Hans Mommsen - Alternative zu Hitler. Studien zur Geschichte des deutschen Widerstandes.

Valmy

Neues Mitglied
Mahlzeit

Ist Mommsen hinsichtlich der Beweggründe der Widerständler des 20. Juli und deren Intentionen der politischen Neugestaltung Deutschlands immer noch state of the art oder gibt es diesbezüglich mittlerweile Besseres?
 
Welche Argumentation hat er denn?Oder anders gefragt, wie hast Du die Argumentation in den zentralen Aussagen interpretiert?
 
Zuletzt bearbeitet:
Also, ich habe jetzt meine Frage und deine Frage dreimal gelesen und finde immer noch nicht die Ecke an der sie zusammen passen.

Aber, mein Beweggrund, sich dieses Buch zu besorgen, war die Suche nach den Beweggründen der Widerständler.
Und halt die Frage, wie hätte Deutschland ausgesehen wenn sie Erfolg gehabt hätten?

"Das Deutschland nach einem Erfolg des 20. Juli wäre nicht das Deutschland gewesen welches wir kennen."

Wenn auch die Mühlen der Geschichtswissenschaft langsam malen, so soll es doch vorkommen das ein nächstes Jahr 20 werdendes Werk hinsichtlich seiner Feststellungen zumindest in Teilen als überholt gilt.

Mommsen selber habe ich noch nicht gelesen; er ist ja erst gestern bei mir angekommen. Sicherlich hätte ich mir die Frage nach der Aktualität auch vorher stellen können, habe ich aber nicht.
 
Sicher ist Mommsen immer noch sehr lesenswert. Zu den Widerständler des 20. Juli gibt es unzählige Literatur, kann dir gerne welche angeben wenn gewünscht.

Mein Rat, lies das Buch und evt. noch zwei andere Texte - mache dir selber ein Bild/ Meinung.

Ian Kershaw hat sich in der Zeit Geschichte zu den beiden Attentaten Elser und 20. Juli in einem Interview geäussert, ist sehr interessant: https://www.zeit.de/zeit-geschichte/2009/04/Interview-Kershaw

Zitat aus dem Artikel:

"ZEIT Geschichte: Hätten die Männer um Stauffenberg denn nach einem Staatsstreich die Vernichtungs- und Kriegsmaschinerie stoppen können?

Kershaw: Sie hätten wohl zunächst versucht, einen Separatfrieden mit den Westmächten zu schließen. Ob ihnen das gelungen wäre, ist allerdings zu bezweifeln. Erstens hatten die Attentäter kein klares gemeinsames Programm für einen Frieden. Egal ob Carl Friedrich Goerdeler, Claus Schenk Graf von Stauffenberg oder Adam von Trott zu Solz – jeder hatte andere Vorstellungen. So wollte etwa die Gruppe um Goerdeler eine deutsche Großmachtstellung erhalten, während Trott und die Angehörigen des Kreisauer Kreises wie Helmuth James Graf von Moltke eher auf eine europäische Verständigung setzten. Zweitens, und noch wesentlicher: Die Westalliierten hätten einen Sonderfrieden wahrscheinlich sofort abgelehnt, denn er hätte die Anti-Hitler-Koalition mit der Sowjetunion gesprengt. Und genau das wollten ja auch die Nationalsozialisten! Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass der Krieg weitergegangen wäre, mit all den bekannten Schrecken. Den Widerstandskämpfern des 20. Juli wäre nichts anderes übrig geblieben, als eine bedingungslose Kapitulation zu akzeptieren, was jedoch die wenigsten wollten. In diesem Fall wäre wahrscheinlich auch damals schon eine Teilung Deutschlands die Folge gewesen. Aber der Krieg, und damit die Vernichtungsmaschinerie, wäre frühzeitig gestoppt und damit das unglaubliche Menschenopfer der letzten Monate verhindert worden."
 
Zuletzt bearbeitet:
so soll es doch vorkommen das ein nächstes Jahr 20 werdendes Werk hinsichtlich seiner Feststellungen zumindest in Teilen als überholt gilt.
Manche Bücher sind sogar schon überholt, wenn sie erscheinen. ;)

Wahrscheinlich hast du einfach ungünstig formuliert: "gibt es diesbezüglich mittlerweile Besseres?" klingt nach einem abschätzigen Urteil, was es nach deinem zweiten Posting ja gar nicht war.
 
Nein, also ja, abschätzig habe ich es wirklich nicht gemeint.
Ich finde halt auch die Bezüge zum aktuellen Tagesgeschehen sehr interessant.
Und ja, um einschätzen zu können wohin wir gehen (werden) müssen wir halt schauen woher wir kommen.
Würde der Richtungsstreit noch toben, würde ich mich vom Verständnis her eher den Funktionalisten zugehörig fühlen.

Ach ja, Danke schön.
 
Eine OT-Anmerkung:
Würde der Richtungsstreit noch toben, würde ich mich vom Verständnis her eher den Funktionalisten zugehörig fühlen.

In der Zuspitzung der Positionen war er kontraproduktiv, da sie keine wirklich alternativen Sichtweisen angeboten haben, sondern richtige Befunde zu unterschiedlichen Aspekten vorgenommen haben.

Bezogen auf die Analyse der Außenpolitik haben sich die "Intentionalisten" überwiegend durchgesetzt und bezogen auf die Analyse der staatlichen Strukturen die Funktionalisten.

Wir sehen frühzeitige "gigantische Planungen und Zielsetzungen" mit einem politischen System, das in vielen Aspekten dysfunktional agierte. Und dennoch kurzfristig durch die rücksichtslose Konzentration auf einen Aspekt, den Output einer großen Volkswirtschaft auf wenige Ziele - primär Aufrüstung - bündeln konnte. Aber mit erheblichen Friktionen und Widersprüchen.
 
Und halt die Frage, wie hätte Deutschland ausgesehen wenn sie Erfolg gehabt hätten?

"Das Deutschland nach einem Erfolg des 20. Juli wäre nicht das Deutschland gewesen welches wir kennen."

Bei den Zielsetzungen des "konservativen" Widerstands erkennt man deutlich die Bemühungen, sich von der menschenverachtenden Politik der völkisch-nationalistischen NS-Ideologie zu distanzieren. Dieses stand im Vordergrund der zentralen Ideen zur Neugestaltung der Innenpolitik (vgl. z.B. Hoffmann 226)

Diese - wie Ursi schon ausgeführt hat - vor dem Hintergrund der karten Voraussetzungen der Forderungen nach einer bedingungslosen Kapitulation. Diese - so Ritter (S.322) - verdeutlichten dem konservativen Widerstand, dass die Alliierten nicht zwischen einem "NS-Deutschland" und einem "besseren Deutschland" unterscheiden würden.

Sich dennoch für den Widerstand zu entscheiden war eine grundsätzliche Frage, die im wesentlichen eine wertebasierte Ablehnung des Unrechts war, das mit dem Aufstieg Hitlers verbunden war.

Das kann man u.a. an den Beweggründen von GFM Erwin v. Witzleben erkennen, der frühzeitig als Militärbefehlshaber von Berlin die Zusammenhänge um die Blomberg-Fritsch-Krise kannte und auch aus dieser Sicht der Unrechtssystem Hitlers ablehnte. In einer potentiellen neuen Regierung - nach einem erfolgreichen Umsturz - wäre im wohl das Amt des OB des Militärs zugefallen.

In diesem Sinne kann man - exemplarisch - für v. Witzleben, als einen konservativ geprägten Soldaten, kein "modernes Demokratieverständnis" erwarten, aber es ist belegt, dass er im Sommer 1938 allgemeine Wahlen und eine parlamentarische Regierung anstrebte. Und vor allem auch die Wiederherstellung der bürgerlichen Freiheiten, der Rechtsstaatlichkeit und eine teilweise Rückkehr zur Verfassung von Weimar.

Gerade dieser Aspekt, der Wiederherstellung von "Recht und Freiheit" ist ein Motiv, das häufig in den Schriften der konservativen Widerständler im Zentrum der politischen Zielsetzungen steht.

Auch wenn der "konservative Widerstand" konservativ war, so waren diese konservativen Zielsetzungen konstruktiv am Aufbau einer neuen Gesellschaft ausgerichtet. Und galten nicht der Zerstörung einer demokratischen Gesellschaft, wie es ein Teil der konservativen Eliten noch vor 1933 betrieben hatte.

Es war erst ein Hitler notwendig, um Telen der konservativen Eliten deutlich zu machen, dass "Recht und Ordnung" in einer diktatorischen Gesellschaft sich schnell gegen jeden und alles wenden kann. Und auch vor den konservativen Eliten nicht Halt machen würde.

Dass diesem ehrenvollen Beispiel eines v. Witzleben dennoch so wenige Soldaten gefolgt sind, liegt wohl an der Ambivalenz des Widerstands gegen den "Staat & Repräsentanten" und auch an der nicht lernbereiten Verblendung von Teilen der Gesellschaft.


Hoffmann, Peter (1970): Widerstand, Staatsstreich, Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler. Ullstein.
Ritter, Gerhard (1954): Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung. Mit einem Brief Goerdelers in Faksimile.
Witzleben, Georg von (2013): "Wenn es gegen den Satan Hitler geht--". Erwin von Witzleben im Widerstand : Biografie. Hamburg: Osburg Verlag.
 
Zurück
Oben