Gibt es einen Zusammenhang zw. Christentum und Demokratie?

Kleines Bonmot am Rande, das auch zu unserer Diskussion um Luther passt: Das Eichsfeld, der einzige mehrheitlich katholische Landkreis in Thüringen, war bei der Europawahl im Juni der einzige Nicht-Stadtkreis, den die AfD nicht gewinnen konnte (interessanter Artikel in der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung': Link). Im Gegenteil gewann dort die CDU mit einer Anti-AfD-Kampagne und einem sehr guten Ergebnis die Wahl.

Bemerkenswert ist die soziale Struktur im Eichsfeld: 12% der Menschen gehen dort regelmäßig in die Kirche, was doppelt so viele wie im Bundesdurchschnitt sind, und ein Vielfaches mehr als in Thüringen und Ostdeutschland insgesamt.

Auch die sozialen Kennziffern (demographische Entwicklung, Arbeitslosigkeit, sozialer Zusammenhalt) sind positiver als in den nicht-katholischen Nachbarkreisen und in Thüringen insgesamt. Der Autor beobachtet: Es gibt ein besseres soziales Netz, z.B. durch katholische Büchereien, Vereine und Altenheime, wo es in Nachbarkreisen an Angeboten hapert; es gibt mehr Feste und lokale Traditionen als in den Nachbarkreisen; das Klima ist offener. Die Jungen fühlen sich verwurzelter, streben nicht so sehr nach Erfurt oder in die Städte in Westdeutschland.

Sehr lesenswerter Artikel.

Nun möchte ich hier nicht die katholische Kirche als Bastion der Demokratie hinstellen, zumal der Artikel einen wichtigen Aspekt außer Acht lässt, nämlich, dass die soziale Kohäsion in kleinen Gemeinschaften ohnehin besser ist als in großen. Das lässt sich durchaus auch auf einen Landkreis übertragen, der sich in seiner Identität von seinen Nachbarlandkreisen stark unterscheidet, und sich mehr nach innen orientiert.

Trotzdem ist die Korrelation interessant, zumal sie Parallelen zu bereits diskutierten Beobachtungen aufweist – dass es auch historisch merkliche Unterschiede im Wahlverhalten zwischen deutschen Protestanten und Katholiken gab (und tendenziell eine größere Nähe der Protestanten zu autoritären Parteien und Bewegungen). Bemerkenswert ist dies deshalb, weil es nicht intuitiv ist. Die reformierten Kirchen besaßen seit jeher basisdemokratische Elemente, die dem Katholizismus bis weit ins 20. Jahrhundert fehlten, da müssten doch die Katholiken obrigkeitshöriger sein.

Und da muss ich an den Ultramontanismus denken, bzw. allgemein an die nicht zu Unrecht von den Fürsten und später der preußischen Regierung als Bedrohung ihres Machtanspruches bekämpften Bindung der Katholiken an eine zumindest moralische Autorität jenseits der weltlichen Obrigkeit. Es wäre denkbar, dass ausgerechnet die Existenz einer zweiten Autorität neben der weltlichen bei den Katholiken allgemein zu einer größeren Staatsferne führte, und damit auch zu mehr Distanz zu Ideologien, die einen starken Staat fordern.
 
Zuletzt bearbeitet:
Trotzdem ist die Korrelation interessant, zumal sie Parallelen zu bereits diskutierten Beobachtungen aufweist – dass es auch historisch merkliche Unterschiede im Wahlverhalten zwischen deutschen Protestanten und Katholiken gab (und tendenziell eine größere Nähe der Protestanten zu autoritären Parteien und Bewegungen).
Das ist zwefelos eine richtige Einschätzung: Man darf nicht vergessen, dass Thüringen schon 1930 eine Regierung unter Beteiligung der Nazis bekam.
 
Trotzdem ist die Korrelation interessant, zumal sie Parallelen zu bereits diskutierten Beobachtungen aufweist – dass es auch historisch merkliche Unterschiede im Wahlverhalten zwischen deutschen Protestanten und Katholiken gab (und tendenziell eine größere Nähe der Protestanten zu autoritären Parteien und Bewegungen). Bemerkenswert ist dies deshalb, weil es nicht intuitiv ist. Die reformierten Kirchen besaßen seit jeher basisdemokratische Elemente, die dem Katholizismus bis weit ins 20. Jahrhundert fehlten, da müssten doch die Katholiken obrigkeitshöriger sein.
Hier würde ich allerdings fragen wollen, inwiefern man dies auf die heutige Situation übertragen kann, insofern Thüringen ja heute durchaus keine Region mehr ist, die in irgendeiner Form stark protestantisch wäre.
Die Mehrheit der Einwohner dort fällt ja heute unter "konfessionslos".


Die Zahl der Angehörigen beider großen christlichen Konfessionen in Thüringen lag 2018 bei unter 30% der Tendenz seit der Jahrtausendwende folgend, werden es heute villeicht noch 25% sein, die sich einer der beiden Konfessionen zuordnen lassen.
 
Ein Kirchenaustritt bedeutet nicht zwangsläufig, dass sich damit auch politische Präferenzen desjenigen geändert haben.
Selbstredend nicht.

Ich stelle nur fest, dass der Wert der historischen Analogie etwas fragwürdig wird, wenn sich die Prämisssen geändert haben.
denn sagen wir es mal so:

Würde man analog zu den Betrachtungen der Wählerschaft der NSDAP heute eine analoge Studie zur Wählerschaft der AfD und anderer extrem rechter Vereinigungen erstellen, würde diese wahrscheinlich gemessen am Thema der Konfession derzeit wohl zum Ergebnis haben, dass eine extrem rechte Einstellung an der Wahlurne dieser Tage was Deutschland betrifft wahrscheinlich auffallend oft mit Konfessionslosigkeit der Wähler korrespondiert.
Jedenfalls legen die Wahlergebnisse der AfD und anderer entsprechender Bewegungen in Ostdeutschland das nahe.

Im Übrigen dürfte sich die Zahl der Konfessionslosen kaum überwiegend mit neuerlichen Kirchenaustritten erklären lassen, denn so stark ist die Zahl, jedenfalls was Thüringen betrifft seit der Jahrtausendwende nicht rückläufig.
Das ist ja im Osten keine neuerliche Entwicklung und der massive Rückgang der Konfessionszugehörigkeit ist ja mehr oder weniger bereits ein Erbe der DDR, in der die christlichen Konfessionen zwar geduldet aber nicht unbedingt erwünscht waren.

Nun ist allerdings die AfD ein relativ neues Phänomen, deren Wahlergebnisse man nicht damit erklären kann, dass da schon immer so gewählt worden wäre, womöglich vor Änderung bestimmter Glaubensüberzeugungen.

Legte man aktuell eine Konfessionskarte der Bundesrepublik Deutschland, neben eine der Wahlergebnisse der letzten Bundestagswahl und der letzten Landtagswahlen, würde man wahrscheinlich zu dem Ergebnis kommen, dass die Wahrscheinlichkeit für Stimmabgaben für eine sehr weit rechts stehende Partei momentan in Gebieten mit erklärtermaßen areligiöser Wählerschaft größer ist, als anderswo.

Lassen wir das einfach mal im Raum stehen.
Es ist natürlich nur eine Momentaufnahme. Und ich halte es erklärtermaßen nach wie vor für unwahrscheinleinlich, dass religiöse oder fehlende religiöse Inhalte bei so etwas eine bestimmende Rolle spielen.

Wenn man es aber mit den 1930er Jahren und den rechtsradikalen Parteien dort vergleichen möchte, würde man nicht umhinkommen zu bemerken, dass sich das Bild hinsichtlich der Übereinstimmung von entsprechender Wählerschaft mit einer bestimmten Religion mittlerweile deutlich gewandelt hat.
Daraus wäre dann allerdings abzuleiten, dass sich die historische Situation der 1930er Jahre, was die Wählersschaft der extremen rechten angeht nicht in eine globale, nicht zeitgebundene Aussage im Hinblick auf die Religionszugehörigkeit festmachen lässt.
Andernfalls müsste die AfD dieser Tage ihre Hochburgen in den ländlichen Regionen Niedersachsens, Schleswig-Holsteins, Hessens und Frankens haben, wo noch immer die evangelischen Bekenntnisse überwiegen, allerdings nicht im atheistischen Osten.
 
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Konfessionell geprägte Mentalitätsunterschiede kann man durchaus auch in anderen Regionen Deutschlands beobachten, z.B. im teils katholischen und teils protestantischen Franken.
 
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