Heereszahlen nach Delbrück

Polybios

Neues Mitglied
Hallo!

Ich habe mir vor einiger Zeit "Die Geschichte der Kriegskunst" von Hans Delbrück gekauft. Seit ich dieses Buch lese, stelle ich bei fast jeder Schlacht fest, das die mir und wahrscheinlich dem nicht geschichtsinteressierten, geläufigen Heereszahlen nach Delbrück alle falsch sind. Im Prinzip nimmer Delbrück ja jede, durch Quellen überlieferte Zahl und macht sie um mindestens mal die Hälfte oder noch wesentlich kleiner. Als Beispiel möchte ich die Schlacht bei den Thermopylen (anstelle von 1.000.000 Perser und 300 Griechen => wenige zehntausende Perser und immerhin einige tausende Griechen), Morgarten (anstelle einer überwältigenden Übermacht der Österreicher gerade mal 2000-3000 Österreicher gegen mit ca. 3000-4000 zahlenmäßig überlegene Schweizer) oder Azincourt (6000 Engländer vs. 20000-25000 Franzosen => 8000 Engländer vs. maximal gleich viele Franzosen)...

Als ich die Heereszahlen Delbrücks mit meinen vermeidlich bekannten bzw. Zahlen aus neueren Geschichtsbüchern verglichen habe, bin ich also ziemlich stutzig geworden :)

Kann es also sein, dass sich Delbrück in so vielen Zahlenberechnungen einfach geirrt hat und moderne Forschung wieder die "alten" (größeren) Heereszahlen bestätigt hat? Oder hatte Delbrück mit seinen Berechnungen recht und es ist bist heute noch nicht in die Köpfe der Authoren vorgedrungen, was Delbrück anfang des 19. Jahrhunderts geleistet hat???

Ich hoffe, Ihr könnte etwas zu meiner Verwirrung beitragen :)

Vielen Dank,

Polybios
 
Als Beispiel möchte ich die Schlacht bei den Thermopylen (anstelle von 1.000.000 Perser und 300 Griechen => wenige zehntausende Perser und immerhin einige tausende Griechen),
Es war bei Herodot nie die Rede von 300 Griechen, sondern von 300 Spartiaten + ca. 7000 Krieger aus anderen Polis und Hilfstruppen (das spartanische Aufgebot kam mWn mit Hilfstruppen allein schon auf 1000 Mann). Selbst Frank Miller erwähnt diese in "300".
Nach der Nachricht, dass man von den Persern umzingelt wird (deren Stärke Herodot auf 1,7 Mio beziffert) blieben neben den Spartiaten auch noch Thesbier und Phoker (Angabe ohne Gewähr) und somit insgesamt ca 1300 Mann zurück.
Die 300 sind einfach nur der populärste Teil des Aufgebotes.
Dass die Perser nicht soviele waren ist eigentlich klar. Wie "wenige" es konkret waren, könnte auch aus einem Vergleich mit den überlieferten Zahlen von Plataia ermittelt werden.
Zu den anderen beiden Zahlen kann ich nichts sagen (da ich Delbrück nie las), aber die Angaben zu Azincourt überraschen mich auch.
 
Hallo Themistokles,

erst mal vielen Dank für die Antwort. Ich bin erst seit gestern abend Mitglied und es freut mich, dass ich schon so schnell eine Antwort erhalten habe.

Zu den Thermophlyen: Selbstverständlich hast du Recht, was die Zahlen der Griechen angeht!
Für mich als Laien war es einfach sehr überraschend zu sehen, wie krass doch die Unterschiede zwischen "allgemeinem Wissen" und dem tatsächlichen Umstand sind.

Zu Azincourt: laut Delbrück sind es tatsächlich zwei fast gleichstarke Heere, wobei er das englische Heer sogar als eher größer einschätzt (er bezieht sich auf eine Analyse eines Herrn Niethe). Das ist ne Meinung, die wirklich krass von allen bekannten Büchern abweicht. Spätestens da bin ich stutzig geworden, welcher Lehrmeinung man nun glauben soll.
Hier ein Link, falls du es nachlesen möchtest: Delbrück, Hans/Geschichte der Kriegskunst/3. Teil. Das Mittelalter/4. Buch. Das späte Mittelalter/2. Kapitel. Abgesessene Ritter und Schützen/Schlacht bei Azincourt - Zeno.org
 
Generell kann man eigentlich bei vielen Zahlenangaben betr. Truppenstärken und Verlusten, zumindest vor 1400, oft eine Zehnerpotenz heruntergehen. Ein besiegter möglichst zahlreicher Feind, dessen Verluste dann natürlich entsprechend waren, machte sich in den Chroniken immer gut. Gerade antike Zahlen- und Verlustangaben sind oft aus "Grimms Märchen". Es zeugt von der nüchtern-sachlichen Betrachtung, mit der Delbrück das Thema anging.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Themistokles,

erst mal vielen Dank für die Antwort. Ich bin erst seit gestern abend Mitglied und es freut mich, dass ich schon so schnell eine Antwort erhalten habe.

Zu den Thermophlyen: Selbstverständlich hast du Recht, was die Zahlen der Griechen angeht!
Für mich als Laien war es einfach sehr überraschend zu sehen, wie krass doch die Unterschiede zwischen "allgemeinem Wissen" und dem tatsächlichen Umstand sind.

Zu Azincourt: laut Delbrück sind es tatsächlich zwei fast gleichstarke Heere, wobei er das englische Heer sogar als eher größer einschätzt (er bezieht sich auf eine Analyse eines Herrn Niethe). Das ist ne Meinung, die wirklich krass von allen bekannten Büchern abweicht. Spätestens da bin ich stutzig geworden, welcher Lehrmeinung man nun glauben soll.
Hier ein Link, falls du es nachlesen möchtest: Delbrück, Hans/Geschichte der Kriegskunst/3. Teil. Das Mittelalter/4. Buch. Das späte Mittelalter/2. Kapitel. Abgesessene Ritter und Schützen/Schlacht bei Azincourt - Zeno.org


Schon imposant, wie Delbrück die Zahlen runterrechnet. Wobei, seine Beweisführung über Logistik usw. hat schon was für sich. Ein Millionenheer ist mit den Möglichkeiten der Antike nunmal nicht zu verpflegen.
Meist hat er, glaube ich zumindest, auch recht behalten.
 
Die Zahlen sind ja nicht nur wegen Propaganda zu groß, meist wurde auch einfach falsch geschätzt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein antiker König nur sehr schwer an eine vernünftige Zahl seiner Truppen kommen konnte. Es gab weder Listen mit den Namen noch sonst eine Art von Verwaltung. Ein König hätte also seine engsten Vertrauten und Verbündeten jeweils einzeln nach Zahlen fragen müssen, die sich dann bei größeren Kontingenten ebenso die Zahlen von ihren Untergebenen hätten holen müssen.

Meist reichte aber die ungefähre Zahl aus (wenn der und der mit den und den Truppen kommen, dann reicht es usw.) und wenn es eng wurde, dann gab es eine Heerschau.

Bei den Überlieferungen haben wir dann das Problem, dass die Angaben ungenau bzw. nicht fachkundig sind. Wenn uns Caesar was von drei Legionen schreibt, dann ist für die Zeitgenossen klar gewesen, welche Kampfkraft damit verbunden ist - genaue Zahlen über Hilfstruppen sind nicht nötig.

Geschichtsschreiber hingegen haben vieles nicht selber gesehen und haben nur ungenaue Berichte gesammelt und oft nach eigenem Gusto selektiert.

Solwac
 
@Solwac: Die Zahlen sind ja nicht nur wegen Propaganda zu groß, meist wurde auch einfach falsch geschätzt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ein antiker König nur sehr schwer an eine vernünftige Zahl seiner Truppen kommen konnte.
Hm, warum wurde dann immer kräftig nach oben gerundet "geschätzt". :grübel:Altorientalische Herrscher haben oft eine makabere Art von "Bodycount" betrieben, indem sie getöteten Feinden nach der Schlacht zur Zählung ein Ohr (oder auch etwas "anderes") abschneiden und in Körben sammeln ließen.
 
Nun, wenn Du mir Truppen stellen müsstest, würdest Du dann nicht lieber auch 1000 statt 500 melden? Oder würdest Du nicht nach der Schlacht lieber gegen 1000 statt gegen 500 gekämpft haben?

Und wenn Du mit Deinen Leuten den feindlichen Anführer besiegt hast und Deine beiden Kollegen ebenfalls, muss dann der Berichterstatter nicht von 3000 Gegnern ausgehen? :winke:

Solwac
 
@Solwac, das sind doch Spitzfindigkeiten. 1943 wollen die Sowjets bei Kursk nach eigenen Angaben binnen einer Woche mehr deutsche Panzer vernichtet haben, als zu dem Zeitpunkt überhaupt an der gesamten Ostfront einsatzbereit waren. Nun erzähl mir nicht, das wäre nicht überprüfbar gewesen. Propaganda ist alles, angefangen bei Ramses II. "großem Sieg" gegen die Hethiter, verewigt auf Tempelwänden und aufgehört bei dem, was wir hier als Tagespolitik nicht erörtern wollen.
 
Natürlich ist PR wichtig, das bestreite ich gar nicht. Es kommt halt nur neben der absichtlichen Übertreibung die unabsichtliche (aus Sicht des Berichterstatters) dazu.

Außerdem sind früher viele Zahlen nicht überprüfbar für die Leser/Zuhörer gewesen. Wenn die Griechen was von einer Million Persern hörten, dann war es einfach nur eine sehr große Zahl, nachrechnen konnten das nur sehr wenige.

Solwac
 
Die Amis wollen im Hürtgenwald auch mehr Verluste (=Tode + Verwundete + Kranke + Gefangene + Vermisste) gehabt haben, wie im ganzen 2. Weltkrieg insgesamt.

Die Faszination der großen Zahl.
 
Schon imposant, wie Delbrück die Zahlen runterrechnet. Wobei, seine Beweisführung über Logistik usw. hat schon was für sich. Ein Millionenheer ist mit den Möglichkeiten der Antike nunmal nicht zu verpflegen.

Was der Militärhistoriker demnach vor den Wirtschaftshistorikern kalkuliert hat.

Unabhängig von der von Delbrück berechneten Länge wäre ein solchen Heeres-Bandwurm nicht von den 20 km rechts und links zu verpflegen. Die gesamte Bevölkerung Attikas inkl. Athens soll vor dem Peloponnesischen Krieg unter 400.000 betragen haben. Das kann man rückrechnen.
 
Die Faszination der großen Zahlen ist nunmal Allgegenwärtig.

@Polybios:
Wenn du Zahlen von Heeren in Geschichtsbüchern vergleichst solltest du dir klar darüber sein das hier unterschiedliche Leute zu Wort kommen. Historiker übernehmen allgemein die überlieferten Zahlen der Literatur. Warum auch nicht? Wie sollten sie sonst ihre Quellen ernst nehmen können. Um eine Diskussion um "ein paar Legionen" mehr oder weniger kommt es bei ihrer Arbeit primär nicht an. Sobald sie diese starten würden, würden sie sich in einem Gebiet verzetteln (Pro und Contra angeben und genau abklopfen.....), das für sie eigentlich nebensächlich ist.
Im Gegensatz dazu stehen mehr an der damaligen "Praxis" interessierte Forscher, zu denen Delbrück ohne Zweifel gehörte. Sie hinterfragen die Zahlen weil es ihnen um möglichst genau "Arbeitszahlen" geht, wobei sie allein auf ihren Scharfsinn, einige Vermutung und Verhältnismäßigkeiten angewiesen bleiben. Auf diese Weise kann man keine exakten Zahlen gewinnen (ebenso wie bei der treu "Quellenbasierten" Überlieferung), kommt der Wahrheit aber mit einiger Sicherheit deutlich näher. Die Beweisführung von Delbrück und anderen quellenkritischen Analysten basiert auf Logik - und kann im Einzelfall trotzdem irren. Näher an der Wahrheit dürften sie aber schon sein. Aber ist das ein Grund alte, durch Überlieferung tradierte Zahlen durch "logische" Zahlen zu ersetzen? Ganz genau weis man es am Ende doch nicht und bei jeder Veröffentlichung mit (neuen) Zahlen ist der Autor dann unter Beweisdruck seine Zahl belegen/erklären zu müssen. Hier reicht es aus einfach die Quellen abzuschreiben.
 
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