Gara und Jonay - Romeo und Julia auf altkanarisch?

El Quijote

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Der höchste Berg von La Gomera (ein Inselname, der sich womöglich vom Berberstamm der Gomara ableitet) ist der Garajonay. Aber mit Garajonay verbindet sich auch eine Geschichte von Gara und Jonay. Allerdings bedeute der Name Garajonay "hoher Felsen", die Namen von Gara und Jonay sind also als solche sicher nicht von Altkanariern getragen worden.

Erstmal schriftlich nachgewiesen ist die Geschichte 1924 in der Gaceta de Tenerife, in La Gomera existieren mehrere Varianten der Geschichte. Mal ist Gara die Witwe eines Königs (oder größeren Bauern), mal dessen Tochter, Jonay mal ein Prinz, mal ein Ziegenhirte (wobei das vermutlich kein Ausschlusskriterium ist, wenn man bedenkt, dass der Reichtum der Altkanarier vermutlich in Ziegen bemessen wurde).

Eine Version der Geschichte geht in etwa so: Jonay hütet Ziegen auf Teneriffa und sieht immer wieder sehnsüchtig nach La Gomera und andere Inseln hinüber. Irgendwann baut er aus Holz und Ziegenhäuten eine Art Floß (oder eine Art Schwimmblase), mit dem/der er sich auf das Meer hinaus wagt und es gelingt ihm tatsächlich, La Gomera zu erreichen. Dort wird er in einen der vier Stämme aufgenommen und arbeitet für einen reichen Bauern oder Häuptling, in dessen Tochter er sich verliebt (in der Variante ergibt die Geschichte für mehr Sinn, als in der WItwenvariante) und sie sich in ihn. Das aber ist bei den Gomeros verboten. Es ist so organisiert, dass ein Mann keine Frau aus seinem Stamm zur Frau nehmen darf, die Gomeros müssen sich ihre Frauen unter den drei anderen Stämmen der Insel suchen. Bzw. die Gomeras ihre Männer. (Zwar stammt Jonay von keinem der vier Stämme von La Gomera, sondern von Teneriffa, aber er ist nun mal in den Stamm aufgenommen worden, die Tochter seines Chefs in diesem Verständnis seine Schwester, die er nicht zur Frau nehmen darf, obwohl er vermutlich derjenige auf der Insel ist, der am wenigsten mit allen anderen auf der Insel verwandt ist). Die beiden fliehen also, aber La Gomera ist eben nicht groß und am Ende landen sie und ihre Verfolger am höchsten Punkt der Insel, dem Garajonay, wo die Jonay zwei Speere schnitzt und in einer letzten Umarmung rammen sich Gara und Jonay die Speere gegenseitig in die Brust.

Jetzt ist die Frage: Wie historisch ist diese Geschichte?
M.E. dürfte sie aus dem 18. oder 19. Jhdt. stammen, also nicht auf die Altkanarier zurückgehen.
  1. Zur Erklärung des Bergnamens Garajonay, der ja angeblich mit 'hoher Felsen' (für 'hoch' finde ich Tamazight [unniʝ] > onay) zu übersetzen ist, taugt diese Legende nichts, sie scheint aber genau dafür geschaffen zu sein. Es würde sich also um eine ätiologische Legende um ein Pseudoetymon für das Oronym (Bergnamen) handeln.
  2. Gara und Jonay sind keine Personennamen
  3. Solche tragisch-romantischen Geschichten von Liebesverbindungen, wo die Liebe der Liebenden aus Konventionen nicht erwünscht ist, sind in Spanien häufiger vertreten. Oft in der Kombination christlicher Ritter und Maurenprinzessen. Die Details wechseln, aber der Kern ist immer derselbe: die Liebe bzw. die Angst auseinander gerissen zu werden, ist größer als die Angst vor dem schrecklichen Tod. Meistens stürzen sich die aussichtlos umzingelten Liebenden in die Tiefe, nur ist der Garajonay an seinem Gipfel nicht mit dem dafür notwendigen Relief versehen. Da hätte man sich den markanteren Fortaleza nehmen müssen, aber da dessen Name spanisch und nicht altkanarisch ist, hätte die ätiologische Legende nicht mehr funktioniert, also die alternative Todesart mit der letzten, tödlichen Umarmung. Außerden ist der Fortaleza (ein vulkanischer Tafelberg) zwar markant, aber eben nicht der Gipfel La Gomeras.
Bleibt die Frage: Die Altkanarier sind nach gegenwärtigem Stand nicht zwischen den Inseln hin und her gereist. Sie hatten das Know how nicht, daran rüttelte auch die Geschichte von Gara und Jonay nicht, wenn man annähme, dass sie im Kern bereits vor der Eroberung der Kanaren durch die Spanier auf La Gomera erzählt worden sei - was wie oben dargelegt ja eher unwahrscheinlich ist. Jonay muss sich ja erst behelfsmäßig ein Floß bauen oder eine Schwimmblase basteln, um überhaupt seinem Fernweh nachgehen zu können. Er heuert nicht etwa bei einem Fischer an.

Wenn die Geschichte einen historischen Kern hat, dann vermutlich den Aufstand gegen den jüngeren Conde de Peraza 1488.
 
Diese Geschichten sind natürlich Quatsch. Wenn man sich anschaut, welche Mühen, Überlegungen und Detailbeobachtungen hinter den zeitgenössischen Berichten aus dem 16. Jahrhundert stehen,


dann sind solche Kalenderblattgeschichten ein übler Rückfall.

Auf den kanarischen Inseln bestand vom 18. bis zum 20. Jahrhundert eine blühende Zeitungslandschaft, es gab jede Menge Vereine und wissenschaftliche Gesellschaften (wie z.B. die Real Sociedad Cosmológica in Santa Cruz de La Palma),
Freidenker und Freimaurer.

Im Umfeld dieser literarisch interessierten städtischen Gesellschaft blühte natürlich nicht nur der Garten der Aufklärung, sondern auch das Unkraut des romantisierenden Unsinns, das so sehr den Geschichten der deutschen Gartenlaube ähnelt.
 
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Ich finde es schade, dass so etwas heute nur mehr auf Quatsch reduziert wird. Fiktives muss doch niemand für bare Münze nehmen, aber muss alles dann gleich abqualifiziert werden.
 
Im 17. Jahrhundert wusste man schon dass die Ureinwohner der kanarischen Inseln von der marokkanischen bzw. nordafrikanischen Küste gekommen waren.

In den 1970er und bis in die 2000er Jahre habe ich noch solchen Quatsch gelesen, dass die Inseln durch die Megalithkultur besiedelt wurden, oder dass man hier Menschen vom Cromagnon-Typus vorgefunden habe, und jede Menge andere Atlantis-Theorien.
In Wikipedia steht immer noch, im Jahre 2025, dass eine Besiedelung durch die Phönizier seit dem 10. Jahrhundert archäologisch nachgewiesen sei.

Quatsch ist Quatsch, bleibt Quatsch, und sollte auch als solcher bezeichnet werden.
 
Da Dein Name in spanischer Schreibweise ist, kannst Du Dir vielleicht dieses wirklich spannende Buch im Originaltext durchlesen:


Etwas komplizierter Download:


Allein die Lebensgeschichte dieses Kriegers, Verwaltungsmenschen, Wissenschaftlers und Humanisten Gonzalo Argote de Molina ist ein Abenteuerroman. Er hatte Zugang zu originalen Quellen, er war Sammler und machte sein Haus zu einem Museum, das selbst der spanische König besuchte. Vielleicht wäre er heute bekannter, wenn er Francis Drake einfach geköpft hätte, anstatt ihn nur zu bekämpfen.

Sein Bericht ist ab 1590 entstanden. Er starb 1596, der Text wurde 1632 unter Pseudonym bzw. von einem Kopisten veröffentlicht.
Die Digitalisierung erfolgte 2006, der Text ist am Bildschirm schwer zu lesen, als Ausdruck im PDF aber spannend.
Allein die Unzahl an Personennamen und Ortsbezeichnungen, an Übersetzungen und Worterklärungen ist eine Fundgrube für das Verständnis der Sprache der Ureinwohner.

Und nein, die Spanier haben die Kultur der Guanchen nicht ausgerottet, Kirche und Krone haben sich sehr wohl bemüht die Rechte der Einwohner zu wahren.
Die Eroberung der Inseln durch europäische Glücksritter und spanische Aktiengesellschaften ist vielleicht weniger schändlich als die Phantasien und die realen Machenschaften eines Donald Trump hinsichtlich Grönlands und der Ukraine, oder der russische Imperialismus.

Folgenden Link finde ich noch toll:
 
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