Pressemeldung: 06.03.2007 | 18:13 | JÜRGEN LANGENBACH (Die Presse) Anthropologe in Oxford schreibt Besiedlungs- geschichte der Insel(n) neu und verabschiedet Mythen. „Auf den Straßen lagen zerstückelte Menschenkörper, bedeckt mit bleichen Klumpen geronnen Bluts, sie sahen aus, als hätte man sie in einer Presse zerquetscht.“ So beschrieb der britische Mönch Gildas �Excidium Britannicae� den �Untergang� des keltischen Britannien an der eigenen Dummheit: Die seit alters her ansässigen Kelten hatten – gegen die aufsässigen Schotten und Pikten – Angelsachsen zu Hilfe gerufen, die wandten sich marodierend gegen die Hilferufer, brachten (fast) alle um und bauten selbst eine neue Bevölkerung auf. So schrieb es Gildas im sechsten Jahrhundert, so ist es in der kollektiven Erinnerung eingegraben, so wird es weitererzählt. „In den Schulbüchern wird die Invasion heute noch als Völkermord klassifiziert�, berichtet Stephen Oppenheimer, Genetiker in Oxford: �Aber so etwas hat es nicht gegeben. Zwar finden sich in den Genen der heutigen Engländer Hinweise auf Angelsachsen aus Dänemark – aber in nicht mehr als fünf Prozent der Männer: 95 Prozent der Indigenen haben damals überlebt.“ Die Atlantikküste hinaufgewandert Wer waren die Indigenen? Oppenheimer hat noch eine Überraschung, diesmal nicht nur für die Engländer, sondern auch für die anderen Bewohner der Insel(n) � Waliser, Schotten, sogar: Iren �, von denen die Letzteren viel Erinnerungsmühe zur Abgrenzung gegen die nicht sonderlich amüsierende Zentralmacht in London aufwenden. Sie seien, sagen sie, in Wahrheit Kelten, die Engländer eben Angelsachsen. In der Wahrheit, die Oppenheimer aus den Genen liest, sind sie allesamt � Spanier. Demnach wurden die �Inseln� vor etwa 16.000 Jahren besiedelt – als die Gletscher der Eiszeit sich zurückzogen –, sie waren damals keine Inseln, sie konnten von Süden her die Atlantikküste hinauf erwandert werden. Und die als Erste kamen, kamen aus dem Norden Spaniens, sie sprachen eine Art Baskisch. Dann, vor 6000 Jahren, kam eine zweite Welle, eine sehr kleine, aber einflussreiche, sie brachte die Landwirtschaft, sie brachten die keltische Sprache (New York Times, 6.3). Woher? Wieder aus Spanien, vermutet Oppenheimer: „Die archäologische Orthodoxie meint, die Kelten wären aus Zentraleuropa gekommen. Dafür gibt es weder genetische noch historische Evidenz. Ich habe einen Gen-Fluss von Spanien nach Nordwales gefunden� (Daily Telegraph, 10.10. 06). Sehen deshalb viele Waliser so spanisch aus? Das wird eher an einer dritten Welle liegen: 1588 wurde die spanische Armada vor Wales versenkt, viele konnten sich retten. ("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2007) Was haltet ihr davon?
Erst einmal möchte ich auf die Bekanntmachungen hinweisen: Der Link: http://www.diepresse.com/home/techscience/wissenschaft/289070/index.do Das Kleingedruckte: Zur Sache: Daß nur 5% der männlichen Gene auf die Angelsachsen zurückgeführt werden können, steht im Widerspruch zu einer Pressemitteilung, die wir unlängst diskutiert haben: http://www.geschichtsforum.de/showthread.php?t=11731 Dazu kann man nur sagen, daß es höchst unseriös ist, Behauptungen über eine Sprache aufzustellen, die vor 16.000 Jahren (!) gesprochen worden sein soll. Etwas ausführlicher, aber auf Englisch: http://www.prospect-magazine.co.uk/article_details.php?id=7817
Die Behauptung, vor 6 000 (!) Jahren seien "Kelten" auf die Britischen Inseln eingewandert, ist natürlich völliger Schwachsinn! Die Kelten gibt es als Volk frühestens seit der Hallstatt-Zeit um 750 v. Chr., ihre Ausbreitung über weite Gebiete Europas erfolgte etwa um 500 v. Chr. Das alles ist archäologisch gut dokumentiert und unterliegt keinem Zweifel. Vor 6 000 Jahren, also im 5. Jahrtausend v. Chr., erfolgte die Einwanderung der ersten Ackerbauern auf die Britischen Inseln. Es handelte sich hierbei um Bandkeramiker, die von Mitteleuropa aus nach England zogen und dort erste Siedlungen errichteten und den Boden bebauten. Im 3. Jahrtausend kamen erste Stämme der Indoeuropäer nach England, wobei völlig unbekannt ist, welchem "Volk" sie wohl angehört haben.. Erst die nächste Einwanderungswelle, die im 6. Jahrhundert einsetzte, brachte dann - anhand von Gräbern und Überresten gut nachweisbar - Kelten auf die Britischen Inseln. Damit war das Einwanderungsinventar komplett, wenn man einmal von den Zuzügen der Sachsen und Angeln um 500 n. Chr. absieht, und der wenigen romanisierten Normannen, die zur Zeit Williams des Eroberers nach England kamen. Was an Einwanderung davor erfolgte, liegt im Bereich der Hypothese und Spekulation. Es gibt Forscher, die in der Tat vermuten, dass die erste Besiedlung etwa 8 000-10 000 v. Chr. erfolgte, und zwar von Nordafrika und Südwesteuropa aus. Es soll sich dabei um eine kleine, dunkelhaarige Bevölkerung gehandelt haben, die jagte und vor allem Fischfang betrieb. Man will diesen Bevölkerungstypus angeblich noch heute anhand bestimmter Körpermerkmale und Blutgruppen in der britischen Bevölkerung ausmachen (vgl. Atlas of the British Isles). Diese erste Bevölkerungsschicht soll dann durch die im 5 Jahrtausend nachrückende frühe Bauernbevölkerung aus Mitteleuropa in Rückzugsgebiete abgedrängt worden sein - so die Hypothese. Ob diese Spekulationen glaubhaft sind, lässt sich schwer sagen. Mir ist auch nicht bekannt, ob sie sich auf archäologische Funde stützen kann.
Die Armada Invencible wurde auch nicht vor Wales versenkt. Sie verlor Schiffe vor Südostengland, vor Holland (wo man die Schiffbrüchigen angeblich massakrierte), Schottland... und machte auf den Rückweg einen langen Weg um Irland wo sie nochmals zahlreiche Schiffe vor Irland durch Stürme verlor. Aber gerade Wales kam sie nicht einmal in die Nähe.
Ich bin heute auf einen Artikel gestoßen, der zu diesem Thema paßt: BBC News - DNA study shows Celts are not a unique genetic group Der Artikel ist eine Zusammenfassung einer in der Zeitschrift Nature veröffentlichten Arbeit (ist im Artikel verlinkt). Danach gibt es signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen keltischen Gruppen innerhalb Groß-Britanniens.
Naja trotzdem schwierig. Sieht man sich allein die jüngeren "siedlungsphasen" in Britannien mal an... Engländer wurden in Schottland und Wales angesiedelt, Normannen in England und Schottland... früher: Sachsen in England, noch früher Iren in Schottland, ... dann die antiken: Iren in Wales, Belgen in England... das sind die historisch fassbaren. Das ist so schon schwierig genug mit bestimmten genetischen Gruppen in Verbindung zu bringen, für noch frühere Zeiten und präkeltische Wanderungen von Iberien nach Irland halte ich das ganze für noch schwieriger nachzuvollziehen... häufig waren solche Gruppen ja sehr klein und Landstriche dünn besiedelt so ,daß von der ursprünglichen Bevölkerung kaum eine Spur übrieg blieb nach Generationen der Überschichtung. Dann das hin und her springen kleinerer Abteilungen und Stammesgruppen wie wir sie aus der historischen Zeit kennen... und welche Gruppe sich aufgrund welcher äußeren Umstände stark vermhert und durchsetzt und welche austirbt oder verdrängt wird... all das geschieht häufig nICHT NACH lOGIK ODER ZUMINDEST NICHT NACH uMSTÄNDEN DIE WIR HEUTE NOCH NACHVOLLZIEHEN KÖNNTEN: Die Archäogenetik hat diese Probleme bisher immer noch nicht beantworten können -IMHO- ich bleibe deshalb nach wie vor skeptisch.
Die britischen Inseln - wie auch die anderen Regionen in Europa und der Welt - haben im Laufe der Jahrtausende mehrere Einwanderungswellen mit der jeweiligen Assimilation der Altbevölkerung gehabt. Es gibt von dem britischen Autoren Rutherfurd zwei Romane, die diese Entwicklungen beschreiben: Sarum und London
Eben , und so finde ich es schwierig heutige genetische Merkmale der dortigen Bevölkerung mit alten Einwanderungswellen in Verbindung zu bringen. Wenn die im Artikel erwähnte Untersuchung eine große genetische Vielfalt der dortigen Bevölkerung zeigt, so verwundert mich das garnicht, sie bewiest aber auch nichts da wir ja nichts über die genetische Zusammensetzungen der damaligen Völkerschaften wissen.
Diese große genetische Vielfalt zeigt deutlich, dass im Verlauf der letzten Jahrtausende zahlreiche Bevölkerungsgruppen unterschieddlicher ethnischer Herkunft die Britischen Inseln besiedelten. Schon die präkeltische Bevölkerung setzt sich aus verschiedenen Migrationsströmen zusammen (Jäger und Sammler des Mesolithikums, early farmers, Beaker People, indoeuropäische Gruppen usw.), auf die dann erst die Kelten und Römer, sowie später Angelsachsen und Normannen folgten. Ich halte es für sehr schwierig, diese disparaten Gruppen genetisch auseinanderzuhalten oder ethnisch genau zu bestimmen. Überdies scheinen auch genetisch verschiedene Keltengruppen eingewandert zu sein, wenn ich den verlinkten Artikel richtig interpretiere.
Sehr gut. Denn wir wissen ja nichtmal ob die frühesten gruppen nicht auch schon sehr heterogen waren.
Auf jeden Fall gibt es unter britischen Archäologen und Genetikern einen seit langem anhaltenden Streit, ob eine britische Urbevölkerung lediglich neue kulturelle Elemente und Techniken übernommen hat - z.B. Ackerbau, Metallverarbeitung usw. -, oder ob man mit größeren Einwanderungswellen vom Kontinent zu rechnen hat.
Ja ich weiss... den Streit gibt es ja sogar um die Angelsachsen selbst... ob die tatsächlich im großen Stil eingewandert sind oder ob lediglich einihe Foederaten Clans die politische Herrschaft an sich gerissen haben. Bei den Belgen dürfte die Frage ähnlich sein und vorher bereits bei den ersten keltischen Einwanderungswellen. Lediglich bei Irland geht man wohl mittlerweile fest davon aus ,daß es keine größere Einwanderungswelle gab sondern nur eine Veränderung der politischen Wirtschaft evtl. durch Herausbildung neuer Eliten, das wird aber auch durch die relative la Téne Armut Irlands gestützt.
Um noch mal auf die Pressemitteilung von 2007 zurückzukommen: Vielleicht hat man auch einfach die falschen Spanier für die genetischen Untersuchungen benutzt? Sicher ist jedenfalls, dass es in Nordspanien in der Spätantike einen britischen Bischof (Mailoc) gab. Dieser wird in Zusammenhang mit einer keltischen Auswanderung von den britischen Inseln im Zuge der angelsächsischen Landnahme gesehen. Eine parallele Fluchtbewegung gab es dann noch mal 1000 Jahre später, als englische Katholiken nach Spanien flohen. Davon zeugt die Marienstatue Nuestra Señora la Inglesa in der romanischen Kathedrale von Mondoñedo, die auf der Flucht vor der anglikanischen Katholikenverfolgung mit hierher verbracht wurde.
Ich hänge eine neue Publikation hier an, weil es im weiteren Sinn auch zur Besiedlung der britischen Inseln passt. Im engeren Sinn geht es um Nordwestfrankreich, die späte Eisenzeit bzw. La Tene-Zeit. Die genetische Studie zeigt, das es offenbar seit der Bronzezeit, und damit überJahrtausende, eine enge "Kontaktzone" beiderseits des Kanals gab. Studie aus der PLOS.one, im freien download: The multiple maternal legacy of the Late Iron Age group of Urville-Nacqueville (France, Normandy) documents a long-standing genetic contact zone in northwestern France
Den Threadtitel könnte man vielleicht ändern: Engländer, Schotten, Waliser, Iren? Spanier! in Engländer, Schotten, Waliser, Iren? Franzosen! Das wird in England größte Bestürzung auslösen. (Natürlich sind sämtliche Bezeichnungen ohnehin anachronistisch, da man in der Zeit von solchen ethnischen Gruppen noch nicht sprechen kann, bestenfalls als Bevölkerung, die in den entsprechenden Gebieten lebte.) Nach diesem Artikel der BBC scheint man einen der "Brückenköpfe" in Südengland identifiziert haben, der zu einer Einwanderung vom Kontinent aus dem heutigen Frankreich auf die britischen Inseln um 1400 v. Chr. benutzt wurde. Die Gene dieser Einwanderer machen 50 % der späteren Bevölkerung in England und Wales aus. Mit dieser Einwanderung wird möglicherweise die Verbreitung der keltischen Sprachen in Britannien verbunden sein. Ancient mass migration transformed Britons' DNA