Grundgesetzänderung: Art.16GG

Simon

Mitglied
Ich wollte gern wissen wie Art.16GG vor der Änderung aussah, aus welchen Gründen er geändert wurde(zumindest welche gründe offiziel genannt waren) und wie die 2/3 Mehrheit zur verfassungsänderung zusammen kam.
Ich war damals mit 4/5 Jahren leider noch zu jung um die debatte zu verfolgen^^
 
welche änderung meinst du,
1993, streichung absatz 2, 2. satz (asylrecht) und einfügung eines neuen, ausführlichen artikel 16a zum asylrecht bundesgesetzblatt I 1002
oder 2000, einfügung eines neuen 2. satzes in absatz 2 (auslieferung deutscher in eu-staaten), bundesgesetzblatt I 1633, ??

hier die urfassung, wie sie von 49 bis 93 galt:
A r t i k e l 16​
(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.
(2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

und die aktuell gültige fassung (16 und 16a):
Artikel 16 [Verbot der Ausbürgerung, Auslieferung]

(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird. (2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind. http://www.geschichtsforum.de/
Artikel 16a [Asylrecht]

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. (2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden. (3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird. (4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen. (5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Bezieht sich also die Verschärfung des Gesetzes auf die Einschränkung der Staaten, aus denen man kommen darf um Asyl zu beantragen?
Hatte die Kohlregierung damals eine 2/3 Mehrheit?Oder wie kam sie sonst zustande? Es müsste ja noch SPD zugestimmt haben.


Noch eine Frage: welches Gesetz regelt das Asylrecht näher-sprich Bleiberecht regelung, duldung usw.
 
Hatte die Kohlregierung damals eine 2/3 Mehrheit?Oder wie kam sie sonst zustande? Es müsste ja noch SPD zugestimmt haben.

Haben die auch damals. Es war auch eine vieldiskutierte und umstrittene Grundgesetzänderung.

Noch eine Frage: welches Gesetz regelt das Asylrecht näher-sprich Bleiberecht regelung, duldung usw.

Sehr aktuelles und kompliziertes Thema, für Einzelheiten empfehle ich eher Rechtsforen. Seit 2004 gibt es aber dafür das Zuwanderungsgesetz. Hier der Wiki-Artikel:

http://de.wikipedia.org/wiki/Zuwanderungsgesetz
 
Bezieht sich also die Verschärfung des Gesetzes auf die Einschränkung der Staaten, aus denen man kommen darf um Asyl zu beantragen?
Hatte die Kohlregierung damals eine 2/3 Mehrheit?Oder wie kam sie sonst zustande? Es müsste ja noch SPD zugestimmt haben.
Noch eine Frage: welches Gesetz regelt das Asylrecht näher-sprich Bleiberecht regelung, duldung usw.

um nicht in den geruch der tagespolitik zu kommen: in seiner ursprungsfassung war das deutsche asylrecht nach art. 16 gg das liberalste der welt. 1949 waren die erfahtrungen noch frisch, die etliche politiker 1933 selbst machen mussten, als sie vor den nazis geflüchtet sind. man konnte sich aber auch nicht vorstellen, dass mehr als 3 mio. menschen asylanträge stellen würden (allein 1992 438.000 , quelle: teilstatistik_asyl+migration bamf, zahlen pro jahr auf seite 13).

seit den frühen achtzigern dachte man deshalb an eine verschärfung des asylrechts, aber erst 1993 hatte man davon dann auch die spd überzeugt, deren zustimmung für eine grundgesetzänderung nötig war.

zu den rechtlichen rahmenbedingungen:
im asylverfahrensgesetz ist geregelt, wer zu den sog. sicheren drittstaaten (ausser den eu-mitgliedern) zählt, deren staatsangehörige zunächst keinen anspruch auf asyl haben. ausserdem, wenn ein asylbewerber aus diesen ländern in die bundesrepublik einreist, hat er ebenfalls erst einmal keinen anspruch auf asyl (asyl hätte er/sie ja auch dort stellen können).
desweiteren zählt das aufenthaltsgesetz und das asylbewerberleistungsgesetz zu den gesetzlichen grundlagen des asylrechts.
 
Die damaligen Änderungen kann man kurz so zusammenfassen:

1. Das Asylrecht ist praktisch abgeschafft. Es wird nur noch selten geprüft, ob Antragsteller (falsch "Bewerber"; denn eine Bewerbung setzt voraus, dass es im freien Ermessen des Empfängers steht, diese anzunehmen oder zu verwerfen) Gründe hat, die seinen behaupteten Rechtsanspruch begründen. Stattdessen wird in der Regel mit Hinweis auf den über einen "sicheren Drittstaat" führenden Fluchtweg das Begehren abgelehnt. Ob ein Drittstaat sicher ist wird zudem nicht jeweils gerichtlich überprüft sondern von der Bundesregierung per Rechtsverordnung gewillkürt.

Für den Fall, dass es ein Antragsteller schaffen sollte, ohne das Gebiet eines "sicheren Drittstaates" zu berühren, Deutschland zu erreichen, werden die Fluggesellschaften und Reedereien mit massiven Nachteilen eingeschüchtert, die ihre Existenz bedrohen.

2. Zunächst wurden Gesetze gemacht, die verfassungswidrig waren. Sie wurden trotzdem angewandt. Erst danach wurde die Verfassung (Grundgesetz) der bereits beschlossenen bis dahin verfassungswidrigen Lage der einfachen Gesetzgebung angepasst.

3. Es wurde viel Stimmung mit falschen Statistiken gemacht.

So wurde immer wieder behauptet, Deutschland hätte einen besonders hohen Anteil an politischen Flüchtlingen aufgenommen. Das war schlicht gelogen. Es wurden sowohl "heimatlose Ausländer" (in Deutschland verbliebene ehemalige NS-Zwangsarbeiter aus dem Ausland) mitgezählt, als auch jedem Antragsteller pauschal mehrere Familienangehörige zugerechnet. Tatsächlich wurden in den meisten Fällen aber für jedes Familienmitglied eigene Anträge gestellt, soweit die Antragsteller nicht alleinreisende junge Männer (das Gros der Antragsteller) waren.

Es wurde allmonatlich eine Anerkennungsquote in der Tagesschau verkündet. Der statistische Ansatz war aber falsch. Während Asylantragsverfahren mit Anerkennung, Ablehnung oder anderweitiger Erledigung enden konnten, wurden hier die anderweitigen Erledigungen als Ablehnung gewertet. Dies war falsch, weil viele anderweitige Erledigungen durch Weiterwanderung in aufnahmefreundlichere Länder (z.B. USA, Kanada) zustande kamen; andere durch den Tod des Antragstellers. Statistisch wurde damit ein Asylantrag als unberechtigt gewertet, wen der Antragsteller von Rechtsradikalen erschlagen wurde. Ausgewertet wurden die noch gar nicht bestandskräftigen Entscheidungen des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (für die Ablehnung hätte es übrigens eher getrofen). Zwar konnte auch der Beauftragte der Bundesregierung bei diesem Amt Entscheidungen angreifen; in der Regel wurden aber ablehnende Bescheide von den Flüchtlingen selbst angegriffen. Ein erheblicher Teil dieser Rechtsmittel hatte Erfolg.

Zudem wurden die in einem Zeitraum ergangenen Entscheidungen mit der Anzahl der Neuanträge im selben Zeitraum verglichen. Da Asylantragszahlen naturgemäß stark schwanken - je nach dem Auftreten dramatischer politischer Ereignisse in den jeweiligen Herkunftsländern - führt dieser unsaubere Vergleich zu sehr starken Verwerfungen. Richti wäre allein Ein Vergleich der rechtskräftigen Entscheidungen auf Anträge aus einem Zeitraum, wobei stehts eine Zahl für die noch schwebenden Verfahren mitzuführen gewesen wäre.

Ich selbst habe damals für Amnesty International einen Vergleich mit österreichischen Daten seit Ende des II. Weltkrieges durchgerechnet und habe als höchste Anerkennungsquote dort 1100% ermittelt. Dies mag zeigen, dass hier Zahlen miteinander verglichen wurden, die nicht miteinander korrelieren.

Es wurde zugleich massiv Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht. Es wurde gegen "Asylanten" skandiert. Dieses Wort war ursprünglich ein Schmähwort politischer Kräfte, die diesen Menschen nichts Gutes wollten und hat sich inzwischen praktisch zum Normalwort für Asylantragsteller entwickelt. Die negative Knotation ist aber geblieben. "Wirtschaftsflüchtling" wurde als anklagendes Etikett besetzt. Diese Sicht setzt voraus, dass man die oft noch existentielleren Fluchtgründe dieser Gruppe verdrängt. Die Botschaft dieses Wortes könnte man so fassen: "Wer lediglich aus Angst vor dem Verhungern nach Deutschland flieht, will uns nur ausnutzen."

Dass damals die SPD mitgewirkt hat, dürfte schlicht einem massiven öffentlichen Druck geschuldet sein, der über Jahrzehnte beharrlich insbesondere von der CSU aufgebaut worden war.

Unrühmlich war wieder einmal die Rolle des Bundesverfassungsgerichts, das es nicht vermocht hat, die Verfassung vor Verfassungsfeinden in den Institutionen zu schützen.

Das Alles ist nun rund 20 Jahre her und damit Geschichte. Wie alles in der Geschichte wirkt es aber fort.
 
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