Gesellschaft im Deutschen Kaiserreich

Bakkushan

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Ich beschäftige mich immer noch mit dem Thema "Gesellschaft im Deutschen Kaiserreich". Dort gab es ja den Adel, das Bürgertum und das Proletariat. Das Bürgertum war unterteilt in Besitz- und Bildungsbürgertum. Ich lese hier gerade, dass es auch noch einen "neuen Mittelstand" gab, also Angestellte und kleine Beamte. Dieser Mittelstand gehört also auch noch zum Bürgertum? Und wieso nennt sich das neuer Mittelstand? Wäre toll, wenn mir jemand weiterhelfen könnte, Grüße :)
 
Ich beschäftige mich immer noch mit dem Thema "Gesellschaft im Deutschen Kaiserreich". Dort gab es ja den Adel, das Bürgertum und das Proletariat. Das Bürgertum war unterteilt in Besitz- und Bildungsbürgertum. Ich lese hier gerade, dass es auch noch einen "neuen Mittelstand" gab, also Angestellte und kleine Beamte. Dieser Mittelstand gehört also auch noch zum Bürgertum? Und wieso nennt sich das neuer Mittelstand? Wäre toll, wenn mir jemand weiterhelfen könnte, Grüße :)

Das sind die sogenannten Kleinbürger, sie unterschieden sich vom Proletarier, der nichts besaß, außer der Kleidung am Leib und der eigenen Arbeitskraft durch eine Festanstellung, einen Bildungsabschluss (wenn auch nicht gerade ein Hochschulabschluss, wie beim Bildungsbürgertum), und durch die Möglichkeit, wenn auch im geringen Maße, Besitztümer zu akkumulieren (sparen, oder die Anschaffung von über den direkten Lebensbedarf hinausgehenden Dingen).
Insbesondere in der marxistischen Faschismustheorie spielt das sogenannte Kleinbürgertum eine bedeutende Rolle.
Die Klassengrenzen zwischen Besitzbürgertum/Bildungsbürgertum und Adel verschwammen in dieser Zeit recht stark. Es gab zwar einen konservativen Adel, der ständischen Dünkel bewahrte, aber große Teile des Adels konnten sich das nicht unbedingt leisten und insbesondere das Besitzbürgertum hatte dem Adel Interessantes zu bieten. (Achtung, unbedingt den Unterschied zwischen ständisch organisierter Gesellschaft und Klassengesellschaft beachten!)
 
Thomas Nipperdey widmet dem "neuen Mittelstand und den Angestellten" ein eigenes Kapitel in seiner Geschichte des Kaiserreiches (Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866 bis 1918, Band 1: Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1990, S. 374 bis 381).



Der neue Mittelstand setzte sich aus Angestellten und kleineren und mittleren Beamten zusammen. Er hob sich in seiner Lebensführung von der Arbeiterschaft ab, auch wenn die materielle Lage eines kleinen Beamten teilweise kaum besser war als die eines gut bezahlten Facharbeiters. Doch der Buchhalter im Kontor trug Schlips und Kragen, auch wenn der Anzug schon leicht glänzte. Er bekam ein Monatsgehalt und seine Arbeitsplatzsicherheit war in der Regel größer. Beamte hatten Anspruch auf Wohngeld und Beihilfe, und so stand sich auch der "Unterbeamte" auf Dauer besser als der Facharbeiter.

"Sie wollten Bürger sein, aber sie blieben am Rand", urteilt Nipperdey (Ebd., S. 378).

Angestellte und Subalternbeamte entwickelten eigene Formen der Geselligkeit zwischen der Arbeiterschaft und dem Großbürgertum. Die Beamten begannen, sich in Konsum- und Berufsvereinen zu organisieren. Das hatte nichts mit Gewerkschaftsarbeit zu tun, sondern eher mit der Vertretung von "Standesinteressen". Die SPD spöttelte über die "Stehkragenproletarier", aber sie konnte bei den Angestellten kaum auf Zulauf rechnen. Für Beamte hätte die Mitgliedschaft in der SPD die Entlassung nach sich gezogen.

Doch wäre es falsch, wenn man glaubte, dieses Kleinbürgertum hätte sich nur am Großbürgertum orientiert. Bis 1914 wuchs das Bewusstsein, eine eigene Gesellschaftsschicht zu bilden. Die Staatsnähe der Beamten - deren Situation besser erforscht ist - hinderte sie nicht daran, eigene Formen der Interessensvertretung zu entwickeln wie die bereits erwähnten Berufsvereine. Und auch da gab es Abgrenzungsversuche. Die mittleren Beamten beharrten auf der Primareife oder dem Abitur als Zugangsvoraussetzung, was Unterbeamten wie Postboten den Aufstieg verwehrte.

Die Reichsregierung versuchte 1911 durch eine Angestelltenversicherung diesen neuen Mittelstand an sich zu binden. Die Linksliberalen und die Nationalliberalen warben um die protestantischen Teile des Mittelstandes; das Zentrum um die katholische Angestelltenschaft.

Eine Sondergruppe stellten die Volksschullehrer dar, die um die Anerkennung als Akademiker kämpften, aber auch zu den linksliberalen Stammwählern zählten.

Nicht verschwiegen werden soll, dass es rechtsorientierte Organisationen wie den "Deutsch-Nationalen Handlungsgehilfenverband" gab. Hier spielte die Angst vor einer Proletarisierung eine große Rolle.
 
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