Freigelassene in der Legion?

Sepiola

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Verschiedentlich habe ich gelesen, dass Freigelassene nicht als Legionäre verpflichtet wurden. Gibt es dazu eindeutige Quellen?

In einigen Fällen wurden Freigelassene scharenweise zum Militärdienst eingezogen, so berichtet Velleius (2,111) anlässlich des Pannonischen Aufstands über folgende Maßnahmen:
"Habiti itaque dilectus, revocati undique et omnes veterani, viri feminaeque ex censu libertinum coactae dare militem."
Den letzten Satz würde ich übersetzen mit: Männer und Frauen wurden gemäß dem Steuerregister dazu gezwungen, einen Freigelassenen als Soldaten zu stellen.
 
Soldat muss ja nicht Legionär heißen, sondern kann auch Auxiliar-Einheiten meinen. Erhielten Freigelassene das römische Bürgerrecht? Im 1. Jh. nach wurden idR nur Bürger zum Legionärsdienst zugelassen; wobei die Römer da in Notzeiten mWn durchaus flexibel waren....
 
Zur spätaugusteischen Zeit schreiben zwei Nichtzeitzeugen:

"Freigelassene nahm er zu Soldaten - ausgenommen bei Feuersbrünsten in Rom und wenn man bei hohen Kornpreisen Unruhen befürchtete - nur zweimal in seinem Leben: einmal zur Besatzung der an Illyrien grenzenden Kolonien und das zweite Mal zum Schutz des Rheinufers. Und zwar ließ er diese Leute, die zur Zeit, wo sie auf seinen Befehl von reichen Männern oder Frauen abgestellt wurden, noch Sklaven und in aller Eile freigelassen waren, nur in die erste taktische Reserve eintreten; auch bildeten sie eigene, von den Freigeborenen gesonderte und von ihnen durch Bewaffnung und Ausrüstung verschiedene Abteilungen."

(Sueton, Augustus 25, 2)

"Er ließ aber auch durch Auslosen sowohl von den Altgedienten als auch von den Freigelassenen möglichst viele rekrutieren, die er sofort in Eilmärschen mit Tiberius nach Germanien schickte."
(Cassius Dio, LVI. Buch 23, 3)
 
Erhielten Freigelassene das römische Bürgerrecht?
Im Prinzip ja.
Aber:
"Reibungen zwischen den freigeborenen Bürgern, den ingenui, und den freigelassenen, den liberti, resultierten schon in der klassischen Republik daraus, daß der Freigelassene mit dem Akt der Freilassung auch automatisch zum römischen Bürgerrecht kam. Während des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr. stiegen nun die Zahlen der Freigelassenen entsprechend der Zunahme der Sklavenzahlen sprunghaft an. Nach modernen Schätzungen erreichte der Anteil der Freigelassenen und deren Nachkommen gegen Ende der Republik in einzelnen Regionen Italiens bereits 75% der ingenui.

Bei diesem Stand der Entwicklung setzte die restriktive Gesetzgebung des Augustus ein. Die lex Fufia Caninia ( 2 v. Chr. ) legte fest, daß ein freier Erblasser testamentarisch nur noch einen bestimmten Prozentsatz seiner Sklaven in Freiheit mit vollem römischem Bürgerrecht entlassen konnte. Die lex Aelia Sentia (4 n. Chr.) verfügte, daß grundsätzlich nur freie Eigentümer von über 20 Jahren Sklaven freilassen durften und daß die Freilassung nur für Sklaven von über 30 Jahren galt. Die entgegen diesen Bestimmungen freigelassenen Sklaven sollten wohl frei bleiben, jedoch lediglich das latinische, nicht das volle römische Bürgerrecht besitzen. Sie wurden als sogenannte Latini Aeliani eingestuft. Gleichzeitig bestimmte die lex Aelia Sentia, daß Sklaven, die mit schweren körperlichen Strafen belegt worden waren, künftig nicht mehr das volle römische Bürgerrecht erlangen konnten."​
Geschichte der römischen Kaiserzeit (Karl Christ, Geschichte der römischen Kaiserzeit)


Die Praxis bürgerte sich am Ausgang der Republik ein, als die Aushebung ohnehin nicht mehr auf soziale Rangstufen achtete. Damals wurden Freigelassene beinahe unbeschränkt ins Heer aufgenommen. Augustus fühlte sich auch hier alter Tradition verpflichtet und stellte nur in Notfällen Freigelassene ein. Aber keine Rechtsnorm hinderte den ersten Prinzeps und seine Nachfolger, dieses Prinzip nach Belieben zu handhaben. Jedenfalls hat MOMMSEN beobachtet, daß im Laufe der Zeit immer mehr Freigelassene zum Heer gingen. Ob dies auf „Schleichwegen" geschah, wie MOMMSEN sich ausdrückt, hängt davon ab, ob den Freigelassenen rechtlich der Zugang zum Heer versagt war oder ob hier nicht vielmehr das freie Handeln der Behörde signifikant zum Vorschein tritt.
In den Juristenschriften finden wir jedenfalls kein Verbot für die Aufnahme Freigelassener, wie es Marcian für die Sklaven festgehalten hat.
Recht (Materien [Forts.]) || Die Rechtsstellung der römischen Soldaten Ihre Entwicklung von den Anfängen Roms bis auf Diokletian | Temporini, Hildegard | download (Jost Henrich Jung, Die Rechtsstellung der römischen Soldaten)
 
P. Marquardt betrachtet in ihrer Dissertation zu "Römische Kriegsfinanzierung" (2013) für den Zeitraum 280 - 88 v. Chr., u.a. die Erschließung von Wehrpotential. Dabei wird bei einer Unterteilung in 4 Phasen für die Phasen II - IV jeweils auch ein Blick auf Freigelassene geworfen:
  • Phase II 218 - 201 v. Chr. (S. 177ff)
  • Phase III 200 - 146 v. Chr. (S. 241f)
  • Phase IV 145 - 88 v. Chr. (S. 311f)

Aus der Zusammenfassung:

"Bei den Sondermaßnahmen zur Wehrpotentialerhöhung sind z. T. Entwicklungen, wie ein Wandel
hin zu regulären Maßnahmen, festzustellen. So begann die ursprünglich als Notfallmaßnahme
angewandte Methode der Aushebung von Freigelassenen für den Flottendienst
, sich in Phase III
als Standardmethode zur Bemannung der Flotten Roms zu etablieren, was wohl eine Konsequenz
aus der dauerhaften Senkung des Mindestzensus
in Phase II war. Die Maßnahmen der zweiten und
der dritten Rubrik, d. h. bezüglich des Zensus und des Wehreintrittsalters, waren im Vergleich zu
denen der ersten Rubrik die bedeutenderen und effektiveren Methoden zur überwiegend dauerhaften
Erschließung und Schaffung zusätzlichen Wehrpotentials. Neben den Maßnahmen zur tatsächlichen
Erhöhung des Wehrpotentials wurden während der Kriegseinsätze Methoden zur effektiven Nutzung
des bereits aktiven Wehrpotentials angewandt, beispielsweise die in den Phasen I bis III umgesetzte
Integration der Schiffsbesatzungen in die römischen Landstreitkräfte, wenn die Seeaktivitäten
eingestellt wurden und der Feldzug nicht beendet war. Dadurch mussten den Schiffsmannschaften
adäquate Einzelausrüstungen vervollständigt bzw. bereitgestellt werden. Diese waren durch den
Feldherrn mit Mitteln, die ihm für den Feldzug bereitgestellt worden waren oder die er während des
Feldzuges erworben hatte, zu finanzieren."

(S. 359)

https://refubium.fu-berlin.de/bitst...Kriegsfinanzierung.pdf?sequence=1&isAllowed=y
 
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