Gründungssage Potsdam - Quellen und historische Belegbarkeit

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Hallo,

in der von Karl v. Reinhard ("Sagen und Märchen aus Potsdams Vorzeit", z.B. 5. Aufl. 1888) veröffentlichten Gründungssage für Potsdam ist u.a. die Rede vom "mächtigen Wilzan, der in der festen Burg zu Dragowit wohnte". Ich bin Laie, kenne mich aber grob in der Geschichte der Mark Brandenburg aus und nehme an, daß Herrn v. Reinhard hier ein Fehler unterlaufen ist, und er den Fürsten Dragowit meint, der eventuell während seiner vielen "Herrschafts"jahre die Burg Brennabor bewohnt hat. Liege ich mit dieser Annahme richtig?

Inwieweit sind die Quellen bekannt, auf die Karl v. Reinhard sich hier stützt? Er hat ja allgemein eine recht tendenziöse Schreibweise (die bösen, dunkeläugigen und dunkelhaarigen Slawen haben die guten, blauäuigen, blonden, hochgewachsenen Germanen aus den Gebieten der heutigen Mark Brandenburg blutrünstig mittels Mord und Totschlag vertrieben ...). Ist die Sage auch nur ansatzweise historisch belegbar?

Er schreibt ja, "Oft erwähnen alte Chroniken des Volksstammes der Chocini und erzählen gar mancherlei von deren Amhänglichkeit und Liebe zu ihrem Fürsten." Stimmt das? Welche Chroniken kann er meinen?

Und welche drei Inseln in der Havel sind gemeint?

Vielen Dank im Voraus.

B. Cohn
 
Gast schrieb:
in der von Karl v. Reinhard ("Sagen und Märchen aus Potsdams Vorzeit", z.B. 5. Aufl. 1888) veröffentlichten Gründungssage für Potsdam ist u.a. die Rede vom "mächtigen Wilzan, der in der festen Burg zu Dragowit wohnte".
Die Sage ist hier zugänglich:
http://www.sagen.at/texte/sagen/deutschland/brandenburg/gruendunpotsdam.html
Gast schrieb:
Ich bin Laie, kenne mich aber grob in der Geschichte der Mark Brandenburg aus und nehme an, daß Herrn v. Reinhard hier ein Fehler unterlaufen ist, und er den Fürsten Dragowit meint, der eventuell während seiner vielen "Herrschafts"jahre die Burg Brennabor bewohnt hat. Liege ich mit dieser Annahme richtig?
Nein,
Dragowit
Zu anno 789 als Fürst (rex) der Wilzen erwähnt. Vor seiner Burg (civitas Dragowiti, wohl Brandenburg/Havel) endete der fränkische Feldzug des gleichen Jahres gegen die Wilzen, den KARL DER GROSSE persönlich anführte. Dragowit soll die anderen "reguli" der Wilzen an "vornehmer Abkunft, Ansehen und Alter" übertroffen und seiner Herrschaft seit den Zeiten Karl Martells (princeps Carolus) geführt haben. Die Form seines Namens deutet auf sorbische oder gar böhmische Abkunft. Vermutlich begründete er jene slavische Dynastie, die erst Mitte des 12. Jh. mit Pribislav Heinrich, dem König der Heveller, erloschen ist.
http://www.genealogie-mittelalter.de/heveller_fuersten/dragowit_fuerst_der_wilzen.html

Gast schrieb:
Inwieweit sind die Quellen bekannt, auf die Karl v. Reinhard sich hier stützt?
Er nennt Namen und Orte, die nachprüfbar sind. Was er daraus strickte, ist die Form des späten 19. Jh.
Gast schrieb:
Er hat ja allgemein eine recht tendenziöse Schreibweise (die bösen, dunkeläugigen und dunkelhaarigen Slawen haben die guten, blauäuigen, blonden, hochgewachsenen Germanen aus den Gebieten der heutigen Mark Brandenburg blutrünstig mittels Mord und Totschlag vertrieben ...). Ist die Sage auch nur ansatzweise historisch belegbar?

Das ist der Stil des 19. Jh. Slawen wurden so dargestellt.
Es gibt, wie gesagt, Namen und Orte, die historisch nachprüfbar sind.

Gast schrieb:
Er schreibt ja, "Oft erwähnen alte Chroniken des Volksstammes der Chocini und erzählen gar mancherlei von deren Amhänglichkeit und Liebe zu ihrem Fürsten." Stimmt das? Welche Chroniken kann er meinen?

Das bleibt sein Geheimnis, entspricht aber dem Stil der Gründungssagen des 19. Jh.

Gast schrieb:
Und welche drei Inseln in der Havel sind gemeint?

Da bin ich als Ortsunkundiger überfragt.

Zu dem Komplex Ursprungssage Potsdam gibt es sicher in der regionalen Literatur entsprechende Arbeiten. Ich würde mich da mal an eine Bibliothek wenden.

Zu den historischen Daten noch einige Hinweise:

http://www.preussenweb.de/potsdam.htm

http://www.bldam.brandenburg.de/sixcms/detail.php?id=187379&template=archd1
 
Hallo Mercy,

danke für die Links, von denen mir einige schon bekannt waren.

Vor seiner Burg (civitas Dragowiti, wohl Brandenburg/Havel) endete ...

Brennabor ist doch ein alter Name für Brandenburg. Wenn also v. Reinhard schreibt "zu Dragowit", dann meint er womöglich zumindest Brennabor, wenn auch der genannte "Wilzan" nicht unbedingt Dragowit persönlich gewesen sein muß - immer vorausgesetzt, die ganze Sage ist nicht komplett aus den Fingern gesogen und nur mit historisch nachprüfbaren Orten und Namen "dekoriert", um Authentizität vorzugaukeln.

Das bleibt sein Geheimnis, entspricht aber dem Stil der Gründungssagen des 19. Jh.

Bei den Gründungssagen des 19. Jh. war es also allgemein üblich, auf nicht genauer genannte "alte Chroniken" etc. zu verweisen, um die Story glaubhafter zu machen? Sollte ich besser davon ausgehen, daß es sich mehr um eine Art Lokal-Kunstmärchen handelt als um eine im Kern tatsächlich überlieferte Sage, die Herr v. Reinhard mit den damals üblichen stilistischen Mitteln aufgepeppt hätte?

Was den Tipp mit den Bibliotheken angeht - hab erstmal versucht, mir die Mühe zu sparen, falls hier zufällig Experten aus der Region schreiben. :) Aber als nächste wühle ich in den Online-Karteien, klar.

Beste Grüße

B. Cohn
 
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