Germanische Landnahme und Toponyme

Dieses Thema im Forum "Völkerwanderung und Germanen" wurde erstellt von Carolus, 29. Oktober 2014.

  1. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied

    Wie läßt sich die germanische Landnahme in den Toponymen nachweisen?

    in einem anderen Thread hat El Q geschrieben:

    Wir haben zum einen die Ausbreitung der keltischen Kultur/Sprache:

    Celts_in_Europe-fr.svg.png

    Danach breiteten sich die germanische Kultur/Sprache aus:
    Germanic_tribes_settlements_750BC-1AD.svg.png

    Mit dem Resultat
    303px-Germanic_Groups_ca._0CE.jpg

    Anschließend wurden Teile der germanisierten, keltisierten Bevölkerung romanisiert, um später wieder im Rahmen der Völkerwanderung wieder teilweise germanisiert zu werden. Andere Bevölkerungen wurden mit der Ausbreitung der Slawen slawisiert (um dann im Rahmen der mittelalterlichen Ostsiedlung wieder teilweise germanisiert zu werden.)

    Auf welche Germanisierungswelle beziehen sich die oben erwähnten Ortsnamen in Baden-Württemberg bzw. Deutsch-Schweiz? Welche Ortsnamen fallen in welche Kategorie?
     
  2. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Wenn du nun mit Germanisierungswellen operierst, dann wäre das ein Missverständnis dessen, was ich geschrieben habe. Es handelt sich vielmehr um mehrere Stufen desselben Prozesses. In dem Beispiel ging es ja konkret um die alemannische Landnahme. Man will anhand der Kartierung von lautverschobenen Ortsnamen auf physischen Karten festgestellt haben, dass die Alemannen sich zunächst durch die Täler bewegten, während sie die unzugänglicheren Gebiete links liegen ließen. Im Zuge der hochdeutschen Lautverschiebung wurden die Ortsnamen der alemannisch besetzten Gebiete dann mitverschoben, wohingegen die Ortsnamen in den Sprachinseln natürlich unverschoben blieben. Es ist also eher eine schnelle Germanisierung in den Flussauen und eine langsame Germanisierung in den unzugänglicheren Gebieten, aber letztlich die gleiche "Welle".
     
  3. Dieter

    Dieter Premiummitglied

    Und welche Sprache sprach man in den "Sprachinseln"?
     
  4. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Im Dekumatland, Rätien und Gallien? Na Latein bzw. dessen regionale romanische Ableitung.
     
  5. Augusto

    Augusto Neues Mitglied

    Für Bayern und Österreich sind die romanischen Sprachinseln relativ gut dokumentiert und erforscht:

    • Regensburg
    • Passau
    • Berchtesgadener Land/ Salzburg /Salzachtal südl. Reichenhall
    • weite Teile Tirols (auch Partenkirchen nicht lautverschoben),
    • Allgäu und Vorarlberg (Montafon!)
    Hier konnte sich die romanische Bevölkerung offensichtlich aufgrund wirtschaftlicher Stärke (Kontrolle wichtiger Transportwege, Salz- und Metallbergbau) halten bzw. verzichtete auf Abwanderung.
    http://www.uni-regensburg.de/forsch...dien/greule_geographische_namen_in_bayern.pdf

    Ausführlicher, mit vielen Einzelbeispielen, aber leider ohne Gesamtschau (ab S. 38)
    http://www.univie.ac.at/iggerm/files/mitschriften/Namensforschung-2009W-Scheuringer.pdf

    Ein paar Einzelbeispiele aus dem alemannischen Raum:
    http://www.ingeborgschmich.de/Nibelungen/Dokumente/Roemische_Ortsnamensreste.pdf
     
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  6. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied

    Wir sprechen also in dem entsprechenden Beispiel vom geographischen Bereich etwa Baden-Württemberg/Nordost-Schweiz und wohl auch Elsaß. Zeitraum ist die Spätantike und das frühe MA.

    Im Wiki-Artikel zu den Alemannen (Alamannen ? Wikipedia )wird auch auf ein Werk hingewiesen, das davon ausgeht, dass bis ins 8./9. Jhdt. noch romanischsprachige Sprachinseln "Schwarzwaldromania") bestanden:

    Sprachgeschichte: ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ... - Google Books

    Leider sind nur einige Beispiele für die "unverschobenen" Ortsnamen genannt, aber dafür ein Verweis auf frühere Untersuchungen.
     
  7. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied

  8. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Ich kenne bloß noch das Moselromanische.
     
  9. Augusto

    Augusto Neues Mitglied

    Ein schöner Überblick findet sich auch hier
    Welsche ? Wikipedia
    Interessant der Verweis aufs Sauerland, leider ohne weitere Erläuterung und Quellen (lediglich Nennung von Welschen Ernest bei Kirchhundern in der Ortsnamensliste).

    Ich vermute, Du wirst Dich selbst auf Spurensuche begeben müssen. Anhaltspunkte könnten sein (ich hoffe, ich trage jetzt nicht Eulen nach Athen):

    • Römische Namenskontinuität, wobei, gerade bei den großen Städten wie Köln, Bonn, Mainz, Trier etc. dies allein ein eher schwaches Indiz ist. Diese Städte dürften rechtsrheinischen Germanen auch schon vor der Überquerung des Rheins namentlich bekannt gewesen sein, sie könnten also einen eh schon geläufigen Namen einfach fortgeführt haben. Aber der eine oder andere "-weiler" könnte durchaus auf eine römische "-villa" zurückgehen (Beisoiele sind u.a. aus Bayern bekannt).
    • "Welschen"-Namen: Neben den klassischen "Walchen-"Namen gehört offenbar auch der eine oder andere "Wald-" und "Wall-" hierher. Bei entsprechend alten Endungen ("-ing[en]", "-stetten"/"-stedt", "-heim", etc.), vielleicht auch "Wall-au" oder sogar "Pul-heim", mag sich also durchaus etwas Buddeln in der Ortsnamensgeschichte lohnen.
    • Keltische Endungen: "-magen" (z.B. Dormagen, Remagen) ist vermutlich allgemein bekannt. "-lar" einschließlich Abwandlungen (Lahr, Kevelaer etc.) gehört m.E. ebenfalls hierher, dies ist allerdings umstritten. Der eine oder andere Ortsname auf "-ten" ist aus einem keltischen "-dunum" hervorgegangen (Zarten, Kempten, Verdun/Wirten), da lohnt sich auf jeden Fall ein genauerer Blick. Auch ist da noch das Wort "wil" (Sumpf), das einge Namensforscher z.B. in Willich wiederzufinden meinen.
    • Keltisch "briga" (Stein, Fels, Burg) ist trickreich aufgrund seiner Verwechslungsgefahr mit dem sächsichen "Bruch" (Sumpf, feuchte Niederung), der u.a. in Grevenbroich steckt. Aber die eine oder andere "Brücke" hat sich bei genauerem Hinsehen schon als "-briga" erwiesen (z.B. Saarbrucken), warum nicht auch im Rheinland. Insbesondere Brüggen lohnt einen zweiten Blick - der einzig andere mir geläufige Ortsname mit gleicher Schreibweise, nämlich Coppenbrügge, liegt auf der Weser-Leine-Wasserscheide, wo weder Sümpfe noch die Überbrückung nenneswerter Wasserläufe ein plausibles Motiv der Namensgebung liefern.
    • Gallo-römisch "-iacum" findet sich als "-ich" (Zülpich) oder "-ach" (Breisach) in so einigen Ortsnamen, gerade im Rheinland.
      Endung "ich" in Ortsnamen | onomastik.com
    Wenn man das alles mal so zusammen nimmt, scheint es im Rheinland erhebliche Bevölkerungskontinuität gegeben haben. Ob sich da über längere Zeit gallo-romanische Sprachinseln gehalten haben, oder eine relative schnelle Assimilierung stattfand, ist schwer zu sagen. Das Rheinland wurde von der hochdeutschen Lautverschiebung kaum berührt, so dass uns dieser in Süddeutschland so hilfreiche Indikator zur Datierung der Germanisierung fehlt. Bleibt also nur Hoffnung auf "Ausgraben" von Walchen-Namen. Falls solche nicht zu finden sind, dürfte dies ein Indiz für relativ schnelle Assimilierung sein.

    [P.S.: Lob und Dank an die Moderatoren für das Löschen der nicht zielführenden Posts, die hier kurz aufgetaucht waren.]
     
  10. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied

    die alten römischen Namen im Rheinland sind aber lautverschoben worden:

    /t/ → /ts/ bzw. /z/

    Rheinzabern < Tabernis
    Zieverich < Tiberiacum
    Zons < *Tonatia
    Zülpich < Tolbiacum



    Zum Stand der zweiten Lautverschiebung im Rheinland: diatopische, diachrone ... - Johannes Venema - Google Books

    Anscheinend ist die verbleibende romanische Restbevölkerung relativ schnell assimiliert worden. Interessant wäre auch, wie weit Germania schon romanisiert war: kann man hier von einer kleinen, wohl meist städtischen Elite ausgehen, die Latein bzw. Romanisch sprach und hat die breite Masse noch die alten germanischen Sprachen und Dialekte gesprochen, (eine Situation ähnlich wie im römischen Britannia, wo die keltische Sprache erst nach Ankunft der Angelsachsen ausgestorben ist)? Oder ist es wie in Gallia, wo die Bevölkerung vollständig romanisert war? Da gab es wahrscheinlich auch Unterschiede innerhalb der römischen Germania. Germania inferior war vermutlich "weniger" romanisiert, so dass sich die Germanen (Franken) schneller ausbreiten konnten.
     
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  11. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Eine Häufung von "Welschen"-Namen kann auf jeden Fall ein Anhaltspunkt sein.
    Im Einzelfall muss man allerdings immer aufpassen, zum Beispiel...

    Bei "Pulheim" glaube ich nicht, dass die "Welschen" als Namensgeber in Frage kommen. (Es sei denn, es gäbe dort einen Regionaldialekt, bei dem der "Wels" zum "Puls" und die "Wellen" zu "Pullen" werden...)
     
  12. Sepiola

    Sepiola Aktives Mitglied

    Ich sehe keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Romanisierung der Germania inferior wesentlich anders verlief als die in den Nachbarprovinzen.

    Direkt an der Rheingrenze dürfte sie sogar besonders schnell und intensiv verlaufen sein.
    Ich habe ja schon ein paarmal auf den Artikel von Nico Roymans "Becoming Romans in the Rhineland Frontier Zone" hingewiesen.

    Allerdings kam es schon ab etwa 300 am Niederrhein zu einer Germanisierung, nämlich durch die (in mehreren Etappen) massive Ansiedlung von Franken auf linksrheinischem Gebiet.

    Im Süden der ehemaligen Germania inferior (Köln/Bonn) erfolgte die Germanisierung erst viel später:
    Christoph Bernhard Rüger ("Lateinische Schriftlichkeit im römischen Grenzgebiet gegen die Germanen")
     
  13. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied

    Interessanter Hinweis, dass noch bis ins 8 Jhdt. bis Köln/Bonn romanischsprachiges Gebiet gewesen ist. Ich frage mich, ob die Benrather Linie (Grenze zwischen Nieder- und Hochdeutsch) bzw. die 2. Lautverschiebung vielleicht auch auf ein romanisches Substrat zurückgehen könnte.
     
  14. Heine

    Heine Aktives Mitglied

    Zu beachten ist, dass die hochdeutsche Lautverschiebung nach herrschender Meinung von Süden nach Norden vorgedrungen ist. Die Ausbreitung der sprachlichen Neuerungen schwächte sich nach Norden ab. So gibt es mehrere Linien (Isoglossen), je nach dem, wie weit eine hochdeutsche Neuerung nach Norden vorgedrungen ist (s.a. Rheinischer Fächer). Die nördliche Grenze ist die Benrather Linie.

    Als Erklärung dafür, dass die hochdeutsche Lautverschiebung diese Linie nicht überschritten hat, wird aufgeführt, dass es sich um die Grenze zwischen Franken und Sachsen handelte und die Sachsen die Lautverschiebung nicht mitgemacht haben. Aber auch das Niederfränkische machte diese Entwicklung nicht mit. Dass die hochdeutsche Lautverschiebung durch ein fremdsprachiges, vielleicht romanisches Substrat angestoßen wurde, wird diskutiert. Dies geschah dann eher im süddeutschen (Baiern, Alemannen) oder noch weiter südlichen Gebiet (Langobarden).
     
    Zuletzt bearbeitet: 31. Oktober 2014
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  15. Augusto

    Augusto Neues Mitglied

    Spannend an der hochdeutschen Lautverschiebung ist, dass vieles, was wir über ihre Chronologie zu wissen meinen, aus früher Schriftlichkeit in Gebieten mit erheblicher romanischer Restbevölkerung stammt. Ich habe mir z.B. das St. Gallener Gebiet nicht genau angesehen, aber da sich romanische Reste im Oberallgäu und Vorarlberg gehalten haben, liegt eine entsprechende Vermutung für St. Gallen (geographisch gesehen) nahe. Regensburg (romanische Restbevölkerung!) ist ein anderes Beispiel, und wenn ich Sepiolas Beitrag richtig deute, hielt sich nahe St.Goar auch noch länger Romanisch. Ich hoffe, die Frühgermanistik ist sich dieser Tatsache bewusst und hat sie reflektiert...

    Ansonsten ist schon auffällig, dass einige Elemente der hochdeutschen Lautverschiebung zum Ostalpenindogermanisch bzw. Venetisch passen, dass ja u.a. Tiroler Dialekte geprägt hat. Beispielsweise zeigt Venetisch die Verhärtung des "P" auf Kosten des "kv"/"q" (ekvopetaris->eppetaris), und gleichzeitig eine "B"-Allergie, so dass die süddeutsche v->b->p Verschiebung durchaus Venetisch anmutet. [Später, im Hochmittelalter, wurde das exessive "P" dann wieder korrigiert (Brenner, 1328 noch "ob dem Prenner")].
    Auch der "th"->"t"-Wechsel ist für Spätvenetisch, d.h. unter romanischem Einfluß, belegt. Das venetische "ch" scheint der Romanisierung zu "c" ("k") lange wiederstanden zu haben. Hier zeigt sowieso vieles Richtung Schweiz, die zumindest im venetischen Kontaktraum lag.

    Die gesamte hochdeutsche Lautverschiebung kann Venetisch jedoch nicht erklären, vor allem nicht den t->s Wechsel (es sei denn, man interpretiert ihn unter Umkehrung der etablierten Chronologie, als Folgewechsel zu Venetisch/Tirolerisch "th"->"t").
     
    Zuletzt bearbeitet: 1. November 2014
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  16. El Quijote

    El Quijote Moderator Mitarbeiter

    Ich würde es eher so sehen: Du hast dich in den letzten zwei Wochen so intensiv durch die Veneter gekämpft, dass du nun überall ein venetisches Substrat zu erkennen glaubst und dabei Jahrhunderte und mehrere sprachlich heterogene Einwanderungswellen unterschlägst. Du hast einen Tunnelblick bekommen.

    Wenn du aber genauer hinsiehst, dann wirst du feststellen, dass in der Westromania genau der gegenteilige Effekt dessen passiert, wie in der hdt. Lautverschiebung: In der hdt. Lautverschiebung kommt es zur Verhärtung von /b, d, g/ zu /p, t, k/. Dahingegen werden in der Westromania die lateinischen /p, t, k/ zu /b, d, g/ lenisiert. Das Räto- und Bündnerromanische (LaDinisch!) und das Friaulische gehören mit zu dieser sonorisierenden Gruppe.
     
  17. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied

  18. Carolus

    Carolus Aktives Mitglied

  19. Augusto

    Augusto Neues Mitglied

    Bin einverstanden, auch wenn dies dazu führen wird, dass der eine oder andere Link dann in beiden Threads gepostet werden muss. Beispielsweise dieser hier zu den Ortsnamen im Aargau, wo sich eine Menge Römisches und Vor-römisches erhalten hat:
    http://retro.seals.ch/cntmng?pid=arg-001:1988-1991:100::605
     
  20. Augusto

    Augusto Neues Mitglied

    Ich bin auf ein weiteres Beispiel für unvorschobene Ortsnamen im Rheinland gestossen (hab mir leider den Link nicht gemerkt): Die "-winter"-Namen rund um Bonn werden als unverschobene "Winzer", also römische Weinbaugebiete, gedeutet.
     

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