. Entweder gehörten die Sieben zu den Älteren, dann hatten sie durch die Delegierung also keine speziellen Rechte erhalten, sondern durften nur das, was die anderen Älteren auch durften. Oder sie gehörten nicht zu den Älteren, dann mussten sie sie gar noch um das benötigte Geld angehen. Demzufolge hatten die Sieben also anscheinend keine speziellen Rechte, sondern übernahmen nur die manuellen Tätigkeiten des Einkaufengehens und Essenverteilens an die Mitglieder. Natürlich brauchte man dafür zuverlässige Männer, die nicht einfach mit dem Geld abhauten oder sich vom Händler betrügen ließen, aber wenn sie im Grunde genommen trotzdem nichts weiter machten als was in jeder Familie jemand macht, würde ich noch nicht von einer anspruchsvollen Tätigkeit sprechen, und wenn sie anscheinend noch nicht einmal über eine spezielle Budgethoheit verfügten, auch nicht von einem speziellen "Amt".