Die Frage von Additionen ist nicht der Punkt. Es geht im wesentlichem um die Frage einer politischen Justiz und dem Selbstverständnis, das die größtenteils in der Monarchie noch sozialisierten und ausgebildeten Richter in der Weimarer Republik aufwiesen (vgl. dazu die Darstellung bei Senfft)
Das Problem beschreibt Jasper im Kontext von Gumbel zutreffend.
G. Japer schreibt:
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Die Milde bei der strafrechtlichen Bewältigung des Kapp-Putsches stand in denkbar scharfem Gegensatz zu der rigorosen Bestrafung der Aufständischen in der Münchner Räterepublik und korrespondierte überdies mit der Nichtverfolgung der politischen Morde an linken Politikern. Schon 1921 hatte Emil Julius Gumbel durch eine aufsehenerregende Broschüre diese unterschiedliche Behandlung der politischen Morde namhaft gemacht und die Einseitigkeiten bei der juristischen und disziplinarischen Liquidierung des Kapp-Putsches im Vergleich zu den kommunistischen Aufstandsversuchen belegt. Gumbel zählt insgesamt 15 von links begangene Morde, die mit 8 Hinrichtungen und im Durchschnitt 14 Jahren Einsperrung geahndet wurden, während auf 314 Morde von rechts nur durchschnittlich 2 Monate Einsperrung entfielen, weil rund 90% dieser Morde ungesühnt blieben und nur 22 einer teilweisen Strafe zugeführt wurden16 . Die Erhebungen des Heidelberger Privatdozenten für Statistik wurden durch eine Denkschrift des Reichsjustizministeriums unter Gustav Radbruch bestätigt. Bezeichnenderweise konnte diese Denkschrift nicht von Reichs wegen veröffentlicht werden, weil angeblich kein Geld zur Verfügung stand. Gumbel selbst publizierte sie 1924 auf eigene Kosten.
Daß so viele Morde an Linken ungesühnt blieben, ist gewiß nicht nur den Gerichten anzulasten. Vielfach fehlte es schon an der notwendigen Energie der ermittelnden Strafverfolgungsbehörden. Spektakulär, aber keineswegs alleinstehend, ist in diesem Zusammenhang der Fall des späteren Reichsanwalts Jorns, der als Kriegsgerichtsrat die ermittelnden Voruntersuchungen gegen die Mörder von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht geführt hatte. Ihm konnte in einem Beleidigungsverfahren 1929 nachgewiesen werden, daß er wichtige Spuren, die zur Aufklärung hätten dienen können, nicht aufgenommen hatte, daß er ferner Verdachtsmomente durch verfälschende Protokolle verwischte und Zustände duldete, die geeignet waren, das Untersuchungsergebnis zu gefährden. Zwei Gerichtsinstanzen kamen daher zu dem Urteil, er habe den Tätern Vorschub geleistet."
15 Vgl. dazu ebenda, S. 77 ff. Auszüge aus dem Wortlaut des Urteils des Reichsversorgungsgerichtes S. 80 ff. 16 Emil Julius Gumbel, Zwei Jahre politischer Mord, Berlin 1921, S. 54. Die bereits 5. Auflage erschien 1922 unter dem Titel „Vier Jahre politischer Mord", sie ist als Faksimile-Druck in Heidelberg 1980 neu erschienen. Zur Denkschrift des Reichsjustizministeriums siehe auch Gustav Radbruch, Der innere Weg, Göttingen 1961, S. 112. "
Zudem ist kritisch anzumerken, dass Gumbel massiv wegen seiner kritischen Sicht auf den rechtsextremen Terror angefeindet wurde und eine Kampagne gegen ihn von Seiten "konservativer Patrioten" gestartet worden ist, die seinen - tadellosen - Ruf beschädigt hatte. So wurde gegen Kritiker der Rechtsbeugung durch die Justiz in der Weimarer Republik bereits noch zu Zeiten der WR vorgegangen und sie letztlich in die Immigration gezwungen (vgl. Maier-Metz, S. 28ff)
Heinrich Senfft:
http://www.kritische-polizisten.de/...olitische_Justiz_in_der_Weimarer_Republik.pdf
G. Jasper:
https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1982_2_1_jasper.pdf
Bracher, Karl Dietrich (1984): Die Auflösung der Weimarer Republik: Hans Herzfeld. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie. Düsseldorf: Droste Verlag, (besonders S. 172 ff)
Fraenkel, Ernst (1968): Zur Soziologie der Klassenjustiz und Aufsätze zur Verfassungskrise 1931-32. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Gumbel, Emil Julius (1924): Denkschrift des Reichsjustizministers zu "Vier Jahre politischer Mord";. Berlin: Malik-Verlag.
Maier-Metz, Harald (2015): Entlassungsgrund: Pazifismus. Albrecht Götze, der Fall Gumbel und die Marburger Universität 1930-1946. Münster, Westf: Waxmann