Thomas Nipperdey widmet dem "neuen Mittelstand und den Angestellten" ein eigenes Kapitel in seiner Geschichte des Kaiserreiches (Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866 bis 1918, Band 1: Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1990, S. 374 bis 381).
Der neue Mittelstand setzte sich aus Angestellten und kleineren und mittleren Beamten zusammen. Er hob sich in seiner Lebensführung von der Arbeiterschaft ab, auch wenn die materielle Lage eines kleinen Beamten teilweise kaum besser war als die eines gut bezahlten Facharbeiters. Doch der Buchhalter im Kontor trug Schlips und Kragen, auch wenn der Anzug schon leicht glänzte. Er bekam ein Monatsgehalt und seine Arbeitsplatzsicherheit war in der Regel größer. Beamte hatten Anspruch auf Wohngeld und Beihilfe, und so stand sich auch der "Unterbeamte" auf Dauer besser als der Facharbeiter.
"Sie wollten Bürger sein, aber sie blieben am Rand", urteilt Nipperdey (Ebd., S. 378).
Angestellte und Subalternbeamte entwickelten eigene Formen der Geselligkeit zwischen der Arbeiterschaft und dem Großbürgertum. Die Beamten begannen, sich in Konsum- und Berufsvereinen zu organisieren. Das hatte nichts mit Gewerkschaftsarbeit zu tun, sondern eher mit der Vertretung von "Standesinteressen". Die SPD spöttelte über die "Stehkragenproletarier", aber sie konnte bei den Angestellten kaum auf Zulauf rechnen. Für Beamte hätte die Mitgliedschaft in der SPD die Entlassung nach sich gezogen.
Doch wäre es falsch, wenn man glaubte, dieses Kleinbürgertum hätte sich nur am Großbürgertum orientiert. Bis 1914 wuchs das Bewusstsein, eine eigene Gesellschaftsschicht zu bilden. Die Staatsnähe der Beamten - deren Situation besser erforscht ist - hinderte sie nicht daran, eigene Formen der Interessensvertretung zu entwickeln wie die bereits erwähnten Berufsvereine. Und auch da gab es Abgrenzungsversuche. Die mittleren Beamten beharrten auf der Primareife oder dem Abitur als Zugangsvoraussetzung, was Unterbeamten wie Postboten den Aufstieg verwehrte.
Die Reichsregierung versuchte 1911 durch eine Angestelltenversicherung diesen neuen Mittelstand an sich zu binden. Die Linksliberalen und die Nationalliberalen warben um die protestantischen Teile des Mittelstandes; das Zentrum um die katholische Angestelltenschaft.
Eine Sondergruppe stellten die Volksschullehrer dar, die um die Anerkennung als Akademiker kämpften, aber auch zu den linksliberalen Stammwählern zählten.
Nicht verschwiegen werden soll, dass es rechtsorientierte Organisationen wie den "Deutsch-Nationalen Handlungsgehilfenverband" gab. Hier spielte die Angst vor einer Proletarisierung eine große Rolle.