Eliten im Mittelalter und volle Gräber in der Neuzeit
> Warum war das denn unüblich? Was ist schon dabei jemandem sein Siegel und sein Schwert mitzugeben?
Das (mehr oder wenige) ungewöhnliche dabei ist, dass die Bestattung eindeutig einer historischen bekannten Person zugewiesen werden kann. Das kommt nur sehr selten vor und erleichtert natürlich die Datierung, die nun sogar auf das Jahr und manchmal auf den Tag genau vorgenommen werden kann.
Bei mittelalterlichen Eliten, vor allem Königen und (Kur-)Fürsten, aber auch geistlichen Eliten wie Bischöfen und Äbten, ist es völlig üblich, in der Kleidung und mit den entsprechenden Insignien wie Schwert, Krone, Szepter, Ring, Bischofs- oder Abtsstab etc. bestattet zu werden.
Keine ganz leichte Kost, aber meines Erachtens sehr lesenswert ist die Dissertation von
Thomas Meier, Die Archäologie des mittelalterlichen Königsgrabes im christlichen Europa. Mittelalter-Forschungen 8 (Stuttgart 2002). ISBN 3-7995-4259-0 .
Er ist mittlerweile Professor für Ur- und Frühgeschichte in Heidelberg, auf der Website sind weitere Artikel von ihm zu dem Thema genannt:
Prof. Dr. Thomas Meier
In einer Rezension von Bernd Thier in: H-Soz-u-Kult, 15.10.2002
Rez. MA: T. Meier: Archäologie des mittelalterlichen Königsgrabes - H-Soz-u-Kult / Rezensionen / Bücher findet sich ein kurzer Abriss des Buchinhaltes.
In der nächsten Zeit werden zwei Habilitationen im Druck erscheinen, zum einen die von Bernd Päffgen, nun Prof. für Vor- und Frühgeschichte in München, über die Bestattungen von Erzbischöfen und Bischöfen in Spätantike, Mittelalter und Neuzeit. Unter seinen Publikationen sind bereits einige Arbeiten dazu, aber auch zu Klerikergräbern:
Prof. Dr. Bernd Päffgen - Ludwig-Maximilians-Universitt Mnchen
Zum anderen die Habil. von Markus Sanke, Privatdozent in Bamberg, zum Thema "Die Gräber geistlicher Eliten Europas in Mittelalter und Neuzeit. Archäologische Studien zur materiellen Reflexion von Jenseitsvorstellungen und ihrem Wandel."
Ab der Renaissance fängt es langsam an, dass auch die Gräber "normaler" Menschen, also von Stadtbürgern, wichtigeren Personen dörflicher Gemeinschaften wie Amtmännern, Pfarrern und anderen mehr, wieder "voller" werden, d.h. Kleidung und persönlichen Besitz enthalten. Im Barock sind zumindest die Gräber relativ wichtiger und damit natürlich reicherer Leute dann meist richtig gut bestückt. Grabbeigaben finden sich dann aber auch bei ganz normalen Leuten Leuten bisweilen noch bis ins beginnende 20. Jahrhundert. Bisweilen handelt es sich dabei nicht um Beigaben im eigentlichen Sinne, sondern um Belassungen, z.B. Gefäße und Kämme, die bei der Totenwaschung verwendet und danach tabu waren oder Medizinflaschen mit Mitteln, die ganz offensichtlich nicht geholfen haben.
Dazu gibt es gerade aus den letzten Jahren ziemlich viel Literatur, meist Grabungsberichte, leider noch relativ wenig übergreifendes und zusammenfassendes. Hier nur ein paar Berichte, die mir gerade online unter die Augen gekommen sind:
Jörg Ansorge, Bestattungen mit Tabakspfeifen aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges in Vorpommern
Hauke Kenzler, Tabakspfeifen als Grabbeigaben. Neuzeitliche Bestattungsbräuche auf dem Friedhof von Breunsdorf, Lkr. Leipziger Land
Heinz Gruber, Zwei Tonpfeifen aus dem barocken Friedhof von Gallspach in Oberösterreich
Simon Kramis, Tonpfeifenraucher aus Basler Friedhöfen - anthropologische und historische Aspekte des "Tabaktrinckens"
Arne Åkerhagen, Pfeifen aus Gräbern des Domfriedhofs von Linköping
Natascha Mehler/Ralf Kluttig-Altmann, Tonpfeifen als neuzeitliche Grabbeigaben. Überlegungen zu den Ursachen dieser Beigabensitte
alle Beiträge im KnasterKOPF 19, 2007:
KnasterKOPF - Fachzeitschrift für Tonpfeifen und historischen Tabakgenuss
Eine Bamberger Proseminar(!)-Hausarbeit von
Svenja Muche, Protestantische Friedhöfe. Protestantische Bestattungs- und Beigabensitte im gräberarchäologischen Befund (2008). ISBN 3638912124, 9783638912129
die anscheinend als Buch vertrieben wird, zumindest eine eigene ISBN hat, mit folgender "Buchübersicht":
Der archäologische Wert neuzeitlicher Gräberfelder wurde lange Zeit unterschätzt, da man bei christlichen Gräbern von einer beigabenlosen Gleichförmigkeit mit geringem Informationswert ausging. Wie falsch diese Einschätzung war hat nicht zuletzt die Fülle an Beigaben, die sich spätestens seit dem 17. Jh. in vielen Gräbern findet, bewiesen. Die in den letzten Jahren vermehrt durchgeführten Ausgrabungen neuzeitlicher Bestattungen haben darüber hinaus das Wissen um den Wandel im Totenritus vergangener Jahrhunderte in nicht unerheblichem Maße ergänzt. Inwieweit auch die Religiösen Konflikte und Umwälzungen des 16. Jh. gräberarchäologisch nachweisbar sind, soll im Folgenden näher beleuchtet werden.
Protestantische Friedhfe ... - Google Bcher
Hier gegen Geld als e-book oder gedrucktes Buch zu bestellten:
GRIN - Protestantische Friedhöfe - Hausarbeit*
Zu dem hier behandelten Friedhof von Breunsdorf siehe die Arbeiten von Hauke Kenzler (Bamberg):
Otto-Friedrich-Universität Bamberg: Vita Dr. Hauke Kenzler und die Monographie
Judith Oexle (Hrsg.), Kirche und Friedhof von Breunsdorf. Beiträge zu Sakralarchitektur und Totenbrauchtum in einer ländlichen Siedlung südlich von Leipzig. Veröffentlichungen des Landesamtes für Archäologie mit Landesmuseum für Vorgeschichte 35 (Dresden 2002).
Oexle, Judith (hrsg.): Kirche und Friedhof von Breunsdorf. Beiträge zu Sakralarchitektur und Totenbrauchtum in einer ländlichen Siedlung südlich von Leipzig
Für Berlin und Brandenburg z.B. eine Reihe von Aufsätzen und Webartikeln von Blandine Wittkopp, für Böhmen von Milena Bravermannová (meist in tschechisch mit englischer Zusammenfassung), für (Alt)-Bayern von Florian Eibl, und so weiter und so fort. Eins nenne ich noch, weil es es ein schönes Buch ist:
Georges Descoudres / Andreas Cueni / Christian Hesse / Gabriele Keck, Sterben in Schwyz. Beharrung und Wandlung im Totenbrauchtum einer ländlichen Siedlung vom Spätmittelalter bis in die Neuzeit. Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 20/21 (Basel 1995).
Ich denke, dass reicht fürs erste, Nachschlag ist aber immer möglich ;-).
Roman