Gab es einen Gegenbewegung zum Kolonialgedanken?

Griffel

Mitglied
Heute möchte ich mich mal einem Punkt widmen, der meines Erachtens zu wenig beachtet wird.
Fest steht bzw. es wurde bewiesen, dass das Deutsche Kaiserreich, darauf aus war von den anderen Großmächten als Ebenbürtig wahrgenommen zu werden.

Es steht auch fest, dass Deutschland gegen Ende des 19. Jh. (leider) auf den Kolonialzug aufsprang. Weil der damalige Kaiser und Herrscher von Gottesgnaden meinte, ein Land könne nur dann wahrhaft "Groß" sein wenn, es auch Kolonien besitze!:rolleyes::mad: Auch Otto von Bismarck war ja anfangs gegen die Kolonialpolitik, da er nicht zu Unrecht Probleme mit Großbritannien und Frankreich fürchtete.

Die Befürworter und Lobbyisten einer solchen Politik waren ja nur einige wenige Großindustrielle und Händler. Die Mehrheit der Gewerbetreibenden war ja nicht wirklich begeistert. Was uns auch schon zu meiner Überschrift führt. ;) Also zumindest ich, konnte keine Quellen für eine Gegenbewegung zum Kolonialgedanken finden. Deshalb hoffe ich auf eure Mithilfe.
 
Die Befürworter und Lobbyisten einer solchen Politik waren ja nur einige wenige Großindustrielle und Händler.
Die Befürworter waren ab 1887 in der Deutschen Kolonialgesellschaft organisiert. Diese hatte zwei Vorgänger mit in etwa dem selben Ziel. Die etwa 43.000 Mitgliedern im Jahr 1913/14 waren nicht nur "einige wenige Großindustrielle und Händler" - bspw. auch Wissenschaftler, Offiziere oder Beamte waren Mitglieder.
 
Auch Otto von Bismarck war ja anfangs gegen die Kolonialpolitik, da er nicht zu Unrecht Probleme mit Großbritannien und Frankreich fürchtete.

Der Reichsgründer war eigentlich grundsätzlich gegen eine aktive Kolonialpolitik. Zu der kurzen aktiven Episode folgender Literaturhinsweise:

Axel Riehl (Schüler von Winfried Baumgart) : Der Tanz um den Äquator. Bismarckd antienglische Kolonailpolitik und die Erwartung des Thronwechsels in Deutschland 1883 bis 1885

Aus der Arbeit wird deutlich, das die Kolonialpolitik Bismarcks, innenpolitisch motiviert war und primär der Absicherung seiner Macht und der damit verbundenen Politik galt.
 
Wenn man unter "Kolonialgedanken" eine prinzipielle Opposition zu Kolonien überhaupt meint, zeichnet sich ein anderes Bild, als wenn man die Opposition gegen die deutsche Kolonialpolitik meint.

Bebel war Kritiker deutscher Kolonialpolitik, lehnte die Idee von Kolonien aber nicht generell ab.

1. Dezember 1906: „Meine Herren, dass Kolonialpolitik betrieben wird, ist an und für sich kein Verbrechen. Kolonialpolitik zu treiben kann unter Umständen eine Kulturtat sein; es kommt nur darauf an, wie die Kolonialpolitik betrieben wird. [...]"

Die SPD war in dieser Frage scheinbar zerstritten. Es gab die Idee einer sozialistischen Kolonialpolitik, die Export von Menschenrechten und die gesellschaftliche Entwicklung der Kolonien zum Ziel hatte.

Rosa Luxemburg soll Kolonien prinzipiell abgelehnt haben. Vielleicht kennt jemand eine entsprechende Stelle in ihrem Werk.
 
Bebel sagte auch:

"Wo immer wir die Geschichte der Kolonialpolitik in den letzten drei Jahrhunderten aufschlagen, überall begegnen wir Gewalttätigkeiten und der Unterdrückung der betreffenden Völkerschaften, die nicht selten schließlich mit deren vollständiger Ausrottung endet. Und das treibende Motiv ist immer, Gold, Gold und wieder nur Gold zu erwerben. Und um die Ausbeutung der afrikanischen Bevölkerung im vollen Umfange und möglichst ungestört betreiben zu können, sollen aus den Taschen des Reiches, aus den Taschen der Steuerzahler Millionen verwendet werden, soll die Ostafrikanische Gesellschaft mit den Mitteln des Reiches unterstützt werden, damit ihr das Ausbeutungsgeschäft gesichert wird."
 
Danke! Das ist alles sehr informativ. Mich hat das halt interessiert. Es ist ja bekannt, dass unser Wilhelm Zwo, immer darauf bedacht war, die Kolonien, als etwas ganz Tolles hinzustellen. Aber es hat sich schon damals abgezeichnet, dass das Ganze ein Geschäft zum Draufzahlen werden würde.

Das damalige Kaiserreich, hätte seine wirtschaftlichen Schwierigkeiten sicherlich auch ohne Kolonien lösen können.:confused:⁣Auch wenn, man damals ja der Meinung war: "Der gebildete weiße Mann, müsste die Bürde auf sich nehmen, wilden Gegenden der Welt zu zivilisieren." Stichwort Herrenmensch.

Man sieht ja welche Auswirkungen, solch "gutgemeinte Aktionen", heute noch haben. Das sieht man ja vor allem auf dem schwarzen Kontinent bis heute!:( Hätte Bismarck mal lieber ein Wirtschaftsförderungsprogramm für unterentwickelte Gebiete wie Ostpreußen vorangetrieben.
 
Als im Zuge des Aufstandes der Hereo im Reichstag weitere Gelder von der Regierung eingefordert wurden, kam es zum Eklat. Das Zentrum griff die Kolonialpolitik der Regierung heftig an und schließlich lehnten Zentrum und SPD gemeinsam den Antrag der Reichsregierung ab. Bülow verstand dies als Eingriff in die kaiserlichere Kommandogewalt und ließ den Reichstag auflösen.
 
Rosa Luxemburg soll Kolonien prinzipiell abgelehnt haben. Vielleicht kennt jemand eine entsprechende Stelle in ihrem Werk.

Rosa Luxemburg führt das etwas ausführlicher aus. Grundsätzlich ist für sie der "Internationalismus der Arbeiterklasse" unvereinbar mit dem "Nationalismus zur Bereicherung der europäischen Mutterländer durch Kolonien".

Exemplarisch kann man es in Luxemburgs "Einführung in die Nationalökonomie" nachlesen:

"Im 19. Jahrhundert, im Zeitalter des Kapitalismus, hatte die europäische Kolonialpolitik neue Bahnen eingeschlagen. Es handelte sich nicht mehr, wie im 16. Jahrhundert bei dem ersten Sturm auf die Neue Welt, um rascheste Ausplünderung der Schätze und Naturreichtümer der neuentdeckten tropischen Länder […]. Auch nicht mehr bloß um mächtige Handelsgelegenheiten […]. Jetzt handelte es sich neben jenen älteren Methoden der Kolonisation, die gelegentlich bis auf den heutigen Tag im Flor stehen und nie aus der Übung gekommen sind, auch noch um eine neue Methode mehr nachhaltiger und systematischer Ausbeutung der Bevölkerung der Kolonien zur Bereicherung des »Mutterlandes«. Hierzu sollte zweierlei dienen: einmal die tatsächliche Besitzergreifung des Grund und Bodens als der wichtigsten materiellen Quelle des Reichtums jedes Landes und ferner die ständige Besteuerung der breiten Masse der Bevölkerung. Bei diesem doppelten Bestreben nun mußten die europäischen Kolonialmächte in allen exotischen Ländern auf ein merkwürdiges felsenhartes Hindernis stoßen, und dies war die eigenartige Eigentumsverfassung der Eingeborenen, die der Ausplünderung durch die Europäer den hartnäckigsten Widerstand entgegensetzte. Um den Grund und Boden aus den Händen ihrer bisherigen Eigentümer zu reißen, mußte man vorerst feststellen, wer der Eigentümer des Grund und Bodens war. Um Steuern nicht bloß aufzuerlegen, sondern auch eintreiben zu können, mußte man die Haftbarkeit der Besteuerten feststellen."
 
Heute möchte ich mich mal einem Punkt widmen, der meines Erachtens zu wenig beachtet wird.
Fest steht bzw. es wurde bewiesen, dass das Deutsche Kaiserreich, darauf aus war von den anderen Großmächten als Ebenbürtig wahrgenommen zu werden.

Es steht auch fest, dass Deutschland gegen Ende des 19. Jh. (leider) auf den Kolonialzug aufsprang. Weil der damalige Kaiser und Herrscher von Gottesgnaden meinte, ein Land könne nur dann wahrhaft "Groß" sein wenn, es auch Kolonien besitze!:rolleyes::mad: Auch Otto von Bismarck war ja anfangs gegen die Kolonialpolitik, da er nicht zu Unrecht Probleme mit Großbritannien und Frankreich fürchtete.

Die Befürworter und Lobbyisten einer solchen Politik waren ja nur einige wenige Großindustrielle und Händler. Die Mehrheit der Gewerbetreibenden war ja nicht wirklich begeistert. Was uns auch schon zu meiner Überschrift führt. ;) Also zumindest ich, konnte keine Quellen für eine Gegenbewegung zum Kolonialgedanken finden. Deshalb hoffe ich auf eure Mithilfe.
Ugh Valencia hat bereits auf den Deutschen Kolonialverein verwiesen. Der alldeutsche Verband formierte sich 1890 nach dem Helgoland-Sansibarvertrag. Unter Leo von Caprivi kam es zu einem Tausch zwischen GB und dem Deutschen Reich. Deutschland erhielt die Insel Helgoland und den sogenannten Caprivi-Zipfel in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Dieser Tausch wurde u. a. von den Alldeutschen als ein sehr ungleicher und für Deutschland ungünstiger dargestellt. Schon bald nach seiner Gründung hatte der Alldeutsche Verband 21.000 Mitglieder. Der alldeutsche Verband war freilich ziemlich radikal, er hatte aber Mitglieder aus soziologisch recht vielfältigen Schichten. Die Kolonialbegeisterung war keinesfalls auf wenige Großindustrielle und Lobbyisten beschränkt. Auf wenige Lobbyisten beschränkte sich höchstens der Kreis der Personen, der an dem kolonialen Abenteuer Profit machte. Die Kolonialbegeisterung war sozusagen ein Wahn des Imperialismus, der auch keineswegs auf Deutschland beschränkt war, Dänemark, die Niederlande, Portugal, Spanien und Italien besaßen überseeische Kolonien. Die Vorstellung, dass eine europäische Macht Absatzmärkte und Rohstoffquellen benötigte, um nicht auf Dauer ins Hintertreffen zu geraten und zweitklassig zu werden, war weit verbreitet und im Deutschen Kaiserreich bis weit in liberale Kreise hinein sozusagen Communis Opinio. Die staatstragenden Parteien in Deutschland waren Befürworter der Kolonialpolitik, und das traf auch auf einen großen Teil vermutlich die Mehrheit der deutschen Bevölkerung zu. Wirklich Kritik am kolonialen Konzept gab es eigentlich nur aus Teilen der Sozialdemokratie.

Bismarck war im Herzen kein Kolonialenthusiast, und er sagte dass nicht er, aber die Öffentlichkeit Kolonien fordere. Bismarck war Realist, was Investitionen betraf und auch, was die Verteidigungsfähigkeit eines Kolonialreichs anging, wenn es wirklich mal ernst wurde. Andererseits aber glaubte Bismarck dass koloniale Projekte durchaus ein Mittel waren, französische Interessen abzulenken. Je mehr Saharasand und Indochina Frankreich erobere, sei prinzipielle gut für Deutschland und könne zu einer Entspannung in Europa beitragen.

Der überwiegende Teil von Deutschlands Kolonien wurde aber unter Bismarck erworben. Eigentlich kam nur Tsingtau/Kiautschou, ein Teil von Samoa und 1911 ein Teil von Französisch-Kongo, als Neukamerun noch dazu, dass gegen den sogenannten Entenschnabel getauscht wurde.
 
In den meisten der bisherigen Beiträge wurde auf wirtschaftliche und strategische Bedeutung von überseeischen Kolonien hingewiesen. Das Sendungsbewusstsein und Prestigedenken der europäischen Mächte spielte sicher eine sehr bedeutende Rolle neben strategischen und wirtschaftlichen Motiven.

Es spielten aber durchaus auch religiöse und humanitäre Motive wie die Missionierung und die Bekämpfung der Sklaverei eine Rolle bei der Gründung von Kolonien. Liberia verdankt seine Existenz vor allem amerikanischen Abolitionisten. Viele der ersten Präsidenten waren ehemalige Sklaven aus den USA.
 
Kolonien wurden von den interessierten Kreisen ja schon frühzeitig gefordert. Die Kolonien wurden in der Bismarck Ära ja auf eigene Faust von deutschen Kaufleuten begründet, denen Bismarck im Nachhinein einen Schutzbrief des Reiches ausstellte.

Das Bismarck zu der kurzen Periode der aktiven Kolonialpolitik sein Einverständnis gab, war u.a. auch deshalb möglich, das wusste Bismarck natürlich, weil England und Russland hinsichtlich Afghanistan kurz vor einem Krieg standen. Gleichzeitig krachte es zwischen England und Frankreich bezüglich Ägypten.

Bismarck hielt von Kolonialpolitik herzlich wenig. Er wusste eben, nicht wie die Kolonialenthusiasten in Deutschland, dass die Kolonien im Zweifelsfall nicht zu halten waren, da die deutsche Flotte zu jener Zeit nicht sehr nennenswert war und darüber hinaus es bis zu Letzt sowieso an entsprechenden Stützpunkten fehlte.

Bezeichnend ist, dass Bismarck mit den Begriff Schutzgebiete verwendet und nicht mit dem Begriff Kolonie. Es sollte eben gegen über den anderen Großmächten hervorgehoben werden, dass es nicht um eine Machterweiterung ging, sondern eben ganz einfache wirtschaftliche Beweggründe vorherrschten. Eine Provokation der anderen Großmächte sollte auf jeden Fall vermieden werden.

Die Sozialdemokratie änderte erst später ihre Meinung. Bebel führte 1906 nämlich im Reichstag aus, „Kolonialpolitik an für sich sei kein Verbrechen. […] Es komme nur darauf an, wie sie betrieben werde.“

Die linken Liberalen kritisierten, das die Kolonien nur Geld kosten und außer Schädigung des Ansehens nichts gebracht hat.

Das Zentrum war sich nicht einig, aber man war auf jeden Fall gegen den Sklavenhandel.

1907 wurde das Reichskolonialamt begründet, welches die Kolonien nach den grausamen Kriegen gegen die Hereo und die Maji Maji die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern; aber daran hatten die Farmer und Plantagebesitzer kein Interesse.
 
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1907 wurde das Reichskolonialamt begründet, welches die Kolonien nach den grausamen Kriegen gegen die Hereo und die Maji Maji die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern; aber daran hatten die Farmer und Plantagebesitzer kein Interesse.

Immerhin ließen die Deutschen nach dem Maji Maji-Aufstand zu, dass Eingeborene Land erwerben konnten, und sie führten Suaheli, das in Ostafrika sozusagen die lingua franca war als Amtssprache ein. Das war vielleicht das Vernünftigste, das sie je getan haben. Suaheli als gemeinsame Sprache erleichterte nach der Unabhängigkeit Tansanias die Entwicklung eines tansanischen Gemeinschaftsgefühl.

In Tansania ist der Ruf der Deutschen weit besser, als in Namibia. Obwohl es auch in Ostafrika Greuel gegen die eingeborene Bevölkerung gab.
 
Die Kolonialpolitik war im Deutschen Reich innenpolitisch hoch umstritten. Das erkennt man schon daran, dass sie zweimal das zentrale Wahlkampfthema war. So wurden die Reichstagswahlen von 1884 zeitgenössisch als "Kolonialwahlen" bezeichnet und die von 1907 als "Hottentottenwahlen".

An Kritiker des deutschen Kolonialismus herrschte kein Mangel. Die Kritik selbst ist jedoch mitunter selbst von kolonialistischen Denkmuster geprägt. Wenn etwa Zeitgenossen den Kolonialismus als Verlustgeschäft kritisieren, wurzelt diese Kritik durchaus dem Geist des kapitalistischen Hochimperialismus. Wenn vor der Gefahr der "Verkafferung" der deutschen Siedler in den Kolonien gewarnt wird, ist das planker Rassismus.
Die Kritik geht also in beide Richtungen: zu wenig oder zu viel Ausbeutung, zu viel oder zu wenig Zivilisierung und Missionierung usw.
 
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