Georg Elser - Hätte er die Katastrophe verhindern können?

Wer war schuld? Nur Hitler? Eher nicht. Und wäre das Nazi-System ausgelaufen, abgestürzt oder langsam verblichen? Ich persönlich glaube: Nein.

Es ist doch überhaupt nicht der Punkt, wenn man das von verkürzten Stereotypen abseits diskutieren möchte.

Das das Nazi-Reich abgewickelt worden wäre ist eine Frage, ob sich innerhalb eines Nazi-Reiches ohne Hitler eine auf Ausweitung des Krieges zielenden Linie und die dezidierte Vernichtungspolitik durchgesetzt hätten, sind aber andere Fragen.

Wird man schlicht nicht zur Zufriedenheit beantworten können, weil nicht zu bestimmen ist, bei wem die Fäden dann zusammengelaufen wären.

Natürlich ist es eine nicht sinnvolle Zuspitzung auf Hitler und seinen Teil an der Verantwortung, wenn man davon ausgeht, dass mit der Beseitigung Hitlers alles gut geworden wäre.


Das ist Beides eine sehr interessante Frage. Und obendrein nicht so leicht zu beantworten. Ich sehe das Nazi-Deutschland wie ein Ölfass (die Deutschen) und ein brennendes Streichholz (Hitler). Wenn beides zusammenkommt, macht es Wumms. Die Gefahr ist nicht in erster Linie das Streichholz, sondern das Ölfass. So sehe ich das jedenfalls.
Keine passende Methapher, weil dass implizieren würde das NS-Reich wäre getrennt von der Personalie Hitler zu sehen, was Entstehung und weiteren Werdegang angeht.
Es wäre eine Übertreibung des Einflusses Hitlers, zu behaupten, dieses System hätte, als es einmal stand, nicht ohne ihn existieren können.
Demgegenüber wird man aber die Maßgeblickeit Hitlers bei der Entstehung des Systems kaum wegerklären können, den für die brauchte es Hitler als handelnde Figur.

Und ich glaube auch, dass ein anderer Führer aufgetaucht wäre. Auch das ist schwer zu sagen. Aber ich denke Göbbels oder Ludendorff oder noch Jemand Anderes wäre zum Führer aufgestiegen.

Es ist nicht schwer zu sagen, sondern es ist nicht zu beantworten. Zu Sagen ist hierzu nur, dass es Ludendorff in keinem Fall geworden wäre, den hätte man erstmal ausgraben müssen, immerhin war der, als Elser seine Bombe zusammenbastelte bereits 2 Jahre tot.
Wenn es 1939 um Hitlers Nachfolge gegangen wäre hätte wohl auch Goebbels nicht die besten Karten gehabt, das wäre wohl eher auf Heß oder Göring hinausgelaufen, ist aber unsinnig es weiter spekulativ auszuführen.

Halt irgendjemand Radikales, der einfache Lösungen verspricht.
Was sich von den Nazis inwiefern unterscheidet?

Hätte auch ein Kommunist sein können.
Und wie kommst du auf das schmale Brett, dass ein paramilitärisch vernetzter Parteiapparat, der die politische Macht fest in der Hand hält und dessen bisherige Gewohnheit es war Kommunistet totzuschlagen oder wegzusperren auf einmal einen solchen als "Führer" akzeptiert hätte?

Das halte ich für eine sehr ......ähm exotische Idee um es freundlich auszudrücken.
 
Keine passende Methapher, weil dass implizieren würde das NS-Reich wäre getrennt von der Personalie Hitler zu sehen, was Entstehung und weiteren Werdegang angeht.
Jein, es sind halt zwei Faktoren, die ich natürlich nicht als gerennt betrachte, sondern es ist lediglich meine Ansicht, dass es eine Bereitschaft für Hitler gegeben hat und dass ferner Hitler alleine (ohne "Fans") nicht hätte an die Macht kommen können.

Was sich von den Nazis inwiefern unterscheidet?
Gar nicht! Ich meinte einfach einen radikalen Mann, aller Wahrscheinlichkeit nach ein Nazi. (EDIT: Für alle Gender-Besorgten: Eine Frau hätte zu den damaligen gesellschaftlichen Bedingungen nicht Führerin werden können. Deshalb nur "Mann".)

Und wie kommst du auf das schmale Brett, dass ein paramilitärisch vernetzter Parteiapparat, der die politische Macht fest in der Hand hält und dessen bisherige Gewohnheit es war Kommunistet totzuschlagen oder wegzusperren auf einmal einen solchen als "Führer" akzeptiert hätte?

Das halte ich für eine sehr ......ähm exotische Idee um es freundlich auszudrücken.
Ja, da hast du wohl recht. Ich bin von der Situation vor dem Nazi-Regime ausgegangen. Das ist natürlich hier falsch. Es ging ja um Elsers mißglücktes Attentat, also ein Zeitpunkt, zu dem schon der von dir genannte Apparat (und erfolgreiche Staatspropaganda) existierte.

Grüße
Peter
 
Letztlich führt das nur zu der Frage, ob man alle Schuld auf H. abwälzen kann, oder nicht.
Wer war schuld? Nur Hitler? Eher nicht.

Natürlich nicht. Steckte auch schon im abwälzen. Aber es ging ja auch bei der Antwort darum, dass der threaderstellende Schüler nicht alles vorgekaut bekäme, sondern ans Nachdenken gebracht würde.
Ansonsten sehe ich das wie Shinigami: Eine historische Persönlichkeit tritt nicht aus dem Nichts heraus und formt die Geschichte. Aber dennoch ist die historische Persönlichkeit ein Individuum, das, wenn sie es schafft, die entsprechende Macht zu akkumulieren, die Geschichte nach seinen Vorstellungen formen kann. Das können wir von H. zweifelsohne sagen.

Der Antisemitismus grassierte in der ersten Hälfte des 20. Jhdt. Dazu brauchte es keinen Hitler. Wahrscheinlich wäre auch die Weimarer Republik durch eine reaktionäre Bewegung in irgendweiner Form verändert oder abgeschafft worden. Denkbar wäre z.B. die Wiedereinführung der Zollern-Monarchie. Wenn die DNVP sich durchgesetzt hätte. Diese restaurierte Zollern-Monarchie wäre sicher nicht dieselbe gewesen, wie die von 1871-1918, denn die Hugenbergs und Hindenburgs waren auch Machtpolitiker, die ihre Vorstellungen hatten. Da diese Option der Geschichte aber nicht wahrgeworden ist, muss das pure Spekulation bleiben und es ist müßig das zu diskutieren.

Dass aber z.B. der Zweite Weltkrieg in dieser Form ohne H. stattgefunden hätte, ist eher unwahrscheinlich. Die Deutschen wollten 1939 keinen Krieg. Nach den Erfolgen gegen Polen, Norwegen und Frankreich sah die Sache dann schon wieder anders aus. Denn die Deutschen erlebten 1939/40 einen anderen Krieg als 1914 - 1918, v.a. auch materiell an der Heimatfront. Das hat den Nazis noch mal einiges an Zuspruch gebracht.

Dass der grassierende Antisemitismus sich in dem entlud, was wir heute als Shoa oder Holocaust versuchen in Worte fassen, ist auch kein Naturgesetz, sondern Folge einer Reihe von personellen Entscheidungen, Zufällen und bösem Willen. Wenn nicht irgendwann in der Ukraine aus einer paranoid-antisemitischen Stimmung heraus die Entscheidung gefallen wäre, speziell jüdische Männer zu erschießen, dann würden wir heute womöglich von einem Holocaust nichts wissen und Ortsnamen wie Treblinka oder Majdanek oder Babi Jar oder Auschwitz würden allenfalls ein paar Geographen oder Einheimischen was sagen. Aber die Entscheidung, die dort fiel, fiel nun mal und führte in einer schnellen Eskalation, dass bald Alte, dann Frauen und schließlich sogar Kleinkinder immer systematischer ermordet wurde. Erst "von Hand" also per Gewehr und schließlich industriell. Wäre das ohne H.s speziellem Judenhass so passiert? Wahrscheinlich nicht. Entlastet das andere Täter? Nein.
 
Jein, es sind halt zwei Faktoren, die ich natürlich nicht als gerennt betrachte, sondern es ist lediglich meine Ansicht, dass es eine Bereitschaft für Hitler gegeben hat und dass ferner Hitler alleine (ohne "Fans") nicht hätte an die Macht kommen können.

Das ist sicherlich richtig. Andereseits ist es aber aber auch so, dass man Hitler, gerade was die Entstehung des NS-Reiches nicht als Platzhalter für irgendeinen unbekannten Nazi-Führer betrachten kann, unter dem das genau so gelaufen wäre.

Nehmen wir einfach als Beispiel andere Funktionäre aus der Frühzeit der NSDAP.

Ein Ernst Röhm etwa, an stelle von Hitler hätte weder eine Einigung mit Hindenburg, noch den Brückenschlag ins nationalkonservative Lager hinbekommen um auf dieser Basis die Macht übernehmen zu können.

Ein Gregor Strasser wiederrum wäre möglicherweise in Hindenburgs Wunschvorstellung einer rechtsdominierten Republik einzubinden gewesen ohne aus diesem Rahmen so schnell auszubrechen, wie Hitler dass dann tat.

Ich möchte hier nich so verstanden werden, als wollte ich Hitler in irgendeiner Weise glorifizieren. Allerdings:

- Hitler schaffte es, politisch durchaus nicht ungeschickt, Ludendorff als Integrationsfigur der völkisch-nationalen Rechten mehr oder minder kalt zu stellen und auszubooten.
- Er bekam es in die Reihe, die NSDAP von ihren revolutionären Ursprüngen weg, auf einen für Teile des bürgerlichen Lagers akzeptablen Kurs zu bringen, sich aber dennoch vom überkommenden preußisch-protestantischen Konservatismus von DVP und DNVP erkennbar abzugrenzen und ein Gegenangebot zu schaffen, dass sicherlich gerade im katholischen Süddeutschland für nationalistische und konservateive Elemente attraktiver war, als die traditionellen Rechtsparteien.
- Er bekam es hin die Partei auf einen Kurs einzuschwören, der Radikal genug war um sich als Fundamentalopposition gegenüber den regierenden Parteien zu verkaufen, gleichzeitig aber pserönlich vor allem Hindenburg gegenüber moderat genug zu erscheinen, dass der wiederrum an Einbindung der NSDAP in die Regierung dachte (gemessen daran, wie er 1920 nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch zunächst gegenüber der DNVP auf Distanz ging durchaus keine Selbstverständlichkeit).
- Er schaffte es trotz bestehender Möglichkeit in die Regierung einzutreten die Partei bis Ende 1932 in der opposition zu halten und den Strasser-Flügel mit relativ geringen Verlusten auszuschalten.
- Er hatte dann letztendlich auch kein Problem damit, um einer endgültigen Einigung Willen über die Leichen seiner ehemaligen Mitstreiter zu gehen ("Röhm-Putsch")

(In welchem Maße strategische Verdienste im Kontext der Reichstagsbrandverordnung ihm zuzurechnen sind, hängt von der unbeantworteten Frage der Verantwortlichkeit für den Reichstagsbrand ab).

Das alles mag man (mit Recht) moralisch verweflich finden, strategisch hat Hitler auf seinem Weg bis zur Diktatur aber einfach vieles richtig gemacht und war immer bereit hohes Risiko einzugehen. Jeder der oben genannten Schritte hätte ihm auf die Füße fallen können und es ist absolut nicht selbstverständlich (nachgerade unwahrscheinlich), dass andere Führungsfiguren sich da vergleichbar verhalten hätten, weil nicht flexibel genug oder im entscheidenden Moment nicht skrupellos genug, nicht in der Lage der Partei den eigenen Willen nötigenfalls aufzuzwingen oder zu leicht durch winkende Teilhabe an der Macht zu verführen, die alles-oder-nichts-Politik weiter zu verfolgen.

Ob es ohne dem zu dieser Form von Diktatur gekommen wäre, ist mehr als fraglich.

Politisch radikale Führungsfiguren gab es in der Weimarer Republik ja nun wirklich hinreichend.

Mit Liebknecht/Luxemburg, Kapp/Lüttwitz, Ludendorff, Hugenberg, Thälmann, Hitler, im geringeren Maße Seldte/Duesterberg und Brandler/Thalheimer, wären da sicherlich einige Figuren an der Spitze ihrer jeweiligen Bewegungen zu nennen, die sich als "Führer" versuchten, nebst den in Teilen schon angeführten innenpolitischen Konkurrenten.

- Liebknecht scheiterte weitgehend an der Fehleinschätzung des politischen Einflusses seiner Person und seiner Gruppierung.

- Kapp/Lüttwitz scheiterten daran, dass sie es zum einen nicht wirklich schafften sich geistig aus dem Kaiserreich zu verabschiedeten und letztlich vor allem auch daran, dass sie nicht in der Lage waren zu begreifen, dass es ohne Einbindung der und Basis innerhalb der Bevölkerung nicht funktionieren konnte.

- Ludendorff überlebte politisch den Sturz von Kapp/Lüttwitz obwohl er an deren Unternehmung nicht unbeteiligt war, allerdings verspielte er mit seiner ungeschickten Kandidatur gegen Hindenburg einiges an Integrationsfähigkeit.
Darüber hinaus war er für eben jenen Hindenburg als Mitwisser der tatsächlichen Abläufe in Hindenburgs Hauptquartier während des Krieges für diesen bzw. dessen politischen Mythos eine veritable Gefahr, was sicherlich nicht dazu angetan war Zusammenarbeit zu fördern.
Darüber hinaus waren seine völkisch-esoterischen Ansichten und zunehmend verspinnerten Theorien breiten Massen nicht vermittelbar und mit deren Inhalten machte er sich auch im Besonderen bei der katholischen Bevölkerung Deutschlands keine Freunde

- Brandler/Thalheimer gingen nach dem gescheiterten Hamburger Aufstand 1923 innerhalb der KPD unter, weil sie ihren eigenen Mitgliedern und ihren Moskauer Gönnern nicht radikal genug auftraten.

- Thälmann ging anschließend mit der KPD unter, weil er zu radikal war, um rechtzeitig daran mitzuwirken sich überparteiliche Unterstützung zu sichern und ein entsprechendes Gegengewicht gegenüber den stärker werdenden Nazis zu bilden.

- Hugenberg verspielte seine Karten als realer Teilhaber an der Macht, als er sich gegenüber Hindenburgs Ansinnen einer Regierung der "Nationalen Konzentration" unter Einbindung von Zentrum und NSDAP und DNVP querstellte, sofern er nicht selbst Chef der ganzen Veranstaltung würde, was angesichts der Schwäche seiner Partei.

- Seldte/Duesterberg versuchten mit ihrem halb mit der DNVP verbandelten Stahlhelm-Bund in der Spätphase der Weimarer Republik immer mal wieder in die Politik einzugreifen, nur war der Verein schlicht nicht organisiert genug, um sich zur eigenständig lebensfähigen politischen Kraft zu entwickeln.

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Um diese Stolpersteine, an denen die anderen Anführer der jeweiligen politischen Bewgungen/halbpolitischen Vereinigungen scheiterten, schaffte es Hitler ziemlich geschickt drumm herum und das ist mMn so nicht ohne weiteres reproduzierbar.


Deswegen bleibe ich bei obiger Einschätzung:
Als das 12-jährige Reich einmal verfestigt stand, konnte es ohne Hitler auskommen, in seiner Eigenschaft als diktatorisches, ultranationalistisches und rassistisches System. Ob es dann in dieser Form zu Krieg und Völkermord gekommen wäre ist spekulativ, aber für die reine Fortexistenz wäre die Verfügbarkeit Hitlers wahrscheinlich nicht von entscheidender Relevanz gewesen.
Für die Zeit, bevor dieses Régime verfestigt war, sieht es anders aus. Um das als gegeben hin zu nehmen, gab es auf dem Weg dahin zu viele Stolpersteine im Politischen System selbst, wie das Scheitern anderer radikaler Parteiführer zeigt als auch zu viele verschiedene innerparteiliche kritische Entscheidungen, zu denen es innerhalb der NSDAP durchaus kontroverse Ansichten gab (Röhm/Strasser) und die mit Sciherheit nicht jeder so gefällt hätte.

Das Régime selbst war eine verfestigte Struktur, für dessen grundsätzliche Stabilität individuelle Einflüsse der Leitungsfigur kaum von Belang gewesen wäre, in der Entstehungszeit war die gesammte Struktur aber im Fluss und somit der individuelle, richtunggebende Einfluss in weit größerem Maße bestimmtend für die Zukunft, darum ging es mir.

Gar nicht! Ich meinte einfach einen radikalen Mann, aller Wahrscheinlichkeit nach ein Nazi. (EDIT: Für alle Gender-Besorgten: Eine Frau hätte zu den damaligen gesellschaftlichen Bedingungen nicht Führerin werden können. Deshalb nur "Mann".)
Angst, dass hier jemand besonders "genderbesorgt" ist, was die historischen Themen angeht, brauchst du hier, wahrscheinlich eher nicht zu haben.
Dennoch ist die Annahme "hätte nicht werden können" mit Vorsicht zu genießen, den Rollenbildern der Zeit nach, hätte es auch Jeanne d'Arc so nicht geben dürfen, gab es aber.;)
Genau so wie es ihre Stilisierung im 19. Jahrhundert nicht hätte geben dürfen, weil das allen gängigen Rollenbildern wiedersprach. Auch das gab es.
Insofern wäre das sehr unwahrscheinlich gewesen, gemessen daran, was die Geschichte uns so an Kuriositäten kredenzt, durchaus nicht unmöglich.

Die Rückfrage zielte da eher auf die politische Richtung, als auf "Genderbesorgnis".
 
Zurück
Oben