Heiliges Königtum, Reformation und Geheimgesellschaften

CarnifexUltra

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Interressante Themen deren Zusammenhang kaum Beachtung findet. Weil ich abgesehen von den folgenden nur wenig dazu gelesen hab werde ich mich vornehmlich auf Buchzitate beschränken, so kann sich jeder seine eigene Meinung bilden.
Insofern handelt es sich gewissermaßen um Buchvorstellungen.

Caspar Ursinus Velius (Deutsche Digitale Bibliothek), von Kaiser Maximilian zum poeta laureatus, also (lorbeer)gekrönter Dichter, gekürt, erhebt Kaiser Karl V. in De mirabili victoria Caesarianorum (DDB) gleich Caesar und Augustus in den Götterrang neben Jupiter: Nil flante desperemus aura/Caesaris et Iove tam benigno.

Natur und Herrschaft - Analysen zur Physik der Macht schrieb:
Als ein zweites Beispiel panegyrischer Huldigung Kaiser Karls V. mag das drei Bücher umfassende Epos De adventu Caroli V. imperatoris in Italiam Poemata ad Consalvum Pyretium von Antonio Sebastiano Minturno (DDB) gelten, das die Krönungsreise Karls von Spanien nach Bologna thematisiert. Die Handlung spielt schwerpunktmäßig auf der Götterebene, „die historische Realität wird mit Hilfe eines fast schon überzogenen Götterapparates geradezu ausgeblendet.“ Buch eins enthält ein consilium deorum: Der pater Divum – es ist Jupiter, der zugleich den Christengott darstellt – bereitet die Ankunft Karls vor und schlichtet Streit unter den Göttern.
Buch zwei schildert die unter dem Schutz der Götter stehende Reise Karls nach Italien. Sein künftiges Schicksal wird Karl über eine Vision auf einer Seereise in Buch drei ausgebreitet. Die Krönungszeremonie Karls in Bologna stellt Minturno in Form einer Ekphrasis dar, die sich an Vergils Schildbeschreibung anlehnt:
Dienende Geister des Königs Tybris arbeiten an einem Prachtgewand, das die Reise Karls und seine Doppelkrönung mit der Krone der Lombardei und der Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches entwickelt. Karl wird mit Augustus verglichen:

Ipse sedens alte populis dat iura superbis,/cuncta recognoscit placide missosque piorum/undique legatos audit laetamque per omnem/composito Hesperiam divulgat foedere pacem/indicitque pius formidanda hostibus arma.
--
Er, der erhaben sitzt, verleiht den stolzen Völkern Rechte, / Er nimmt ruhig die Versammlung und die Boten der Frommen zur Kenntnis / Er hört die Gesandten aus allen Richtungen und verbreitet Freude überall / bringt Frieden in ganz Hesperien / und verkündet den Feinden Krieg.
[...]

Karl steht nicht nur für ein befriedetes Riesenreich ein, er verkörpert es sprichwörtlich. Neben den Textträgern symbolisieren diese Sinnrichtung nicht zuletzt visuelle Medien: Mit Horst Bredekamp gesprochen wird Karls Körper darin derart mächtig dargestellt, dass er als Kosmosleib die Erde zu er- wie umgreifen imstande ist.

Allegorie auf Karl V. als Weltenherrscher, Francesco Mazzola:
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Alterations of State - Sacred Kingship in the English Reformation schrieb:
Könige waren in Europa jahrhundertelang heilige Personen, die als gesalbte Stellvertreter des Herrn auf Erden angesehen wurden. Die Kirche und ihre Sakramente galten als heiliger als die Monarchie, doch wurden den mittelalterlichen Herrschern immer noch sakrale, geistliche und sogar wundertätige Kräfte zugeschrieben. Die Krönung wurde von einigen als ein Sakrament angesehen, das einer Weihe gleichkam; der königlichen Berührung wurden heilende Wirkungen zugeschrieben, und die mystische Vorstellung von den zwei Körpern des Königs implizierte, dass das Königtum niemals starb. Außerdem hatten Herrscher von Karl dem Großen bis zu den Habsburgern die kaiserliche Autonomie gegenüber dem Papsttum beansprucht, was zu Spannungen zwischen Königen und Klerikern führte. Die Reformation verschärfte diesen Konflikt, während sie gleichzeitig die älteren Vorstellungen von einem heiligen Königtum erheblich erweiterte und sie gleichzeitig grandioser und problematischer machte. In England wurde der Bruch Heinrichs VIII. mit Rom durch neue Theorien der königlichen Oberhoheit gerechtfertigt, die den König zum Oberhaupt der Kirche und des Klerus sowie zur geistlichen Verkörperung des Reiches machten.
Mit dem Fortschreiten der Reformation wurden sogar die Sakramente selbst eingeschränkt und die Messe abgeschafft. Diese Entwicklungen führten zu dem, was John Bossy eine "Migration des Heiligen" nennt, bei der "die sozial integrativen Kräfte der Hostie" auf die "Rituale der Monarchie und der weltlichen Gemeinschaft" übertragen wurden. Unter den Tudors erlangte die königliche Gegenwart etwas von der ehrfurchtgebietenden Heiligkeit der Realpräsenz Christi in der Eucharistie und drohte sie zeitweise sogar zu ersetzen. Unter Edward wurden die Lettner abmontiert und manchmal durch das königliche Wappen ersetzt, und das Fronleichnamsfest wurde schließlich verdrängt und durch einen Elisabethkult und seine jährlichen königlichen Prozessionen ersetzt. Sowohl die alten als auch die neuen Vorstellungen vom sakralen Königtum riefen immer noch zunehmende Ambivalenz und sogar Feindseligkeit hervor, und die Anfechtungen und Konflikte hielten auch während der Reformation an. "Da der Protestantismus die körperliche Heiligkeit ablehnte", so Paul Kléber Monod in The Power of Kings, "... konnte er leicht mit einem Königtum kollidieren, das den Körper heilig machte." Eifrigere Protestanten hielten die Verehrung der Monarchie für ebenso götzendienerisch wie die Anbetung der Hostie und kritisierten wiederholt die Unzulänglichkeiten der gottgefälligen Herrschaft unter den Tudors. Unter den Stuarts nahm der Widerstand der Puritaner zu, was den Bürgerkrieg anheizte und zur Hinrichtung Karls I. im Jahr 1649 führte. Der Kampf der englischen Reformation um das heilige Königtum wurde durch Königsmord und republikanische Herrschaft kaum gelöst. Zu John Miltons Entsetzen verstärkte das von Karl I. vergossene Blut nur noch die Tendenz Englands zu "einer zivilen Art von Idolatrie in der Vergötterung der Könige". Der König erwies sich nach seinem Tod und seiner Niederlage als beliebter als zu Lebzeiten, was die Unterstützung für die Wiedereinsetzung von Karl II. im Jahr 1660 beflügelte. Dennoch wurden die papistischen Sympathien der Stuarts zunehmend unangenehm, und Jakob II. wurde 1688 abgesetzt. Indem die Glorious Revolution das göttliche Erbrecht in Frage stellte, beschädigte sie die traditionelleren Vorstellungen vom sakralen Königtum ernsthaft und leitete eine neue Ära der konstitutionellen Monarchie ein.

Hobbes Leviathan
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Religion und arkane Hierarchie - Der Orden der Gold- und Rosenkreuzer als geheime Kirche im 18. Jahrhundert schrieb:
Es war Luther, der als erster das Papsttum mit dem Antichristen identifizierte, und auf dieser Grundlage hatten lutherische Künstler das Haupt der Hure Babylon mit der päpstlichen Tiara gekrönt, wie in der Wittenberger Bibel von 1522 (Offenbarung 17,1-7). Außerdem setzten sie den Papst mit dem Tier aus dem Abgrund gleich (Offenbarung 11,7). Das apokalyptische Standardrepertoire wurde in Luthers unmittelbarem Umfeld von Lucas Cranach in seinen Holzschnitten für die Passion Christi und Antichristi (1521) und für Luthers Septembertestament (1522) geschaffen. Trotz des internationalen und historischen Ansehens von Dürers apokalyptischen Stichen (1498), die in die Wittenberger Bibel (1522) übernommen wurden, entwickelte sich die spätere protestantische Ikonographie nicht nach seinem Vorbild, sondern nach dem von Cranach entwickelt. [...]

Einige paracelsische Alchemisten, insbesondere Heinrich Khunrath (ca. 1560-1605; DDB) und Stefan Michelspacher (aktiv ca. 1615-23; DDB), wurden sowohl von den lutherischen als auch von den katholischen Behörden verfolgt. Khunrath war ein Alchemist aus Sachsen, dem Kernland der Reformation, aber seine theologische Haltung war charakteristisch für die zweite Generation von Protestanten, die der Meinung waren, dass Luthers Werk unvollständig geblieben war und eine weitere religiöse Reform unerlässlich war.

Anti-Christ, Stefan Michelspacher, Cabala: Spiegel der Kunst und Natur (Augsburg: David Francke, 1616):
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Der Papst als das Tier und die Hure Babylon, ganz im Geiste Luthers, aber hier symbolisiert die Tiara außerdem die alchemische Urmaterie (Saturn) und Michelspachers Tier setzt sich aus vier Elementen zusammen: dem Tier des Ozeans, dem Tier der Erde, dem Drachen der die Jungfrau jagt und der Hure Babylon. Die sechs Sterne repräsentieren die niederen Metalle, der fünfstrahlige Stern die Quintessenz. Die insgesamt sieben Sterne sind eine Anspielung auf Offb 1:20 "Die sieben Sterne sind die Engel der sieben Gemeinden und die sieben Leuchter sind die sieben Gemeinden.", das seinerseits auf die Bedrohung der frühchristlichen Gemeinden durch Rom anspielt. V.W.I.W.V. steht für Unser Wasser ist Wasser Unser.
 
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The Sacrificial Body and the Day of Doom - Alchemy and Apocalyptic Discourse in the English Reformation schrieb:
Die Abweichler von den etablierten protestantischen Kirchen waren wichtige Wegbereiter einer säkularen, gegenüber religiösen Spaltungen toleranten Gesellschaft, in der Kirche und Staat getrennt waren. Bei der Charakterisierung dieser Dissidenten hat Séguenny ein Konzept des Philosophen Leszek Kolakowski übernommen, nämlich das der "Religion ohne Kirche". Ich möchte hinzufügen, dass ein wenig bekannter Aspekt der Geschichte des Säkularismus die Rolle der paracelsischen Theosophie bei der Schaffung einer heterogenen Gesellschaft ist, die nicht konforme religiöse Ansichten unterstützt.


Historiker wie Frances Yates in ihrer Untersuchung der "Rosenkreuzer-Aufklärung" und Joscelyn Godwin in seiner Analyse der "Theosophischen Aufklärung" haben die integrale Beziehung zwischen Esoterik und proto-demokratischen Ansichten festgestellt. Sie haben gezeigt, wie die Rosenkreuzer oder die "Illuminaten" des 18. Jahrhunderts sich selbst als Vorreiter des aufgeklärten Denkens in ihrer Entwicklung der intellektuellen Traditionen des klassischen Humanismus bezeichneten.

Religion und arkane Hierarchie schrieb:
Aus der Rezeption der Kabbala, des Platonismus und der Hermetik im deutschen Sprachraum entstanden schließlich das frühneuzeitliche Magiekonzept des Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim und in der Folge unter Einbindung der Alchemie die paracelsische Naturphilosophie, die Theosophie Jakob Böhmes und die Pansophie der Rosenkreuzerschriften des 17. Jahrhunderts—all dies immer im Wechselspiel und Widerstreit mit dem Christentum und seinen Konfessionen, die solche heterodoxen Strömungen durchaus auch als Häresie verfolgten. [...]

Schlögl betont den aufgeklärten Charakter auch der esoterischen Geheimbünde, da sie mit ihrer Bemühung um diesseitige Erlösung der ‚Schöpfung‘ eine „Alternative zur Heilsökonomik der christlichen Kirchen“ darstellten und daher dem „Selbstbewußtsein der Menschen am Ende des 18. Jahrhunderts“ entgegengekommen seien. [...]
In einem Überblicksaufsatz, der den Illuminatenorden und die Gold- und Rosenkreuzer behandelte, betonte der Münchner Historiker und Ordinarius Ludwig Hammermayer 1993 noch einmal den Gegensatz zwischen den ‚radikal-aufklärerischen‘ Illuminaten und den ‚theokratischen‘ Rosenkreuzern. [...]

Offensichtlich Reformen herausfordernde gesellschaftlich-kulturelle Bereiche waren die im 16. Jahrhundert entstandenen konfessionellen und die damit verbundenen politischen Spannungen im Reich, die Rolle der Religion in Kultur und Gesellschaft und nicht zuletzt das als mangelhaft empfundene Verständnis von ‚Wissenschaft‘. Diese drei Kernthemen sollten nun mit Hilfe der geheimen Bruderschaft der Rosenkreuzer einer Erneuerung unterzogen werden, die einem einheitlichen ‚Weltbild‘ folgte. Die Rosenkreuzermanifeste und der sich in den Jahren nach ihrem ersten Erscheinen vollziehende Diskurs sind damit nicht nur die Vermittler einer auf den Arzt und Hermetiker Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493– 1541), und die Hermetik der Renaissance rekurrierenden frühneuzeitlichen esoterischen Tradition, sondern ebenso Ausdruck der Wahrnehmung der Krisenhaftigkeit des frühen 17. Jahrhunderts.[...]

Die Behauptung, dass ein einzelner Mensch, der von einer rein inneren Gnade geleitet wird, sein eigenes Wesen in das Christi verwandeln kann, führte zu einer zweiten Konsequenz, nämlich dass die Kirche, ob römisch oder lutherisch, für das Werk der geistlichen Erlösung irrelevant wurde. In der Organisation der dissidenten religiösen Gruppen waren es die Laien, die die kirchliche Hierarchie als Leiter des inneren Gewissens ablösten. Sie begründeten ihr Streben nach Unabhängigkeit von der kirchlichen Kontrolle mit den Aussagen Christi über die Rolle des Heiligen Geistes nach seinem Tod.[...]

Nach dem Vorbild der paracelsischen Philosophia ad Athenienses konstruierte Robert Fludd eine Kosmologie, die auf dem paracelsischen Konzept des göttlichen Geistes in der Natur beruhte.[...]

Als Antwort auf frühere Zweifel an seinen religiösen Überzeugungen hatte Fludd in den Jahren 1618-20 die Declaratio Brevis an König Jakob I. geschrieben. Die alchemistische Aneignung der christlichen Sakramente der Taufe und des Abendmahls wurde von den herrschenden Kirchen nicht begrüßt. Keine von ihnen konnte eine Chemie akzeptieren, die behauptete, Substanzen herzustellen, die dem Leib und dem Blut Christi gleichwertig waren und dieselbe Gnade der geistigen und körperlichen Heilung gewährten. Das Wunder des Brotes und des Weines in der Messe oder im Abendmahlsgottesdienst war einzigartig und konnte niemals mit chemischen Mitteln nachgeahmt werden, egal wie fromm und betend man war. Darüber hinaus erlaubte keine der Kirchen unbefugten Laien, den sakramentalen Ritus zu vollziehen, was das Vorrecht von Priestern war, die von einem Bischof durch direkte apostolische Übertragung von Christus förmlich ernannt worden waren. Wenn sie, wie Fludd, kabbalistische Engel (insbesondere Metatron) in die alchemistische Version des Ritus einführten, wurde er, wie Mersenne behauptete, als Praktiker der abscheulichsten dämonischen Magie betrachtet. Die guten oder schlechten Absichten spielten dabei keine Rolle: Es ging um die Frage, wer dieses mächtige Wunder kontrollieren sollte.

Christus im Brunnen des Lebens, Stefan Michelspacher, Cabala: Spiegel der Kunst und Natur (Augsburg: David Francke, 1616):
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Oben links das Tretragrammaton YHWH, V.W.I.W.V. steht für Unser Wasser ist Wasser Unser, die weißen Tauben stehen für den heiligen Geist. In Zentrum sitzt die gekrönte Gestalt Jesu Christi bei seiner Wiederkunft am Tag des Jüngsten Gerichts im Brunnen des Lebens als Stein der Weisen, die Figuren denen er den Wein der Eucharistie reicht stellen Schwefel und Quecksilber als Sonne und Mond dar. Oben rechts eine Weinpresse aus der Blut in den Brunnen fliest, ganz oben im Bild an der Spitze des Brunnens Mercurius/Merkur, darunter Saturnius (Urmaterie) und Diana, darunter Mars und Venus.

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Robert Vaughan, “Christ in Glory” in Elias Ashmole, Theatrum Chemicum Britannicum (London: G. Grismond, 1652):
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Interressante Themen deren Zusammenhang kaum Beachtung findet.
Es wäre hilfreich, wenn du benennen könntest woran gnau du Interesse hast, denn offengesagt, erschließt sich mit das aus den obigen Zitaten nicht so unbeding.

Abgesehen von der teilweise impliziten, teilweise expliziten These, dass aus dem Rücken des Königtums in religiöse Kontexte zu schließen wäre, dass das Königtum selbst als heilige Institution betrachtet worden sei.
Diese These halte ich allerdings für relativ steil.

Wenn etwa oben auf auf die literarische Einordnung der Person Karl V. in eine Erzählung verwiesen wird, die mit der Figur antiker Gottheiten spielt, müsste man, da denke ich schon die Frage stellen, ob das explizit eine Heiligung des Amtes oder der Person darstellen sollte, weil das ja mehr oder weniger ein paganes Publikum vorrausgesetzt hätte, dass die genannten antiken Gottheiten als solche anerkannt hätte.
Sie könnten aber ebenso auch einfach in einer Rolle als bekannte Sagenfiguren der Vergangenheit herangezogen sein, um Gewaltigkeit/Großartigkeit etc. auszudrücken, aber explizit ohne dem eine sakrale Bedeutung beimessen zu wollen.
Das halte ich offengesagt persönlich in diesem Zusammenhang für wahrscheinlicher.


Auch einige andere Thesen, die da abgebildet sind, halte ich für einigermaßen gewagt, wie etwa diejenige Luther hätte als erster das Papsttum mit dem Antichristen identifiziert.

Er hat zweifelos zumindest teilweise die zu seiner Zeit amtierenden Inhaber des Papstamtes in ähnlicher weise angefeindet.
Wenn er aber gegen den Papst schrieb, geht da für meine Begriffe nicht so einfach daraus hervor, ob er damit lediglich den jeweils aktuellen meinte, oder auch sämtliche gewesenen und kommenden Päpste und damit das Amt an und für sich.

In seinen 95 Thesen hat sich Luther z.B. recht ausführlich mit der Rolle des Papstamtes, Hinblick auf die Fähigkeit zum Erlassen von Schuld und Strafen auseinandergesetzt etc. und Missbräuche und Irrtümer (aus seiner damaligen Warte) angeprangert, aber eine Fundamentalkritik des Papstamtes enthalten seine ursprünglichen Ideen hier eigentlich nicht.

Im Fall, dass sich Luther da möglicherweise mehr auf die Person eines ganz bestimmten Papstes, oder mehrerer Päpste, die er selbst erlebt hatte, weniger auf das Amt an und für sich bezog, wäre die Sache auch wesentlich unspektakulärer, denn die Anprangerung einzelner Päpste als außerhalb der christlichen Gemeinschaft stehend, auch als "Antichrist", die wird man in dieser und ähnlicher Form sicherlich schon in der Geschichte der Päpste und Gegenpäpste des Mittelalters finden, die sich ja gegenseitig aus der Kirche auszuschließen und die christliche Bevölkerung gegen den jeweiligen Kontrahenten in Stellung zu bringen suchten.
 
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