Jein, es sind halt zwei Faktoren, die ich natürlich nicht als gerennt betrachte, sondern es ist lediglich meine Ansicht, dass es eine Bereitschaft für Hitler gegeben hat und dass ferner Hitler alleine (ohne "Fans") nicht hätte an die Macht kommen können.
Das ist sicherlich richtig. Andereseits ist es aber aber auch so, dass man Hitler, gerade was die Entstehung des NS-Reiches nicht als Platzhalter für irgendeinen unbekannten Nazi-Führer betrachten kann, unter dem das genau so gelaufen wäre.
Nehmen wir einfach als Beispiel andere Funktionäre aus der Frühzeit der NSDAP.
Ein Ernst Röhm etwa, an stelle von Hitler hätte weder eine Einigung mit Hindenburg, noch den Brückenschlag ins nationalkonservative Lager hinbekommen um auf dieser Basis die Macht übernehmen zu können.
Ein Gregor Strasser wiederrum wäre möglicherweise in Hindenburgs Wunschvorstellung einer rechtsdominierten Republik einzubinden gewesen ohne aus diesem Rahmen so schnell auszubrechen, wie Hitler dass dann tat.
Ich möchte hier nich so verstanden werden, als wollte ich Hitler in irgendeiner Weise glorifizieren. Allerdings:
- Hitler schaffte es, politisch durchaus nicht ungeschickt, Ludendorff als Integrationsfigur der völkisch-nationalen Rechten mehr oder minder kalt zu stellen und auszubooten.
- Er bekam es in die Reihe, die NSDAP von ihren revolutionären Ursprüngen weg, auf einen für Teile des bürgerlichen Lagers akzeptablen Kurs zu bringen, sich aber dennoch vom überkommenden preußisch-protestantischen Konservatismus von DVP und DNVP erkennbar abzugrenzen und ein Gegenangebot zu schaffen, dass sicherlich gerade im katholischen Süddeutschland für nationalistische und konservateive Elemente attraktiver war, als die traditionellen Rechtsparteien.
- Er bekam es hin die Partei auf einen Kurs einzuschwören, der Radikal genug war um sich als Fundamentalopposition gegenüber den regierenden Parteien zu verkaufen, gleichzeitig aber pserönlich vor allem Hindenburg gegenüber moderat genug zu erscheinen, dass der wiederrum an Einbindung der NSDAP in die Regierung dachte (gemessen daran, wie er 1920 nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch zunächst gegenüber der DNVP auf Distanz ging durchaus keine Selbstverständlichkeit).
- Er schaffte es trotz bestehender Möglichkeit in die Regierung einzutreten die Partei bis Ende 1932 in der opposition zu halten und den Strasser-Flügel mit relativ geringen Verlusten auszuschalten.
- Er hatte dann letztendlich auch kein Problem damit, um einer endgültigen Einigung Willen über die Leichen seiner ehemaligen Mitstreiter zu gehen ("Röhm-Putsch")
(In welchem Maße strategische Verdienste im Kontext der Reichstagsbrandverordnung ihm zuzurechnen sind, hängt von der unbeantworteten Frage der Verantwortlichkeit für den Reichstagsbrand ab).
Das alles mag man (mit Recht) moralisch verweflich finden, strategisch hat Hitler auf seinem Weg bis zur Diktatur aber einfach vieles richtig gemacht und war immer bereit hohes Risiko einzugehen. Jeder der oben genannten Schritte hätte ihm auf die Füße fallen können und es ist absolut nicht selbstverständlich (nachgerade unwahrscheinlich), dass andere Führungsfiguren sich da vergleichbar verhalten hätten, weil nicht flexibel genug oder im entscheidenden Moment nicht skrupellos genug, nicht in der Lage der Partei den eigenen Willen nötigenfalls aufzuzwingen oder zu leicht durch winkende Teilhabe an der Macht zu verführen, die alles-oder-nichts-Politik weiter zu verfolgen.
Ob es ohne dem zu dieser Form von Diktatur gekommen wäre, ist mehr als fraglich.
Politisch radikale Führungsfiguren gab es in der Weimarer Republik ja nun wirklich hinreichend.
Mit Liebknecht/Luxemburg, Kapp/Lüttwitz, Ludendorff, Hugenberg, Thälmann, Hitler, im geringeren Maße Seldte/Duesterberg und Brandler/Thalheimer, wären da sicherlich einige Figuren an der Spitze ihrer jeweiligen Bewegungen zu nennen, die sich als "Führer" versuchten, nebst den in Teilen schon angeführten innenpolitischen Konkurrenten.
- Liebknecht scheiterte weitgehend an der Fehleinschätzung des politischen Einflusses seiner Person und seiner Gruppierung.
- Kapp/Lüttwitz scheiterten daran, dass sie es zum einen nicht wirklich schafften sich geistig aus dem Kaiserreich zu verabschiedeten und letztlich vor allem auch daran, dass sie nicht in der Lage waren zu begreifen, dass es ohne Einbindung der und Basis innerhalb der Bevölkerung nicht funktionieren konnte.
- Ludendorff überlebte politisch den Sturz von Kapp/Lüttwitz obwohl er an deren Unternehmung nicht unbeteiligt war, allerdings verspielte er mit seiner ungeschickten Kandidatur gegen Hindenburg einiges an Integrationsfähigkeit.
Darüber hinaus war er für eben jenen Hindenburg als Mitwisser der tatsächlichen Abläufe in Hindenburgs Hauptquartier während des Krieges für diesen bzw. dessen politischen Mythos eine veritable Gefahr, was sicherlich nicht dazu angetan war Zusammenarbeit zu fördern.
Darüber hinaus waren seine völkisch-esoterischen Ansichten und zunehmend verspinnerten Theorien breiten Massen nicht vermittelbar und mit deren Inhalten machte er sich auch im Besonderen bei der katholischen Bevölkerung Deutschlands keine Freunde
- Brandler/Thalheimer gingen nach dem gescheiterten Hamburger Aufstand 1923 innerhalb der KPD unter, weil sie ihren eigenen Mitgliedern und ihren Moskauer Gönnern nicht radikal genug auftraten.
- Thälmann ging anschließend mit der KPD unter, weil er zu radikal war, um rechtzeitig daran mitzuwirken sich überparteiliche Unterstützung zu sichern und ein entsprechendes Gegengewicht gegenüber den stärker werdenden Nazis zu bilden.
- Hugenberg verspielte seine Karten als realer Teilhaber an der Macht, als er sich gegenüber Hindenburgs Ansinnen einer Regierung der "Nationalen Konzentration" unter Einbindung von Zentrum und NSDAP und DNVP querstellte, sofern er nicht selbst Chef der ganzen Veranstaltung würde, was angesichts der Schwäche seiner Partei.
- Seldte/Duesterberg versuchten mit ihrem halb mit der DNVP verbandelten Stahlhelm-Bund in der Spätphase der Weimarer Republik immer mal wieder in die Politik einzugreifen, nur war der Verein schlicht nicht organisiert genug, um sich zur eigenständig lebensfähigen politischen Kraft zu entwickeln.
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Um diese Stolpersteine, an denen die anderen Anführer der jeweiligen politischen Bewgungen/halbpolitischen Vereinigungen scheiterten, schaffte es Hitler ziemlich geschickt drumm herum und das ist mMn so nicht ohne weiteres reproduzierbar.
Deswegen bleibe ich bei obiger Einschätzung:
Als das 12-jährige Reich einmal verfestigt stand, konnte es ohne Hitler auskommen, in seiner Eigenschaft als diktatorisches, ultranationalistisches und rassistisches System. Ob es dann in dieser Form zu Krieg und Völkermord gekommen wäre ist spekulativ, aber für die reine Fortexistenz wäre die Verfügbarkeit Hitlers wahrscheinlich nicht von entscheidender Relevanz gewesen.
Für die Zeit, bevor dieses Régime verfestigt war, sieht es anders aus. Um das als gegeben hin zu nehmen, gab es auf dem Weg dahin zu viele Stolpersteine im Politischen System selbst, wie das Scheitern anderer radikaler Parteiführer zeigt als auch zu viele verschiedene innerparteiliche kritische Entscheidungen, zu denen es innerhalb der NSDAP durchaus kontroverse Ansichten gab (Röhm/Strasser) und die mit Sciherheit nicht jeder so gefällt hätte.
Das Régime selbst war eine verfestigte Struktur, für dessen grundsätzliche Stabilität individuelle Einflüsse der Leitungsfigur kaum von Belang gewesen wäre, in der Entstehungszeit war die gesammte Struktur aber im Fluss und somit der individuelle, richtunggebende Einfluss in weit größerem Maße bestimmtend für die Zukunft, darum ging es mir.
Gar nicht! Ich meinte einfach einen radikalen Mann, aller Wahrscheinlichkeit nach ein Nazi. (EDIT: Für alle Gender-Besorgten: Eine Frau hätte zu den damaligen gesellschaftlichen Bedingungen nicht Führerin werden können. Deshalb nur "Mann".)
Angst, dass hier jemand besonders "genderbesorgt" ist, was die historischen Themen angeht, brauchst du hier, wahrscheinlich eher nicht zu haben.
Dennoch ist die Annahme "hätte nicht werden können" mit Vorsicht zu genießen, den Rollenbildern der Zeit nach, hätte es auch Jeanne d'Arc so nicht geben dürfen, gab es aber.
Genau so wie es ihre Stilisierung im 19. Jahrhundert nicht hätte geben dürfen, weil das allen gängigen Rollenbildern wiedersprach. Auch das gab es.
Insofern wäre das sehr unwahrscheinlich gewesen, gemessen daran, was die Geschichte uns so an Kuriositäten kredenzt, durchaus nicht unmöglich.
Die Rückfrage zielte da eher auf die politische Richtung, als auf "Genderbesorgnis".