germanische Kriegerehre?

Calligula

Neues Mitglied
Man stellt die Germanen ja gerne als sehr ehrenhafte Krieger da, denen Ruhm etc. über alles ging. Ich denke, da ist auch was wahres dran, aber widersprechen dem nicht solche Hinterhalt-Geschichten wie die Varusschlacht? Einen Feind von hinten unvorbereitet anzugreifen ist doch eher feige und ehrlos? Oder galten bei den Germanen andere Maßstäbe?
 
Klar geht die Ehre bei Kriegern über alles.
Allerdings hat das nicht unbedingt was mit unserem moralischen Verständnis zu tun.
Tacitus beschreibt die Comitatus, junge Krieger die sich um einen erfolgreichen Häuptling scharren, solange er Erfolg hat, sonst ziehen sie weiter zum nächsten.
Das der Erfolg aus Viehdiebstahl und Überfällen auf Schwächere entstehen kann, scheint hier klar zu sein.
Zudem gilt es als unehrenhaft seinen Häuptling in der Schlacht zu überleben oder den Schild weg zu werfen. Aber „Ehre“ hat immer was Subjektives und hat nichts mit Objektivität oder Gerechtigkeit zu tun.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Vorstellung, was ein "ehrenhafter Kämpfer" ist (kämpft nicht von hinten, flieht nicht etc.pp.) würde ich mit dem Mittelalter verbinden; oder mit der romantischen Mittelaltervorstellung der Neuzeit.
 
Ein eindrucksvolles Beispiel des für die Römer so typischen nihilistischen Ruhm- und Ehrbegriffs findet sich bei Josephus Flavius. Titus feuerte seine Legionäre vor Jerusalem damit an, dass sie, die Römer ein höheres Ziel hätten, als die Juden, die für ihre Heimat, für ihr Heiligtum kämpften, denn ihr Ziel sei der Ruhm.
 
Man stellt die Germanen ja gerne als sehr ehrenhafte Krieger da, denen Ruhm etc. über alles ging. Ich denke, da ist auch was wahres dran, aber widersprechen dem nicht solche Hinterhalt-Geschichten wie die Varusschlacht? Einen Feind von hinten unvorbereitet anzugreifen ist doch eher feige und ehrlos? Oder galten bei den Germanen andere Maßstäbe?

Ja, was glaubst du denn was passiert wäre, wenn die Cherusker 3 Legionen auf offenem Feld angegriffen hätten?
 
Ja, was glaubst du denn was passiert wäre, wenn die Cherusker 3 Legionen auf offenem Feld angegriffen hätten?

Krieger ist nicht gleich Krieger, das wird gerne vergessen. BB weist indirekt darauf hin. Ein Krieger, der "von Berufswegen" als Gefolgsmann eines Großen oder Mitglied eines Kriegerbundes ist mögen Ehrbegriffe gehabt haben, die dem Mittelalterlichen sehr nahe gekommen sind. Ein Volk, das sich im Überlebenskampf befindet, kann mit den wenigen "Berufskriegern" alleine selten siegen. Das "Landsturm" (bei den Nazis "Volkssturm") genannte Aufgebot aller, die eine Waffen halten konnten, hatte das Ziel zu siegen und nicht unbedingt ehrenvoll zu kämpfen, selbst wenn deren Grundlagen vielleicht allgemein anerkannt gewesen sein mögen. Mit einem "Landsturm" in offener Feldschlacht einer kampferprobten, hochtechnisierten Armee wie der Römischen entgegen treten zu wollen wäre Selbstmord gewesen. Die Kampfesart von Aufgeboten dieser Art und jener von Gefolgschaften ist nun einmal immer prinzipiell unterschiedlich! "Krieger ist niemals gleich Krieger"

Adäquat dazu ist in der Neuzeit wohl kein Volksaufgebot der Feuerkraft moderner Berufsarmeen gewachsen. Wohin sich die "Kriegerehre" daher heute etwa im Irak bewegt hat, zeigt den Wandel vom "eherenhaften Kampf" zum Gemetzel heutiger Tage (das ist es, wenn eine moderne Armee eine aufständische Stadt stürmt) und Guerilliataktik bis hin zu Selbstmord-Attentätern. Aber das ist nur als Sidenote gedacht...
 
Wobei in Kalkriese sicherlich ungewiss ist und wahrscheinlich nicht mehr nachvollziehbar, welchen Anteil zum Sieg der „Landsturm“ (diverse Stämme, die erst spät & zögernd kamen, die Geschehnisse abwartend) hatte. Ein (großen?) Anteil werden sicherlich die Auxiliare haben die sich gegen Ihre Verbündeten richteten, als die Falle zuschnappte.
 
Man stellt die Germanen ja gerne als sehr ehrenhafte Krieger da, denen Ruhm etc. über alles ging. Ich denke, da ist auch was wahres dran, aber widersprechen dem nicht solche Hinterhalt-Geschichten wie die Varusschlacht? Einen Feind von hinten unvorbereitet anzugreifen ist doch eher feige und ehrlos? Oder galten bei den Germanen andere Maßstäbe?

Ich glaube, da vermischt Du etwas. Zum einen der „ehrenhafte“ Krieger, der sich Ruhm in der Schlacht erwerben will und zum anderen Kriegs-/Schlachtentaktik. Eine Schlacht gewinnt man nicht, indem man sich erst mal offen und „ehrenvoll“ gegenüber steht, „Hallo – da sind wir“ sagt und dann das Schwert zieht. Dann kannst Du gleich dem Gegner den Schlachtenplan offen legen. Ein merkwürdiger Gedanke für einen Krieg.:nono:

Zu germanischer Krieger-Ehre fällt mir spontan das Stichwort „Walhalla“ ein, wo Mannestreue, Mut und ehrenvoller Schlachtentod des Kriegers belohnt wird. Die Walküren geleiten den nicht den „Strohtod“ Gestorbenen nach Walhalla, wo er zum Einherjer wird und in Asgard ein glorreiches „Leben“ führen kann.

Noch zum Tod des Westgotenkönigs Theoderich auf den Katalaunischen Feldern hieß es:
Tränen wurden vergossen, aber nur solche, wie sie tapferen Männern nachgeweint zu werden pflegen; denn es war ein ruhmvoller Tod, wie selbst die Hunnen bezeugten, so dass man sogar glaubte, der Feinde Stolz würde gebeugt, wenn sie die Bestattung eines so großen Königs mit allen seinen Ehrenzeichen untätig mit ansehen müssten.
(Zitat aus „Die Germanen“ – R. Hachmann)

Unser Verständnis von Gefolgstreue entspricht wahrscheinlich oft nicht dem damaligen, wie Sascha schon schreibt. Könige hatten da so manchmal ihre Schwierigkeiten, ihre Gefolgsleute zu lenken, wenn die meinten, ihrem König gegenüber aufmüpfig werden zu können, weil dem das Glück einmal nicht hold war. Dazu als Beispiel mal folgende Ansprache des Ostgotenkönigs Totila aus Prokops „Gotenkrieg“ :

>Ihr grollt mir, weil das Glück sich einmal gegen mich erklärt hat; damit handelt ihr undankbar gegen mich und töricht gegen die Gottheit. Jedem Menschen kann es einmal nicht glücken, und darüber zornig zu sein, nützt gar nichts….<
 
Wobei Walhalla schon recht modern ist und wahrscheinlich nichts mit den Germanen des 1. Jahrhunderts zu tun hat, das ist eher Wikingerthema…
Zu den Kriegern im 1. Jahrhundert sollte man im Kopf behalten dass hier ein starker sozialer Wandel vorliegt.
Die Kriege vor eintreffen der Römer waren wahrscheinlich recht klein, man kann sogar vermuten, das Fehden rituell ausgetragen wurden (bis auf erste Blut oder ähnliches). Der erste Kontakt mit Caesar dürfte hier die Situation geändert haben nun wurden große Kontingente an Söldnern geschaffen, die in großen mili. Feldzügen verwendet wurden und nicht mehr die lokalen Interessen dienten sondern der röm. Weltpolitik. Ein Wandel von Moral und Anschauung muss dem sicherlich auch Folgen.
 
Könige hatten da so manchmal ihre Schwierigkeiten, ihre Gefolgsleute zu lenken, wenn die meinten, ihrem König gegenüber aufmüpfig werden zu können, weil dem das Glück einmal nicht hold war.
Ein König ohne Glück ist eben kein richtiger König.
Es gehörte ganz essentiell zu den Vorstellungen von Königtum und Königsheil dazu, daß dieser das Volk verteidigen kann und insbesondere Schlachtenglück garantieren kann.
Eine Schlacht zu verlieren ließ also durchaus Zweifel zu, ob die Götter ihn noch als König haben wollen oder ob er nicht von Anfang an der falsche König war.
Deswegen war es ja auch so angemessen, Thronfolgestreitigkeiten auszukämpfen - wer gewann, hatte seine Legitimität damit bewiesen.
 
Die Heldendichtung vermittelt ja nur ein idealtypisches Bild von der Ehrenhaftigkeit des germanischen Mannes.
Dort werden Aktionen als Ehrenhaft gepriesen, die uns an gesundem Menschenverstand zweifeln lassen, bspw. der Verzicht auf Waffen, damit man nicht der Feigheit bezichtigt werden kann, auch wenn es den sicheren Tod bedeutet, Warnungen in den Wind schlagen, aus eben demselben Grund...

So kann die Dichtung aber auch genau dafür benutzt werden um Selbige zu schwächen. Spottlieder waren dort ebenso mächtig wie Waffe und konntne die Ehre des Mannes vermindern. und so konnte man durch solche Reden vor einem Kampf die Ehre des Mannes schon direkt treffen um den Gegner direkt zu schwächen. (Hört sich auf den Redner bezogen nicht gerade sehr ehrenhaft an)
So hält z.B. der Dichter Thorleif jarlsskald in der Halle des ihm verfeindeten Jarl Hakon ein Lied ab. Ende vom Lied: der Jarl wird von einem heftigen Jucken befallen und liegt am Ende besinnungslos auf dem Boden und sein Bart ist ihm ausgefallen. Das ist die Wirkug einer nið. und der Mann wurde dann zu einem niðingr, Neidung

Ein König musste nicht nur Glück haben, ein König musste auch weitere Eigenschaften haben wie :

die "Kriegertugend" Mut im Kampf
die Weisheit
die Freigebigkeit (Milde)

Ein mit diesen Eigenschaften ausgestatteter König hat das auch Glück (hamingja) Und ein richtiger ehrenhafter Held weist diese Tugenden dann auch direkt auf, da sie eben einfach ein sittliches Ideal darstellen...

Die Fiktion dieses Ideals des ehrenvollen Germanen hat sich aber anscheinend in heutiger Zeit aus den Heldensagen heraus auf den tatsächlichen Germanen übertragen (nicht zuletzt wegen diverser Propaganda bspw. des Ahnenerbes) und lässt viele heute glauben, dass der Germane schlechthin eben der Oberehrenhafte tugendhafte Held war.
Dabei wird dann ganz gerne vergessen, dass es ja auch noch Bauern gegeben haben muss ;O) und das echte Leben auch damals anders war, als in den erzählten Geschichten. Wobei ich natürlich nicht abstreiten will, dass es auch realexistierende idealtypische Helden gegeben hat.
Aber das Problem aus heutiger Sicht ist einfach die Vermischung des tatsächlichen Bildes vom ehrenhaften (oder unehrenhaften) Germanen mit dem Fiktiven, aber allzuoft als real angenommenen Bild.

Dazu kann man auch noch "Jan de Vries: Die geistige Welt der Germanen" empfehlen... allerdings immer mit gespitzen Ohren, da von 1945
http://homepages.uni-tuebingen.de/stefanie.wuerth/schriften/de_vries_wuerth_1999.pdf
Jan de Vries - Wikipedia
 
Ein König ohne Glück ist eben kein richtiger König.
Es gehörte ganz essentiell zu den Vorstellungen von Königtum und Königsheil dazu, daß dieser das Volk verteidigen kann und insbesondere Schlachtenglück garantieren kann.
Eine Schlacht zu verlieren ließ also durchaus Zweifel zu, ob die Götter ihn noch als König haben wollen oder ob er nicht von Anfang an der falsche König war....

Die Heldendichtung vermittelt ja nur ein idealtypisches Bild von der Ehrenhaftigkeit des germanischen Mannes.
Dort werden Aktionen als Ehrenhaft gepriesen, die uns an gesundem Menschenverstand zweifeln lassen, bspw. der Verzicht auf Waffen, damit man nicht der Feigheit bezichtigt werden kann, auch wenn es den sicheren Tod bedeutet, Warnungen in den Wind schlagen, aus eben demselben Grund...
...
Die Fiktion dieses Ideals des ehrenvollen Germanen hat sich aber anscheinend in heutiger Zeit aus den Heldensagen heraus auf den tatsächlichen Germanen übertragen (nicht zuletzt wegen diverser Propaganda bspw. des Ahnenerbes) und lässt viele heute glauben, dass der Germane schlechthin eben der Oberehrenhafte tugendhafte Held war...

Heldendichtung hat wohl wirklich zum großen Teil dazu beigetragen haben, das Bild vom ehrenvollen Germanen-Krieger entstehen zu lassen. Wobei das, was unter „Ehre“ verstanden wird, sich im Laufe der Jahrhunderte gewandelt haben dürfte. (Bsp.: vor einigen Jahrzehnten war eine unverheiratete Frau noch entehrt, wenn sie ein Kind bekam; heute kümmert das niemand.)

Zum damaligen Verständnis zu Königsheil und Ehre gibt es in Prokops „Gotenkrieg“ noch einen Text (II, 30):
>… setzten sich die echten Goten, welche in jenen Gegenden noch übriggeblieben waren, ins Einvernehmen und begaben sich nach Ticinum zu Uraias, Witichis’ Neffen. Mit ihm beweinten sie lange ihres Volks Geschick und sprachen dann so zu ihm: „Niemand von dem Geschlecht der Goten ist an dem jetzigen Unglück mehr schuld als du; denn wir hätten deinen Ohm, der ein schwacher und unglücklicher Fürst ist, längst der Herrschaft beraubt, wie einst Theodahad, den Schwestersohn Theoderichs, wenn wir nicht deine Tatkraft geschaut und deswegen gemeint hätten, ihm den Königstitel zu gewähren, dir aber die wirkliche Herrschaft zu überlassen. Aber was wir damals für wohlwollende Schonung ansahen, das erscheint uns jetzt als bare Unvernunft und die Wurzel unseres Unglücks. Von den Gotenhelden, lieber Uraias, sind, wie du weißt, die meisten gefallen; was noch an edlem Geblüt übrig ist, das nimmt Belisar samt Witichis und allen Schätzen mit. Ohne Zweifel wird es auch uns, wegen unserer Schwäche und geringen Anzahl, nicht anders ergehen. In dieser verzweifelten Lage will es uns nun besser erscheinen, mit Ehren den Tod zu suchen, als mit anzusehen, wie man unsere Weiber und Kinder wegschleppt bis ans Ende der Welt. Und wir sind überzeugt, dass wir rühmlich untergehen werden, wenn du unser Führer sein willst.“
Uraias lehnte u. a. ab, weil er meinte, das Unheil gehe von einem Verwandten auf den nächsten über. Das fehlende Königsheil wäre für ihn damit „familien-verbunden“. Insgesamt ein Widerspruch: die Goten gaben Uraias gewissermaßen eine „Mitschuld“, ignorierten aber gleichzeitig das mangelnde Königsheil in der Familie, indem sie ihm die Krone anboten. Da Witichis ursprünglich einmal wg. seiner Tüchtigkeit auf den Schild gehoben wurde, stand eine Amtsenthebung trotz mangelnden Kriegsglücks nicht an, bis zu dem Zeitpunkt, als Belisar die Krone angetragen wurde. Daher kann man nicht grundsätzlich sagen: fehlendes Königsheil = gleich „ex und hopp“.

Bezeichnend nun aber auch die Begriffe „mit Ehren den Tod zu suchen“ und „rühmlich untergehen“. Damit wären wir wieder bei Ruhm und Ehre – auch wenn es das Leben kostet. Ein Punkt, bei dem den Goten noch etwas Zeit blieb, es zu verwirklichen. Die „Vollstreckung“ dieses Vorhabens wurde „erst“ unter König Teja verwirklicht. Da spielt nun offensichtlich das Königsheil in Bezug auf Schlachtenglück und Verteidigung des Volkes keine Rolle mehr.
 
Zurück
Oben