Hamburg in den 1930er Jahren, Geschichte der SA und SS

BerndHH

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Moin, Moin,
Mein Name ist Bernd. Ich schreibe z.Z. an einem umfangreichen Roman, welcher die Innenansichten der SS zum Thema hat. Aus diesem Grund liegt mein Fokus auf der Zeit der 1930er Jahre, die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg, die Kampfzeit bis zur Machtergreifung 1933, bishin zur detaillierten Geschichte der SA und SS in Hamburg.

Um ein möglichst authentisches Bild der damaligen Zeit zu treffen und den Zeitkolorit dieser Epoche hautnah schildern zu können, habe ich eine Detailrecherche begonnen, die bereits jetzt an ihre Grenzen gestoßen ist.
Meine Fragen berühren weniger den politischen als vielmehr den soziologisch-gesellschaftlichen Bereich, also um der Denkweise z.B. eines Hafenarbeiters aus Altona, eines Kolonialwarenhändlers etc. näher zu kommen.

Folgende Themenkomplexe
Massenarbeitslosigkeit in den Jahren 1932 und 1934 in Hamburg
Situation der Arbeitslosen, Beschreibung ihres Lebensalltages
Höhe des Arbeitslosengeldes, Möglichkeit der Nebenbeschäftigung, etc

Lehre im Kaffeehandel
Der Protagonist des Romans beginnt im Jahr 1932 eine Lehre im Kaffeegeschäft (Import, Röstung und Vertrieb von Kaffee) seines Vaters. Inwieweit ist dies mit dem heutigen Ausbildungsberuf des Außenhändlers vergleichbar? Über die damaligen Röstverfahren, Speicherstadt, etc. darüber gibt es genügend Quellen aber leider nicht über eine Ausbildung in dieser Zeit. Wie hat man sich das vorzustellen?

Geschichte der SA und der SS in Hamburg
Diese Thematik scheint auch nur sehr unzureichend erforscht zu sein. Schlagwortartig tauchen immer wieder bestimmte Begriffe wie Schlacht an der Sternschanze (1930), Heinrich Dreckmann, Altonaer Blutsonntag (1932, hier gibt es gute Quellen), der Richter-Sturm in Altona und der Name einiger SA-Sturmlokale wie "Zur Lornsenburg", "Adler-Hotel", etc.auf. Es ergibt sich jedoch keinerlei Gesamtbild, welches einen ein naturgetreues Bild dieser Zeit zeichnet.

Eine Ungereimtheiten ist, dass Hamburg sich stets als hanseatisch freie Stadt gesehen hat, wo die NSDAP eine relativ geringe Wählerschaft in der Reichstagswahl für sich gewinnen konnte. Hamburg war die Hochburg der SPD und der KPD, hier waren Thälmann und der Rotfrontkämpferbund sehr aktiv, so dass es für die Nazis anscheinend sehr schwer war, hier Anhängerschaft zu finden.
Dennoch stieg die Zahl der SA-Männer im Jahr 1932 explosionsartig auf
4.200 Mann und erreichte damit ähnliche Stärken wie in Berlin, München, Nürnberg. War das vor oder nach dem Altonaer Blutsonntag?
Kurzzeitig war die SA immer wieder mal verboten und musste sich dann wieder neu organisieren. Dennoch stieg ihre Zahl 1932 rapide an. Hängt das mit den Arbeitslosenzahlen zusammen? Doch die erreichte doch erst 1933 ihren Höhepunkt.
So ganz schlüssig ist das Bild nicht.

Über die Anfänge der SA kann ich auch nur vage Vermutungen anstellen. Begann es vielleicht schon 1919 während der Sülzeunruhen, als Bahrenfelder Freiwillige und später das Lettow-Korps gegen die aufständischen Arbeiter vorging? Entstanden so die ersten Freikorps, die schwarze Reichswehr und daraus dann die ersten SA-Stürme. War es Paul Moder, der als NS-Agitator nach Hamburg ging und hier Anhänger für den Nationalsozialismus warb?

Über die Geschichte der SS ist noch weniger bekannt. Die SS-Standarte "Germania" wurde 1934 in Hamburg-Veddel auf dem Gelände der Auswandererhallen/Ballinstadt aufgestellt. Das war es dann schon.

Vielleicht gibt es unter Euch ja Experten, welche diese offenen Fragen beantworten können. Würde mich sehr freuen.

Gruss,
Bernd
 
vielleicht nützt es Dir, nach Ursula Büttner zu suchen, sie scheint sich in ihren Büchern viel mit Hamburg in dem gesuchten Zeitraum beschäftigt zu haben. Als Beispiel der Titel:
"Hamburg in der Staats- und Wirtschaftskriese 1928-1931"

eventuell könnte diese Seite Dir auch weiter helfen: (zumindest die Literaturliste)
unter-hamburg e.V. - kommunistischer widerstand

Bei Wikipedia gibt es das WikiProjekt: Hamburg im Nationalsozialismus
 
Den beiden guten Hinweise möchte ich anfügen, dass hier der Blick in die Archive zu empfehlen ist.

Wenn man sich darauf etwas vorbereiten möchte, auch auf eine systematische Suche und auf Fundstellen, dann ist die zum Thema Hamburg vor/im Dritten Reich bzw. Nationalsozialismus reichlich vorhandene Literatur zu empfehlen.

Ansatzpunkte sind hier die Stadtgeschichte (siehe die Empfehlung zum Buch von Büttne oben im Beitrag von beetle, oder zB Büttner/Jochmann, Hamburg auf dem Weg ins Dritte Reich Entwicklungsjahre 1931-1933), Literatur zur Arbeiterbewegung oder Biographien zu Gauleiter (Publikation in der digital verfügbaren VfZ 1995, S. 267, Heft 2), SA-Gruppenführer, oder allgemein zur SA/SS/NS-Struktur, sogar Literatur zum regionalen Widerstand gegen den NS, in denen reichlich Hinweise auf Hamburg oder Norddeutschland zu finden sind.

Diese Puzzleteile müsste man sich zusammensuchen.
 
Interessantes Romanprojekt.

Einige "Splitter" zu Deinen Fragen.

Ausbildung der Lehrlinge:

Die duale Ausbildung | bpb

http://www.arbeitslehre.uni-wuerzbu...sch.d.Berufsausb._in_Deutschland-Greinert.pdf

Laß Deinen Lehrling also im dualen System seine Ausbildung antreten.

Ausnahmen gab und gibt es, z.B. wenn Dein Lehrling Abitur gehabt hätte.

Wenn Du es sehr genau brauchst, weil Dein Lehrling der Protagonist ist, dann müsstest Du die in 1930 geltende Handelskammer Prüfungsordnung in HH einsehen.

Hanseatisches Wirtschaftsarchiv - Handelskammer Hamburg

Weitere "Splitter" folgen, so Du magst, in loser Folge.


M.
 
bezüglich der Ausbildung in einer Kaffee-Rösterei: schreib doch mal an die Alt-Eingesessen Firmen, z. B. Darboven
 
Moinsen,
also Fischers Allee / Holstentwiete war auch ne SA-Kneipe, wenn ich mich richtig erinnere.

Zur Forschungsstelle: die haben eine gute Bib. man kann da aber nur über den Katalog suchen und dann musst du ein Zettel ausfüllen mit den Buchnr. drauf und dann wird es dir gebracht. Bei deinem Buchprojekt weiß ich nicht wie hilfsbereit die Frau Heinsohn oder die Wissenschaftlichen Mitarbeiter (Hatte zwei als Dozenten in einem HS) sind aber im allgm. sind sie alle sehr freundlich!

Kennst du schon das:
Stadtteilarchiv Ottensen - Geschichtswerkstatt Hamburg-Ottensen Altona

bei uns in Mottenburg??

Ich würde an deiner Stelle auch nochmal im Staatsarchiv - Stadt Hamburg
vorbeischauen. Dort findet man immer was!


Mfg tomcat
 
Hallo zusammen,

erst einmal ganz herzlichen Dank für die vielen, vielen kompetenten Antworten!!!
Ich habe auch gemerkt, dass man mit reiner Internetrecherche nur bis zu einem bestimmten Punkt kommt. Für weitere Details muss ich dann in die Archive und da habe ich jetzt von Euch sehr gute Anhaltspunkte bekommen.
Für die Links bin ich Euch sehr dankbar. Das hilft mir sehr!

Mir geht es gar nicht mal um die politischen Eckdaten der Weimarer Republik, sondern vielmehr um Alltag, Alltagsleben und Stimmung in der Arbeiterschaft, Lebenssituation von Arbeitslosen, im scharfen Kontrast dazu das Leben der reichen Kaufleute, etc.

Millieustudie von Barmbek
Wenn man Giordanos „Die Bertinis“ liest, dann entsteht ein völlig anderes Bild von Barmbek als bei mir. Bei Giordano - Arbeiterviertel aber auch Mittelstands-Stadteil, beim mir Slum. Ich zeichne ein extrem deftiges und liederliches Bild eines Elendviertels, wie es so in der Form wahrscheinlich gar nicht gegeben hat. Wenn man nach den Quellen geht, dann war Barmbeck ein Mischviertel, viele Geschäfte, Kinos aber auch lichtlose Hinterhöfe (die sogenannten „Barmbeker Terrassen“), kinderreiche Familien…also Licht und Schatten.
Bäckereien, deren Auslage überquillt und auf der Straße Arbeiterkinder mit leerem Magen als scharfer Kontrast. So stelle ich mir das zumindest vor.
Sicherlich ein überzeichnetes und eventuell verfremdetes Bild, doch braucht der Protagonist Triebkraft, einen knurrenden Magen, Hass auf die Bourgeoisie und eine starke Motivation, um genau dieser Armut zu entkommen. Und später in die SS einzutreten: noch extremer, noch radikaler, weltanschaulich geschult, eine neue Elite und eigene Welt, abgeschlossen vom Alltagsleben, kein proletarisches Schlägerimage, sondern die auserwählte Avantgarde einer neuen Epoche aber das ist wieder ein anderer Punkt.

Außenhandelslehre
@Melchior: bist Du sicher, dass es 1932 schon eine duale Lehre (Berufsschule + Büropraxis) gab? Ich tappe da noch vollkommen im Dunkeln.
Bestand die nicht nur aus reiner Praxis? Nach meiner Vorstellung musste der Lehrling das Geschäft von der Picke auf lernen. Ausladen des Rohkaffees in Säcken, Röstprozess und im Büro die Papierdokumentation. Das ist sicherlich auch das schwierigste Thema, denn wo soll man scharf abgrenzen, was es zu der damaligen Zeit schon gab und was nicht.
@Beetle: eine sehr gute Idee, Jacobs, Darboven, Rothfos sollte ich wirklich mal anschreiben

Anfänge der SA und SS in Hamburg
Altona war in 32 Ortsgruppen unterteilt, die in Zellen und Blöcke und Hausgruppen gegliedert waren. Der berüchtigte Obersturmbannführer Hubert Richter….
Hier will ich mir den Altonaer Richter-Sturm (Hubert Richter, Kaufmann, Große Bergstr. 103b) näher vornehmen. Da ich noch keine Detailquellen gefunden habe, ist Phantasie gefragt. Muss nur glaubwürdig sein. SA-Sturmlokal „Zur Lornsenburg“ (Besitzer Flath) und hier werde ich die Kameradschaftsabende, Versammlungen, Aufnahme neuer Mitglieder beschreiben.

Sowohl die Welt der SA als auch die der SS ist aus heutiger Sicht nur sehr schwer zu verstehen. Die Motivation der Anwärter, entweder der SA-Massenorganisation oder dem schwarzen SS-„Geheimbund“ beizutreten, sind vor dem Hintergrund von Arbeitslosigkeit, Hunger und Politikverdrossenheit nachzuvollziehen aber in meinem Text noch nicht.
Was mochte ihr Antrieb gewesen sein?

Bei der SA gab es Suppenküchen, Kameradschaft, Leibesertüchtigung, Singen und Marschieren aber das gab es beim Reichsbanner oder beim Rotfrontkämpferbund doch sicherlich auch, oder? Irgendetwas muss die jungen Männer, denen das zivile Leben keine Perspektiven aufzeigen konnte, ja mächtig beeindruckt haben.
Waren es ihre Märsche im Gleichschritt?
War es ihre zur Schau gestellte Kraft?
Waren es vielleicht die Lieder „Durch deutsches Land marschieren wir“, „Die Fahne hoch“ (Giordano hat das einmal erwähnt, dass ein Schuljunge mächtig Eindruck auf ihn gemacht hat, als er von anderen Schülern, die Embleme von Reichsbund und RFB zeigten, in die Enge gedrängt wurde und dann das „Horst-Wessel-Lied“ sang), ich bin immer noch nicht dahinter gekommen, was all diese Mythen genährt hat: die Blutzeugen, die alten Kämpfer von 1923, Horst Wessel, Goebbels unbekannter SA-Mann etc.

Irgendwo habe ich gelesen, dass die SA ähnlich wie eine Jugendgang organisiert war. Ein Anführer und seine Rowdies und Rabauken für das Grobe. In einer Dokumentation hieß es, dass hauptsächlich „Abschaum“, kriminelles Gesindel, etc. den Weg zur Sturmabteilung gefunden hatte. Das widerspricht aber, dass aus dem gut bürgerlichen Lager großer Zulauf kam. Passt irgendwie alles nicht zusammen.

Wodurch erklärt sich das eigentlich, dass die SA auf einmal 1932 in Hamburg so großen Zulauf hatte? Was haben sie den Leuten versprochen, was Reichsbanner und RFB nicht halten konnten? Möglicherweise hat aber ein Teil der Hamburger Arbeiterschaft nach dem Altonaer Blutsonntag 1932 gespürt, dass die Obrigkeit (Polizei und Reichswehr) mehrheitlich auf der Seite der Rechten stand.

Ich kann nur mutmaßen, komm aber an die Zeit nicht so richtig heran. Bislang kratze ich nur an der Oberfläche.

Besten Dank zunächst einmal.
Gruss,
BerndHH
 
@Melchior, sorry. Wer lesen kann ist klar im Vorteil.
Die von Dir genannten Quellen gehen auf die Gewerbeordnungsnovelle v. 1897 ein. Somit ist bewiesen, dass die duale Ausbildung keine Erfindung der Gegenwart ist.
 
Zum SA-Milieu würde ich auch die Tagebücher von Goebbels heranziehen. Die Sprache, seine Sichtweise auf Ereignisse und die Art der Bewertung der Ereignisse sind wichtig für das Verständnis der "Bewegung"

Vielleicht kannst Du mal die SPD in HH ansprechen. Wenn Du Glück hast, dann haben noch wenige Zeitzeugen aus der Zeit überlebt und es kann sehr spannend sein, denen zuzuhören, wie ich aus eigener Erfahrung weiss.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wodurch erklärt sich das eigentlich, dass die SA auf einmal 1932 in Hamburg so großen Zulauf hatte? Was haben sie den Leuten versprochen, was Reichsbanner und RFB nicht halten konnten?

Zur speziellen Lage in Hamburg habe ich keine Kenntnisse, aber vielleicht hilft eine Anlehnung an andere Darstellungen weiter:

Der unmittelbare Zulauf zur SA aus anderen Lagern ergab sich zB in Ostpreußen, Franken, Westfalen, Lippe usw. schlicht daraus, dass die Bezahlung und Verpflegung bei der SA auch in der zugespitzten Wirtschaftskrise kontinuierlich und jedenfalls noch besser lief als bei anderen Organisationen. So waren massenweise oder sogar abteilungsweise (!) Wechsel von der extremen Linken zur SA feststellbar.
 
Millieustudie von Barmbek
Wenn man Giordanos „Die Bertinis“ liest, dann entsteht ein völlig anderes Bild von Barmbek als bei mir. Bei Giordano - Arbeiterviertel aber auch Mittelstands-Stadteil, beim mir Slum. Ich zeichne ein extrem deftiges und liederliches Bild eines Elendviertels, wie es so in der Form wahrscheinlich gar nicht gegeben hat. Wenn man nach den Quellen geht, dann war Barmbeck ein Mischviertel, viele Geschäfte, Kinos aber auch lichtlose Hinterhöfe (die sogenannten „Barmbeker Terrassen“), kinderreiche Familien…also Licht und Schatten.
Bäckereien, deren Auslage überquillt und auf der Straße Arbeiterkinder mit leerem Magen als scharfer Kontrast. So stelle ich mir das zumindest vor.
Sicherlich ein überzeichnetes und eventuell verfremdetes Bild, doch braucht der Protagonist Triebkraft, einen knurrenden Magen, Hass auf die Bourgeoisie und eine starke Motivation, um genau dieser Armut zu entkommen. Und später in die SS einzutreten: noch extremer, noch radikaler, weltanschaulich geschult, eine neue Elite und eigene Welt, abgeschlossen vom Alltagsleben, kein proletarisches Schlägerimage, sondern die auserwählte Avantgarde einer neuen Epoche aber das ist wieder ein anderer Punkt.

Da ist der Stadtteil Barmbek vielleicht nicht so geeignet. Dort hatte es zB zur Bauhausausstellung (ich meine, die fand 1928 statt) rege Bautätigkeit gegeben und ganze Straßenzüge mit Blocks mit Musterwohnungen für Arbeiterfamilien waren errichtet worden. Die Blocks verfügten ua über zu nutzende Innenhofanlagen mit Rasen und Bäumen, Parkanlagen waren ebenfalls vorhanden. Jedes Haus verfügte über Gemeinschaftstoiletten und -badewannen im Keller, was seinerzeit eine vorbildliche Ausstattung darstellte. Viele der Häuser hatten Balkons und/oder Laubengänge; es waren kleine Läden mitgeplant. In der Schwalbenstraße zB ist bis heute der sogen Schwalbenhof erhalten - seinerzeit eine Wohnanlage für alleinstehende Arbeiterinnen, mit Eineinhalb-Zimmer-Wohnungen. Wenn ich mich richtig erinnere, ist der Schwalbenhof sogar etwas älter als die Ausstellungsbebauung. Genaueres kannst du aber sicher bei der Geschichtswerkstatt Barmbek erfahren.
 
Besorge dir mal die autobiographische Literatur von Ralph Giordano und Hans Massaquoi, nämlich Die Bertinis und Neger, Neger, Schornsteinfeger. Letzteres ist ein Erlebnisbericht, ersteres streng genommen ein Roman, der aber auf dem Erleben von Ralph Giordano gründet. Im Prinzip spaltet er sich selbst in den Protagonisten (der, wenn ich mich recht erinnere auch der Erzähler ist) und seinen Zwillingsbruder (den Giordano nie hatte) auf, ist aber ansonsten seinen tatsächlichen Erlebnissen ziemlich treu. (Er hat auch nicht umsonst das Vorwort zu Massaquoi geschrieben, der in Die Bertinis unter dem Namen "Micky" (o.ä.) vorkommt).

Desweiteren recherchiere mal zur Kedelkloppersprache im Nationalsozialismus. Siehe dazu auch Klaus Siewert.
 
Guten Morgen liebe Leute,

@thanepower: Die Goebbels-Tagebücher mit ihren 50.000 Seiten sind wirklich eine wertvolle Quelle der damaligen Zeit. Leider ist der Abruf kostenpflichtig, zwischen EUR 100,- oder komplett EUR 2.500,-
Das kann ich mir nicht leisten. Schade eigentlich.

@silesia: das was Du sagst, leuchtet absolut ein. Mit verlässlicher Bezahlung und Verpflegung bekommt man sicherlich die Massen auf seine Seite. Insbesondere dann, wenn das Arbeitslosengeld in den 1930er Jahren kaum für die Grundversicherung reichte, wie ich mir vorstellen kann. Ich weiß gar nicht, was das Grundnahrungsmittel der Arbeiter in der Epoche der Weltwirtschaftkrise war: Grießsuppe, Haferbrei? Grünkohl ohne Fleisch? Arbeitersülze? Fleisch war unerschwinglich teuer. Damals spielte die Fettversorgung eine viel größere Rolle als heute: Schmalz, etc.
Was ich weiß ist, dass sich die Stadt-SA und die Land-SA voneinander unterschieden. In Schleswig-Holstein (Dithmarschen, etc.) waren die braunen Bataillone zahlenmäßig viel präsenter als in Hamburg. Während des „Werbemarsches“ im Juli 1932 durch das Altonaer Abruzzenviertel kam die große Masse der SA-Stürme (ca. 7.000 Marschteilnehmer) aus Schleswig-Holstein und ganz am Ende die kleine Gruppe des lokalen Richter-Sturms aus Altona (führende Persönlichkeiten wie Hubert Richter – Konditormeister, Große Bergstraße 103b, Altona, weiterhin Schwennsen, Brockmann, Pommerschein, Boge, Dupont und Gotthardt). Die große Masse der Holsteiner SA-Männer konnte passieren. Nur an diesem Richter-Sturm, welcher die jüdischen Viertel und die Arbeiterviertel Altonas schon seit Jahren terrorisiert hatte, entzündete sich die Volkswut. Es waren bekannte und verhasste Gesichter. Hier kam es zu Übergriffen. Die SA-Männer fühlten sich provoziert, schnallten ihre Schultergurte ab und schlugen blind in die Menge. Verletzte. Schüsse fielen. Dann rückte die Polizei, welche sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten hatte, ein und feuerte auf unschuldige Passanten und auf Fenster, hinter denen man Heckenschützen vermutete. Zwei tote SA-Männer (SA-Anwärter Peter Büddig und SA-Scharführer Heinrich Koch) und 16 tote Zivilisten, die meist nur zufällig dabei waren.
Die genauen Ereignisse stehen hier
Altonaer Blutsonntag ? Wikipedia

@Ingeborg: sicherlich gab es in Barmbek (damalige Schreibweise Barmbeck) auch Muster-Arbeitersiedlungen wie die Jarrestadt aber auch jene berüchtigten Barmbeker Terrassen, links von der Hamburger Straße. Und das waren eben diese lichtlosen Hinterhöfe, die von kinderreichen Großfamilien bevölkert wurden. Sicherlich hatten sie es dort besser als im berüchtigten Hamburger Gängeviertel in der Innenstadt, von denen viele nach der Sanierung eine neue Existenz in Barmbek fanden. Barmbek (mit 200.000 Einwohnern sehr dicht besiedelt) muss eine quirrlige Mischung aus arm und reich bzw. mittelständisch gewesen sein. Keine Ahnung mit welchem Viertel sich die damaligen Verhältnisse vergleichen lassen? Mit Little Italy in Manhattan?
Aber wer weiß, vielleicht wäre Hammerbrook, damals im Volksmund „Jammerbrook“ ja noch eine viel bessere Kulisse?

@El Quijote: Ja, Giordano und Massaquoi kenne ich natürlich. Daraus ergeben sich ja auch meine Zweifel, ob ihr real erfahrenes Barmbek der 1930er Jahre mit meinem fiktiven Barmbek irgendwie übereinkommen. Einiges habe ich auch adaptiert, so z.B. das SA-Sturmlokal in der Stützenstraße.
Ketelkloppersprook, kannte ich vorher gar nicht. Mir reicht es, wenn die älteren Figuren meiner Geschichte ein paar Dinge auf plattdüütsch sagen.

Das ist jetzt etwas offtopic.
Als ich mich vor nicht allzu langer Zeit erstmalig näher mit der Sturmabteilung zu beschäftigen begann, war ich erstaunt über die irrwitzigen Gewaltausbrüche bishin zu zügelloser Raserei bzw. Blutrausch der SA nach der Reichstagsbrandverordnung 1933. Da werden Exzesse beschrieben, die man sich kaum vorstellen kann und zwar erst in dieser Form, als die SA so etwas wie Polizeistatus bekam und ungehindert über den politischen Gegner herfallen konnte. Bekannte Bluttaten im KZ Kemna bei Wuppertal, der SA-Folterkeller in der Berliner Papestraße oder die in Ken Folletts Roman „Winter der Welt“ in quälenden Einzelheiten geschilderte Szene, wo im KZ Oranienburg zwei Schäferhunde einen Menschen zerfleischen. Und es hörte nicht auf.
Auch nach der Machtergreifung kam es massiv zu Grausamkeiten wie der Köpenicker Blutwoche, als SA-Rollkommandos auf besonders widerliche Art und Weise in einer Arbeitersiedlung alte Rechnungen beglichen.
Man möchte doch meinen, dass nach der Machtergreifung, naiv gesagt, Friede, Freude, Eierkuchen gewesen sein müsste. Freudentaumel für die NSDAP, aus dem Untergrund, aus dem Straßenkampf in den Reichstag, was niemand von den bürgerlichen Parteien für möglich hielt.
Warum also diese extremen Gewaltexzesse 1933 und woher kamen sie? Von oben befohlen, von Goebbels durch Hetzreden angestachelt „…werden wir sie in ihrem Blut ertränken“ oder einfach bewaffneter, uniformierter Mob, von der Leine gelassen?
War vermutlich doch schon von langer Hand geplant, frei nach dem Motto: "Wenn wir jemals an die Macht kommen, werden wir unsere Gegner von der Bildfläche fegen".
Vom gemeinen Straßenschläger und Raufbold zum Folterknecht und Mörder.


Gruss,
Bernd
 
Zuletzt bearbeitet:
noch Buchtipps:

Ludwig Eiber: "Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Hansestadt Hamburg in den Jahren 1929 bis 1939. Werftarbeiter, Hafenarbeiter und Seeleute: Konformität, Opposition, Widerstand"
ISBN-10: 3631317271 (wohl eher was zum ausleihen, der Preis ist recht hoch)

Ulrich Krieter: Karl-Andreas Krieter - Pastor in den Jahren 1923-1934
(Pfarrei: Harburg-Wilstorf)
ISBN-10: 3638951448
ders. : Karl-Andreas Krieter - Pastor in den Jahren 1934 - 1961
(Pfarrei: Hamburg-Wilhelmsburg)
ISBN-10: 3640550846

zur SS:
Ruth Bettina Birn: "Die höheren SS- und Polizeiführer: Himmlers Vertreter im Reich und in den besetzten Gebieten"
ISBN: 3-7700-0710-7

nicht über die SA, aber über die Gestapo:
Gerhard Paul: "Staatlicher Terror und gesellschaftliche Verrohung: die Gestapo in Schleswig-Holstein"
ISBN: 3-87916-037-6
 
sicherlich gab es in Barmbek (damalige Schreibweise Barmbeck) auch Muster-Arbeitersiedlungen wie die Jarrestadt aber auch jene berüchtigten Barmbeker Terrassen, links von der Hamburger Straße. Und das waren eben diese lichtlosen Hinterhöfe, die von kinderreichen Großfamilien bevölkert wurden. Sicherlich hatten sie es dort besser als im berüchtigten Hamburger Gängeviertel in der Innenstadt, von denen viele nach der Sanierung eine neue Existenz in Barmbek fanden. Barmbek (mit 200.000 Einwohnern sehr dicht besiedelt) muss eine quirrlige Mischung aus arm und reich bzw. mittelständisch gewesen sein.

Die Jarrestadt ist doch aber Winterhude :grübel:. Ich hatte weder Jarrestadt noch die Barmbeker Terrassen im Sinn, sondern die Gegend um die heutige Habichtstraße.

Keine Ahnung mit welchem Viertel sich die damaligen Verhältnisse vergleichen lassen? Mit Little Italy in Manhattan?
Aber wer weiß, vielleicht wäre Hammerbrook, damals im Volksmund „Jammerbrook“ ja noch eine viel bessere Kulisse?

Du könntest weiter auf den Hamburger Volksmund hören, der zB auch noch sagt:
"Der Herrgott schuf im Zorn
Billstedt, Hamm und Horn".
Auf jeden Fall käme noch Rothenburgsort in Frage, das vor dem Krieg ein dicht bewohntes Arbeiterviertel war. Sowohl Hammerbrook wie auch Rothenburgsort wurden nach dem Krieg nicht wieder als Wohnviertel aufgebaut - das bietet dir eigentlich mehr gestalterische Freiheit als ein Viertel wie Barmbek.
 
Hallo Ingeborg,
Du hast recht, dass Barmbek vielleicht nicht der geeignetste Ort ist.
Doch ich habe jede Menge darauf ausgerichtet, müsste sonst jede Menge im Manuskript umschreiben. Außerdem kann ich die Schauplätze in Barmbek täglich besuchen.

Gruss,
Bernd
 
Guten Morgen Silesia,
vielen Dank für den Tipp. Der Longerich macht einen guten Eindruck, was das "Alltagsleben" der Sturmabteilung angeht.

Ist es korrekt zu sagen, dass Lübeck, Hamburg und vielleicht auch Bremen so etwas wie "rote Inseln" in einem braunen Meer (Schleswig-Holstein und das heutige Niedersachsen) waren? Hansestädte, die im Nationalsozialismus so etwas wie Fremdherrschaft/Besatzung gesehen haben?

Gruss,
Bernd
 
Und dennoch konnten sie 7.000 Mann für ihren Werbemarsch 1932 durch Altona (damals noch Preußen) mobilisieren.
Vermutlich hat der Altonaer Blutsonntag genau das Gegenteil bewirkt, dass der Widerstand von KPD und RFB sogar noch viel stärker wurde.

Genau das macht ja auch den Kontrast meiner Geschichte aus, dass die Titelfigur ausgerechnet aus dem roten Barmbek eine Laufbahn bei der SS-VT, dem Vorläufer der späteren Waffen-SS, der SS-Standarte "Germania" in HH-Veddel und der späteren Heidberg-Kaserne einschlägt.
 
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