Hermann "der Lahme" v. Reichenau

jeanne d'arc

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Herimann oder Hermann, genannt "der Lahme" (contractus), ist eine der anziehendsten Persönlichkeiten aus der mittelalterlichen Mönchswelt, Von Kindheit an Gichtbrüchig, des Gebrauchs seiner Beine beraubt, mit lahmen Fingern, kaum im Stande verständlich zu sprechen, unfähig ohne fremde Hilfe auch nur seine Lage zu verändern, hat er doch nicht nur eine für seine Zeit staunenswerte Gelehrsamkeit sich erworben und zwahlreiche Werke verfasst, sondern auch als Lehrer eine große Wirksamkeit gewonnen und viele Schüler gebildet, welche mit rührender Liebe ihm zugetan waren. Trotz seiner schweren Zunge wird seine Beredtsamkeit und seine Schlagfertigkeit in der Disputation gerühmt. Ja, er verstand sogar mit besonderer Kunstfertigkeit Uhren, musikalische und mathematische Werkzeuge zu verfertigen. Auch war er immer heiter und liebenswürdig und ließ sich nie durch sein trauriges Geschick verstimmen; dabei musterhaft in der Erfüllung aller kirchlichen und menschlichen Verpflichtungen und energischer Vorkämpfer der Orthodoxie.

Hermann war von hoher Abkunft, Sohn des Grafen Wolfrad, dessen gleichnamiger Vater 1004 von Heinrich II. die Grafschaft Eritgau erhielt. Vermutlich abstammend von den Bertholden, dem Geschlecht, das von den alten alemannischen Stammesherzögen (Godfried) abstammt. Ihr Stammsitz war Alshausen ( heute Altshausen und sinnigerweise,
heute Sitz der württ. Herzöge). Hier wurde auch Hermanns Mutter Hiltrud, und schließlich auch er selbst, bestattet.

Hermann wurde (nach eigenen Angaben) geb. am 18. Juli 1013. Schon 1020 wurde er der Schule übergeben, woraus man schließen kann, dass er von Anfang an für die Studien bestimmt war, wenngleich er wegen seiner körperlichen Hinfälligkeit nicht Priester werden konnte, obgleich er an Gottesdienst und Lobsingen sich eifrig beteiligte. Es waren daher wohl seine hervorragende geistige Bedeutung und seine erstaunliche Gelehrsamkeit, welche ervermutlich auch schon früh für den Unterricht verwendete, wodurch Abt B e r n , der selbst ein großer Gelehrter und sein Lehrer war, bewogen wurde, ihm, nachdem er schon das dreißigste Lebensjahr erreicht hatte, zuzureden, dass er das Mönchskleid annahm ( bisher also war Hermann als Laie und nicht als Mönch in Reichenau).
Als eine der größten Zierden seines Klosters hat nun Hermann als Schriftsteller und Lehrer gewirkt bis zu seinem Tod am 24. Sept. 1054, seinem 41. Lebensjahr. Seine Schriften betreffen vorzüglich die Mathematik, Astronomie und Musik. Letztere übte er auch für den Dienst der Kirche durch Komposition von Melodien für Gesang und Dichtung von Sequenzen und Antiphonen. Er war zudem ein Meister der Dichtkunst und beherrschte auch das schwierigste Versmaß. Als eines seiner besten Werke gilt sein Gedicht über die 8 Hauptlaster, welches er um 1045 an die Nonnen eines unbekannten Klosters richtete.

Hermanns Bruder M a n g o l d ( auch Manegold ) nannte sich Graf von Veringen; er wird zum Stammhalter des Geschlechts und vermutlich ein Urahn der oberschwäbischen Linie des Hauses Württemberg.

Er verfasste die nach ihm benannte "Chronik Hermanns v. Reichenau" (vervollständigt und fortgeführt vom Mönch Berthold) und: er war ein Nachkomme der Alaholfinger und somit ein Oberschwabe !

salu, jeanne
 
Er verfasste die nach ihm benannte "Chronik Hermanns v. Reichenau" (vervollständigt und fortgeführt vom Mönch Berthold) und: er war ein Nachkomme der Alaholfinger und somit ein Oberschwabe !

Die Chronik ist meines Erachtens besonders hervorzuheben, denn sie zählt laut MGH zu den "ergiebigsten Quellen zur Geschichte des deutschen Königtums im 11. Jahrhundert". Was bei Hermann von Reichenau besonders bemerkenswert ist, ist die Tatsache, dass sein Schüler Berthold nicht nur die Chronik ab 1054 fortgeführt hat, sondern auch kurz nach seinem Tod eine Vita über ihn verfasst hat. Eine unglaublich spannende Sache, dass wir hier also nicht nur eine mittelalterliche Chronik von höchster Bedeutung vorliegen haben, sondern auch eine zeitnahe Charakterisierung des Verfassers angereichert mit eigenen Erfahrungen.

Wer des Lateinischen mächtig ist, kann sich in den digitalen MGH mal umsehen:

DMGH digital

Scriptores rerum Germanicarum, Nova series, XIV: Die Chroniken Bertholds von Reichenau und Bernolds von Konstanz 1054-1100 ab S. 163
 
Zuletzt bearbeitet:
und für die, die "deutsch" (ich meine nun tatsächlich die wohl gothisch genannte Druckschrift der Zeit vor ca. 1940 ) noch lesen können, ein kleiner Tipp:
Es gab einst ein Serie kleiner Heftchen in der Größe etwa der "Insel-Büchlein" ( aus Leipziger Verlagen ) mit der sinnvollen Überschrift "Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit" !
Wer die Mühe nicht scheut in den Wühlkisten der Flohmärkte zu stöbern, mag immer wieder mal Glück haben, diese interessanten Heftchen zu finden. Sie sind aus dem lat. aus der Monumenta Germaniae übersetzt
z.B. von Prof. Nobbe ( die Chronik Herimanns v. Reichenau Heft 42) oder
W. Pflüger u, W. Wattenbach ( Wipo, das Leben Kaiser Konrad II. Heft 41).
Und das Schöne dabei: eine Kugel Eis kostet das vielfache !

viel Spaß beim Stöbern, salu, jeanne
 
Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit (GdV) sollten immernoch zur Standardausrüstung jeder Universitätsbibliothek gehören und brauchen daher nicht auf dem Flohmarkt aufgestöbert zu werden.
 
Mein Einwurf zielte eher darauf ab, dass dieses Mysterium "Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit" nicht in der Vorzeit verlorenging, sondern immer noch in Gebrauch ist. Da braucht man nicht Fortuna, die einem zufälligerweise den glücklichen Weg zum richtigen Flohmarktstand zuweist.
 
Ich persönlich finde es es nun einmal interessant, eine eigene Bibliothek aufzubauen. Bibliotheken-Ausweise geben ja in den Bücherschränken nicht viel her. Es gibt (wohl für solche Exoten wie mich ) sogar ganz spezielle Bücher- märkte und Antiquariatsmessen!
Zudem meine ich festgestellt zu haben, dass hier nicht nur Immatrikulierte bzw. Leute mit Zugang zu einschlägigen Bibliotheken, lesen und schreiben.
Daher "verstehe ich" den moderaten Einwand eher nicht.
 
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