Heute vor 70 Jahren...

Gandolf

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27.04.1938

Der neue französische Ministerpräsident Edouard Daldier reist mit seinem ebenfalls neuen Außenminister Georges Bonnet zu Gesprächen mit der britischen Regierung nach London. Am gleichen Tag übermittelte er General Gamelin eine knappe handschriftliche Notiz: "Lassen Sie mich genau wissen, welche militärischen Massnahmen Frankreich zur Unterstützung der Tschechoslowakei gegen Deutschland unternehmen kann, wobei ich davon ausgehe, dass die Mobilisierung nur der erste Schritt ist".

Quelle: Wiliam L. Shirer, Der Zusammenbruch Frankreichs. Aufstieg und Fall der Dritten Republik, 1969, Droemersche Verlagsanstalt, S. 357.
 
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Kaum war der "Anschluß" Österreichs unter Dach und Fach provzierte Hilter wenige Wochen später die nächste große europäische Krise, die Sudetenkrise.

Interessant ist, das die Zeitung LE TEMPS, die dem Quai d' Orsay nahe stand, in mehreren Leitartikeln von der Tschechei abgrückt ist.

Wenige Tage davor, am 24.April 1938, davor haben die Sudetendeutschen die Krise planvoll weiter eskaliert, in dem sie unerfüllbare Forderungen wie eine außenpolitische Kurskorrektur, Wiedergutmachung der seit 1918 erlittenen Schäden, Freiheit des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum und Weltanschauung etc. präsentierten.

Die Haltung Großbritanniens war zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich eindeutig. Einerseits wollte man "mitreden" bei den europäischen territorialen Korrekturen und andererseits kam man Hitler imemr wieder weit entgegen. Im Mai reiste so Lord Runciman in einer Erkundungsmission nach Prag und im September reiste Camberlain zu Hitler auf dem Berghof, um ihm sehr weit entgegenzukommen.

In dieser nicht eindeutigen Haltung lag das Problem der französischen Diplomatie, man wollte unbedingt gemeinsam mit Großbritannien handeln und machte sich daher von deren Entscheidungen quasi abhängig.

Zur gleichen Zeit riefen Hitlers Kriegspläne aber auch die Oppositon des Generalstabschef des Heeres Beck hervor. Nur war die Position des Heeres durch die die Fritsch-Krise entscheidend geschwächt worden, da der neue Oberbefehlshaber des Heeres von Brauchitsch eine schwache Persönlichkeit war und die Belange des Heeres gegenüber Hitler nicht durchsetzen konnte. Des Weiteren hat Hitler sich selbst zum neuen Oberbefahlshaber der Wehrmacht gemacht.
 
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28.04.1938

Armeechef Gamelin antwortet seinem Ministerpräsidenten Daladier gerade noch rechtzeitig vor dem Beginn der zweitägigen Londoner Gespräche. Der gegenseitige Beistandspakt zwischen Frankreich und der Tschechoslowakei sei durch keinerlei Militärabkommen ergänzt. Im Falle einer Mobilmachung könnten die Franzosen die Offensive ergreifen - aber nur unter gewissen Bedingungen. Frankreichs Vorgehen hänge davon ab, wieviele französische Soldaten durch die Italiener in Nordafrika und in den Alpen gebunden würden; Frankreichs Kampfkraft vom Vorgehen Rußlands, Großbritanniens, Rumäniens und Jugoslawiens. Wie schon in der Rheinlandkrise und der Österreichkrise fiel Gamelins Antwort vorsichtig aus.

Ministerpräsident Daladier und sogar Außenminister Bonnet zeigten sich mutiger als ihr Armeechef. "Heute ist die Tschechoslowakie an der Reihe, morgen werde es Polen und Rumänien sein. Sobald sich Deutschland in den Besitz des erforderlichen Öls und Getreides gesetzt hat, wird es sich dem Westen zuwenden. Sicherleich müssen wir uns verstärkt um die Vermeidung des Krieges bemühen. Aber dieses Ziel läßt sich nur dann erreichen, wenn Großbritannien und Frankreich zusammenhalten, sich in Prag für weitere Zugeständnisse einsetzen, gleichzeitig aber erklären, daß sie die Unabhängigkeit der Tschechoslowakei garantieren. Sollten die Westmächte jedoch erneut kapitulieren, würden sie nur den Krieg beschleunigen, den sie doch abzuwenden suchen".

Selbst Bonnet erklärte, Hitler wolle die Tschechoslowakei schlicht und einfach auf der Landkarte ausradieren. Frankreich und Großbritannien müßten daher "gemeinsam eine feste Haltung zeigen und an ihr ohne Rücksicht auf das Risiko festhalten".

Dieser Appell traf bei dem britischen Premier Neville Chamberlain auf taube Ohren. Er glaube nicht, sagte er, daß "das Bild wirklich so schwarz ist, wie Monsieur Daladier es gezeichnet hat". Er bezweifle sehr, daß "Herr Hitler wirklich den Wunsch hegt, diesen oder irgendeinen tschechischen Staat zu vernichten". Sollte dies jedoch der Fall sein, so sehe er, Chamberlain, "ganz ehrlich keine Möglichkeit, dies zu verhindern".

Quelle: Wiliam L. Shirer [# 1], S. 357 f.
 
Ganz interessant ist, das Halifax "wenige Minuten" nach Ende der britisch-französischen Gespräche erst Kordt, dann Crolla (Italien) zu sich gebeten und unterrichtet hat.Ihm lag sehr an der Betonung, die Gespräche hätten im Gegensatz zu den Darstellungen der hysterischen Presse keine neuen militärisch-politischen Vereinbarungen gegenüber dem Status Quo gebracht, der Deutschland ja bekannt sei.

Ich würde das stimmungsmäßig so darlegen, dass Halifax auf Mäßigung gehofft und hierauf eingewirkt hat. Nur gegenüber Crolla (der wiederum Kordt danach informierte) hat er zugegeben, dass ein frz.-dt. Konflikt wegen der CSR Großbritannien in eine "extremely difficult position" bringen würde. Crolla gab Kordt den Hinweis, mit etwas Ruhe, Zeit und Hartnäckigkeit würden sich alle deutschen Forderungen in Bezug auf die Sudetengebiete nach seiner Einschätzung problemlos realisieren lassen. Man solle nur nichts überstürzen.

Quelle: ADAP D II, diverse Aktenvermerke.


Der Informationsfluß funktionierte hier also ausgezeichnet und sehr schnell; dennoch eskalierten die Ereignisse während der Maikrise 1938. Selbst gegenüber der deutschen Seite (und ggü. der italienischen, die dieses wohl transportieren sollte) brachte GB zum Ausdruck, dass man sich relativ passiv verhalten würde. Das ist mir unverständlich, mußte man doch damit rechnen, das deutsche politische Vorgehen weiter anzufachen, da sich ein Partner Frankreich möglicherweise im Konflikt ausklinken würde. GB soll im übrigen Frankreich in den Gesprächen geraten haben, auf weitergehende militärische Absprachen mit der SU zu verzichten, was einen weiteren Bremsklotz herausbrach. Und die zitierte Kleine Entente (mit dem Hinweis auf ROM und YUG) existierte zu der Zeit nur noch auf dem Papier.
 
Lord Rothermere brachte in einem Artikel der Daily Mail zum Ausdruck: "Die Tschechen gehen uns nicht an."

Premier Chamberlain äußerte sich öffentlich dahingehend, "Das eine Grenzrevision der richtige Weg sei, um eine kleinere, aber gesündere Tschechoslowakei zu schaffen."

Die Prager Regierung und die Bevölkerung der Tschechoslowakei waren angesichts dieser Äußerungen sicher begeistert.
 
29.04.1938

Chamberlain berät mit seinem Kabinett über die festgefahrenen Verhandlungen mit Frankreich. Er kehrt zu den Franzosen mit einem nichtssagenden Kompromiss zurück: Großbritannien sei bereit, gemeinsam mit Frankreich die Tschechoslowakei um eine möglichst weitgehende Erfüllung der sudetendeutschen Forderungen zu ersuchen. Zugleich wollte Großbritannien in Berlin auf "Mäßigung" dringen. Dalaldier war es lediglich gelungen, die Briten zu einem gemeinsamen rein diplomatischen Schritt zu bewegen.

Kaum sind die Franzosen im Flugzeug bestellt Lord Halifax den deutschen Botschafter Theodor Kordt zu sich. Er versichert diesem, dass die Briten und Franzosen keine gemeinsamen Schritte gegen Deutschlands Interessen beschlossen hätten. Großbritannien sei gegenüber Frankreich keine weiteren militärischen Verpflichtungen eingegangen. Am besten wäre es, "wenn sich die drei blutsverwandten Nationen Deutschland, Großbritannien und die Vereinigten Staaten zu einer gemeinsamen Arbeit für den Frieden zusammenfänden".

Quelle: Wiliam L. Shirer [# 1], S. 358 f.
 
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Etwas zur deutschen Seite: seit 1 Woche waren die "Grundlagen zur Studie Grün" in der Welt (IMT 388-PS, Besprechung vom 21.4.1938). Darin heißt es:

"... 3. Blitzartiges Handeln auf Grund eines Zwischenfalls (zB Ermordung des deutschen Gesandten im Anschluß an eine deutschfeindliche Demonstration). ...
Politisch sind die ersten vier Tage militärischen Handelns die entscheidenden. Bleiben durchschlagende militärische Erfolge aus, so tritt mit Sicherheit eine europäische Krise ein. Vollendete Tatsache müssen von Aussichtslosigkeit militärischen Eingreifens überzeugen ..."

Ansonsten war Hitler in diesen Tagen in erster Linie der Neuordnung Österreichs zugewandt und gab entsprechende Erlasse heraus.

Aus Rumänien wurde die Bestätigung des Außenministeriums übermittelt, dass nicht mit der SU wegen eines Durchmarschrechtes ihrer Truppen zur Unterstützung der CSR verhandelt würde. An dem Gerücht, dass sowjetische Bombergeschwader Rumänien überflogen hätten, sei nichts dran, vielmehr habe die CSR 7 Flugzeuge überführt, die sie in der SU gekauft hätten.


P.S.: @Gandolf: schöne Idee!
 
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Ebenfalls von der deutschen Seite:

Der deutsche Generalstabschef des Heeres versuchte sich über die möglichen Reaktionen von Frankreich und Großbritannien Klarheit zu verschaffen. Zu diesem Zwecke holte er Informationen von den Militärattachés ein.

Aus Paris meldete der deutsche Miltärattaché unter dem Datum des 27.April 1938, das die Franzosen und Briten anscheinend näher zusammenrücken, aber nur in der Frage, was zu tun sein, um Belgien zu schützen.

Aus London kam am 03.Mai 1938 von Tippelskirch die Meldung, das er für nur über sich widersprechende Informationen verfüge.
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Das war natürlich für den Generalstabschef nicht unbedingt hilfreich, bei seinen Bemühungen eine militärische Aktion gegen die Tschechoslowakei zu verhindern. Beck vertrat nämlich die Ansicht das ein Krieg gegen die Tschechoslowakei nicht isoliert werden könnte. Die gleiche Ansicht vertrat auch der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes von Weizsäcker.

Quelle: Müller, Generaloberst Ludwig Beck, Schöningh Verlag 2008
 
Anfang Mai 1938 kamen eine Vielzahl von Berichten über das Auswärtige Amt herein, darunter ein vertraulicher Vermerk eines Informanten aus dem britischen Außenmisnisterium. Gespräche fanden u.a. mit Henderson (Botschafter Berlin), Halifax und Bonnet statt.

Tenor der Berichte war, dass eine deutsche militärische Aktion gegen die CSR die frz. Beistandsverpflichtung auslösen würde, während sowohl Frankreich als auch GB anboten, beim Druck auf Prag in einer politischen Lösung der deutschen Forderungen Unterstützung zu geben. Dagegen wurde eindringlich im Interesse der Friedenssicherung in Europa vor kriegerischen Aktionen gewarnt. GB bot über Henderson zudem einen "Luftpakt" der europäischen Großmächte an, der den Bombenkrieg ächten sollte.

Nach dem vertraulichen Bericht aus London soll eine interne Arbeitsteilung zwischen F und GB bei einer politischen Lösung vereinbart worden sein, da GB zu größerem Druck auf Prag in der Lage sei.

In London fand außerdem der Wechsel auf dem Botschaftsposten von Ribbentrop zu Dircksen statt, der sich Anfang Mai in seiner neuen Funktion vorstellte.
 
Nachtrag:
Gestern vor 70 Jahren wäre Karl Marx 120 Jahre alt geworden.
 
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