Gewerbefreiheit als Erfolgsrezept?

pelzer

Aktives Mitglied
Grüezi

War die Einführung der Handels- und Gewerbefreiheit um 1800 der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz?
Zur Präzisierung; in der Helvetik (1798) wurde die Gewerbefreiheit eingeführt und der Zunftzwang aufgehoben. Die Handwerker waren nun völlig frei, aber auch der Konkurrenz ausgeliefert. In den folgenden Jahrzehnten wurde zwar in einigen Städten die alten Zunftordnungen nochmal zugelassen. Aber in den meisten Kantonen herrschte seit der Zeit die Handels- und Gewerbefreiheit, und später auch Niderlassungsfreiheit. Jeder kann frei einem Gewerbe oder Handwerk nachgehen. Der Staat kann bloss da Einschränkungen vornehmen, wo es übergeordnete Interessen zu schützen gilt (Ärzte, Piloten, usw.).

In den umliegenden Ländern ist meines Wissens die Gewerbefreiheit wesentlich stärker reglementiert; Meisterbrief, Zunftzwang... Hemmt das den wirtschaftlichen Erfolg?


Gruss Pelzer


.
 
Im Handwerk hat uns der "gute Adolf" die Handwerksordnung verpasst.
Derzeit wird dies "etwas differenziert" gesehen, und der Meisterzwang ist in etlichen Zweigen aufgeweicht bis aufgehoben. Was aber natürlich zu zähem Widerstand der Handwerkskammern führt. Aber solang die Pflichtmitgliedschaft auch für die besteht sind die mit vielem einverstanden.

Ich bin Pflichtmitglied in der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer, außerdem mehr oder weniger freiwillig in der Innung.
Kommt etliches an Pflichtbeiträgen im Jahr zusammen, und ich würde lügen, wenn ich die gerne bezahlen würde.

Hmm,
war jetzt keine Antwort auf Deine Frage.
Im Handwerk wird ja außer dem Sachkundenachweis der "große Befähigungsnachweis" sprich Meisterbrief mit den Betriebswirtschaftlichen Erfordernissen begründet.
Was ich nicht ganz falsch einschätzen würde.
 
Zuletzt bearbeitet:
Grüezi

War die Einführung der Handels- und Gewerbefreiheit um 1800 der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz?
Zur Präzisierung; in der Helvetik (1798) wurde die Gewerbefreiheit eingeführt und der Zunftzwang aufgehoben. Die Handwerker waren nun völlig frei, aber auch der Konkurrenz ausgeliefert. In den folgenden Jahrzehnten wurde zwar in einigen Städten die alten Zunftordnungen nochmal zugelassen. Aber in den meisten Kantonen herrschte seit der Zeit die Handels- und Gewerbefreiheit, und später auch Niderlassungsfreiheit. Jeder kann frei einem Gewerbe oder Handwerk nachgehen. Der Staat kann bloss da Einschränkungen vornehmen, wo es übergeordnete Interessen zu schützen gilt (Ärzte, Piloten, usw.).

In den umliegenden Ländern ist meines Wissens die Gewerbefreiheit wesentlich stärker reglementiert; Meisterbrief, Zunftzwang... Hemmt das den wirtschaftlichen Erfolg?

Gibt es Regionen in der Schweiz - z.B. Genf - in denen der wirtschaftliche Erfolg stärker war, als in anderen?
 
Oh je, wieder so ein fieses Thema ... ;)

Jedes Ding hat zwei Seiten und nix nur Vor- oder Nachteile. Zunftzwang und/oder Handwerksordnung reglementieren Zulassungen und Geschäftseröffnungen, was natürlich die Gewerbefreiheit einschränkt, also Betriebsgründungen nur unter bestimmten Sachzwängen zulässt.

Stellt sich natürlich die Frage, die ich hier beileibe nicht diskutieren möchte, ob ein Meisterbrief wirklich bei jedem Handwerk vonnöten ist, und ein engagierter und talentierter Autodidakt nicht vielleicht bessere Leistungen bringt, als ein Betrieb, der die Lehrlinge ranlässt und wo ein Geselle beiläufig drüberguckt (habe ich selbst erlebt). Wie gesagt, diskutieren wollte ich das gar nicht.

Andererseits stellt sich bei vielen Gewerken, vor allem im Baugewerbe die Frage der Gewährleistung. Wer haftet für Mängel oder Schäden? Schützt der Meisterbrief bzw. die Handwerksordnung den Kunden vor Problemen oder Schäden? Wenn man sich diverse Reportagen so ansieht nicht wirklich, oder? Wer hat also einen Nutzen davon?
 
Zuletzt bearbeitet:
Oh je, wieder so ein fieses Thema ...
freut mich, dass es dir gefällt... :D

Schützt der Meisterbrief bzw. die Handwerksordnung den Kunden vor Problemen oder Schäden? ...
Wer hat also einen Nutzen davon?
Möglicherweise niemand; ausser die "Zünfte"? Ich vermute viel eher, dass die Gesellschaft unter diesen Zwängen leidet. Sowohl wegen der fehlenden Innovationen, wie auch wegen der dadurch entsthenden Arbeitslosigkeit.

Gibt es Regionen in der Schweiz - z.B. Genf - in denen der wirtschaftliche Erfolg stärker war, als in anderen?
Das ist eine interessante Frage. Ich denke aber, dass die regional unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung eher mit der Industralisierung, als mit der Gewerbefreiheit zusammenhängt. Die Gewerbefreiheit hat aber vielen Arbeitern Beschäftigung und einen gewissen Wohlstand gebracht...

Übrigens, die Gewerbefreiheit ist bei uns in der Bundesverfassung verankert. Bloss zwei knappe Sätze:
"Art. 27
1 Die Wirtschaftsfreiheit ist gewährleistet.
2 Sie umfasst insbesondere die freie Wahl des Berufes sowie den freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit und deren freie Ausübung."



Gruss Pelzer


.
 
Möglicherweise niemand; ausser die "Zünfte"?

Auf den Gedanken kommt man durchaus, insbesondere im März, wenn die Beitragsbescheide ins Haus flattern....


Ich vermute viel eher, dass die Gesellschaft unter diesen Zwängen leidet. Sowohl wegen der fehlenden Innovationen,

Das kann ich jetzt nicht nachvollziehen.
Den Bauhelfer hindert doch kein Mensch daran eine neue Maurerkelle zu erfinden.

wie auch wegen der dadurch entsthenden Arbeitslosigkeit.

Da fehlt mir auch der Zugang. Warum entsteht durch den "Meisterzwang" Arbeitslosigkeit?
 
Das ist eine interessante Frage. Ich denke aber, dass die regional unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung eher mit der Industralisierung, als mit der Gewerbefreiheit zusammenhängt. Die Gewerbefreiheit hat aber vielen Arbeitern Beschäftigung und einen gewissen Wohlstand gebracht...

Meine Frage zielte in eine andere Richtung: Die der Konfessionalisierung. Durch die calvinistische Prädestinationslehre, die davon ausging, dass himmlische Erlösung oder Verdammung vorherbestimmt und nicht durch den Gläubigen beeinflussbar sei, versuchten die Gläubigen in calvinistischen Gegenden, sich gegenseitig davon zu überzeugen, dass ihnen das Schicksal wohlgesonnen sei, was sie am besten dadurch machen konnten, dass sie im Wohlstand lebten. Es ist daher zu beobachten, dass die wirtschaftlich florierendsten Gebiete Europas die calvinistisch dominierten waren. Wenn ich recht informiert bin,war insbesondere die Genfer Gegend eine solche calvinistisch dominierte Region.
 
Meine Frage zielte in eine andere Richtung: Die der Konfessionalisierung. Durch die calvinistische Prädestinationslehre, die davon ausging, dass himmlische Erlösung oder Verdammung vorherbestimmt und nicht durch den Gläubigen beeinflussbar sei, versuchten die Gläubigen in calvinistischen Gegenden, sich gegenseitig davon zu überzeugen, dass ihnen das Schicksal wohlgesonnen sei, was sie am besten dadurch machen konnten, dass sie im Wohlstand lebten. Es ist daher zu beobachten, dass die wirtschaftlich florierendsten Gebiete Europas die calvinistisch dominierten waren. Wenn ich recht informiert bin,war insbesondere die Genfer Gegend eine solche calvinistisch dominierte Region.
Ja, Genf war sehr vom Calvinismus geprägt; hier wurde ja sozusagen der Calvinismus erfunden!
Genf war und ist wohlhabend. Aber ich glaube nicht, dass es wegen dem Calvinismus so ist. Es gibt in der Schweiz aber schon konfessionelle Unterschiede: Das stark industrialisierte Mittelland ist mehrheitlich protestantisch und wohlhabender, die Bergeregionen sind eher katholisch und "ärmer". Hier ist aber erstaunlicherweise die Arbeitslosigkeit geringer...


Gruss Pelzer


.
 
Ja, Genf war sehr vom Calvinismus geprägt; hier wurde ja sozusagen der Calvinismus erfunden!
Genf war und ist wohlhabend. Aber ich glaube nicht, dass es wegen dem Calvinismus so ist. Es gibt in der Schweiz aber schon konfessionelle Unterschiede: Das stark industrialisierte Mittelland ist mehrheitlich protestantisch und wohlhabender, die Bergeregionen sind eher katholisch und "ärmer". Hier ist aber erstaunlicherweise die Arbeitslosigkeit geringer...

Galt das auch vor 200 Jahren?
 
Das kann ich jetzt nicht nachvollziehen.
Den Bauhelfer hindert doch kein Mensch daran eine neue Maurerkelle zu erfinden.

Da fehlt mir auch der Zugang. Warum entsteht durch den "Meisterzwang" Arbeitslosigkeit?

Ein Beispiel: Der Meisterzwang verhindert, dass junge, innovative Leute ihre Geschäftsideen verwirklichen können. Statt mit ihrem eigenen Gewerbe eine neue Marktnische zu bedienen, müssen sie wegen dem fehlenden Meisterbrief als einfache Angestellte ihr Leben fristen. Ihre (vielleicht) tollen Ideen verkümmern…

In der Schweiz darf jeder ein Architekturbüro, ein Restaurant, ein Treuhandbüro, ein Reisebüro usw. eröffnen. Nicht alles ist erfolgreich, gut, nützlich oder sinnvoll. Aber das entscheiden ausschliesslich die Kunden und nicht die "Zünfte". Ein ordentlicher Teil der Firmen (und Arbeitsplätze) ist so entstanden. Und nicht wenige solcher Firmen sind erfolgreich. :rotwerd:


Gruss Pelzer

.
 
sich gegenseitig davon zu überzeugen, dass ihnen das Schicksal wohlgesonnen sei, was sie am besten dadurch machen konnten, dass sie im Wohlstand lebten. Es ist daher zu beobachten, dass die wirtschaftlich florierendsten Gebiete Europas die calvinistisch dominierten waren.

Von der Handwerksordnung zur Religionsfreiheit:pfeif:soll noch mal einer schreiben ich wäre OT:D

Dies Denken wird auch den pietistischen Schwaben nachgesagt. Im katholischen Oberschwaben begegnet einem dann der Ausspruch: Wo der Humus dicker ist, als 50 cm, ist man katholisch.

Ich persönlich wohne in einer Gegend in dem jeder Ort einem anderen Glauben anhängt.
Aber der Glaube an eines eint alle: "Am verdienen ist noch keiner zu Grunde gegangen"=)
 
Ein Beispiel: Der Meisterzwang verhindert, dass junge, innovative Leute ihre Geschäftsideen verwirklichen können. Statt mit ihrem eigenen Gewerbe eine neue Marktnische zu bedienen, müssen sie wegen dem fehlenden Meisterbrief als einfache Angestellte ihr Leben fristen. Ihre (vielleicht) tollen Ideen verkümmern…

In der Schweiz darf jeder ein Architekturbüro, ein Restaurant, ein Treuhandbüro, ein Reisebüro usw. eröffnen. Nicht alles ist erfolgreich, gut, nützlich oder sinnvoll. Aber das entscheiden ausschliesslich die Kunden und nicht die "Zünfte". Ein ordentlicher Teil der Firmen (und Arbeitsplätze) ist so entstanden. Und nicht wenige solcher Firmen sind erfolgreich. :rotwerd:


Gruss Pelzer

.


Der Meisterzwang besteht aber nur im Handwerk! Im produzierenden Gewerbe schränkt Dich keiner ein.

Damit Du keine Kneipe aufmachen darfst, musst Du Dich auch ganz schön anstrengen, wenn du in der Vergangenheit nicht gerade als Louis mit diversen "Pferdchen" im Wohngebiet aufgefallen bist, kann man dies Dir nicht verbieten.

Aber im Prinzip kann man Dir nur recht geben. Deutschland ist ein Obrigkeitsstaat mit einer überbordenden Bürokratie. Und durch die EU wird es nur noch bürokratischer.
 
Hmmmm,

die Xiberger wollten 1919 Eidgenossen werden.
Die Helvetier haben sie aber nicht genommen.
Der Religionsproporz wäre durcheinander geraten.

Der Meisterzwang besteht aber nur im Handwerk! Im produzierenden Gewerbe schränkt Dich keiner ein.
Stimmt, meine Beispiele waren vielleicht nicht gut gewählt. Aber es freut mich, dass wir wieder einmal der gleichen Meinung sind :winke:

Was für "Xiberger" meinst du da?

Die Vorarlberger wollten doch auch Schweizer werden. Und wurden nicht aufgenommen. Was ich beschämend finde.


Gruss Pelzer

.
 
Was für "Xiberger" meinst du da?

Die Vorarlberger wollten doch auch Schweizer werden. Und wurden nicht aufgenommen. Was ich beschämend finde.


Die Vorarlberger sind Alemannen, die sind also nicht irgendwo "gewesen", die sind "gsi"
Nennen sie die übrigen Österreicher Xiberger
 
Es ist daher zu beobachten, dass die wirtschaftlich florierendsten Gebiete Europas die calvinistisch dominierten waren. Wenn ich recht informiert bin,war insbesondere die Genfer Gegend eine solche calvinistisch dominierte Region.

Das Untersuchungsthema Calvinismus/Prosperität füllt einige Bücher.


Es gibt Wirtschaftshistoriker, die einen solchen Zusammenhang sehen, es gibt andere, die für dieses Zusammentreffen eine Kausalität ablehnen, und die Gründe in den regionalen Besonderheiten bzw. Rahmenbedingungen sehen (und den Zusammenhang somit als Storchenlegende oder als Henne/Ei-Frage).
 
Ganz aktuell, gestern Abend.

Geschäftsführender Gesellschafter des größten Unternehmens weit und breit.
Weltweit ca. 10.000 Mitarbeiter:
"Die Steuergestaltung, der Steuerabzug in Deutschland sind ein absoluter Irrsinn. Die Betriebsprüfung eines Betriebes meiner Größenordnung in der Schweiz dauert ca. 4 Stunden.
In Deutschland ein Jahr!
In diesem Jahr muss ich den Prüfern 4 Mitarbeiter abstellen, die ausschließlich für sie da sind."
Der OB: Das lasse ich prüfen, wenn das wahr ist... das wäre ja in der Tat Irrsinn."

Die anwesenden Selbständigen und Freiberufler konnten nur lächeln, über die Blauäugigkeit des OB


Wir im Südwesten haben das Beispiel eben immer direkt vor uns.
Was aus einem Land werden kann, wenn man die Leute einfach nur arbeiten lässt, keine Welteroberungspläne heckt.
Die Menschenbeglückenden Ideologien draußen lässt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben