Text 1
„(...) Erst nach 1920 beginnt der große Umschwung: die Maschine erwacht; die Maschine tritt ihre Herrschaft an. Baute man bisher den Motor vor die Karosserie, so baute man nunmehr die Karosserie hinter den Motor. Der Motor wird formgebendes Prinzip, er wird Ausdruck der Bewegung. (...) Dies ist ein guter, ruhiger, sicherer Wagen (Roadster), für alle brauchbar, ein besserer Demokrat, ein Ruhepunkt zwischen zwei Kriegen: Symptom der Epoche.
(...) Und dies, sehen Sie, ist auch das Bild von morgen: die rücksichtslose Herrschaft der Maschine, die Diktatur. In diesem „Golden Arrow“ ist der Mensch nur Nerv; und auch nur ein Nerv von vielen. Sein Auge, (...), ist ein Zielfernrohr, sein Hirn ist bereits unfähig, Richtung, gar Ende der Fahrt zu bestimmen; er steigt ein in den Wagen und schießt sich selbst los; in die Gefahr, ins Nichts, ins Unbekannte jedenfalls. Wir sehen es an diesem phantastischen Gebilde klar: der Mensch hat alle Dinge nur begonnen; vollenden wollen sich die Dinge selbst.
Und die Vollendung wird den Menschen vernichten.“
Triumph des Motors. 1929
Text 2
„Das Fußvolk trägt die Hauptlast des Kampfes...“ (Dienstvorschrift)
„(...) Unser Freund X. kommt in großer Eile aus seinem Hause in der Güntzelstraße. Er muß von deren Süd-Ost-Seite auf die Nord-West-Seite der Kaiserallee. Er schießt also diagonal über die Kreuzung, drei Schritte lang; dann bleibt er stecken. Mehrere Autos biegen rechts an ihm vorbei um die Ecke, und da die Ecke sehr scharf ist, drängen sie ihn wieder zurück. Endlich kann er seinen Terrainverlust wieder aufholen. Aber die Autos werden ihn wohl geärgert haben? So schnell er früher ging, so langsam wandelt er jetzt. Fünf Autos müssen stoppen und kommen mit Mühe um ihn herum. Er blickt sie bös an, sie ihn nicht minder bös. Langsam, mit verhaltener Wut, kommt er drüben an. Um dann in größter Eile weiterzurasen.
Herr X., so scheint es, hat seine erste Stunde nicht bestanden. Aber zeigte er nicht Mut, Kampfeslust, sogar Besonnenheit? Er trotzte, trotz des frühen Morgens, den Autos, er wandelte langsam durch die dräuende Gefahr. Aber war eigentlich hier der Lehrgegenstand Mut? Hier war Elastizität zu beweisen. Natürlich ist der rechtwinklige Weg länger als der diagonale. Das müsste man durch ein paar Sprünge ausgleichen. Aber eben diese Sprünge sind es, zu denen Herr X. sich nicht entschließen kann. Sie erscheinen ihm unwürdig. Herr X. aber bleibt würdig bis zu seinem frühen – durch ein glitschiges Auto verursachten – Tode.
(...); es gibt schon genug Leute in Berlin, die begriffen haben, daß Queren einer Straße in das Lehrfach Elastizität fällt.
(...) Wer sich nicht unterordnen will, der kommt unter die Räder; und das ist beim Verkehr nicht bildlich gesprochen, sondern blutige Wirklichkeit.“
Moral und Verkehr. 1930
Bronnen, Arnolt: Sabotage der Jugend: kleine Arbeiten 1922 – 1934.
Hrsg.: Aspetsberger, Friedbert. Innsbruck 1989
Ein gewisses Problem liegt daran, dass deine Frage leicht unpräzise ist. Was meinst du mit Schnelligkeit? Technische Entwicklung? Das sich Ändern der Lebensumstände? Modischer Zeitgeist? Gar die Gesellschaft? Hier ließe sich ein Vergleich anstellen. Angemerkt sei, dass sich dieser Vergleich auf ein Jahrzehnt beschränken sollte. Inwieweit prägten technische und gesellschaftliche Veränderungen das Jahrzehnt, oft ohne das jeweilige Zeitgenossen sich dessen bewusst waren/sind. Dabei muß man auch zwischen den verschiedenen „Räumen“ Stadt und Land unterscheiden. Der damalige technische Fortschritt hat rasantere gesellschaftliche Veränderungen mit sich gebracht als je zuvor in den vorhergegangenen Jahrhunderten. In der Weimarer Republik bestimmt das vermehrte Aufkommen des Automobils, welches die Mobilität erhöhte. Auch unsere Mobilität hat sich im Vergleich vor 20,30 Jahren erhöht, z.b Billigflieger. Es kommt aber im Vergleich nicht auf die Schnelligkeit an sich an, sondern auf die Schnelligkeit der sich veränderten Lebensweisen – und möglichkeiten, -auch Unterwerfungen-, die der technische Fortschritt mit sich bringt. (Text 1). In den 90ern z.B. das Internet oder das Mobiltelephon.
Vorgaben wie Flexibilität, Anpassung wurden damals genau so gefordert wie heute (Text 2). Es geht also nicht mehr darum Wer, Was man ist, und sich dementsprechend verhält, sondern inwieweit man sich den neueren Umständen anzupassen versteht. Wer sich nicht anpasst geht unter. Man unterwirft sich dem Primat der Veränderung. In Zeiten der Globalisierung scheint es, dass man dem machtlos gegenüber steht. Somit schließe ich mich dem Vorschreibern an. Alte gesellschaftliche Banden werden zerschnitten und neue transnationale entstehen. Auch Gegenbewegungen entstehen. Wie weit ist man bereit diesen Veränderungen zu akzeptieren? (So sollte auch der Zulauf zum Nationalsozialismus, der die alten sich lösenden Banden, wie Volk, Nation revitalisieren wollte, unter diesem Aspekt berücksichtigt werden.) Ein weiteres war in den 20ern die verstärkte Herausbildung der Mittelschicht der Angestellten und Sekretärinnen, die einer breiteren Masse das ermöglichte was davor nur wenigen vergönnt war – Freizeit. Einer Freizeit von der viele heute denken, dass sie sie nicht haben. Mit der frei gewordenen Zeit erblühte auch die Unterhaltungs- und Konsumindustrie, mit den sich ändernden Angeboten. Wobei dieses Unterhaltungsangebot sich schon in den 20ern internationalisierte (Kino, Jazz, usw.) Deswegen ist am ende die These des Kampfes der Kulturen nicht so abwegig. Norbert Bolz beschreibt diesen Gegensatz als ein Unterschied zwischen der konsumistischen und religiösen, der vormodernen und postmodernen Gesellschaft. Dschihad vs. McWorld.