Großer Nordischer Krieg

Rehnskiöld

Neues Mitglied
Hallo,

ich beschäftige mich jetzt schon seit einiger Zeit mit dem Großen Nordischen Krieg. Dabei haben sich bei mir ein paar Fragen zur Armee Karl XII. aufgetan, auf die ich bisher noch nirgendwo eine Antwort finden konnte. Ich hoffe, dass mir vielleicht hier jemand weiterhelfen kann.

1. Stimmt es dass die Schweden im Gegensatz zu ihren Feinden komplett mit Degen/Schwertern ausgerüstet waren? War es für die anderen Armeen dieser Zeit nicht ein enormer Nachteil wenn ihrer Soldaten sich bloß mit dem Bajonett wehren konnten und gab es einen Grund dafür das sie auf eine solche Bewaffnung verzichteten? Wäre auch dankbar für Informationen zu den Armeen des Spanischen Erbfolgekrieges.

2. In welcher Sprache verständigte man sich in der schwedischen Armee?
Da nicht wenige der höheren Offiziere ja Deutsche waren und die Hofsprache auch zum großen Teil Deutsch war, müsste es doch irgendwo zwischen den Dienstgraden zu Verständigungsproblem gekommen sein wenn die einfachen Soldaten und Unteroffiziere (und teilweise auch Offiziere?) nur Schwedisch verstanden.
Mussten die Deutschen vieleicht einfach bestimmte schwedische Kommandos auswendig lernen?
Wie funktionierte die Kommunikation mit den Polen und Kosaken die im Verlauf des Krieges zur Armee kamen?

Abseits meiner speziellen Fragen freu ich mich auch über Buchtipps, Links oder andere Informationen und Disskusionsanregungen zum Großen Nordischen Kriege. :winke:
 
Die Schweden besaßen und benutzen Feuerwaffen wie andere Armeen zu dieser Zeit. Während aber die Infanterie Marlboroughs vor allem wegen ihrer Feuerkraft gefürchtet war, verließen sich die Schweden tatsächlich mehr auf die Schockwirkung ihrer "kalten" Waffen und verzichteten oft ganz bewusst auf Feuerwaffen. Karl XII. war von einem fatalistischen Gottvertrauen besessen, und er glaubte dass die Todesstunde jedes Menschen vorbestimmt ist und alle Schutzmaßnahmen ohnehin nutzlos wären, wenn die letzte Stunde geschlagen hat.

Dieser Fatalismus wurde auch seinen Soldaten eingetrichtert, und verlieh der schwedischen Infanterie ihre enorme Dynamik.

Das salvenweise Feuer der Infanterie degenerierte schnell zu einem Geballer, und der Pulverdampf reduzierte die Sicht.
Bei Narwa 1700 hatte Karl schnell herausgefunden, dass die russischen Linien überdehnt waren, und als ein Schneesturm aufzog, befahl Karl sofort den Angriff. Leise und schnell rückten die Schweden vor. Sie gaben eine einzige Salve ab und stürmten mit dem Bajonett vor, worauf die russische Linie zusammenbrach. Der neu ernannte Kommandeur, der Herzog von Croy und seine Offiziere hatten vor den eigenen Soldaten mehr Angst, als vor den Schweden und ergaben sich.
 
Hei,

ich kønnte versuchen, schwedische und/oder norwegische Infos im Internett zu finden - wuerde das helfen, kannst du diese Sprache(n) verstehen?

Gruss, muheijo
 
@ muhelijo
Das wäre toll. Schwedisch lern ich seit 1 1/2 Jahren. Also es geht so. Und Norwegisch kann ich ein paar Brocken. Aber wenn der Text nicht zu schwer ist arbeite ich mich da schon durch. ;)

Hätte auch noch eine ganz gute Seite zu schwedischen Blankwaffen:
Vapen, svenska militära blankvapen (UTF-8)


Die Schweden besaßen und benutzen Feuerwaffen wie andere Armeen zu dieser Zeit. Während aber die Infanterie Marlboroughs vor allem wegen ihrer Feuerkraft gefürchtet war, verließen sich die Schweden tatsächlich mehr auf die Schockwirkung ihrer "kalten" Waffen und verzichteten oft ganz bewusst auf Feuerwaffen. Karl XII. war von einem fatalistischen Gottvertrauen besessen, und er glaubte dass die Todesstunde jedes Menschen vorbestimmt ist und alle Schutzmaßnahmen ohnehin nutzlos wären, wenn die letzte Stunde geschlagen hat.

Man nennt das auch "Gå på"-Taktik also ungefähr so viel wie "Auf sie".
Kann man denn sagen, dass die Schweden sich diese Konzentration auf den Nahkampf auf Grund ihrer überlegenen Bewaffnung leisten konnten. Hab gelesen dass einfache Infanteristen im russischen Heer nur über Bajonett und wenn dann höchstens noch ein Kurzschwert verfügten. Auch die Infanteriedegen im dän.-norw. Heer sollen ein gutes Stück kürzer gewesen sein als bei den Schweden.

Was mich auch interssieren würde: Wurde den Soldaten dieser Zeit in Europa der Nahkampf mit Bajonett oder Degen bei der Ausbildung beigebracht. Also Marschieren und Salven abgeben etc. ist mir schon klar. Aber gab es zu der Zeit noch sowas wie die Fechtbücher im 16. Jh. und hatte so etwas eine Relevanz bei der Ausbildung.
 
Hätte auch noch eine ganz gute Seite zu schwedischen Blankwaffen:
Vapen, svenska militära blankvapen (UTF-8)

Wau, da steht ja nicht nur etwas zum Thema Blankwaffen, da kønnte auch ein Teil deiner Fragen evtl. beantwortet sein.*
Jedenfalls sind die Literaturhinweise auch sehr interessant.

* beim Ueberfliegen las ich, dass z.B die Bajonett-Attacke geuebt wurde, aber viel mehr als das man zu einem bestimmten Zeitpunkt mit gefælltem Bajonett auf den Feind zustuermte wird das vermutl. nicht gewesen sein.
Letztendlich ging es ja auch immer darum, dass der Gegner in wilder Flucht tuermte, bevor es wirklich zum Handgemenge kam.

Das Schwedisch ist aber eine Herausforderung fuer mich, auch wenn es gesprochen dem Norwegischen recht æhnlich ist. Geschrieben sieht's nochmal anders aus. Man muss es sich selbst laut vorlesen, dann versteht man's besser.

Mal gucken, ob ich noch was Ergænzendes finde.

Gruss, muheijo
 
Was mich auch interssieren würde: Wurde den Soldaten dieser Zeit in Europa der Nahkampf mit Bajonett oder Degen bei der Ausbildung beigebracht. Also Marschieren und Salven abgeben etc. ist mir schon klar. Aber gab es zu der Zeit noch sowas wie die Fechtbücher im 16. Jh. und hatte so etwas eine Relevanz bei der Ausbildung.
Es gab generell natürlich auch zu der Zeit Fechtbücher. Wie der Fechtstil in Skandinavien war, kann ich nicht sagen.
Es ist aber so, dass ich mich grob daran entsinnen kann, dass praktisch auf jedem Werbeplakat des 18.Jh., das ich mal gesehen habe, u.a. auch mit Fechtunterricht geworben wurde. Das klang aber eher so, als ob man das Fechten ebenso wie das Tanzen u. ä. als eine Art Hobby oder sportliche Ertüchtigung neben dem eigentlichen Dienst gezeigt bekam. Das passt sicherlich in den Kontext, dass sich die Soldaten gern als Gentlemen sahen und diese lernten eben Fechten, Tanzen, Reiten und dergleichen. Im Nahkampf selber spielt das m.E. keine Rolle. Wenn der Soldat keinen Schuss mehr im Lauf hatte, dann kämpfte er mit dem Bajonett weiter. Hatte er keine Muskete mehr, dann war er ja wahrscheinlich einem Gegner mit größerer Reichweite weil mit Muskete plus Bajonett ausgeliefert. Bis auf die britische Highlanderinfanterie im Siebenjährigen Krieg, die wohl wirklich mit dem Broadsword angriff, wenn andere Truppenteile mit dem gefällten Bajonett vorgingen, ist mir keine Betonung der Seitenwaffe bei der Inf. im 18.Jh. bekannt. Im Gegenteil: es scheint mir augenscheinlich, dass man bei etwa gleichbleibender Waffentechnologie (Steinschlossgewehr) immer weniger Wert auf die Seitenwaffen legte bis sie peu-à-peu bei einigen Armeen ganz verschwanden. Ich weiß nicht wie da die zeitgenössische Diskussion unter Militärtheoretikern verlief. Aber es muss schon einen rationalen Grund haben, warum die Degen und Säbel zusehends zu beinahe reinen Schmuck-/Statusstücken verkümmerten (wie bei den Franzosen als Waffe nur für Eliteinfanterie im späten 18.Jh.).

Die Erfolge der Schweden leite ich eher von der guten Führung her - insbesondere im direkten Vergleich zu den Sachsen und Dänen. Ich habe zwar schon spezielle zeitgenössische Aussagen gelesen, dass die sächs. Armee mit die schlechteste ihrer Zeit gewesen sein soll. Aber ich weiß nicht, was davon zu halten ist.
 
Es gab generell natürlich auch zu der Zeit Fechtbücher. Wie der Fechtstil in Skandinavien war, kann ich nicht sagen.
Es ist aber so, dass ich mich grob daran entsinnen kann, dass praktisch auf jedem Werbeplakat des 18.Jh., das ich mal gesehen habe, u.a. auch mit Fechtunterricht geworben wurde. Das klang aber eher so, als ob man das Fechten ebenso wie das Tanzen u. ä. als eine Art Hobby oder sportliche Ertüchtigung neben dem eigentlichen Dienst gezeigt bekam. Das passt sicherlich in den Kontext, dass sich die Soldaten gern als Gentlemen sahen und diese lernten eben Fechten, Tanzen, Reiten und dergleichen. Im Nahkampf selber spielt das m.E. keine Rolle. Wenn der Soldat keinen Schuss mehr im Lauf hatte, dann kämpfte er mit dem Bajonett weiter. Hatte er keine Muskete mehr, dann war er ja wahrscheinlich einem Gegner mit größerer Reichweite weil mit Muskete plus Bajonett ausgeliefert. Bis auf die britische Highlanderinfanterie im Siebenjährigen Krieg, die wohl wirklich mit dem Broadsword angriff, wenn andere Truppenteile mit dem gefällten Bajonett vorgingen, ist mir keine Betonung der Seitenwaffe bei der Inf. im 18.Jh. bekannt. Im Gegenteil: es scheint mir augenscheinlich, dass man bei etwa gleichbleibender Waffentechnologie (Steinschlossgewehr) immer weniger Wert auf die Seitenwaffen legte bis sie peu-à-peu bei einigen Armeen ganz verschwanden. Ich weiß nicht wie da die zeitgenössische Diskussion unter Militärtheoretikern verlief. Aber es muss schon einen rationalen Grund haben, warum die Degen und Säbel zusehends zu beinahe reinen Schmuck-/Statusstücken verkümmerten (wie bei den Franzosen als Waffe nur für Eliteinfanterie im späten 18.Jh.).

Die Erfolge der Schweden leite ich eher von der guten Führung her - insbesondere im direkten Vergleich zu den Sachsen und Dänen. Ich habe zwar schon spezielle zeitgenössische Aussagen gelesen, dass die sächs. Armee mit die schlechteste ihrer Zeit gewesen sein soll. Aber ich weiß nicht, was davon zu halten ist.

Die schwedische Armee, vor allem die Infanterie galt am Vorabend des Nordischen Krieges, bzw des Spanischen Erbfolgekrieges als eine der besten Europas. Als Taktiker waren Karl XII. Rehnskold und Lewenhaupt überaus erfolgreich. Nach dem Debakel von Poltawa erwies Peter I. den gefangenen schwedischen Offizieren große Ehren und nannte sie die Lehrmeister der russischen Armee. Die Erfolge Karls XII. von 1700 bis 1709 würde ich allerdings nicht nur der besseren taktischen Führung zuschreiben. Karls großer Sieg 1700 bei Narwa kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich seine Armee in schwierigen, um nicht zu sagen verzweifelten Umständen befand. Abgeschnitten von Nachschub und Verstärkungen und mangelhaft ausgerüstet, griffen die Schweden einen vierfach überlegenen Gegner an. Dass der Coup gelang und sich die russische Armee nach dem ersten energischen Schlag der Schweden auflöste, würde ich allerdings nicht nur auf die überlegene Führung zurückführen, die russische erwies sich als ziemlich kopflos, sondern auch auf die bessere Ausbildung, höhere Disziplin und größere Erfahrung der schwedischen Armee zurückführen. Es sollte Jahre dauern, bis Peters Truppen gelernt hatten, den Schweden standzuhalten. Die schwedische Infanterie war sehr gut ausgebildet, und die Schweden wurden darauf gedrillt, im Angriff die Iniative zu übernehmen und einen gegnerischen Angriff sofort mit einem Gegenangriff zu beantworten, ungeachtet einer zahlenmäßigen Überlegenheit des Gegners. Im Gegensatz zu anderen europäischen Armeen schienen sich die Schweden tatsächlich mehr auf die Schockwirkung ihrer Nahkampfwaffen, als auf die Feuerkraft der Infanterie zu verlassen wie die Truppen Marlboroughs. Robert Massie schreibt in seiner Biographie Peters des Großen, dass die Schweden oft ganz bewusst auf Feuerwaffen verzichteten.

Befürworter der Bajonettatacke gab es noch um die Mitte des 19. Jhds, Suwurow und im amerikanischen Bürgerkrieg Thomas "Stonewall" Jackson schworen auf das Bajonett. Da die Feuergeschwindigkeit im frühen 18. jhd noch gering war und ein gut ausgebildeter Soldat kaum mehr als 3 Schuss in der Minute abgeben konnte und die Treffsicherheit von Musketen eher gering war, ganz abgesehen vom Pulverdampf, der die Sicht beschränkte, wirkte eine gut disziplinierte, synchron immer näherrückende Linienformation die sich von eigenen Verlusten nicht beeindrucken ließ, selten ihre Wirkung, vor allem wenn es sich um unerfahrene Truppen handelte. Beispiele, in denen es zum Nahkampf kam, waren allerdings in der Militärgeschichte des späten 17. bis zum frühen 19. Jhd recht selten. Meist kam es nur dazu, wenn der Rückzugsweg abgeschnitten war, und in der Regel wich eine Seite zurück oder wurde in die Flucht geschlagen.

Diese Taktik der Schweden stieß allerdings im Kriegsverlauf an ihre Grenzen. In den Treffen bei Golotschin und Lesnaja gingen die Russen dazu über, der schwedischen Infanterie durch Feuersalven Verluste zuzufügen, um sich dann geordnet zurückzuziehen. Die Schweden stoppten daraufhin immer wieder, um selbst nachzuladen.

Der schwedische Schlachtplan bei Poltawa sah im Grunde die gleiche Taktik wie bei Narwa vor: die russische Linie an einem Punkt zu durchbrechen und dann die Front aufrollen.
Auch wenn Karl nicht verwundet gewesen wäre und Rehnskold und Lewenhaupt ihre gegenseitigen Animositäten begraben und den Schlachtplan besser koordiniert hätten, ist zu bezweifeln, dass die Schweden damit erfolgreich gewesen wären. Dass die russische Armee ein Gegner anderen Kalibers geworden war, als zur Zeit der ersten Schlacht bei Narwa 1700 zeigte sich bereits einige Jahre später, als die Russen schwedische Stützpunkte in Livland eroberten, während Karl XII. in Polen Krieg führte.
 
Es gab generell natürlich auch zu der Zeit Fechtbücher. Wie der Fechtstil in Skandinavien war, kann ich nicht sagen.
Es ist aber so, dass ich mich grob daran entsinnen kann, dass praktisch auf jedem Werbeplakat des 18.Jh., das ich mal gesehen habe, u.a. auch mit Fechtunterricht geworben wurde. Das klang aber eher so, als ob man das Fechten ebenso wie das Tanzen u. ä. als eine Art Hobby oder sportliche Ertüchtigung neben dem eigentlichen Dienst gezeigt bekam. Das passt sicherlich in den Kontext, dass sich die Soldaten gern als Gentlemen sahen und diese lernten eben Fechten, Tanzen, Reiten und dergleichen.
Das war mir völlig neu, danke für die Info!

Im Nahkampf selber spielt das m.E. keine Rolle. Wenn der Soldat keinen Schuss mehr im Lauf hatte, dann kämpfte er mit dem Bajonett weiter. Hatte er keine Muskete mehr, dann war er ja wahrscheinlich einem Gegner mit größerer Reichweite weil mit Muskete plus Bajonett ausgeliefert. Bis auf die britische Highlanderinfanterie im Siebenjährigen Krieg, die wohl wirklich mit dem Broadsword angriff, wenn andere Truppenteile mit dem gefällten Bajonett vorgingen, ist mir keine Betonung der Seitenwaffe bei der Inf. im 18.Jh. bekannt. Im Gegenteil: es scheint mir augenscheinlich, dass man bei etwa gleichbleibender Waffentechnologie (Steinschlossgewehr) immer weniger Wert auf die Seitenwaffen legte bis sie peu-à-peu bei einigen Armeen ganz verschwanden. Ich weiß nicht wie da die zeitgenössische Diskussion unter Militärtheoretikern verlief. Aber es muss schon einen rationalen Grund haben, warum die Degen und Säbel zusehends zu beinahe reinen Schmuck-/Statusstücken verkümmerten (wie bei den Franzosen als Waffe nur für Eliteinfanterie im späten 18.Jh.).
.

Ich denke, der Grund dürfte darin zu suchen sein, dass Blankwaffen wie Säbel, Yatagane, Degen etc. ziemlich unhandlich sind und einen Infanteristen auf dem Marsch eher behindern. Um im Nahkampf effektiv zu sein, setzt der Umgang mit einer Stichwaffe wie Degen jahrelange Übung voraus. Hauptwaffe der Infanterie im Nahkampf war im 18. und 19. Jahrhundert das aufgepflanze Dillenbajonett, später das Seitengewehr. Neben dem Tornister und der Patronentasche musste u. U. noch Schanzwerkzeug mitgeschleppt werden. Ein Säbel oder Degen hätte die Infanteristen vor allem auf dem Marsch eher behindert. In der Kavallerie diskutierte noch in den 1870ern eine Kommission der britischen Armee, welcher der beste Kavalleriesäbel sei. Ich nehme an, dass ergonomisch logistische Gründe dafür verantwortlich waren, dass Seitenwaffen innerhalb der Infanterie eher zu Statussymbolen, als wirklichen Waffen wurden.
 
Der schwedische Schlachtplan bei Poltawa sah im Grunde die gleiche Taktik wie bei Narwa vor: die russische Linie an einem Punkt zu durchbrechen und dann die Front aufrollen.
Auch wenn Karl nicht verwundet gewesen wäre und Rehnskold und Lewenhaupt ihre gegenseitigen Animositäten begraben und den Schlachtplan besser koordiniert hätten, ist zu bezweifeln, dass die Schweden damit erfolgreich gewesen wären. Dass die russische Armee ein Gegner anderen Kalibers geworden war, als zur Zeit der ersten Schlacht bei Narwa 1700 zeigte sich bereits einige Jahre später, als die Russen schwedische Stützpunkte in Livland eroberten, während Karl XII. in Polen Krieg führte.
Die Stellungen der Russen waren bei Poltawa noch besser als bei Narva, außerdem spielte bei Narva ja auch noch der Schneesturm mit hinein. Meines Erachtens tragen immer wieder ganz bestimmte Komponenten (wie hier bei Narva der Sturm, die Munitionsknappheit der Russen, die mangelnde Erfahrung der Russen) eine große Rolle, dass es zu so extremen Gegensätzen an Verlusten auf beiden Seiten kam.
So schlecht wie die Sachsen und Polen scheinen sich m.E. die Russen auch nie geschlagen zu haben.

Ein anderer als Karl XII. hätte so einen Angriff direkt frontal in die feindlichen Schanzen mit unterlegenen Kräften wohl auch als reines Himmelfahrtskommando abgestempelt. Karl machte ja im Prinzip einfach nur, was Peter bei Poltawa von ihm erhoffte. Wirklich eigenwillig.
 
Ich denke, der Grund dürfte darin zu suchen sein, dass Blankwaffen wie Säbel, Yatagane, Degen etc. ziemlich unhandlich sind und einen Infanteristen auf dem Marsch eher behindern. Um im Nahkampf effektiv zu sein, setzt der Umgang mit einer Stichwaffe wie Degen jahrelange Übung voraus. Hauptwaffe der Infanterie im Nahkampf war im 18. und 19. Jahrhundert das aufgepflanze Dillenbajonett, später das Seitengewehr. Neben dem Tornister und der Patronentasche musste u. U. noch Schanzwerkzeug mitgeschleppt werden. Ein Säbel oder Degen hätte die Infanteristen vor allem auf dem Marsch eher behindert.
Es ist ein Gewichtsproblem. Aber behindern? Kann ich nicht behaupten. Wenn der Säbel in der richtigen Höhe hängt, und das trifft sicher auch für den Degen zu, steht er genausowenig im Weg wie der Rest der Ausrüstung. Die Tornister oder anderen Faktoren sorgen ja ohnehin dafür, dass der Hintermann einen gewissen Abstand zum Vordermann hält. Obendrein wurden die Degen oder Säbel zumindest im 18.Jh. oftmals nicht neben dem Schenkel getragen (also parallel zu den Füßen) sondern hinten auf dem Gesäß. Kommt dann natürlich darauf an wie der Winkel des Degens ist, aber da drüber zu stolpern ist schon sehr schwierig. Wirklich hinderlich scheinen mir nur reine Reiterwaffen für den Fußgänger zu sein, aber diese haben dann auch eine bedeutend größere Länge als Infanteriedegen oder -säbel gehabt (vielleicht ein Problem, wenn bspw. Dragoner zu Fuß agierten(?)).
 
@ muhelijo
Das wäre toll. Schwedisch lern ich seit 1 1/2 Jahren. Also es geht so. Und Norwegisch kann ich ein paar Brocken. Aber wenn der Text nicht zu schwer ist arbeite ich mich da schon durch. ;)

Hätte auch noch eine ganz gute Seite zu schwedischen Blankwaffen:
Vapen, svenska militära blankvapen (UTF-8)




Man nennt das auch "Gå på"-Taktik also ungefähr so viel wie "Auf sie".
Kann man denn sagen, dass die Schweden sich diese Konzentration auf den Nahkampf auf Grund ihrer überlegenen Bewaffnung leisten konnten. Hab gelesen dass einfache Infanteristen im russischen Heer nur über Bajonett und wenn dann höchstens noch ein Kurzschwert verfügten. Auch die Infanteriedegen im dän.-norw. Heer sollen ein gutes Stück kürzer gewesen sein als bei den Schweden.
.

Bei den Russen waren zu Beginn des Krieges einzelne Einheiten statt mit dem Tüllenbajonett mit Spießen bewaffnet, ähnlich den Spontons die noch im Siebenjährigen Krieg verwendet wurden. Nach dem Debakel von Narwa, wurden die Truppen mit Bajonetten und neuen Musketen aus ausgestattet, die Peter I. während seines Aufenthaltes in England aufkaufen ließ.

Was die Ga- Pa Taktik der Schweden betrifft, denke ich, dass sie weniger durch die bessere Bewaffnung, als die straffere Disziplin und das höhere Selbstbewusstsein der Truppe einen Vorteil gegenüber den Dänen, Russen und Sachsen besaßen.
 
@ muhelijo
Das wäre toll. Schwedisch lern ich seit 1 1/2 Jahren. Also es geht so. Und Norwegisch kann ich ein paar Brocken. Aber wenn der Text nicht zu schwer ist arbeite ich mich da schon durch. ;)

Hätte auch noch eine ganz gute Seite zu schwedischen Blankwaffen:
Vapen, svenska militära blankvapen (UTF-8)






Man nennt das auch "Gå på"-Taktik also ungefähr so viel wie "Auf sie".
Kann man denn sagen, dass die Schweden sich diese Konzentration auf den Nahkampf auf Grund ihrer überlegenen Bewaffnung leisten konnten. Hab gelesen dass einfache Infanteristen im russischen Heer nur über Bajonett und wenn dann höchstens noch ein Kurzschwert verfügten. Auch die Infanteriedegen im dän.-norw. Heer sollen ein gutes Stück kürzer gewesen sein als bei den Schweden.

Was mich auch interssieren würde: Wurde den Soldaten dieser Zeit in Europa der Nahkampf mit Bajonett oder Degen bei der Ausbildung beigebracht. Also Marschieren und Salven abgeben etc. ist mir schon klar. Aber gab es zu der Zeit noch sowas wie die Fechtbücher im 16. Jh. und hatte so etwas eine Relevanz bei der Ausbildung.

Sehr informative Beiträge und ein vielversprechender Einstand! In diesem Themenbereich kann etwas frischer Wind nicht schaden. :winke:
 
Die Stellungen der Russen waren bei Poltawa noch besser als bei Narva, außerdem spielte bei Narva ja auch noch der Schneesturm mit hinein. Meines Erachtens tragen immer wieder ganz bestimmte Komponenten (wie hier bei Narva der Sturm, die Munitionsknappheit der Russen, die mangelnde Erfahrung der Russen) eine große Rolle, dass es zu so extremen Gegensätzen an Verlusten auf beiden Seiten kam.
So schlecht wie die Sachsen und Polen scheinen sich m.E. die Russen auch nie geschlagen zu haben.

Ein anderer als Karl XII. hätte so einen Angriff direkt frontal in die feindlichen Schanzen mit unterlegenen Kräften wohl auch als reines Himmelfahrtskommando abgestempelt. Karl machte ja im Prinzip einfach nur, was Peter bei Poltawa von ihm erhoffte. Wirklich eigenwillig.


Bei Narwa ging bei den Russen ziemlich alles schief, und der Zar war daran nicht unschuldig. Der Oberbefehlshaber Herzog von Croy sprach kaum Russisch und kannte die Offiziere kaum. Dazu soll er dem Alkohol sehr zugetan gewesen sein. Ein Lästermaul, der Baron von Langen schrieb an August von Polen, dass Narwa jetzt bald fallen müsste, da Croys Hausbar fast leer war. Croy war seit dem frieden von Karlowitz 1699 arbeitslos. Ihm wurde der Oberbefehl vom Zaren förmlich aufgedrängt, und er erkannte die Schwäche der russischen Aufstellung, die auch Karl auffiel, konnte sich aber nicht durchsetzen wegen seiner mangelnden Sprachkenntnisse. Seine Soldaten behandelte er weit besser, als die meisten Kollegen, zog es aber vor, sich von den Schweden gefangen nehmen zu lassen, als die russischen Muskoten lamentierten "Die Deutschen haben uns verraten". Wäre seine ernennung zwei wochen früher erfolgt, hätte er vielleicht das Verhängnis abwenden können. Unter den Umständen war er allerdings total überfordert.

Croy überdauerte übrigens seine zahlreichen Gläubiger um mehr als 100 Jahre, nach seinem Tod wurde sein Leichnam in alkohol eingelegt, und der mumifizierte Körper wurde zu einer Revaler Sehenswürdigkeit. Der Balte Werner Bergengruen verwertete Croys Schicksal in seiner Erzählung "Der Tod in Reval".
 
@ muhelijo
Das wäre toll. Schwedisch lern ich seit 1 1/2 Jahren. Also es geht so. Und Norwegisch kann ich ein paar Brocken. Aber wenn der Text nicht zu schwer ist arbeite ich mich da schon durch. ;)

Hätte auch noch eine ganz gute Seite zu schwedischen Blankwaffen:
Vapen, svenska militära blankvapen (UTF-8)




Man nennt das auch "Gå på"-Taktik also ungefähr so viel wie "Auf sie".
Kann man denn sagen, dass die Schweden sich diese Konzentration auf den Nahkampf auf Grund ihrer überlegenen Bewaffnung leisten konnten. Hab gelesen dass einfache Infanteristen im russischen Heer nur über Bajonett und wenn dann höchstens noch ein Kurzschwert verfügten. Auch die Infanteriedegen im dän.-norw. Heer sollen ein gutes Stück kürzer gewesen sein als bei den Schweden.

Was mich auch interssieren würde: Wurde den Soldaten dieser Zeit in Europa der Nahkampf mit Bajonett oder Degen bei der Ausbildung beigebracht.

Der Degen war Kennzeichen des Offiziers, und gemeine Soldaten wurden kaum im fechten mit dieser Waffe ausgebildet. Der Umgang mit einer Hiebwaffe ist leichter zu erlernen, und in den meisten Armeen wurde vorrangig Kampf mit aufgepflanztem Bajonet aber auch mit einer Hiebwaffe wie Entermesser/ Säbel trainiert. bei den Preußen trugen Unteroffiziere kurze Säbel, die Friedrich II. seinen Soldaten bei Leuthen abzunehmen drohte, sollten sie nicht aggressiv kämpfen. Allerdings trainierte man meist mit einem Eschenstock, der mit einem Korb als Handschutz versehen war. Dieser Stockkampf mit dem "single stick, den T. Roosevelt ausübte, war kurzzeitig sogar einmal olympische Disziplin.

auch wenn der Fortschritt der Waffentechnologie den Angriff mit kalten Waffen zu einem Anachronismus machte, hielt man bis heute in vielen Armeen daran fest. im 1. Weltkrieg erinnerte sich Wilfried Owen an seine Grundausbildung. Als Scharfschützentrainer agierte ein bekannter Sportsmann und Großwildjäger, doch den nachhaltigsten Eindruck hinterließ ein Major und "Sohn der Highlands" der beim Thema Bajonett in eine "blutrünstige Eloquenz geriet.
 
Hatten bei den Preußen nicht auch die Mannschaften Säbel?

Für alle, die sich der Grundlagen nicht bewusst sind: Im Gegensatz zum Degen war der Umgang mit dem Säbel deshalb einfacher, da man dabei nicht 'ziehen' muss, um zu schneiden. Und der Schnitt, den beim Säbel die Krümmung der Waffe besorgt, ist effektiver als der Hieb, der ohne Schnitt trifft. Deshalb galten Säbel im deutschen Strafrecht lange als hinterhältige Waffe galt, wenn ich mich recht erinnere. Ein -oft längerer- Degen hat dann natürlich einen gewissen Vorteil beim Stich, aber die Handhabung war eben komplizierter.
 
Nennenswert wären an dieser Stelle wohl noch die in der schwedischen Armee (und so weit ich weiß auch in der russischen) verwendeten Piken. Zumindest zu Beginn des Krieges soll noch fast 1/3 der schwedischen Linieninfanterie mit diesen ausgerüstet gewesen sein. Es gab auch spezielle Formationen und Anweisungen wie die Pikeniere z.b. einem Angriff begegnen sollten. In der Linienformation folgten auf 2 Reihen Musketiere (gehockt und geduckt) 2 Reihen Pikeniere (nach vorne gebeugt, Pike gegen den Fuß gestemmt, Degen in der freien Hand) und noch einmal 2 Reihen Musketiere.
Obwohl zu dieser Zeit veraltet, fügte sich diese Waffe wohl gut in die agressive schwedische Taktik. Scheint aber als wäre der Große Nordische Krieg das letzte Einsatzgebiet in Europa gewesen.


Scorpio:
Der schwedische Schlachtplan bei Poltawa sah im Grunde die gleiche Taktik wie bei Narwa vor: die russische Linie an einem Punkt zu durchbrechen und dann die Front aufrollen.
Auch wenn Karl nicht verwundet gewesen wäre und Rehnskold und Lewenhaupt ihre gegenseitigen Animositäten begraben und den Schlachtplan besser koordiniert hätten, ist zu bezweifeln, dass die Schweden damit erfolgreich gewesen wären. Dass die russische Armee ein Gegner anderen Kalibers geworden war, als zur Zeit der ersten Schlacht bei Narwa 1700 zeigte sich bereits einige Jahre später, als die Russen schwedische Stützpunkte in Livland eroberten, während Karl XII. in Polen Krieg führte.
Aber trotdem bemerkenswert, dass Peter obwohl er über mehr als doppelt so viele Soldaten verfügte wie Karl, seiner Armee scheinbar keine offene Feldschlacht zutraute. Die entscheidenden Faktoren denke ich waren auf Seite der Russen die vorgelagerten Schanzen, die den Überraschungseffekt den die Schweden bei Narwa hatten, zunichte machten und für viel Verwirrung und auch Verluste sorgten. Und auf Seiten der Schweden natürlich das Versagen des Generalstabs alle Einheiten zu den ihnen zugeteilten Positionen zu bringen. Die schwedische Kavallerie drohte ja zeitweise die russische zu überollen aber es fehlte einfach der Nachschub um diesen Moment zu nutzen. Man kann wohl wirklich sagen dass die Schweden das Glück verlassen hat, so viel wie an diesem Tag schief lief.
 
Zuletzt bearbeitet:
Jetzt habe ich nochmal ein bischen gestøbert, beim schwedischen Wiki findet sich ja so einiges:

Karoliner - Wikipedia

Demnach finden wir die Bewaffnung mit dem "Värja" (Wiki hat keine adæquate Uebersetzung in's Deutsche, im Englischen: Small sword)bestætigt, siehe die diversen Abbildungen. (s. Knötel, s. Uniformen bei der Festung Halden - die Dænen demnach uebrigens ohne)

Weiter unten dann ein ganzer Haufen Literaturhinweise, klingt sehr spannend!

Webseiten:

Välkommen
Bohus Elfsborghs Caroliner
carolinen

Kønnte sich lohnen, den einen oder anderen anzuschreiben!

Gruss, muheijo
 
Aber trotdem bemerkenswert, dass Peter obwohl er über mehr als doppelt so viele Soldaten verfügte wie Karl, seiner Armee scheinbar keine offene Feldschlacht zutraute. Die entscheidenden Faktoren denke ich waren auf Seite der Russen die vorgelagerten Schanzen, die den Überraschungseffekt den die Schweden bei Narwa hatten, zunichte machten und für viel Verwirrung und auch Verluste sorgten. Und auf Seiten der Schweden natürlich das Versagen des Generalstabs alle Einheiten zu den ihnen zugeteilten Positionen zu bringen. Die schwedische Kavallerie drohte ja zeitweise die russische zu überollen aber es fehlte einfach der Nachschub um diesen Moment zu nutzen. Man kann wohl wirklich sagen dass die Schweden das Glück verlassen hat, so viel wie an diesem Tag schief lief.

Peter muss seiner Infanterie wohl schon einiges zugetraut haben, doch versuchte er 100%ig sicherzugehen. Bereits bei Golotschin und Lesnaja ließ er ermitteln, wie sich bestimmte Regimenter im Kampf verhielten. Bei Poltawa steckte Peter seine Garderegimenter Preobraschenski und Semenowski absichtlich in graue Uniformen, die in der russischen Armee nur von Rekruten getragen wurden, um die Attacke der schwedischen Infanterie auf diese zu lenken. Ich habe die exakte Fundstelle nicht spontan parat, doch bin ich mir sicher, dass ich das bei Massie, Peter the Great gelesen habe.
 
Zurück
Oben